Vorwort des Autors

Historische Sektion der Shawmut-Universität zu Boston

am 28. Dezember 2000

[12] Uns, die wir im letzten Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts leben, fällt ohne Zweifel die Vorstellung schwer, daß die gegenwärtige, so vollkommene Gesellschaftsordnung weniger als hundert Jahre alt ist. Es sei denn, wir hätten tiefgründige geschichtliche Studien getrieben. Wir erfreuen uns nämlich der Segnungen einer sozialen Ordnung, die ebenso einfach wie logisch ist, so daß sie als Triumph des gesunden Menschenverstandes nur selbstverständlich erscheint. Keine historische Tatsache steht jedoch unumstößlicher fest als diese: Fast bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde allgemein geglaubt, die alte wirtschaftliche Ordnung mit all ihren schrecklichen sozialen Folgen müsse bis ans Ende der Tage bestehen. Höchstens könne sie durch ein bißchen Stück- und Flickwerk verbessert werden. Wie seltsam und beinahe unglaublich scheint es, daß sich in einem so kurzen Zeitraum solch wunderbare materielle und moralische Umgestaltung hat vollziehen können wie jene, die seitdem stattgefunden hat. Es könnte nicht treffender illustriert werden, wie leicht sich die Menschen an Verbesserungen ihrer Lage als an etwas ganz Selbstverständliches gewöhnen, obendrein an Verbesserungen, die schon nichts mehr zu wünschen übrig zu lassen schienen, als sie zum erstenmal ausgedacht und formuliert wurden. Diese Betrachtung ist wie keine andere geeignet, die Begeisterung von Weltverbesserern zu mäßigen, die auf die lebhafte Dankbarkeit künftiger Geschlechter zählen!

Das vorliegende Buch ist für Leser bestimmt, die wohl eine klare Vorstellung von den sozialen Unterschieden zwischen dem neunzehnten und[12] zwanzigsten Jahrhundert erlangen möchten, aber vor der trockenen Darstellung der Geschichtsbücher darüber zurückschrecken. Der Verfasser ist durch seine Erfahrungen als Lehrer gewitzigt worden. Sie haben ihm gezeigt, daß das Studieren leicht für ermüdend gilt. Er hat sich daher bemüht, den belehrenden Charakter seines Buches dadurch anziehender zu gestalten, daß er dieses in die Form eines Romans gebracht hat. Ein solcher, so hofft er, wird schon an sich nicht jeden Interesses ermangeln.

Der Leser mag hin und wieder Doktor Leetes Erklärungen der modernen sozialen Verhältnisse, seine Auseinandersetzungen über die ihnen zugrunde liegenden Prinzipien für recht alltäglich halten. Ihm selbst erscheinen sie ja als die reinste Selbstverständlichkeit. Allein er darf zweierlei nicht vergessen. Erstens, daß sie für Doktor Leetes Gast ganz und gar nicht selbstverständlich waren. Zweitens, daß es der ausdrückliche Zweck dieses Buches ist, den Leser vergessen zu machen, wie selbstverständlich die neue soziale Ordnung für ihn ist. Noch ein Wort. Beinahe alle Schriftsteller und Redner, die die Wende um das Jahr Zweitausend feierten, haben von der Zukunft und nicht von der Vergangenheit gesprochen; nicht von dem Fortschritt, der bereits verwirklicht worden, sondern von dem Fortschritt, der noch zu verwirklichen ist, immer vorwärts und aufwärts, bis das Menschengeschlecht seine unsagbar hohe Bestimmung erreicht hat. Das ist gut, sehr gut. Doch ist eine andere Erwägung nicht minder berechtigt. Nirgends können wir festeren Boden für kühne Prophezeiungen über die menschliche Entwicklung in den nächsten tausend Jahren finden, als wenn wir einen »Rückblick« auf den Fortschritt werfen, den die letzten hundert Jahre bedeuten.

Möchte dieses Buch so glücklich sein, Leser zu finden, die aus Interesse an der Sache die Mängel der Darstellung übersehen. Mit diesem Wunsche tritt der Verfasser beiseite und läßt Herrn Julian West selbst sprechen.[14]

Quelle:
Dietz Verlag, Berlin, 1949, S. 12-15.
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