Fünfte Verwandlung

[138] Das Inwendige der Sixtinischen Capelle. Faust und Gog treten herein.


FAUST der sich umher sieht. Ein schöner Ort!

GOG. Hier ist das jüngste Gericht von Michel Angelo.

FAUST wendet sich weg. Das will ich nicht sehen; ich will etwas hören.

GOG. Was willst Du hören?

FAUST. Das Miserere. Laß es anstimmen.

GOG. Nein, das kann ich nicht; das steht nicht unter meinem Gebot.

FAUST. Aber ich will es, und wende mich an Deinen Beherrscher, an Satan, wofern Du mir nicht gehorchst.[138]

GOG für sich. Verdammter Frevler! Aber Du sollst einst büßen wie je ein Sterblicher gebüßt hat! Laut. Ich brauche Gehülfen zu meinem Geschäfte. Erwarte mich hier; ich komme in Augenblicken zurück. Verschwindet.

FAUST allein. Ich will hören, was von so vielen gepriesen wird; ich will erfahren, ob die Sage verschönerte, oder schmälerte; ich will wissen, ob dieser Ruf um Erbarmen die Empfindung der Menschen so zu erschüttern vermag. O ich möchte meine Empfindung, mein Herz so gern durch etwas Sanftes erschüttern lassen!

GOG erscheint wieder. Dein Wunsch soll sogleich befriedigt werden. Setze Dich nieder!


Faust setzt sich, und Gog tritt seitwärts, als wollte er sich verbergen. Knaben erscheinen auf einem Chor, und beginnen in leisen aber deutlichen Tönen das Miserere, ohne Begleitung von Instrumenten. Sobald es anhebt sinkt Gog zu Boden, und erstarrt so lange, als es dauert. Faust faltet gegen das Ende desselben die Hände.


FAUST. Ja, das ist etwas Himmlisches, etwas Göttliches! O wer das hätte mit Andacht nachsprechen können! Weh mir, ich kann es nicht! Geht umher, und sieht Gog liegen. Gog was ist Dir? Wie? Kannst Du das Miserere auch nicht ertragen? Steh auf! Hast Du nichts gehört?[139]

GOG steht auf. Ich will nichts hören. Wir Teufel flehen um kein Erbarmen zu dem Ewigen.

FAUST für sich. Ach, ich kann auch nicht darum flehen, und ich bin doch kein Teufel. Laut. Gog, führe mich in mein Zimmer zurück; ich will schlafen. Ja, nun bin ich satt, nun will ich ruhen!

GOG. Komm mit ins Freie. Beide ab.


Quelle:
Benkowitz, Karl Friedrich: Die Jubelfeier der Hölle, oder Faust der jüngere. Berlin 1801, S. 138-140.
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