Zwölfte Scene.

[364] Mathilde. Keith.


KEITH.

Fassung, Fassung, eure Majestät.

MATHILDE.

O Sir! Ward ihr in dieses Land gesendet,

Mich so zu sehen, Fassung mich zu lehren?

Wo ist der Muth, der angeborne, hin?

Mein kühnes Herz verzagt, – weh' mir! Ich sehe

Ins Zimmer strömen das vergoss'ne Blut,

Und wie ein rother Spiegel breitet sich's

Vor meinen Blicken aus, und deutlich werden

In seinen Tiefen mir der Zukunft Schrecken.

KEITH.

Was denkt ihr, Königin?

MATHILDE.

O Sir, es mahnen

Die Schauder mich an ein vergess'nes Grau'n,[364]

Das mich in Londons Gassen oft beschlich.

Nie führte durch Westminster mich der Weg,

Daß ich den Dienern nicht befahl, die Rosse

Zu spornen, wenn ich Whitehalls blut'ges Fenster

Erblickte, das dem königlichen Stuart

Zur Todespforte ward. Er schritt hindurch –

Und unterm Streiche des verlarvten Henkers

Empfing der Block sein Haupt. Von dieser Stelle

Wandt' ich den Blick stets schaudernd weg und dachte,

Die Zeiten sind vorbei, die Völker richten

Die Könige nicht mehr, das Haupt der Fürsten

Darf kein verruchtes Beil mehr treffen. Glaubt mir,

Ich habe falsch gedacht. – Die Zeiten sind

Noch nicht vorbei, sie werden wiederkehren

Mit allen ihren Schrecken, – schauerlich

An heil'ge Kronen rütteln, – sie erschüttern.

Dann wehe, wehe Allen, die wie ich,

Beladen mit dem Haß des Volkes, zittern.

KEITH.

Nein, Majestät, nicht euer holdes Haupt,

Das liebenswerthe, trifft der Haß des Volkes.

Ein and'res ist's. Ja, Königin, die Stunde

Ist wichtig, und dem treuen Diener wird

Ein freies Wort gestattet sein. Es kann

Graf Struensee in diesem Lande nicht

Der Herrschaft Zügel lenken, wo das Volk

Noch nicht gereift ist, um den großen Willen

Des Grafen zu verehren, der gewaltsam

Das morsche Haus des alten Aberglaubens[365]

Zertrümmern will und ein bequem Gebäude

Mit wohnlich freien Räumen dafür bietet.

Doch dieses Volk drückt seine neue Freiheit

Mehr als das alte Joch; es überkam

Von seinen Vätern die geliebte Last

Des langen Zwangs, und murrend sträubt sich's nun,

Aus rascher Hand den stattlichen Ersatz,

Das Neue, von dem Fremdling zu empfangen.

So denkt das Volk. Ich darf der Majestät

Der Kön'gin nicht erst sagen, was der Adel

Und was die Witwe König Friedrich's fühlt.

Vereint in schauerlichem Klange tönen

Die Stimmen alle wider ihn, und heute

Hört eure Majestät den Schreckenslaut

Des lang' verhalt'nen Grimms. O möchtet ihr

Die treue unterthän'ge Bitte auch vernehmen,

Die ich in Demuth wage. Königin,

Entlaßt den Grafen.

MATHILDE.

Wie, man will mich zwingen?

KEITH.

O, eure Majestät, die Freunde alle

Und euer königlicher Bruder flehen

Durch mich zu euch! Kein Bote kommt aus England,

Der mir nicht wiederholt, wie König Georg

Für eure Ruhe zittert, und nicht ihm

Allein bedrängt die schwere Zeit das Herz;

Sprengporten, Plosset, des verwandten Schwedens,[366]

Des treuen Frankreichs Abgesandte, flehen, –

Und ihre Bitten sprech' ich hoffend aus; –

Entlaßt den Grafen. Zuflucht bietet ihm

Und Hülfe, wenn er's fordert, England.

MATHILDE.

Sir!

Die Schwester eures Königs will verzeih'n,

Was Dänmarks Königin nicht hören sollte.

Laßt es genug sein. Euer Eifer, Sir,

Treibt euch zu weit, und wir erwarten –


Wildes Geschrei und Vivatrufen von außen.


Hört ihr den Ruf, mir klingt's wie Jubel, nicht?

Hätt' er gesiegt, ihr Herz gerührt, o dann,

Dann wäre Alles wieder gut.

KEITH.

Ich höre

Die Damen eurer Majestät.


Quelle:
Michael Beer: Sämmtliche Werke. Leipzig 1835, S. 364-367.
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