VII

[111] Der Graf hatte von allen Freunden am Abend Abschied genommen und wollte des andern Morgens sehr früh das Schloß unbemerkt verlassen; als er aber in dieser Absicht den Saal betrat, fand er den Arzt, der ihn erwartete, um jetzt noch förmlich Abschied zu nehmen, da er den vorigen Abend etwas war übersehen worden. Der Graf reichte ihm[111] die Hand und sagte: Ich danke Ihnen, daß Sie mir noch Gelegenheit geben, eine Frage an Sie zu richten, deren Beantwortung mir sehr am Herzen liegt. Was halten Sie von dem Zustande unseres alten Freundes?

Der Arzt drückte die Augen zu, senkte den Kopf auf die linke Schulter, sah dann den Grafen blinzelnd an und erwiederte: Wenn das Oel verzehrt ist, mögen wir dann die Lampe noch so sorgsam hüten, sie wird doch erlöschen, und hier ist das Lebensöl ausgebrannt, und nur schwach glimmt noch die matte Flamme; der leichteste Windhauch wird sie verlöschen.

Erhalten Sie mir den würdigen Greis so lange als möglich, sagte der Graf mit bewegter Stimme. Er wollte sich nun entfernen, aber sein Vetter Robert trat ein, um ihm zu sagen, daß er ihn einige Meilen begleiten und dann zu Pferde zurückkehren wolle. Der Oheim hatte eben diese Begleitung dankbar angenommen, als auch die Damen erschienen, um den geehrten Verwandten noch ein Mal zu umarmen; nur der Obrist kam nicht; ihn fesselte Altersschwäche an sein Lager, wo er den Schlummer gewöhnlich erst gegen Morgen fand. Der Graf tadelte liebevoll die ihn umringenden Freunde, daß sie ihr Wort nicht gehalten und sich der Ruhe entzogen hatten. Er entriß sich mit sanfter Gewalt ihren Armen und traf, als er eilig die Treppe hinunter stieg,[112] auf Gustav Thorfeld, der auch noch ein Wort des Abschiedes von dem edeln Manne gewinnen wollte. Der Graf reichte ihm freundlich die Hand und lud ihn ein, die nächsten Ferien zu benutzen, um einen Theil Deutschlands zu durchreisen und dann auch ihn zu besuchen, da, wo er sich eben aufhalten würde. Ein Strahl von Freude zuckte über des Jünglings Antlitz bei der Vorstellung einer genußreichen Reise. Ich werde sorgen, daß Ihnen die Mittel nicht fehlen, sagte der Graf gütig, indem er mit seinem Vetter den Reisewagen bestieg.

Es war ein kühler Herbstmorgen. Die Natur hatte sich in wenigen Tagen auffallend verändert; sie hatte den sommerlichen Charakter verloren. Das Laub der Bäume welkte und fiel ab, und die Waldung wurde dadurch lichter, obgleich ein neuer Reiz entstand, indem die Bäume, nachdem ihr Laub das frische Grün verloren, in verschiedenen Farben prangend, von der Morgensonne beschienen funkelten. Beide Reisende saßen eine Zeit lang schweigend neben einander; endlich sagte der Graf: Sie blicken so tiefsinnend vor sich nieder, lieber Vetter; was kann Sie in so ernste Gedanken versenken?

Ich dachte, sagte der Graf Robert, indem er bewegt die Hand des Oheims drückte, wie viel Segen ein edler Mensch um sich verbreiten kann, und wie er dann im Kreise[113] der durch ihn Glücklichen durch Liebe herrscht wie ein unumschränkter Monarch; wie alles das, was an den Höfen der Fürsten gespielt wird, um der Etikette zu genügen, oder aus Eigennutz, oder aus lächerlicher Eitelkeit, hier der Abdruck wahrer Empfindungen ist; denn Wer in ihrem kleinen Königreiche, theurer Onkel, fuhr er sich zum Lächeln zwingend fort, ist nicht beglückt, wenn Sie ein freundliches Wort an ihn richten? Wer fühlt sich nicht gekränkt, wenn Sie ihn übersehen? Wer ringt nicht danach, Ihr beifälliges Lächeln zu gewinnen, und Wer ist nicht stolz darauf, wenn er Ihnen durch unbedingten Gehorsam seine Verehrung und Ergebenheit beweisen kann? Nein gewiß, schloß er, die Menschen sind nicht so gefühllos, wie man oft von ihnen behauptet; sie erkennen gern einen edeln Geist an und beugen sich willig seiner Ueberlegenheit.

Ich will nicht zur Unzeit den Bescheidenen mit Ihnen spielen, erwiederte der Graf. Ich will Ihnen zugeben, daß ich mich nicht für böse halte, daß ich überzeugt bin, das Beste zu wollen, daß ich zuweilen im Stande bin, Andere auf die rechte Bahn des Lebens zu leiten. Ich will es eingestehen, daß mein Herz bewegt wird von fremder Noth, und daß mein Geist dann eifrig auf Mittel denkt, sie zu vermindern. Aber, theurer Vetter, alle diese Eigenschaften würden nicht im Stande sein, mir mein kleines Königreich,[114] wie Sie es nennen, zu bilden, wenn mir der Himmel nicht ohne mein Zuthun ein bedeutendes Vermögen gewährt hätte. Wäre ich arm, fuhr der Graf fort, indem er die Hand seines Vetters drückte, dann würde ich zufrieden sein, einen Freund zu finden, der mein Herz verstände und meinen Charakter unter allen Umständen richtig würdigte, und ich würde unter den übrigen Menschen verkannt, einsam und vergessen, ja von denen, die sich meiner erinnerten, um eben der Eigenschaften Willen, die Sie jetzt erheben, getadelt und verachtet umhergehen.

Unwillig zuckte die Hand des Grafen Robert in der seines Oheims. Getadelt, verachtet und verfolgt – fuhr dieser mit Nachdruck fort; denn eben die Eigenschaften, die man jetzt anerkennt, würden mich wahrscheinlich hindern ein Vermögen zu erwerben; denn nicht alle Mittel würden mir gleich sein, um diesen Zweck zu erreichen, und da ich niemals meine Seele zur Verehrung des Geldes gewöhnen könnte, so würde ich auch nie den gehörigen Eifer erlangen, um es zusammen zu häufen. Dabei würde mein ganzes Leben ein stillschweigender Tadel so vieler Andern sein, den ich durch keine Annehmlichkeit zu mildern vermöchte, die wir durch unser Vermögen so leicht unsern Bekannten verschaffen, und sie könnten dann nicht denken wie jetzt, wenn ich unwillkührlich strengere Grundsätze ausspräche: Er hat gut reden,[115] wäre seine Lage so beschränkt wie die unsere, so würde er eben so denken wie wir, so würde mir denn Niemand meine abweichende Lebensansicht verzeihen wollen. Die Mildesten würden sie für Thorheit erklären, die Härteren mich für einen kopflosen, verschrobenen Menschen halten.

Sie haben so oft meine Härte getadelt, sagte sein Vetter mit dem Ausdrucke des Erstaunens, wenn ich ein Urtheil über die Menschen aussprach, und nun muß ich Ihre Ansicht weit härter finden und in der Tiefe Ihrer Seele eine Menschenverachtung, die mich erschreckt.

Nicht der ist milde, erwiederte der Graf, der in der Täuschung lebt, die Menschen im Allgemeinen für trefflich hält und aus diesem Gesichtspunkte handelt. Nur dessen Herz darf so genannt werden, der die Menschen kennt und ihnen verzeiht, und indem er die Fehler Anderer einsieht, sich zugleich der eigenen Schwäche bewußt ist und es sich eingesteht, daß vielleicht am Meisten der Stolz der Seele ihn aufrecht er hält, der ihm den Willen gibt, sich nicht zu beugen. Freilich wird ein Solcher in vielen Fällen, wenn er Andern beisteht, sich nur selbst befriedigen; aber ist er so glücklich, nur einen Freund zu besitzen, den er wahrhaft ehren kann, so wird ihn dieß doch vor der schlimmsten Selbstsucht bewahren, und er wird sich das Bild einer edleren Menschheit dennoch zu erhalten wissen.[116]

Der Graf hatte mit lebhafter Bewegung gesprochen, und die Freunde hatten, ehe sie vermutheten, die erste Post erreicht, wo sie sich trennen wollten. Der Graf Robert schied von seinem Oheim mit erhöhter Empfindung, denn er hatte die Einsicht gewonnen, daß nicht ein leicht erregtes Gefühl diesen zu großmüthigen Entschließungen bestimmte, sondern daß ein entschiedenes Wollen einer wahrhaft edeln Seele seine Handlungen leitete. Und dennoch hat er Unrecht, sagte er zu sich selber. Ich habe oft einzelne Menschen zu hart beurtheilt; seine unbillige Härte aber trifft die Menschen im Allgemeinen, und er dürfte nur um sich blicken, um seinen Irrthum zu erkennen, denn wie viele treffliche Menschen haben sich um ihn her versammelt. Und wären diese alle so trefflich, fragte er sich betroffen weiter, wenn er sie nicht zu sich herauf bildete, und könnte er das in dem Grade ohne die Hülfe seines großen Vermögens? Ja ich selbst, fuhr er mit Beschämung in seinen Betrachtungen fort, was wäre aus mir geworden, der ich in finsterm Grimm ihn zu bestürmen kam, wenn seine Lage ihn gezwungen hätte, nur sein Recht gegen mich zu behaupten? Hätte ich ihn wohl jemals richtig würdigen und verstehen können, wenn ich trostlos von ihm hätte scheiden müssen? Würde ich mich nicht mit kaltem Haß von dem Manne abgewendet haben, den ich jetzt mit Zärtlichkeit liebe und verehre? Es ist gewiß,[117] fuhr der junge Mann seufzend in seinen Gedanken fort, es ist leider gewiß, nicht bloß unsere Gefühle, auch unsere Tugenden hängen von Zufällen ab. Wenige ragen wie mein Oheim aus der Menge hervor, und einen wie weiten Weg habe ich noch vor mir, ehe ich ihn erreiche. Aber er hat Recht, mit Beschämung muß ich es eingestehen, der reiche Schatz seines Geistes und seines Herzens würde unerkannt von der Erde wieder verschwinden, wenn die Güter des Glücks nicht die Dollmetscher seiner edeln Seele würden. Mit solchen Gedanken beschäftigt erreichte der Graf Schloß Hohenthal, während sein Oheim sich immer weiter davon entfernte und die Residenz bald möglichst zu erreichen wünschte, wo er mit Sehnsucht erwartet wurde.

Als der Graf seine Reise zurückgelegt hatte und in Berlin eingetroffen war, wurden ihm nach den ersten freudigen Begrüßungen und theilnehmenden Fragen mehrere während seiner Abwesenheit angekommene Briefe eingehändigt. Zwei von diesen Schreiben erregten seine besondere Aufmerksamkeit. Das eine von St. Julien, in dem er meldete, daß der Abschluß des Friedens täglich zu erwarten sei, und daß er alsdann leicht Urlaub erhalten könne, um sich mit den theuern Eltern und der zärtlich geliebten Braut wieder auf einige Zeit zu vereinigen. Der andere Brief war von einem Rechtsanwald aus München, der dem Grafen meldete, daß[118] in den furchtbaren Schlachten bei Aspern und Wagram, in denen die Baiern für Napoleon fochten, mehrere entfernte Mitglieder seiner Familie geblieben wären, so daß von dem im südlichen Deutschland lebenden Zweige derselben Niemand mehr vorhanden sei, als eine Wittwe, die bei der durch die vielen Todesfälle eingetretenen Erbschaft gleiche Rechte mit ihm habe, und in deren Namen er sich der Theilung wegen an den Grafen wende. Der Nachlaß bestehe, wie der Rechtsgelehrte meldete, in einem am Rheine gelegenen Gute und einigem baaren Vermögen. Da aber die Miterbin als eine Wittwe sich bei den gegenwärtigen unruhigen Zeiten nicht gern mit einem Grundbesitz befassen wolle, so schlug ihr Rechtsfreund dem Grafen vor, nach billiger Uebereinkunft das Gut zu behalten, und lud ihn ein, entweder selbst zu diesem Behufe nach München zu kommen oder Jemandem seine Vollmacht in dieser Angelegenheit zu übersenden.

Es ist furchtbar, seufzte der Graf, wie verheerend diese ewigen Kriege wirken, ganze Geschlechter werden ausgerottet. Er theilte seiner Gemahlin die empfangenen Nachrichten mit, und Beide entschieden sich, die Reise nach München anzutreten und den geliebten Sohn dorthin zu bescheiden, weil der Graf glaubte, daß er von dort, durch einen eng mit Napoleon befreundeten Hof, leichter Mittel finden würde, die Anerkennung des Namens Evremont für St. Julien zu[119] bewirken, als von Berlin, wo er sich nicht mit einem Gesuche an die französischen Machthaber wenden durfte, ohne einen gehässigen Schein auf sich zu laden. Die Gräfin sah die Triftigkeit seiner Gründe ein; ihr Herz schlug dem Sohne entgegen und aus Emiliens Augen leuchtete seliges Entzücken, als sie vernahm, wie bald sie St. Julien wieder zu sehen hoffen durfte; und eine sanfte Rosengluth brannte verschönernd auf ihren Wangen, als der Graf bemerkte, daß doch dieser Frieden vielleicht so lange dauern würde, als unerläßlich nothwendig wäre, um zwei Liebende zu vereinigen. Sollen wir denn ewig vor der Erneuerung des Blutvergießens uns ängstigen? fragte die Gräfin. Kann man einen Friedensschluß, wie er jetzt eintreten wird, anders als wie einen Waffenstillstand betrachten? entgegnete der Graf. Die Frauen seufzten über die trüben Aussichten, aber dennoch wich der Kummer der gegenwärtigen freudigen Hoffnung. Der alte Dübois schien sich zu verjüngen. Mit Eifer wurden die Anstalten zur Reise durch ihn betrieben, und aus den Augen des Greises leuchtete ein Strahl der Freude bei dem Gedanken, daß er den jungen Grafen Evremont wiedersehen sollte, denn er erlaubte sich nie St. Julien anders zu nennen seit seiner Erkennung.

Der Graf hatte St. Julien nach München beschieden. Die Gräfin hatte ihrer Adele den gefaßten Entschluß gemeldet.[120] Dübois war mit den Vorbereitungen zur Reise fertig. Kein Theilnehmer an derselben ließ sich eine Verzögerung zu Schulden kommen, und so gelangte die Familie in kurzer Zeit nach München, wo bald nach ihnen Adele eintraf und wo man, um das Glück der Vereinigung vollkommen zu genießen, nur noch auf St. Julien hoffte, der Wien nicht ohne Urlaub verlassen durfte, den er mit höchster Ungeduld erwartete.

Die Auseinandersetzung der Erbschaft wegen, welche die erste Veranlassung zur Reise nach München gegeben hatte, war in wenigen Tagen beendigt, weil bei der Denkungsart des Grafen jede Schwierigkeit leicht gehoben wurde, indem er weit davon entfernt war, seine Miterbin, eine nicht sehr bemittelte Wittwe, irgend bedrücken zu wollen. Es wurde ihrem Wunsche gemäß die Vereinigung getroffen, daß der Graf das Gut am Rheine behielt und ihr noch eine Summe zu dem baaren Nachlasse des gemeinschaftlichen Verwandten hinzuzuzahlen sich verpflichtete, sobald alle Rechtsformen beobachtet sein würden, die, um ihn in den Besitz zu setzen, erforderlich wären. Der Graf nahm sich vor, das neu erworbene Gut so bald als möglich in Augenschein zu nehmen und, wenn er die Lage so reizend fände, wie sie ihm beschrieben wurde, wenigstens einen Theil des Jahres dort zu wohnen.

Eben hatte der Graf die letzten Geschäfte mit dem Anwalde[121] seiner Miterbin abgeschlossen, und er nahm den Rückweg zu seiner Wohnung durch den Schloßgarten der Residenz, wo die warme Mittagssonne Lustwandelnde vereinigte, denn wenn München auch seiner hohen Lage und der Nachbarschaft der Gebirge wegen ein wechselndes, im Ganzen nicht angenehmes Klima hat, und man im frühen Herbst und späten Frühling Kälte und Schnee zuweilen ertragen muß, so macht doch seine südliche Lage, daß dafür oft im November noch so schöne warme Tage eintreten, daß man sich nach Italien versetzt glaubt. Ein solcher warmer Novembertag lockte den Grafen unter die hohen, unbelaubten alten Kastanienbäume des Schloßgartens, und er bemerkte, daß wie ihn auch viele Andere die warme Mittagssonne herbeigezogen hatte.

Der Blick des Grafen schweifte über die verschie denen lustwandelnden oder im Gespräch verweilenden Gruppen, und es machte einen betrübenden Eindruck auf ihn, daß er beinah Niemanden bemerkte, der nicht Trauer trug, wie sein Herz ihm sagte, um einen in den Schlachten des letzten Krieges gefallenen Verwandten. Die Wenigen, die nicht in Trauer gehüllt waren, machten keinen heiteren Eindruck, denn es waren verstümmelte, zum Theil noch schwer an ihren Wunden leidende Krieger, die hier in der warmen Herbstsonne Erquickung nach grausamen Leiden suchten. So haben nun wieder Deutsche gegen Deutsche gewüthet, dachte der Graf[122] seufzend; so vertilgen sie sich gegenseitig von der heimathlichen Erde und bringen Trauer über verwandte Geschlechter. Sein Schritt war, ohne daß er es bemerkte, langsam geworden und sein Blick senkte sich kummervoll zu Boden, als er plötzlich aufschrak, weil eine Hand von hinten sanft seine Schulter berührte. Er wendete sich und blickte in das ihm freundlich entgegen lächelnde Gesicht des General Clairmont. Der Graf war freudig überrascht, und nach den ersten herzlichen Begrüßungen fragte sein Freund lächelnd: Was hat Dich so philosophisch gestimmt, daß Du, in tiefe, ernste Gedanken versenkt, Deine Freunde nicht bemerkst? Ich ging bei Dir vorüber, ohne von Dir beachtet zu werden, und ich redete Dich nicht gleich an, weil ich einen Augenblick zweifelte, ob dieser sinnende Philosoph wohl mein Freund Hohenthal sein könne, den ich hier nicht erwartete.

Es ist wohl natürlich, sagte der Graf, daß mich die Folgen Eurer Siege ernsthaft stimmen. Bemerke alle diese Trauerkleider um uns her, die ohne Zweifel um Verwandte getragen werden, die von deutschen Händen für Eure Sache fielen.

So ist nun einmal der Krieg, erwiederte der General nachläßig. Doch was führt Dich aus Deinen anmuthigen Bergen hieher? Etwa nur das Verlangen diese Betrachtungen anzustellen?[123]

Ein nahe mit ihnen zusammenhängender Grund, sagte der Graf. In Euern Schlachten ist ein Verwandter von mir geblieben, der hier einheimisch war und dessen Erbe ich geworden bin.

So führt das Ueble immer das Gute herbei, sagte der General leichtsinnig. Sein Freund wendete sich verletzt ab. Nun, sei mir nur nicht böse, fuhr der General lächelnd fort; Du weißt, ich habe mich niemals zu Deiner sublimen Moral erheben können, und ich denke in meinem mir so oft von Dir vorgeworfenen Leichtsinn, daß es doch keine so gräßliche Sache sein kann, der Erbe eines Verwandten zu werden, den man vielleicht gar nicht oder doch nur wenig gekannt hat.

Der Graf ließ das Gespräch über diesen Gegenstand fallen, denn er wußte, daß sein Freund seine Art zu denken in manchen Fällen, und so auch hier, nicht verstand. Es konnte nicht fehlen, daß die Unterhaltung bald eine Wendung nahm, wodurch sie die Begebenheiten der Zeit berührte und der General bemerkte bei dieser Gelegenheit: Jetzt hoffe ich, wird Dein Herz in sofern wenigstens sich kummerfreier fühlen, als nun nicht mehr Deutsche gegen Deutsche fechten werden, dieser Frieden stellt uns hierüber vollkommen sicher. Alle kleineren Staaten Deines Dir so theuern Vaterlandes sind mit Napoleon auf's Engste verbunden; Preußen wird durch[124] die Umstände dazu gezwungen, und Oesterreich wird sich jetzt aufrichtig mit uns vereinigen.

Die Verbindungen der Staaten unter einander, erwiederte der Graf, können nie wie Privatfreundschaften betrachtet werden. Sie sind so lange aufrichtig, bis ein höheres Interesse andere Forderungen macht.

Was willst Du damit sagen? fragte der General. Weißt Du nicht, daß die Tochter des österreichischen Monarchen Kaiserin von Frankreich wird?

Auch Familienbande, antwortete der Graf, sichern dem Bunde der Staaten keine ewige Dauer. Erinnere Dich, als es Euer Ludwig der Vierzehnte durchsetzte, seinen Enkel auf Spaniens Thron zu erheben, da rief er auch in der Trunkenheit der Freude über das gelungene Werk: Jetzt giebt es keine Pyrenäen für Frankreich mehr. Nun, Du weißt, die Pyrenäen sind dessenungeachtet geblieben.

Jetzt aber, sagte der General mit Stolz, jetzt ist diese Scheidewand für Frankreich gesunken. Spanien ist unser.

Ihr kämpft aber doch in diesem Euern Spanien noch mit abwechselndem Glück, versetzte der Graf.

Was folgt daraus? rief sein Freund unmuthig.

Daß sich die Pyrenäen dennoch wieder für Euch erheben können, sagte der Graf.

Einen Augenblick flammte der Zorn in den Augen des[125] Generals, indem er den Grafen anblickte, doch der scharf geklemmte Mund, der eben etwas Heftiges aussprechen wollte, schwieg. Die Spannung des Gesichts löste sich, die eben noch zornigen Augen begegneten freundlich dem edeln Blicke des Grafen, der Mund, der eben beleidigen wollte, lächelte anmuthig, und nachdem der General seinen Freund in dieser wohlwollenden Stimmung noch einen Augenblick betrachtet hatte, brach er in ein lautes Gelächter aus. Habe ich jemals einen Menschen unerschütterlich standhaft in seinen Ansichten gefunden, sagte er endlich, so bist Du es. Du wirst noch ein Märtyrer Deines Glaubens werden, fügte er ernsthaft hinzu.

Ich weiß nicht, wie es geschieht, sagte der Graf ebenfalls lächelnd, ich habe mir sonst nie über diese Gegenstände Unbesonnenheiten vorzuwerfen, ich weiß meine Ansichten zurückzuhalten und zu verbergen; so wie ich Dich aber erblicke, zolle ich der Thorheit diesen Tribut und bekämpfe Deine Ansichten unnützer Weise, indem ich die meinigen eben so zwecklos zu vertheidigen suche. Ich kann mir keinen Grund für diese Schwachheit angeben, fuhr er fort, wenn er nicht darin zu suchen ist, daß mir die Erinnerung der Jugend mit allen ihren Vorrechten und ihrem rücksichtslosen Vertrauen nahe tritt, wenn ich Dich erblicke, und ich mache eben diese Vorrechte geltend.[126]

Der General, der seinen Arm in den des Freundes gelegt hatte, drückte diesen leise als Zeichen freundlicher Erwiederung.

Wirst Du lange in München bleiben? fragte endlich der Graf, nachdem Beide eine Zeitlang geschwiegen hatten.

Nein, erwiederte sein Freund. Ich komme jetzt von Paris, wohin ich mich nach dem Waffenstillstande gern senden ließ, und kehre nun nach Wien zurück, wohin ich mancherlei Nachrichten zu überbringen habe, und ich verweile auch hier nicht ohne Grund. Doch werde ich morgen reisen, und ich denke, sagte er freundschaftlich zum Grafen gewendet, wir trennen uns heut so wenig als möglich. Dem Grafen fiel plötzlich ein, daß sich ihm nicht leicht eine bessere Gelegenheit bieten würde, die Anerkennung des Namens Evremont für St. Julien zu bewirken, und doch machten manche Umstände es ihm schwer, dem General sein Anliegen zu vertrauen. Es war möglich, daß sich sein Freund, wenn er ihn damit bekannt machte, daß er mit der Wittwe des Grafen Evremont verbunden sei, sich der weiblichen Gestalt erinnerte, die er bei der Hinrichtung des unglücklichen Freundes erblickt hatte, und es lag so nahe, dann in dieser die Gemahlin des Grafen zu vermuthen. Alle diese Vorstellungen peinigten ihn, und er konnte zu keiner Entschließung kommen, und beide Freunde wandelten eine Zeitlang schweigend[127] auf und ab. Ich erkenne Dich heute nicht wieder, fing endlich der General das Gespräch von Neuem an. Was hast Du nur, das Dich in so ernste, in so ungleiche Stimmungen versetzt?

Der Graf hatte indessen seine Zweifel bekämpft. Jedes Bedenken mußte aus Rücksicht für den geliebten Sohn überwunden werden, und er sagte deßhalb entschlossen: Ich wünschte, daß Du Dich in einer Angelegenheit, die mir sehr am Herzen liegt, bei Napoleon für mich verwenden möchtest, und ich weiß nicht recht, wie ich sie Dir vortragen soll.

Aha! rief der General lachend, muß sich Deine Spartaner-Tugend beugen? Bedarfst Du der Gewaltigen der Erde? Nun freilich kann ich mir denken, daß Du einen schweren Kampf mit Deinen Grundsätzen bestehen mußt, ehe Du solche Bekenntnisse ablegst.

Es ist nicht das, sagte der Graf, aber um Dich in den Stand zu setzen mir beizustehen, muß ich Dich mit Einzelnheiten bekannt machen, die mich in mehr als einer Hinsicht schmerzlich berühren, und da dieß Mittheilungen sind, die sich nicht im Freien machen lassen, und ich Dich früher davon in Kenntniß zu setzen wünsche, ehe ich Dich in meine Wohnung einlade, so bitte ich Dich, mich in die Deine zu führen.

Der General war bereit dazu, und beide Freunde wollten den Schloßgarten verlassen, als der Blick des Generals[128] auf einen Krieger fiel, der eine Dame, die er am Arme führte, los ließ und die Hand an den Hut legte, um den General militärisch zu begrüßen. Dieser Krieger mochte einige vierzig Jahre zählen; seiner Haltung mangelte die französische Zierlichkeit einigermaßen; sein stark gebräuntes, mageres Gesicht deutete auf viele überstandene Beschwerden, und wenn seine Kleidung eher beschränkte Umstände als Ueberfluß erkennen ließ, so war das Kreuz der Ehrenlegion auf seiner Brust ein Beweis seines Muthes. Die Dame, die sich in seiner Begleitung befand, mochte schön gewesen sein, aber die erschlafften Gesichtszüge bewiesen eben so wie der freche Blick, daß sie das Leben zu sehr benutzt hatte; die hoch aufgetragene Schminke konnte den Schein blühender Jugend nicht mehr hervorrufen, so wie der auffallende Putz nicht Wohlhabenheit lügen konnte. Die beschmutzten Bänder und verblichenen Blumen, mit denen die schwarzen Locken überladen waren, verkündigten wohl die Ansprüche, die noch gemacht wurden, aber zeigten auch deutlich, daß sie nicht mehr befriedigt werden konnten.

Wie geht es, Kapitän? redete der General den Krieger an. Sind Sie von Ihren Wunden wieder hergestellt?

Dem Himmel sei Dank, erwiederte der Angeredete, ich kann bald wieder eintreten in die Reihen der Braven.

Der Kaiser wird Sie belohnen, sagte der General, ich[129] kann das beste Zeugniß Ihres Muthes bei Landshut ablegen, und ich hoffe Sie bald als Obristen zu begrüßen, denn leider sind sehr viele brave Kameraden geblieben.

Nur Ihnen, mein General, verdanke ich es, erwiederte der Kapitän, daß ich meine Laufbahn nicht als Sergeant beschlossen habe, denn die Zeiten sind auch bei uns vorüber, wo man sich ohne Beschützer empor arbeiten konnte.

Sind Sie vermählt? fragte halb leise der General, der schon ein paar Mal den Blick zu der Dame hatte hinüber streifen lassen, die in des Kapitäns Begleitung gekommen war, und die nun sichtlich verdrüßlich darüber, daß Niemand ihre Gegenwart zu berücksichtigen schien, seitwärts stand.

Sie begreifen, mein General, sagte der Kapitän verlegen lächelnd. Madame übernahm es, mich während meiner langen Krankheit zu verpflegen, und sie ist so gütig, sich meines Namens zu bedienen, weil – weil dieß in vielen Fällen für zwei in Freundschaft lebende Personen bequem ist. Sie verstehen wohl, wie ich das meine?

Vollkommen, entgegnete der General mit spöttischem Lächeln, indem er sich eben von seinem Kriegsgefährten trennen wollte, als die vernachlässigte Schöne, die ihren Zorn nicht länger unterdrücken konnte, ihm näher trat und, indem sie ihm mit großer Dreistigkeit in die Augen blickte, sagte: Sie wissen aus eigener Erfahrung, General, wie liebevoll[130] ich einen Leidenden zu verpflegen verstehe, und ob meine Sorgfalt nicht Dank und Anerkennung verdient.

Gewiß, gewiß, sagte der General, ohne den spöttischen Ausdruck des Gesichts zu mildern. Ich habe den Werth Ihrer Zuneigung vollkommen würdigen gelernt, und vor Allem hat mich die zarte Schonung überrascht, die mir den Schmerz des Abschiedes ersparte und zugleich alle Hindernisse des leichteren Fortkommens mir aus dem Wege räumte.

So groß die Frechheit der Tochter des alten Lorenz auch war, die sich in der Begleiterin des Kapitäns nicht mehr verkennen ließ, so schwieg sie doch einen Augenblick bestürzt und sagte dann mit weniger dreister Stimme: Ich glaube, meine Aufopferung für Sie hätte eine bessere Belohnung verdient.

Ich zweifle nicht, erwiederte der General lächelnd, daß ich dieß selbst würde geglaubt haben; da es Ihnen aber gefiel, den Werth dieser Aufopferung selbst zu bestimmen, so habe ich Ihr Urtheil für richtiger als das meine gehalten.

Nach einer leichten Verbeugung faßte der General von Neuem den Arm des Grafen, um sich eilig mit ihm zu entfernen. Der Kapitän schien sein Verhältniß zu seiner Freundin selbst zu leicht zu nehmen, als daß er durch die Art, wie der General mit ihr sprach, hätte beleidigt sein sollen. Im Gegentheil blickte er diesem mit wohlwollendem Lächeln[131] nach, als er sich entfernte, und sagte, indem er seiner Begleiterin den Arm bot: Ein braver Mann der General, ein wahrer Ehrenmann, ohne auf den Zorn zu achten, der in den Augen seiner Freundin funkelte.

Als die beiden Freunde die Wohnung des Generals erreicht hatten, sagte dieser: Vor allen Dingen mußt Du mir nun versprechen, diesen Mittag mein Gast zu sein. Gern, erwiederte der Graf, wenn Du mir erlaubst, meine Damen davon zu benachrichtigen, damit ich nicht vergeblich erwartet werde.

Ist Deine Gemahlin mit Dir in München? fragte der General, nicht angenehm überrascht, denn sein Zusammentreffen mit der Tochter des alten Lorenz erinnerte ihn daran, wie er mit dieser auf Schloß Hohenthal erschienen war, und er mußte es sich gestehen, daß er dadurch unmöglich die Achtung der Gräfin gewonnen haben könne. Der Graf hatte die Frage des Freundes bejahend beantwortet und der Gräfin einige Worte geschrieben. Der General zog die Klingel, auf deren Ruf ein Bedienter in übertrieben reicher Livree erschien, der zum Ueberbringer des Blatts bestimmt wurde. Der Graf sah dem davon eilenden Boten gedankenvoll lächelnd nach, und der General, der einen Tadel seines Geschmacks in Bezug auf die zu reiche Livree fürchtete, fragte etwas gespannt: Was fällt Dir an dem Burschen[132] so auf? Der Wechsel der Dinge, antwortete der Graf. Ich weiß die Zeit, wo eine so reiche Livree dem Herrn dieses Burschen als einem entschiedenen Aristokraten zur Guillotine geholfen hätte.

Tempi passati, sagte der General gähnend. Von Menschenrechten ist nicht mehr die Rede. Der Ruhm, der Glanz der französischen Nation, das ist jetzt der Gedanke, der Alle mit Begeisterung erfüllt.

Es ist eine eigene Ideenverbindung, bemerkte der Graf lächelnd, daß Du an die Menschenrechte denkst, wenn ich die Guillotine erwähne.

Nun, Du mußt doch zugeben, erwiederte sein Freund, daß die verruchte Maschine zu der Zeit am thätigsten war, wo am Meisten von den Menschenrechten geredet wurde. Doch laß uns nicht wieder in die Politik gerathen; laß uns, wie in vergangenen Zeiten, in harmloser Heiterkeit uns zu Tische setzen, und dann theile mir Dein Verlangen mit.

Der Graf hatte gegen diese Anordnung seines Freundes nichts einzuwenden und er folgte ihm zur Tafel, wo der General einer schwelgerischen Mahlzeit alle Gerechtigkeit widerfahren ließ und über die Mäßigkeit des Grafen mit in dem Grade erhöhter Munterkeit scherzte, wie der reichlich genossene Wein seine Lebensgeister immer mehr anregte. Endlich, als der Pfropfen der Champagnerflasche sprang[133] und der schäumende Wein in den Gläsern perlte, sagte er: Nun, alter Freund, sprich es aus, was begehrst Du, was soll ich für Dich bei unserm Kaiser auswirken?

Es ist mir unmöglich, sagte der Graf, Dir meine Wünsche bei der Flasche mitzutheilen, denn ich muß Dich, damit Du mir gefällig sein kannst, mit zu ernsthaften Gegenständen bekannt machen.

So laß uns denn ernste Gegenstände ernst behandeln, sagte der General, indem er sich mit dem Freunde von der Tafel erhob und ihn in ein anderes Zimmer führte. Es wurde dem Grafen schwer, die nöthige Mittheilung zu beginnen, weil er bei einem ihm an sich peinlichen Gegenstande die Weinlaune des Freundes fürchtete. Aber diese Besorgniß war ungegründet, denn so wie der Graf den Namen Evremont nannte, war jede Spur der ausgelassenen Heiterkeit verschwunden, die der General bei Tafel gezeigt hatte, und er hörte alles, was der Graf ihm mittheilte, mit der ernstesten Aufmerksamkeit und innigsten Theilnahme an. Was Du wünschest, sagte er endlich, als der Graf schwieg, ist eine Kleinigkeit, die der Kaiser ohne Frage sogleich gewähren wird. Dafür könnte ich mich verbürgen, aber Du wirst es mir vergeben, daß das Erstaunen über das wunderbare Schicksal, das Dich zum Gemahl von Evremonts Wittwe machte, alle meine Sinne fesselt. Armer Evremont![134] rief er klagend, und doch, fuhr er erheitert fort, habe ich Recht, jedes Böse bringt sein Gutes. Unser unglücklicher Freund wurde eigentlich das Opfer seines Vaters, das kannst Du nicht läugnen, bei aller Liebe, die der alte Herr für ihn hatte; aber dieß Unglück hat Dein Glück herbeigeführt durch die Verbindung mit seiner liebenswürdigen Wittwe, und daß Du ihren Sohn ganz als den Deinen betrachten willst, daran thust Du recht, und nur Gewinn wird Dir dabei zu Theil, denn ich sage Dir, er ist einer der bravsten Offiziere in der Armee und Du kannst noch die Ehre erleben, Dich den Vater eines Marschalls von Frankreich zu nennen.

Der Graf bemühte sich nicht seinem Freunde auseinander zu setzen, weßhalb er diese Ehre nicht zu genießen wünschte. Er begnügte sich, ihm für das bestimmte Versprechen zu danken, welches er gegeben hatte, diesem geliebten Sohne die Rechte seines wahren Namens wieder zu verschaffen, und lud ihn nun ein, den Abend bei ihm zuzubringen und ihm zu erlauben, ihn mit der Gräfin bekannt zu machen. Mißverstehe mich nicht, sagte der General zögernd, wenn ich Dich bitte, diese Ehre zu verschieben, bis ich sie länger genießen kann, als es dieß Mal möglich wäre. Du weißt, in welcher Begleitung ich auf der Burg Deiner Väter erschien. Unter Männern hat dieß nichts zu sagen, bei Feinden auch nicht, wo man wie ein Ungewitter vorüberzieht und keine Achtung[135] erwecken, kein wohlwollendes Andenken zurücklassen will. Aber bei der Gemahlin meines Freundes ist dieß eine andere Sache. Kann ich mich künftig des Umganges in Deinem Hause länger erfreuen und durch ein fortgesetztes anständiges Betragen die übeln Eindrücke wieder auslöschen, so wirst Du mich dankbar Deiner Einladung folgen sehen. Aber jetzt auf eine halbe Stunde hinzugehen, gleichsam um die Frau Gräfin mit dreister Stirn daran zu erinnern: Hier ist der Mann, der sich in Ihrem Hause so unklug aufführte, und mich dann gleich wieder zu empfehlen, nein, verzeih, das geht über meine Kräfte.

Der Graf bekämpfte die Gründe seines Freundes nicht mehr, als es die Höflichkeit forderte. Ihm selbst war es angenehm, ihn der Gräfin nicht, ohne sie darauf vorbereitet zu haben, vorzustellen, denn mit welcher Dankbarkeit er es auch anerkannte, daß sein Freund mit der Feinheit eines Mannes von Welt es nicht auf die fernste Weise bemerken ließ, daß er errathe, die weibliche Gestalt, die er bei der Hinrichtung Evremonts bemerkt habe, möge die Gräfin gewesen sein, so würde doch schon jeder neugierige Blick, den vielleicht, sich unbeachtet glaubend, der General auf seine Gemahlin gerichtet hätte, den Grafen tief verwundet haben. Er folgte also der Einladung des Generals, noch einige Stunden der Freundschaft[136] zu weihen, bis diesen Geschäfte abriefen, die er noch mit den Ministern vor seiner Abreise nach Wien hatte.

Beide Freunde fühlten durch diesen mit einander verlebten Tag die Gefühle ihrer Jugend neu belebt und trennten sich mit herzlicher gegenseitiger Zuneigung.

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 3, Breslau 1836, S. 111-137.
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Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

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