Capitul XXII
Discurieret von sonst allerhand Narren

[59] Neben diesem Kriegsnarren saßen noch viel andere in den Winkeln hin und wieder eingesperret, derer Rede ich entweder nicht alle behalten oder derer Profession ich nicht alle wohl merken können: In summa summarum, stultorum in hac domo omnia erant plena et repleta:


Der Narren waren im Spital

Unzählig tausend an der Zahl.


Absonderlich sah man von dieser Gattung viel darinnen sitzen, die in allen Sachen recht wollen haben, und diese hieß der Spitalmeister Disputiernarren, die sich um eines schlechten Pfifferlings willen fast die beiden Ohren vom Kopf hinunter disputieren und doch nichts davon hätten, als daß sie sich den Hals heiser schreien und die Leber erhitzen, daraus hernachmals die Schwindsucht entspringet. Nächst an diesen war eine lange Gallerie auf die neueste Mode gebaut, in welcher diejenigen ihr Logament hatten, die da wollen allerlei Religionen in eine Congregationem universalem einschließen und den Papst mit dem Luther vergleichen. Da gab es schrecklich viel Theologische darunter, darob einer fast das Krauen hinter den Ohren hätte bekommen mögen. Man hörte von ihnen fast nichts als lauter Syllogismos Topicos, und ihr meistes Schreien bestund in dem, daß man nämlich niemandem den Himmel absprechen könnte, wer ein[59] Christ hieße. Und durch dieses Mittel meinten sie, schreckliche Hasen zu erjagen, und taten weniger als nichts, wurden darzu noch ausgelachet und von den Jesuiten hinter der Faust ausgehöhnet. Difficillimum enim est, imo difficillissimum, tam variae farinae homines in unam sententiam cogere, absonderlich, da man von der gefaßten Meinung nicht abstehen will, und sollen auch Mühlsteine auf dem Wasser schwimmen und die Gänse im Pflug arbeiten. Darum versah sie der Spitalmeister mit vielen Büchern, Tinte, Federn und Papier. Man hörete auch nicht so viele disputieren als man ihrer schreiben und die Rationes Rationantes zu Papier setzen sah.

»O«, gedachte ich bei mir, »was für eine Arbeit nehmen die Leute vor! Ihre Meinung ist zwar gut, aber die Mittel, zu ihrem Zweck zu gelangen, sind nicht allen erheblich, seine Uhr nach ihrem Zeiger zu richten. Die Welt ist gar zu böse und hochmütig. Man nimmt auch in der besten Sache keinen Rat mehr an, denn weil jeder Doctor für sich selbst sein will, so glaubet er, all dieser Rat sei nicht gut, welcher nicht aus seinem eigenen Hirne gesponnen ist: Illinc lacrimae, illinc suspiria.«

Weiter hinunter saßen junge Geistliche, welche, wie man sagt, vor großer Andacht halb rasend werden. »Ihr Herren«, sagte der Spitalmeister, »diese Gesellen machen mir durch ihre Mienen und Actionen fast die größte Lust. Wenn ich mittags gegessen habe, so sehe ich ihnen eine halbe Stund zu, wie andächtig sie sich gebärden, und ist doch keinem nicht ums Herz. Mit dem Mund singen sie: Herzlich tut mich verlangen, und im Herzen denken sie: das Geldlein zu empfangen. Äußerlich sagen sie: Gib acht aufs Evangelium, und innerlich sprechen sie: Date mihi obolum. Sie suchen per Dei amorem vom Volk nichts als proprium honorem. Ja, ich heiße sie viel besser gritzlich als geistlich. Quo plus bibuntur plus sitiuntur aquae heißt auf deutsch: ein Priestersrock. Sehet, ihr Herren, diese Kerl sind ihr Leben lang nirgend als auf einer einzelnen Universität gewesen, wo sie anstatt der Schola pietatis das Ballhaus und die Reitschul visitieret. Ihr dürft Euch nicht wundern, daß ich Euch von der Reitschul sage, denn sie haben nichts mehr als Postillreiten gelernet, und wenn sie diesen Sonntag diesen Autoren bis aufs Blut geritten haben, so legen sie ihren Sattel über acht Tag auf einen anderen Klepper und reiten darauf, daß der Staub hinten aufgeht und davon stäubet. Ja, wenn sie in das Predigtamt kommen, da ziehen sie die Saite so hoch auf, daß sie niemanden würdigen mit einer Reverenz zu verehren, sie wissen denn, daß er was zu spendieren hat. Sie loben auf der Kanzel die Geduld, und sie sind in ihrem Herzen so ungeduldig, daß ich mich oft krank sehen und hören muß. O, ihr alberne Tröpfe, versucht zuvor die Welt, reiset hin und wieder, lernet die Völker kennen und alsdann, so ihr große Bärte überkommen, so tretet vor das[60] Volk. Ein Prediger ohne Bart ist selten guter Art, doch findet man auch mit großen Haaren, die eben nicht viel nütze waren. Ihr Herren, es ist halt alles unter- und obereinander vermischet. Der Mäusedreck lieget allenthalben in dem Pfeffer, drum ist es klug getan, alle närrische Affecten fahren zu lassen, auf daß man sich vor dem Narrenspital hüten könne, in welchem für allerlei Stände so grausam viel Kammern und Zellen zugerichtet sind.«

Darnach so gingen wir auch ein Gewölb vorbei, in welchem nach des Spitalmeisters Bericht diejenigen lagen, welche sich anstatt des Titels Praeceptor Herr Hofmeister nennen ließen. Auch saßen bei diesen die Herren Schreiber, so Secretarii genannt sein wollen, und gleich hinter ihnen war die Kammer, darinnen diejenigen saßen, welche man Jungfern nennen mußte und [die] doch allgemach in der Propagierung des menschlichen Geschlechts länger als zehn Jahre gearbeitet hatten. Über ihnen saßen die Titelnarren: Klopffechternarren, Hundenarren, Katzennarren, Canarivögelnarren, Stocknarren, geborene Narren, Schalksnarren, Habernarren, Pfingstnarren, Fastnachtsnarren, Weibernarren, Hofnarren, Generalnarren, Hauptnarren, gewichste Narren, Praecedenznarren, gestimmte Narren, Kleidernarren, Modenarren, geschorene Narren, ungeschickte Narren, ja, so vielerlei Narren, als man immer erdenken und nennen kann. Teils spielten auf dem Brett, andere in der Karte, die meisten aber soffen Toback; und weil etliche unter der Compagnie den Rauch nicht wohl vertragen konnten, weil sie heute abends noch zu Frauenzimmer gehen wollten, so verließen sie diese Gelegenheit, die Narren ferner zu betrachten, und dadurch war zugleich mein Vornehmen zuschanden, weil ich ihre eigentliche Gestalt dem Leser nicht so ausführlich, als ich wohl sonsten gewollet, habe vorstellen können.

Quelle:
Johann Beer: Das Narrenspital sowie Jucundi Jusundissimi Wunderliche Lebens-Beschreibung. Hamburg 1957, S. 59-61.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Narrenspital
Sämtliche Werke - Band 5. Weiber-Hächel, Jungfern-Hobel, Bestia Civitatis, Narren-Spital. Herausgegeben von Ferdinand van Ingen und Hans-Gert Roloff
Das Narrenspital