[328] Pfarrer Struensee. Graf Struensee.
GRAF STRUENSEE sich wendend und den Vater erblickend.
Mein Vater! Güt'ger Himmel, endlich wieder
An meinem Herzen, theurer, lieber Vater!
PFARRER STRUENSEE.
Mein Sohn!
GRAF STRUENSEE.
O süßer Ton der väterlichen Stimme!
Wie lang' hab' ich vergebens diese Gunst
Erfleht, umsonst gehofft, euch hier zu seh'n.
Seit mir die Sonne königlicher Huld
Geleuchtet, hat des Vaters lieber Stern
Sich weg von mir gewendet. Laßt mich nun
Tief, tiefer wieder in die Blicke schauen,
Die meines Lebens Quell' und Segen sind.
Der Vater wendet sich ab.
Wie ist euch, Vater; wollt ihr mir die Gunst
Des theuren Anblicks nicht gewähren? Oder
Wollt ihr, das Antlitz mir verbergend, auch
Geheimnißvoll verschwieg'nen Kummer – Gott!
Ich habe nach der Mutter nicht gefragt;
Wo, wo ist meine Mutter?
PFARRER STRUENSEE.
Heimgegangen.[329]
GRAF STRUENSEE.
Todt?
PFARRER STRUENSEE.
Ihren Segen bring' ich dir, mein Sohn,
Dein Name war ihr letztes Wort.
GRAF STRUENSEE.
Mein Name?
Ihr brechend Aug' hat einen Strahl von Segen
Für mich, und den mißgönnt der Himmel mir?
Erstarrt im Grab' dies Herz voll Liebe? Weh' mir,
Daß mich verderblich ein unheil'ger Glanz
Von dem geweihten Lager bannte, – daß ich
Ihr letztes segnend Röcheln nicht vernahm,
Und jetzt vergeblich nur nach einem Blick,
Nach einem einz'gen Blick der Mutter weine.
Pause, Vater und Sohn stehen in stummen Schmerz versunken.
O, wie sie gut war, Vater, denkt ihr's noch?
Wenn ich, ein rascher Knabe, oft zu herrisch
Die kindischen Gespielen meistern wollte,
Und ihr mit strenger Zücht'gung, unerbittlich
Des Sohnes ungemess'nen Trotz bedroht, –
Sie hatte immer ein begüt'gend Wort,
Sie wußte nur zu lieben, zu vergeben.
PFARRER STRUENSEE.
Gönn' ihr den Schlummer der Vollendung, Sohn!
Und zähl' ihr nicht die Sünden nach.[330]
GRAF STRUENSEE heftig.
Ha, Vater!
Gefaßter, nicht ohne Bitterkeit.
Ihr wählet euch ein traurig Amt, mein Vater!
Nicht in den Tagen seines Glückes kommt ihr,
Den Sohn zu schau'n. Nicht seines Königs Gnade,
Nicht eines Volkes staunendes Erwarten
Auf seine Thaten ziehen euch zu ihm, –
Ihr kommt, wenn das Entsetzen in die Hütte,
Die ihm das Liebste einschließt, tödtend einbricht;
Und eurer Lippen schauervoller Gruß
Ist seines Unglücks fürchterliche Botschaft.
PFARRER STRUENSEE.
Dem armen, blinden Sohne dieser Erde
Erscheint mit zwiefachem Gesicht das Leben.
Sein Doppelantlitz heißt uns Glück und Unglück.
Doch der dort oben aus dem ew'gen Borne
Das Leben schöpft, von dem ein karger Tropfen
In unsre Herzen ausströmt und verrinnt, –
Der, denk' ich, tauscht wohl oft die Namen um.
Von ihm kommt niemals Unglück, niemals, niemals.
Dein Unglück aber, fürcht' ich, ist dein Glück.
GRAF STRUENSEE.
Ja, ja, ich weiß, ihr habt's mir nie vergeben,
Daß ich dem engen Kreise mich entzogen,
Der fest ins nied're Leben mich gebannt.
Daß ich nicht Lügner schalt des Busens Stimme,
Die mich hinwegrief von dem dürft'gen Bett[331]
Des Kranken zu des Daseins lichter Höhe,
Wohin die freie königliche Wahl
Mit schnellem Adlersittich mich getragen.
Und hab' ich mich des fürstlichen Vertrauens
Unwerth gezeigt, mit frevelhafter Selbstsucht?
Wer hat die Macht in Händen und darf sagen,
Er habe Größeres gewollt als ich?
Durchbebt nicht ein entzückender Gedanke
Mein ganzes Herz? Den uralt schweren Streit
Der Krone mit des Bürgers stillem Recht
Zu lösen, daß der leistende Gehorsam
Die Zügel billiger Gewalt nicht fühle,
Nicht wider eines Lenkers schwere Hand
Sich knirschend bäume; daß ein thätig Volk
Nicht preisgegeben launenhafter Willkür,
Sich wie der König Dänmarks auf dem Thron,
In edlem Selbstgefühle frei bewege.
Es darf der Bürger jetzt des Hauses Thore
Dem falschen Blick der feilen Späher schließen.
Gesichert ist sein friedliches Asyl.
Sein Fleiß bringt ihm den redlichen Gewinn,
Und kleidet nicht, wie es vor mir geschah,
In Marmorglanz die fürstlichen Paläste.
Durch meine Hand entfesselt, wandelt frei
Von Brust zu Brust der leuchtende Gedanke.
Der Bildung schöner Tag, der unsrem Deutschland
In frischem Glanz der Morgenröthe leuchtet,
Wird seiner Sonne herzbelebend Feuer
Auch auf dies schöne Land herüber tragen.
Und sind wir längst dahin, und folgt uns dann[332]
Ein fröhlich heiter wirkendes Geschlecht,
So wird es milder als des Vaters Stimme
Auf meinem stillen Grab' mir feuchten Blicks
Dies theure Zeugniß seines Dankes geben:
Daß ich sein Glück gewollt, daß ich's erreicht.
PFARRER STRUENSEE.
Das wird es nicht, mein Sohn, denn nicht die Willkür
Des Einzelnen kann Völkerglück begründen.
Und welch ein Pfand der Sicherheit hast du
Dem Volk gelassen, daß nach dir kein Zweiter
Und mächtiger als du erscheint, und wieder
Den Prachtball deiner Thaten niederreißt?
Wer bist du, daß aus deiner Hand ein Volk
Die Freiheit wie ein dürftiges Geschenk
Empfangen soll? Wie eine karge Wohlthat,
Die Andrer Launen frevelnd ihm entzieh'n,
Wie eines Jünglings Laune sie gewährt.
Hast du so tief ins Erdreich der Gesetze
Der Freiheit jugendlichen Stamm gesenkt,
Daß seine stillen Wurzeln nie die Axt
Der königlichen Willkür, nie ein Streich,
Von deiner eignen Hand verborgen, treffe?
Das hast du nicht vermocht, und kannst es auch
Großmüthig niemals wollen; – denn du kannst
Das Nächste nur bedenken, kannst dein Schicksal
Nicht frei mehr lenken; festgeankert muß es
In dieses Thrones falscher Nähe ruh'n.
Dort ist dein Platz; bei allen deinen Planen
Ist das die stille traurige Bedingung,[333]
Daß du dem Thron zunächst stehst; denn ich fürchte,
Dich hält dort nicht allein die karge Lust
Der mühevollen Herrschaft. And're Schlingen
Umstricken dich und halten dich gebannt
Mit stillen, zaubervollen Kräften.
Graf Struensee wendet sich ab.
Bebst du?
Blick' her! Sieh mir ins Auge! Kannst du's nicht?
Kannst du die greisen Flammen meines Blicks,
Des Vateraug's nicht mehr ertragen? Weh' mir!
Ist's wahr, das Gräßliche, das wie die Feu'r
In Tagen der Gefahr von Berg zu Berg,
Von Mund zu Mund des Volkes geht? Du liebst?
Liebst deine Königin?
GRAF STRUENSEE.
Mein Vater!
PFARRER STRUENSEE.
Fort!
Die Sünde fällt auf deines Vaters Haupt!
Der alte gläub'ge Diener Gottes fleht
Verzweiflungsvoll den Tod auf sich herab,
Eh' deine bleichen Lippen ihm bekennen,
Was ihn zu hören schaudert.
GRAF STRUENSEE.
Bebt ihr, zu hören, was die bangen Lippen
Euch zu gestehen zittern? Dennoch kann ich
Das Gräßliche euch nicht ersparen, muß es[334]
Von diesem Herzen wälzen dies Bekenntniß. – Ja,
Ich liebe, Vater! Meine Königin,
Zu der mein Auge sich mit scheuer Ehrfurcht
Kaum heben sollte, bet' ich Rasender
Mit allem Wahnsinn an der Leidenschaft.
O richtet mild, mein Vater! Wunderbar
Auf leisen Wegen hat dies stille Gift
Sich unvermerkt ins Herz geschlichen. Weiß ich
Die Stunde doch zu nennen, wo ich plötzlich
Mich umgewandelt fand, und sich der Zauber
Der unbewehrten Seele still bemächtigt.
Die Königin war krank. Der König war
Von seiner Reise damals heimgekehrt.
Mein schnelles Glück war das Gespräch des Tages;
Dienstfertig übertrieb der bange Neid
Der Höflinge das flüchtige Verdienst
Des jungen Arztes, und die Königin
Begehrte mich zu sehen. Die Verlass'ne
War ohne Freund, allein, an ihrem Hof'. –
Verschmäht von ihrem fürstlichen Gemahl,
Beneidet von der königlichen Mutter,
Fand ich ihr Herz vom Gram und Schmerz geknickt,
Und ich verhehlt' es nicht, wie ich's gefunden.
Und wie sie nun des Antheils stille Thräne
In meinem Auge sah, und aus dem ihren
Ein süßer Strom herniederfloß, – die Wange
Ein holder Scham geröthet, daß der Fremdling
Ins tiefste Herz der Königin geschaut, –
Da war's um mich gescheh'n; die Macht des Zaubers,
Der mich umsponnen, ließ mich nimmer wieder.[335]
Mit ihren Thränen hat sie mich vergiftet!
Mit ihren Thränen meines Lebens Ruh'
Und meine Seligkeit hinweggeströmt.
In ihrer Nähe festgebannt, erduld' ich
Seit jenem Tag die Hölle tausendfach.
Ich darf sie stündlich seh'n, und muß die Blicke
Zu Boden senken, daß mein flammend Aug'
Nicht aus der klaren Hoheit ihrer Sterne
Verdammniß lese und Verwerfung. Flüstert
Ihr süßer Mund ein mildes Wort mir zu,
So täuscht mich mein betrüg'risch Herz und wähnt,
Es sei der Liebe Wonneklang gewesen.
Ich schaud're heut' vor mir zurück, und morgen
Belebt mich wieder ein unselig Hoffen,
Und die zermalmte Seele sucht und findet
Mühsel'gen Trost, um ihn mit neuem Jammer
In tödtlich schnellem Wechsel zu vertauschen.
Laßt einen Dämon in die Himmel brechen,
Die Seligkeit daraus hinwegzustehlen,
Und wollt ihr strafend seinen Frevel rächen,
Mit allem Elend den Verruchten quälen,
Sucht nicht nach neuer Qual, – ihr findet keine,
Die Seelen besser folt're als die meine.
PFARRER STRUENSEE.
O Unglücksel'ger! Und du willst noch länger
Das Ungeheu're tragen? Theurer Sohn!
Ich bin nicht streng, ich habe nichts zu richten,
Ich kann nichts mehr, als dir verzeih'n! Komm mit mir,
Flieh' diesen Hof, entsage dieser Hölle.[336]
Dein kühner Geist, dein Herz sind reich genug,
Der Einsamkeit zu leben! Komm mit mir!
Du bist so elend hier, du wirst vergessen.
GRAF STRUENSEE.
Niemals, mein Vater, niemals! Wenn ich's könnte,
Ich möcht' es nicht. Nur Thaten können mich,
Die Größe meiner Pflichten nur erheben;
Ich lebe ihr und meinen Planen; Beiden
Entsagen müssen, Vater, ist mein Tod.
PFARRER STRUENSEE.
Stirb, aber komm' mit mir! Das Schrecklichste
Ist, endlich müssen, was wir nie freiwillig
Zuvor gewollt. O steige von der Höhe,
Eh' dich ein feindliches Geschick hinabstürzt.
Komm' mit mir, Friedrich! Meine alten Tage
Sind jetzt so einsam, komm', erheit're sie!
Komm', mein geliebter Sohn!
GRAF STRUENSEE.
Ich kann nicht, Vater!
PFARRER STRUENSEE sich vor ihm niederwerfend.
Auf meinen Knien beschwör' ich dich, verlasse
Das Haus des Königs, komm' mit mir.
GRAF STRUENSEE der den Vater emporzuheben sucht.
Vater!
PFARRER STRUENSEE.
Nein, laß mich knien wie im Gebet vor Gott,[337]
Laß dich erfleh'n! Komm' zu der Mutter Grab,
Die heil'ge Stätte wird des Herzens Frieden
Dir wieder geben. Ihr verklärter Geist
Umschwebt den theuren Sohn, – sie fordert dich
Von mir, dem Vater, wieder. – Höre sie,
Dein Name war ihr letztes Wort. Mein Friedrich,
Mein theurer Friedrich, folge mir.
GRAF STRUENSEE den Vater gewaltsam emporziehend.
Ich kann nicht!
PFARRER STRUENSEE den Sohn stürmisch an sich pressend.
Ich that, was ich vermocht'! Gott sei mit dir!
GRAF STRUENSEE.
Ihr geht, mein Vater?
PFARRER STRUENSEE.
Dich zu warnen kam ich,
Ich bleibe nicht, um deinen Fall zu seh'n,
Gott mit dir!
Ab.
GRAF STRUENSEE dem Abeilenden nachblickend, erschüttert.
Vater!
Nach kurzem Kampf.
Zu ihr!
Heftig klingelnd, mehrere Diener treten herein.
Zum Könige!
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