Neunter Auftritt.

[24] Brand. Dann Ferdinand. Später Hahnekamm und Schultze.


BRAND zum Publikum. Na, was sagen Sie zu so 'ner Tochter? Nett, sauber, tugendhaft, sittsam, brav, bescheiden, arbeitsam, willig – aber wie gesagt, als Mädchen vor allens zu viel Gouvernante und als Gouvernante doch wieder auch zu viel Mädchen vor allens. Er bemerkt Ferdinand, welcher ausgetreten ist, und den Hut in der Hand, vor ihm stehen bleibt.

BRAND. Ein Bettler! Er greift in die Tasche und sucht vergebens. Hm! hm! Ärgerlich. Grade ein anständiger Mann, der es vielleicht verdient!

FERDINAND. Ich bitte nur um fünf Worte.

BRAND. Meinetwegen um zehn. Was haben Sie denn für Schmerzen?

FERDINAND reibt sich in der Gegend des Herzens und seufzt. Ach hier![24]

BRAND. Na, denn lassen Sie sich Fencheltee kochen, aber lassen Sie mich zufrieden.

FERDINAND. Hören Sie mich, fürchten Sie nichts –

BRAND. Wo werde ich mich denn vor Ihnen fürchten –

FERDINAND. Der Engel, der eben mit Ihnen sprach – ist –

BRAND. Meine Tochter.

FERDINAND. Dann lieber Vater, bitte ich um Ihren Segen, ich liebe sie –

BRAND. Mich?

FERDINAND. O nein. Ihre Tochter.

BRAND. Ja – kennen Sie sie denn?

FERDINAND. Ich habe soeben das Vergnügen gehabt, sie zum erstenmal zu sehen.

BRAND. Und da lieben Sie sie schon –

FERDINAND. Ja – das macht die Übung – wollt' ich sagen – man hat mir gesagt – Ihre Tochter habe Bildung. – Das paßt mir gerade. Ich habe Geld; Bildung ist Geld; folglich kommt Geld zu Geld, und so werden ja die meisten Partien geschlossen. Ich beabsichtige nämlich, etwas Großes zu etablieren, und da brauche ich zunächst eine Frau, die deutsch spricht.

BRAND. Sprechen Sie es denn nicht?

FERDINAND. O ja. Wie Sie hören, aber nicht ganz reinlich – daher wollt ich Sie bitten –

BRAND. Nun, wenn Ihre Absichten redlich sind, so sprechen Sie mit meiner Tochter –

FERDINAND. Ich fürchte, wenn ich mit ihr rede, nimmt sie mich gewiß nicht.

BRAND. Ja, lieber Freund, da kann ich nichts tun. Sie scheinen mir sonst ein ehrlicher Mensch zu sein.

FERDINAND. O, bitte, dadraus da muß man sich nichts machen.

BRAND. Sie gefallen mir, wie gesagt, nicht übel, es ist möglich, daß meine Tochter – nach längerer Bekanntschaft – – reden Sie mit ihr selber.

FERDINAND. So will ich denn hin zu ihr in die Küche, ihr alles entdecken und beglückt in ihre Arme sinken.

BRAND beginnt an dem Hause zu arbeiten und zu weißen. Nein, Lieber, das tun Sie nicht! Meine Agnes ist in dem[25] Quisenowschen Hause, wo dergleichen nicht geduldet wird! Madame Quisenow ist keine Liebhaberin von Liebhabern.

FERDINAND. O, die kenne ich, mit der will ich nichts zu tun haben. Aber halt! Ich habe da einen Einfall! Ich werde mich in einer durchaus nicht auffallenden, der Küche angemessenen Verkleidung bei ihr einführen. Das wird mir auch Ihrer Tochter gegenüber mehr Mut geben, und sie wird gleichzeitig sehn, was meine Liebe zu wagen imstande ist. Ich werde den Umständen – wie sagt man doch –

BRAND. Rechnung tragen.

FERDINAND. Nein, nur nicht Rechnung tragen, das ist mir bei Madame Quisenow schon mal schlecht bekommen. Nein, etwa anderes – O! ich habe nicht umsonst in der Konkordia kleine Partien gespielt. Ich werde meine Rolle durchführen, und Ihre Tochter soll nicht ahnen, wer ich bin.

BRAND. Aber dann lernt sie Sie ja nicht kennen.

FERDINAND. Da haben Sie auch recht, aber Er fällt mit einem Fuß in das Schaff und zieht ihn ganz weiß heraus. sapperlot – da muß man sich nichts draus machen. Er spricht mit Brand weiter, welcher ruhig dabei an dem Hause fortarbeitet, und nicht bemerkt, das Hahnekamm mit der Pfeife aus dem Fenster sieht.

SCHULTZE ein Vorübergehender. Guten Morgen, Hahnekamm!

HAHNEKAMM. Guten Morgen, Schultze!

SCHULTZE. Schon so fleißig?

HAHNEKAMM. Ja, wissen Sie, ich sehe Sie lieber vor mittags zum Fenster raus, damit ich die Nachmittage für mich habe.

BRAND fährt, im Gespräch mit Ferdinand mit dem Pinsel fortarbeitend, Hahnekamm über das Gesicht und weißt ruhig fort.

HAHNEKAMM. Verflucht! Zu Hilfe! ich bin stockblind.

FERDINAND. Da muß man sich nichts draus machen!


Das Orchester fällt ein.


Nr. 31/2. Aktschluß-Musik.


Das Orchester spielt fort, bis die Verwandlung gestellt ist und die Introduktion zu Quisenows Auftrittslied beginnt.[26]


Verwandlung.


Quelle:
O.F. Berg und D[avid] Kalisch: Berlin, wie es weint und lacht. Leipzig [o.J.], S. 24-27.
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