Zwölfte Scene.

[318] Ranzau. Struensee.


STRUENSEE.

Ihr seid's, Graf Ranzau! seid es wirklich? Nun

Bei Gott, ein überraschender Besuch,[318]

Und mir um so erfreulicher. Was immer

Euch zu mir führt, seid herzlich mir willkommen.

RANZAU.

Ich kann euch nicht willkommen sein, Herr Graf,

Denn nicht mit freud'gem Herzen komm' ich her.

STRUENSEE.

Kann ich euch Trost, kann ich euch Hülfe bieten?

RANZAU.

Mich drückt kein selbstisch trostbegehrend Leiden.

STRUENSEE.

So drückt euch fremder Kummer, Freundes Noth?

RANZAU.

Ihr sagt's. Mich quält die Noth des liebsten Freundes.

STRUENSEE zutraulich Ranzau's Hand fassend.

Vermag ich's, soll mir's Pflicht sein, ihm zu helfen.

RANZAU.

Pflicht ist's. Ob ihr's vermögt, weiß Gott allein;

Doch Hülfe thut dem theuren Freunde noth.

Wollt ihr sie redlich leisten, wie ihr's könnt,

So helft dem Vaterland, helft meinem Dänmark.

STRUENSEE lächelnd.

Ist's dieser Freund, so schlägt in eurer Brust[319]

Kein wärmer Herz für ihn als in der meinen,

Und seine Sorgen theilen, ist mein Ruhm.

RANZAU.

Und dennoch ist's nicht euer Vaterland.

Euch klingt das Murmeln dieser Ostseewelle

Nicht wie ein Wiegenlied der Kinderzeit.

Was gelten euch die Thaten dieses Landes,

Dem Fremdling, die Geschichte dieses Volks?

Ich sprach es aus; und weil ich es gethan,

So will ich euch mit schlichten Worten sagen,

Und darum kam ich her, wie mir's um's Herz ist.

Die laut're Wahrheit, frei, wie es dem Krieger,

Wie's dem ergrauten Edelmann geziemt.

STRUENSEE.

Wahrheit und Freiheit sind mir gold'ne Worte

Im Mund des Edelmanns wie des Gemeinen.

RANZAU.

»Im Mund des Edelmanns wie des Gemeinen.« –

So war't ihr stets; es darf der Edle nicht

Sich eines Vorzugs rühmen vor dem Niedern!

Das fechten sie mit kühnem Wort jetzt aus

Im fernen Frankreich, und ich weiß es wohl,

Ein treuer Zögling seid ihr dieser Lehren;

Da ist nichts heilig mehr, und jede Schranke

Soll niederschmettern, daß ein neues Licht

Sich Bahn zu Aller Scheitel breche; Alle

Ein Tag umleuchte unglücksel'ger Gleichheit.[320]

Und hofft ihr auf dem dornenvollen Weg

Zum Ziel verweg'ner Neu'rung freien Schritts

Und ungestraft zu geh'n? Ihr werdet's nicht,

Die Kön'ge Dänmarks selbst sind nicht so reich

An herrlichem Gedächtniß großer Thaten,

Als dieses Landes Adel; er allein

Hat aus den Stürmen einer trüben Zeit

Die Trümmer ew'ger Rechte sich gerettet.

Er ist die Seele dieses Volkes, ist

Sein Lebensstrom, und ihn vernichten wollen,

Ihr aber wollt's, heißt allen Dänen Tod,

Dem ganzen Dänmark Untergang bereiten.

STRUENSEE.

Mit Staunen hör' ich euch; nennt ihr vernichten,

Dem Frevel steuern übermüth'ger Willkür?

In welchem Buche der Geschichte las't ihr,

Daß Namen edler Väter je den Enkeln

Das Recht des Mißbrauchs heil'ger Würden gaben?

Der größte Sohn der Julier ward gemordet,

Weil er in frechem Uebermuth vergaß,

Daß nicht der Götteradel seines Bluts,

Die eig'ne Größe nicht, dem Vaterland'

Ersetzen konnte die gestohl'ne Freiheit,

Die König war zu Rom, und selbst den Cäsar

Nicht seiner Unterthanenpflicht entband.

Es hat dem Könige, Herr Graf, gefallen,

In diese Hand ein schweres Amt zu legen.

Nach Pflicht und Recht es zu verwalten, ist

Mein heißes Sorgen, und ich zähle nicht[321]

Mühvolle Tage, nicht durchwachte Nächte,

Die ich ihm hingegeben. Niemand zählt sie;

Doch bin ich auch nur Einem Rechenschaft

Und Einem Dank nur schuldig, – meinem König,

Doch weil ihr kühn und freien Sinn's zu mir

Getreten seid, und nicht des tiefsten Herzens

Geheimes Sinnen mir verschwiegen, denk' ich

Auch wie ein Ehrenmann die Schuld zu lösen,

Und Wahrheit euch mit Wahrheit zu bezahlen.

Mag sein, das Volk soll seine Edlen ehren.

Doch sagt mir, war der Uebermuth zu dulden,

Mit dem der Adel Dänmarks sich allein

Und seine Rechte in des Thrones Nähe

Vertrat mit unerhörter Selbstsucht? Sagt mir,

Was jener Staatsrath, der geweihte Sitz

Der edlen Häupter dieses Lands, gewirkt,

Was herrlich, Segentragendes vollbracht,

Daß man mich anklagt, ihn gelöst zu haben?

Hat er wie eine gold'ne Mauer nicht

Sich zwischen Volk und König hergestellt?

RANZAU.

Er war das Bollwerk alter Dänenfreiheit.

STRUENSEE.

Er war das stolze Hinderniß der Neuen.

War't ihr es nicht, der mich an diesen Hof

Zuerst geführt, und der mir warnend sagte:

Der König ist in unglücksel'gen Händen?[322]

War er in bessern, als ich sein Vertrau'n,

Und mit ihm die Gewalt empfing? Es theilten

Die höchsten Stellen Uebermuth und Dünkel.

Die Bessern wichen. Einem feilen Heer

Käuflicher Diener ließ man alle Mühen

Der niedern Aemter. Schimpflich nährte damals

Das Mark des Landes manch' bebrämten Kuppler,

Dem man des Vorgemachs geheime Sorgen

Und schändliche Verschwiegenheit vergalt.

Voreilig flog der Edeln junge Schar

Der Ehrenstellen vielgestufte Leiter

Mit raschen Sätzen an, und flücht'gen Fußes

Die niedren Sprossen überspringend, drängten

Sie keck sich zu des Staates schmalem Gipfel,

Der Raum nur hat für wenige Geprüfte.

So sah das Land mit wachsendem Entsetzen

Von edlen Knaben seine bessern Männer

Zurückgedrängt in Nacht und in Verachtung.

RANZAU lächelnd.

Wohl möglich, daß die Brut des Adlers sich

Mit kühnern Schwingen auf zum Lichte wagt,

Als der gemeinen Spatzen nied'rer Flug.

STRUENSEE.

Ich aber habe mich erkühnt, Herr Graf,

Die Flügel dieser Adlerbrut zu stutzen,

Mit kräftigem Gesetz unbärt'ger Kühnheit

Gewehrt, daß uns kein neuer Phaëton[323]

Das Flammenroß der Staatenherrschaft lenke.

Könnt' ihr mich tadeln, daß ich's that? Und glaubt ihr,

Daß Dänmark siech und elend werde, weil

Kein Heer unnützer ebenbürt'ger Dränger

Den König mehr umlagert? Weil der Landmann

Nicht mehr den feuchten Blick zur Hauptstadt wendet,

Wo oft sein strenger geißelnder Gebieter,

Der unentbehrlich sich am Hofe wähnte,

Die schweißerpreßten Früchte karger Güter

Der frechen Nacht zur Beute gab, und dann,

Nach manchem Klagelied von schwerer Zeit,

Sich von der Gnade des Monarchen wieder

Den Beutel füllen ließ? Das ist vorbei;

Denn, Gott sei Dank! ich hab' dem Könige

Gezeigt, was ihm die Kassen schnell erschöpfte.

Er ist es müd', des Adels Säckelmeister

Zu machen. Seines Volkes Jammer ist

Zu seinem Ohr gedrungen. Er vernimmt

Die allgemeine Noth; doch machtlos stirbt

Der ungestüme Laut verweg'ner Klagen.

Des Landes Mittel sind erschöpft. Entbehrlich

Muß Manches scheinen, was nothwendig uns

Noch jüngst erschien. Verstummt ist jede Rücksicht.

Der König selbst entäußert sich zuerst

Des überflüss'gen Glanzes. Seiner Garde

Erwähltes Corps entließ er heut' in Gnaden.


Ranzau scharf anblickend.


Ist Dänmark krank, so seht ihr, werther Graf,

So ganz unkundig sind wir nicht der Mittel,

Den theuren Freund vom Untergang zu retten.[324]

RANZAU.

Ich seh', ich seh, wie ihr geschickt und schlau

Die Wehr gerissen aus des Adels Händen.

Dafür bewaffnet ihr das Volk. Es darf,

Wie's nie erhört war, Jeglicher nach Willkür

Die ungemess'ne Keckheit der Gedanken

Den freien Pressen rächend anvertrau'n.

STRUENSEE.

Ich kann dem Volke nicht das Denken wehren,

So sag' es frei und offen, was es denkt.

RANZAU.

Ja, ihr seid blind und seht den Abgrund nicht,

Dem ihr entgegen eilt mit raschen Schritten.

Die Waffen, die ihr diesem Volk vertraut,

Wird's gegen euch zuerst im Wahnsinn kehren.

STRUENSEE.

Den Mißbrauch seiner Gaben fürchtet nur,

Wer nicht aus freiem Trieb des Herzens giebt.

Die reine Absicht gleicht der großen That!

Den preis' ich glücklich, dem vom Anbeginn

Des Willens, bis zum herrlichen Vollbringen,

Ein günstig siegendes Gestirn geleuchtet!

RANZAU.

Nicht euren Sternen leuchtet dieses Glück.

Glaubt mir, Graf Struensee, es wird der Adel

Euch furchtbar werden, eh' ihr's euch verseht.[325]

Der Unmuth pocht in Aller Herzen; laßt,

Ich bitt' euch, laßt euch warnen; wagt nicht ferner,

Was ihr bisher gewagt.

STRUENSEE.

Es scheint, Graf Ranzau

Vergißt, daß nur des Königs hoher Wille

Aus den Befehlen des Ministers spricht.

Nennt sich der Adel dieses Thrones Bollwerk,

Und seines Königs Schutz, so ehr' er auch

Den Willen des Monarchen.

RANZAU.

Ja, nun seh' ich's,

Ihr spielt mit mir, und wollt mit leerem Blendwerk

Die Blicke des erfahrnen Mannes täuschen.

Gebt ihr für einen König mir den Schatten

Des kranken Christian? Dieses müde Haupt

Hat sich der Last der Krone längst entwöhnt.

Wer ist's, der ihn beherrscht? Die Kön'gin Mutter

Ist weggedrängt aus ihres Sohnes Nähe.

STRUENSEE.

Graf Ranzau trägt sein Herz auf seinen Lippen;

Das weiß das Land. Jetzt aber hör' ich nicht

Sein ehrlich Herz. Nennt ihr die Witwe Friedrich's,


Ihn an sich ziehend.


Und denkt der Zeiten nicht, wo ihr mir selbst

Erzählt in Aschbergs stillem Buchenschatten,

Wie diese Eris an des Königs Seite[326]

Ein stiller Fluch dem Königshause war?

Soll sie aufs Neue unheilbringend jetzt

Dem königlichen Paare nah'n, die Zwietracht

In die versöhnten Herzen wieder säen;

Mit neid'schem Groll die jugendlichen Tage

Der holden, blüh'nden Königin vergiften?

RANZAU.

Ja, diese holde, blüh'nde Königin, –

Ihr mahnt zur rechten Zeit – die kühne Britin

Hat endlich alle Fesseln abgestreift,

Hat Alle uns getäuscht. Sie wollte herrschen,

Sie hat's erreicht in ungetheilter Macht;

Denn ungewiß fragt sich das ganze Volk,

Ob ihr ein Spielwerk seid in ihren Händen,

Ob sie ein Spielwerk in den euren. –

STRUENSEE auffahrend.

Graf,

Das ist zu viel; verzieh'n hab' ich die Kühnheit,

Das Ungeziemende ertrag' ich nicht.

Geht, geht, ihr kamt mit bitt'rem Herzen her,

Ihr wolltet keinen Frieden; tragt den Streit

Mit euch hinweg, wie ihr ihn hergebracht.

RANZAU.

Ja, ew'ger Kampf trennt Willkür und Gesetz;

Ihr wollt das Eine, ich das And're; so

Ist's besser, daß wir scheiden.[327]

STRUENSEE ihn zurückhaltend.

Eines noch!

Ihr dachtet nicht gering von mir, und kamt,

Dem Mächtigen manch' kühnes Wort zu sagen.

Ihr scheidet ungestraft, da ihr's gethan,

Das, Graf, – das ist die Willkür, die ich übe.


Ranzau wirft einen durchdringenden Blick auf ihn und geht rasch ab.


Quelle:
Michael Beer: Sämmtliche Werke. Leipzig 1835, S. 318-328.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Phantasus / Dafnis

Phantasus / Dafnis

Der lyrische Zyklus um den Sohn des Schlafes und seine Verwandlungskünste, die dem Menschen die Träume geben, ist eine Allegorie auf das Schaffen des Dichters.

178 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon