VIII

[137] Es waren mehr als zwei Jahre verflossen, seit der Graf mit seinem Freunde Clairmont in München zusammen getroffen war; längst war dessen Versprechen erfüllt, St. Julien war als Evremont anerkannt und führte schon lange diesen Namen. Das Glück, den geliebten Sohn zu umarmen, war genossen und schon lange wieder entschwunden. Napoleons heftig bewegte Seele gestattete seinen Kriegern keine lange Waffenruhe, und es hatte die Verbindung der Liebenden beschleunigt werden müssen, wenn sie nicht die Qual der Trennung von Neuem erdulden sollten. Die reizende Emilie war in München mit dem schönen Sohne der Gräfin vereinigt worden, und wenige Tage darauf mußte der Graf, schmerzlich seufzend, das beglückte Paar entlassen, und die bittersten Thränen benetzten von Neuem die Wangen der einsamen Mutter. Die Gräfin erkannte jetzt erst, wie viel ihr Emilie gewesen war, als sich auch diese von ihrem Herzen losriß, um dem geliebten Gemahle zu folgen, der[137] neuen Gefahren entgegen eilte, denn seine Bestimmung war, sich mit den Truppen zu vereinigen, die noch immer auf Spaniens Boden kämpften und den ungestörten Besitz des schönen Landes der neuen Dynastie nicht erringen konnten. Die schüchterne Emilie folgte den Truppen, soweit es sich thun ließ, um so viel als möglich in der Nähe des geliebten Gemahls zu bleiben. Nur selten wurden die Eltern durch Nachrichten erfreut, weil die ewigen Bewegungen der Heere keinen regelmäßigen Briefwechsel gestatteten, und die Phantasie war geschäftig, Bilder von tausend möglichen Gefahren zu erzeugen, und oft schon wurde Evremont verzweiflungsvoll als ein Gestorbener beweint.

Da die Stimmung der Gräfin sie bewog, die Gesellschaft zu meiden, so hatte der Graf sein neues Erbe, das Gut am Rhein, bezogen, damit die ängstliche, kummervolle Mutter in der schönen Natur den Trost fände, den ihr die Gesellschaft nicht gewähren konnte.

Nach langem Schweigen waren endlich wieder sehr verspätete Briefe von Evremont und seiner Gattin eingetroffen. Beide meldeten den zärtlichen Eltern ihr neues Glück, und Evremont konnte nicht Worte finden, sein Entzücken auszudrücken. Emilie, die angebetete Emilie hatte ihm einen Sohn geboren und alle Gefahren glücklich überstanden, die ein Leben jedes Mal bedrohen, wenn ein anderes aus ihm[138] sich entwickeln soll. Er selbst hatte neue Lorbeeren ohne Wunden errungen und konnte sich des ungetrübtesten häuslichen Glückes erfreuen. Emilie selbst schrieb wenig, weil jede Bewegung des Gemüths noch vermieden werden mußte; aber die wenigen Worte ihrer Hand zeigten, wie ganz selig sie sich als Mutter fühlte und wie zärtlich liebend ihre Seele sich an den beglückten Gatten schloß.

Lange fand in dem Herzen des Grafen und seiner Gemahlin keine andere Empfindung Raum, als eine zärtliche, wehmüthige Freude über ihr erhöhtes Glück, und besonders empfand die Gräfin eine schmerzliche Sehnsucht nach dem Anblick des neugebornen Kindes. Man berechnete, daß es nun schon einige Monate alt sein müsse, weil die Briefe, die sein Dasein meldeten, lange zurückgehalten worden waren, ehe sie ihre Bestimmung erreicht hatten.

Endlich war diese wichtigste Familienbegebenheit so vielfach mit immer erneuerter Freude besprochen worden, daß die Seele gewissermaßen befriedigt war, und der Graf hatte nun auch das besonders an ihn gerichtete Paket des Sohnes gelesen, das in Form eines Tagebuches die bedeutendern Vorfälle bei der Armee, so weit dieß zu wagen war, berichtete.

Der Graf folgte mit gespannter Aufmerksamkeit dem Gange der Begebenheiten, an denen Evremont Antheil genommen hatte, bis seine Aufmerksamkeit von den großen[139] weltgeschichtlichen Ereignissen abgelenkt wurde, indem sein Sohn einen Gegenstand berührte, der seine Phantasie in den Kreis seines bürgerlichen Lebens zurückführte.

Ich zog, so schrieb Evremont, an der Spitze meines Regiments durch ein anmuthiges Thal, das sich zwischen baumbewachsenen Hügeln hinschlängelte. Der Himmel war über uns dunkelblau, wie ein unermeßlicher Sapphir, ausgespannt, kaum regten sich gelinde Lüfte. Nichts unterbrach die Stille der Natur, als das sanfte Plätschern eines silberhellen Baches, der zwischen blühenden Ufern floß. Mir schien es, als sei dieß ruhige Thal von den Menschen vergessen und blühe hier still für sich in ungekannter Schönheit, und es dünkte mir fremd und seltsam, daß ich hier mit kriegerischem Getöse über den ruhigen Busen der Erde zog. Meine Träumerei und die tiefe Ruhe um uns her wurde auf einmal durch den Knall von kleinem Gewehrfeuer unterbrochen, den ein vielfaches Echo in den Bergen wiederholte, und es schien mir, als ließe sich ein fernes Jammergeschrei schwach unterscheiden. Da unter den jetzigen Umständen in diesem herrlichen Lande Vorsicht die erste Tugend ist, die man sich aneignen muß, so zog auch ich mit doppelter Vorsicht weiter durch das enge Thal, und ich hatte so sehr allen Sinn für die noch eben empfundene Schönheit desselben verloren, daß ich eifrig das Ende zu erreichen wünschte. Indeß näherte[140] ich mich an der Spitze meines Regiments dem Platze, wo eben gekämpft worden war, indem wir um einen Hügel bogen, hinter welchem sich das Thal etwas weiter ausbreitete, und der erste Blick überzeugte mich, daß keine Gefahr zu überstehen sei, ob sich mir gleich ein trauriger Anblick darbot.

Es waren Reisende, die nur eine schwache Bedeckung hatten, von Guerillas überfallen worden, und sollten eben geplündert und getödtet werden, als der Anblick meiner überlegenen Macht diese bewog, sich eilig zurückzuziehen und die, die sie sich zu Opfern ausersehen hatten, ihrem Schicksale zu überlassen.

Als ich dem Orte näher kam, wo der Ueberfall Statt gefunden hatte, bemerkte ich zwischen umgeworfenen Wagen eine stehende Dame, die ihre Hände krampfhaft auf der Brust zusammengepreßt hatte, und mit dem Ausdrucke höchster Angst und des heftigsten Schreckens die starren Blicke gedankenlos in die Weite richtete. Ich wollte meinen Augen nicht trauen, als ich in dieser Dame diejenige wieder erkannte, der ich mich in Madrid hatte vorstellen lassen, um die Bekanntschaft eines räthselhaften Verwandten zu machen. Als ich mich überzeugt hatte, daß keine Täuschung mich verblende, stieg ich vom Pferde und näherte mich der Geängstigten. Ich faßte, indem ich Sie anredete, ihre Hand, um sie aus der Erstarrung zu erwecken. Ein schöner Blick aus[141] den dunkeln Augen traf mich bei der Berührung, doch schien sie sich bei meinem Anblick einigermaßen zu beruhigen und deutete mit der linken Hand, indem ich ihre Rechte hielt, auf einen Gegenstand, den mir ein umgeworfener Wagen verbarg. Ich näherte mich und sah denselben jungen Mann, den man in Madrid Don Fernando nannte, schwer verwundet auf dem Rasen liegen. Er röchelte dumpf aus der verletzten Brust, und bei jedem Athemzuge quoll von Neuem das Blut hervor, das den Rasen rings um ihn färbte. Ich bog mich entsetzt zu ihm nieder, ich weiß nicht, ob er mich kannte, aber er wendete scheu den Blick von mir ab. Ich erkannte die Nothwendigkeit augenblicklicher Hülfe. Der Regimentsarzt war schnell herbei gerufen, und ich führte die Dame hinweg, bat sie in einiger Entfernung zu ruhen während des nothwendigen Verbandes, und ließ ihr eine Bedeckung zu ihrer Sicherheit. Stillschweigend ließ sie sich alle meine Anordnungen gefallen, und ich kehrte zu dem Verwundeten zurück, um Zeuge eines seltsamen Auftritts zu sein.

Ein alter würdiger Unteroffizier hatte den Tadel seiner Kameraden nicht geachtet und sich vor einiger Zeit mit einer Frau verheirathet, die mehrere Officiere nach einander zur Geliebten gehabt hatten. Diese nun folgte als Marketenderin dem Regimente, und da bei dem Verbande des Verwundeten[142] Leinenzeug erforderlich war, wurde sie herbei gerufen, um wo möglich damit auszuhelfen. Sie erschien und schaffte bereitwillig herbei, was sie vermochte, und wollte nun auch bei dem Verbande selbst Hülfe leisten. Als sie sich, um dieß zu können, zu dem Verwundeten niederbeugte, starrte sie diesen einen Augenblick an und rief dann mit allen Zeichen eines lebhaften Schmerzes: Jakob, Bruder Jakob, muß ich Dich so wiedersehen? Der Verwundete richtete einen matten Blick auf die Gestalt, deren kreischender Ton ihn erweckt hatte, und wendete dann mit unverkennbarem Widerwillen sein Gesicht hinweg.

Diese Bewegung des zum Tode Verwundeten ließ die, die ihn als Bruder erkannte, alle Gefahren vergessen, denen sein Leben Preis gegeben war, und sie ergoß sich in Strömen von Scheltworten, worin sie ihm vorwarf, daß sein Hochmuth sie zu Grunde gerichtet habe, indem er ihre Schönheit immer benutzt habe, um sich Wege zu bahnen, und daß nun ein um seinet Willen gänzlich verlornes Leben nun sein schnöder Undank ihr so vergelte, daß er sie im letzten Augenblicke seines Daseins nicht anerkennen wolle.

Der junge Mann schien unter diesem Strome von Scheltworten furchtbar zu leiden, und seine Augen suchten ängstlich einen Gegenstand, dessen Dasein er offenbar fürchtete. Ich duldete diesen Erguß des Zornes nur so lange, als[143] meine Ueberraschung mich verstummen ließ. Sobald ich mich davon erholt hatte, befahl ich dem Unteroffizier seine scheltende Gattin hinwegzuführen, und da im Kriege auch eine Marketenderin gehorchen muß, so wurde meinem Befehle zur sichtbaren Erleichterung des Verwundeten Folge geleistet. Die hinweggeführte scheltende Schwester hatte sich im Zorneseifer der deutschen Sprache bedient, und so war sie von Niemandem als von mir und dem unglücklichen Bruder verstanden worden. Indeß hatte sich die Dienerschaft der Reisenden wieder gesammelt, die vor den Guerillas die Flucht genommen hatte; auch einige Schäfer und Landleute hatten sich eingefunden, denen vielleicht diejenigen nicht fremd waren, die ihre Beute beim Anblicke der überlegenen Macht verlassen hatten. Mit dem Verbande war man, so gut es sich thun ließ, zu Stande gekommen, und ich sah mich nun verlegen um, weil ich nicht wußte, was ich mit dem Unglücklichen beginnen sollte. Ein alter Schäfer trat zu mir, dessen weißes Haar und ehrwürdiges Gesicht jedes Mißtrauen zu widerlegen schienen, das in meiner Seele hätte aufsteigen können. Er rieth mir, den Verwundeten über einen der Berge tragen zu lassen, zu dem ein Fußpfad hinaufführte, und er versicherte mir, wir würden in einer halben Stunde ein Dorf erreichen und dort bei dem menschenfreundlichen Geistlichen allen möglichen Beistand finden. Er ist nicht[144] wie Viele seines Gleichen, setzte der Greis mit Bedeutung hinzu; wenn ein Leidender seiner Hülfe bedarf, so fragt er nicht, für welche Sache er streitet. Ich verstand den Wink. Die Landleute bereiteten aus Baumzweigen eine Bahre, um den Verwundeten zu tragen. Die Reisewagen waren wieder aufgerichtet und sollten auf dem Fahrwege dasselbe Dorf zu erreichen suchen, wozu sie, wie man versicherte, einige Stunden brauchen würden. Einen Theil meiner Leute gab ich diesen als Bedeckung mit, andere sollten uns zu Fuß begleiten, und den Rest des Regiments sendete ich mit der Marketenderin nach dem Orte voraus, wo ein Rasttag gehalten werden sollte.

Als ich alle diese Anordnungen getroffen hatte, näherte ich mich dem Orte, an dem ich die Dame verlassen hatte. Zwei Kammerfrauen, die sich hinter Hecken während des Ueberfalls verborgen, hatten sich zu ihr gefunden und schienen ihr Beistand zu leisten, denn in dem Schooße der einen ruhte das bleiche Haupt der Gebieterin, von dem sich die glänzend schwarzen Locken und Flechten in Verwirrung bis auf den Rasen herabsenkten, indeß die andere ihr wohlriechende Essenzen vorhielt. Als ich mich dieser Gruppe näherte, erhob sich die Dame mit mehr Kraft, als ich ihr zugetraut hatte, und indem sie mir mit Anstrengung entgegen wankte, fragte sie mit bleichen, bebenden Lippen: Lebt mein Gemahl?[145] Da ich so eben die unzweifelhafte Ueberzeugung bekommen hatte, daß der verwundete junge Mann, wie Sie, mein theurer Vater, schon lange werden vermuthet haben, Niemand anders sei als der Sohn Ihres ehemaligen Dieners, des alten Lorenz, so verwirrte mich die Frage, und ich schwieg einen Augenblick. Die Dame wurde sichtlich bleicher, und indem sie mit beiden Händen meinen Arm faßte und ihn krampfhaft drückte, rief sie in höchster Angst: Sprechen Sie es aus, er lebt nicht mehr, und, Gott! fuhr sie fort und richtete den Blick mit dem Ausdrucke des tiefsten Schmerzes nach oben, o Gott! ich habe ihm nicht vergeben! Fassen Sie sich, erwiederte ich und brachte so viel Ruhe als möglich in meine Stimme; er lebt, aber ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß sein Zustand mir nicht gefahrlos scheint. Gelobt sei die heilige Mutter Gottes! rief sie und zog ihre Hände zurück, die meinen Arm noch immer hielten. Ich theilte ihr nun mit, daß der Verwundete über den nahen Berg getragen werde, um ein Kirchdorf eher zu erreichen, und fragte sie, ob sie sich Kräfte genug zutraute, den Weg einer halben Stunde zu Fuß mit mir zu machen, oder ob sie es vorzöge, das Dorf auf dem Fahrwege zu erreichen und so etwas später einzutreffen. Sie wählte ohne Bedenken das Erste und sagte, indem sie sich zitternd an meinen Arm lehnte, ihre Kräfte seien völlig wieder hergestellt. Wir[146] setzten uns sogleich in Bewegung, und auch die Kammerjungfern schlossen sich uns an. Wir bemerkten bald, daß die jungen Landleute, den Verwundeten tragend, sich schon den Berg hinaufbewegten, und wir eilten, so sehr es die Kräfte meiner Begleiterin gestatteten, ihnen zu folgen.

Mit einiger Beschwerde war der Weg bald zurückgelegt, und der würdige Geistliche, den einige voraneilende Landleute schon von dem Unglück unterrichtet hatten, kam uns am Eingange des Dorfes entgegen, und bot sein Haus und alles, was er vermöge, den Reisenden freundlich an. Wir erreichten bald seine bescheidene Wohnung, und ein altes Mütterchen, seine Haushälterin, empfing uns in reinlicher Kleidung eben so freundlich als ihr Herr. Der Verwundete wurde sogleich in ein kleines schon für ihn bereitetes Zimmer gebracht, und wie ein Sterbender, bleich mit mattem Blick, fast bewegungslos, von der Bahre gehoben und auf ein reinliches Lager gesenkt. Der erste nur flüchtig angelegte Verband mußte jetzt verbessert werden, und als der Unglückliche alle diese unvermeidlichen Qualen überstanden hatte, irrten seine Blicke im Zimmer umher, als ob er Jemanden suche, den er schmerzlich vermisse. Ich errieth ihn und eilte seine Gemahlin aufzusuchen, die der Geistliche in ein anderes Zimmer geführt und der Vorsorge der Haushälterin überlassen hatte, indeß er selbst sich bemühte, alles[147] herbei zu schaffen, was zur Erleichterung des Kranken dienen konnte. Ich fand die Dame mit ihren Kammerfrauen im eifrigen Gebet vor einem Muttergottesbilde auf den Knieen liegen; sie erhob sich bei meinem Anblick, und ihr großes schwarzes Auge blickte mir ängstlich fragend entgegen. Ich fragte sie, ob sie jetzt, da der Verband gehörig angelegt sei, ihren Gemahl besuchen wolle. Sie nahm schweigend meinen Arm und ich führte sie an das Lager des Kranken. Ein Strahl der Zärtlichkeit dämmerte auf im erloschenen Auge des Verwundeten; kraftlos bemühte er sich die Hand zu erheben und sie der Gattin entgegen zu strecken. Da löste sich die Starrheit ihrer Züge; die glänzenden Augen wurden feucht, und Thränen träufelten wie Perlen über die bleichen Wangen; sie senkte sich auf ein Knie neben das Lager des Leidenden, faßte mit ihren beiden Händen dessen dargebotene Hand und preßte sie mit leidenschaftlichem Ausdruck an ihren Busen, indem sie rief: Ich vergebe Euch, Don Fernando, wie der Himmel mir in meinen letzten Stunden vergeben möge. Ein schwaches, seltsames Lächeln zuckte um den Mund ihres Gatten, indem die Dame fortfuhr: Ja, und ich bete inbrünstig zu Gott und allen Heiligen, daß der Himmel Euch erhalten, und die gnadenreiche Mutter Euch zum Heile und mir zum Trost Euern Sinn ändern möge.

Da ich fühlte, daß jeder Zeuge den beiden Gatten lästig[148] sein müsse, verließ ich das Zimmer und führte den Wundarzt mit mir hinaus. Wir betraten beide den kleinen Garten des Pfarrers, und ich fragte ihn, was er von dem Zustande des Verwundeten halte? Er zuckte die Achseln und erwiederte: Er wird die Nacht nicht überleben, und es wäre gut, wenn ihn der Pfarrer darauf vorbereitete, damit, wenn er noch Verfügungen zu treffen hat, die kostbare Zeit nicht verloren geht. Ich hörte mit Schrecken diese bestimmte kaltblütige Zusicherung eines Mannes, dessen geübter Blick sich schwerlich täuschen konnte. Ich werde ihn mit keinem Verbande mehr quälen, fügte er hinzu, denn es ist völlig unnütz; auch werde ich ihm nicht untersagen zu sprechen, denn sein Schweigen könnte sein Leben höchstens einige Stunden verlängern, die keinen Werth für ihn haben können, und er hat vielleicht noch Anordnungen zu treffen, die sein Gewissen beruhigen oder für seine Familie werthvoll sein können. Ob mich gleich die tiefe Ruhe empörte, mit welcher der Wundarzt alles dieß aussprach, so sah ich doch das Vernünftige seines Verfahrens ein und kehrte zu dem Kranken zurück, bei dem ich seine Gattin und den Pfarrer antraf. Es schien, als ob er mich mit Sehnsucht erwartet hätte, denn er ließ, so wie er mich erblickte, die Hand seiner Gattin los, die er auf seine verletzte Brust gedrückt hielt, und gab durch Zeichen zu verstehen, daß er mit mir allein zu sein[149] wünsche. Der Pfarrer verließ mit der Dame das kleine Gemach, und ich setzte mich neben das Lager des Leidenden hin. Es schien, als suche er Kraft ein Gespräch zu beginnen, das ihm nothwendig däuchte und ihm doch in jedem Sinne quälend zu werden drohte. Ich suchte seinen Zustand zu erleichtern, und indem mir die Worte des Wundarztes einfielen, begann ich das Gespräch und sagte: Sie werden mich gewiß nicht für so roh halten und glauben, daß ich Sie auch nur auf die entfernteste Weise beleidigen wolle, wenn ich einige Fragen an Sie richte über einen Gegenstand, über den, wie es scheint, Sie selbst sich mitzutheilen wünschen. Ich verbinde mit diesen Fragen keine andere Absicht, als Sie das Sprechen so viel als möglich vermeiden zu lassen, denn Sie brauchen meine Fragen nur durch Zeichen zu beantworten, und eben so wird ein Zeichen mich davon belehren können, wenn Sie diese Erklärungen überhaupt zu vermeiden wünschen. Erwartungsvoll richtete der junge Mann die dunkeln Augen auf mich, und ich fuhr fort, indem ich meiner Stimme einen so sanften Ton gab, als ich nur vermochte: Nicht wahr, Sie sind der Sohn des alten Lorenz, des ehemaligen Kastellans des Grafen Hohenthal? Ein schmerzhaftes Gefühl machte die blassen Lippen beben, aber der Verwundete gab ein bejahendes Zeichen. Und der Baron, fragte ich weiter, dessen Namen Sie führen, ist bei[150] Bayonne im Duell geblieben, und Sie benutzten seine Papiere? Auch diese Frage wurde bejahend beantwortet. Ich habe Ihre Schwester entfernt, fuhr ich fort, um der Dame, die Ihre Gemahlin ist, unnützen Kummer zu ersparen, der durch eine rohe Zudringlichkeit hätte veranlaßt werden können. Ein dankbarer Blick belohnte mich für diese Aufmerksamkeit. Haben Sie mir aber nichts für diese Schwester aufzutragen? fragte ich weiter. Er deutete auf ein Kästchen, das auf einem kleinen Tisch neben dem Bette stand. Ich öffnete es auf sein Verlangen; er deutete auf eine schwere Börse voll Goldstücken. Wollen Sie, daß ich ihr diese Summe einhändigen soll? Er bejahte auch dieß. Ich nahm die Börse zu mir und versprach diese Pflicht zu erfüllen. Und nun, sagte ich, wie soll ich es beginnen, um meine Fragen so einzurichten, daß mir ein Zeichen andeuten kann, was ich, um Ihre Wünsche zu erfüllen, für Ihre Gemahlin thun soll? Wie kann ich dieser Pflicht genügen und Ihre Brust dabei schonen?

Die Schonung ist unnütz, sagte er mit leiser Stimme, ich weiß, daß ich sterben muß, und ich habe die wenigen Lebenskräfte, die mir noch bleiben, für edlere Gegenstände bewahren wollen. Ich beobachtete durch dieß Fenster Ihr Gespräch mit dem Wundarzte, und ich sah es Ihren und seinen Mienen an, daß ich sterben muß. Ich wollte Hoffnungen[151] aussprechen, die ich selbst nicht hegte. Ein Zeichen der Ungeduld legte mir Stillschweigen auf, und der Kranke fuhr mit Anstrengung fort: Wenn ein Richter über den Sternen lebt, wenn der Gebrauch, den wir hier von unserem Dasein machten, unsere Zukunft dort bestimmt, so wird das Wesen, das wir anbeten, unsern wahren Werth wägen und nicht wie ein Polizeioffiziant dieser armen Erde Untersuchungen anstellen, ob wir es gewagt haben, einen andern als den uns zukommenden Namen zu führen, um ein solches Vergehen zu bestrafen. Eine solche Furcht kann mich nicht beunruhigen, gleichgültig erscheint mir der Unterschied der großen und unbedeutenden Namen, eine Kinderei, die bald für mich ganz geendigt sein wird; aber versprechen Sie mir alle Vorsicht anzuwenden, damit meine Gemahlin nie über diesen Gegenstand aufgeklärt werde. Sie hat mich sehr geliebt, mit höchster Leidenschaft, fuhr er fort, aber doch nicht so sehr, daß der kastilianische Stolz die Neigung nicht überwunden haben würde, wenn sie nicht überzeugt gewesen wäre, sich mit einem der ältesten Freiherrn des römischen Reiches zu verbinden, und sie würde völlig elend werden, wenn Sie ihr den unschädlichen Wahn rauben wollten. Er sah verlangend nach mir auf. Ich reichte ihm die Hand und gelobte auch dieß, und ich glaube ich habe mir nichts dabei vorzuwerfen. Warum sollte ich das Herz einer unschuldigen Frau durchbohren,[152] um sie über einen Irrthum aufzuklären, der Niemandem in der Welt Nachtheil zuziehen kann. Ein unverkennbarer Ausdruck der Dankbarkeit leuchtete matt in den verlöschenden Augen des Verwundeten. Nachdem er wieder einige Kräfte gesammelt hatte, fuhr er fort: Auch ich habe diese Frau auf's Innigste geliebt – eine schwache Röthe färbte auf einen Augenblick die bleichen Wangen – aber freilich sah ich auch dieß Gefühl anders an, als die heftige, leidenschaftliche Frau. Ich glaubte, für den geliebten Gegenstand sei jedes Opfer ohne Ausnahme möglich, und hielt mich für berechtigt, alle zu erwarten, die es in meinen Plänen liegen könnte zu fordern. Die Irrungen, die hiedurch zwischen uns entstanden, straften mich für diese falsche Ansicht schrecklich; doch auch dieß ist vorbei. Mir bleibt noch eine Pflicht zu erfüllen. Rufen Sie den Pfarrer und den Alkalden des Orts herbei, und setzen Sie in ihrer Gegenwart spanisch und französisch eine Erklärung auf, daß alle Wechselbriefe, die sich in meiner Chatoulle befinden, das unbestreitbare Eigenthum meiner Frau sind, ob sie gleich auf meinen Namen gestellt sind, und ich werde die letzten Kräfte daran wenden, dieß Blatt zu unterschreiben. Eilen Sie aber, ehe es zu spät wird, und wenn ich todt bin, schaffen Sie meine Frau sicher nach Frankreich hinüber.

Die lange Rede hatte die Kräfte des Kranken erschöpft[153] und mich erschreckte sein schwaches Husten. Ich rief den Wundarzt eilig; doch ging der Anfall dieß Mal vorüber, ohne sein Leben zu endigen, und ich eilte den Alkalden herbeizuschaffen, um der Frau, die bald Wittwe sein würde, wenigstens ihr Eigenthum nach dem Tode des Mannes zu sichern. Auch dieß Geschäft wurde rechtsgültig geendigt, und ich richtete den Kranken behutsam in meinen Armen auf, damit seine zitternde Hand die Urkunde unterzeichnen könnte. Ganz erschöpft lehnte er sich auf die Kissen zurück, nachdem er dieß vollbracht hatte, und sagte mir dann in deutscher Sprache: Da ich, um meine Frau zu heirathen, zur katholischen Religion übergetreten bin, so wünsche ich noch zu beichten, damit die Arme über mein Ende sich beruhigen kann. Ich theilte den Anwesenden seinen Wunsch mit, der der Gattin des Kranken sehr zum Trost zu gereichen schien, und wir ließen ihn mit dem Geistlichen allein, dessen liebevolle Ermahnungen selbst auf diesen Menschen einen tiefen Eindruck gemacht zu haben schienen, denn der Ausdruck seines Gesichtes war milder, als wir auf sein Verlangen alle zu ihm zurückkehrten. Er nahm von uns Abschied, erinnerte mich noch ein Mal an mein Versprechen und blieb mit seiner Gattin allein.

Die Unterredung zwischen beiden Gatten scheint eine leidenschaftlichere Wendung genommen zu haben, als für den Zustand des Kranken heilsam war, denn sie waren nicht lange[154] allein, als ein durchdringender Schrei der Frau uns bewog nach dem Krankenzimmer zu eilen. Als wir eintraten, bemerkten wir sogleich, daß nun das Ende des jungen Mannes nicht mehr zu verzögern war. Seine Wunden hatten sich geöffnet und das Blut quoll unaufhaltsam hervor; ein schwaches, röchelndes Husten erneuerte immer wieder sein Strömen. Die Frau lag auf den Knieen neben dem Bette des Sterbenden und klagte sich laut in den leidenschaftlichsten Ausdrücken als die Mörderin desselben an.

Der Wundarzt näherte sich ihr mit gutmüthiger Rohheit, und sagte ihr kalt und trocken: Sein Sie darüber ruhig; schon vor mehreren Stunden habe ich es dem Herrn Obristen gesagt, daß Ihr Gemahl die Nacht nicht überleben könne und daß jeder Versuch, sein Leben zu erhalten, vergeblich sein würde. So roh mir diese Worte klangen, so schienen sie doch einen Trost für die Frau zu enthalten, denn sie wurde ruhiger, gefaßter. Sie richtete einen mitleidigen Blick auf den Sterbenden und faltete ihre Hände, um für seine Seele zu beten. Die Augen des Verwundeten hatten Glanz und Licht verloren; matt griff seine Hand auf der Bettdecke umher. Die Frau errieth ihn und faßte die suchende Hand. Ein tiefes Röcheln folgte und das Leben, das er vielleicht nie würdig gebraucht hatte, war dem Unglücklichen entflohen.

Ich war in diesen Stunden so vielfach aufgeregt worden,[155] daß ich meine Pflicht für mein Regiment etwas aus den Augen verloren hatte, und jetzt, indem ich mich darauf besann, wußte ich nicht, wie ich meine Versprechungen mit diesen Pflichten vereinigen sollte. Ich empfahl die Wittwe dem Pfarrer, die ich zwar betrübt, aber doch viel gefaßter fand, als ich es erwartet hatte, und eilte nach dem Sammelplatze meines Regiments, mit dem Versprechen, vielleicht noch diesen Abend wiederzukehren.

Als ich den Ort erreicht hatte, wo ein Rasttag gehalten werden sollte, überraschte mich angenehm der Befehl, drei Tage hier zu verweilen, um ein anderes Regiment zu erwarten, das sich mit dem meinigen vereinigen sollte. Ich brauchte die Vorsicht, dem Manne der Marketenderin streng zu befehlen, seine Frau nicht aus den Augen zu lassen, und ich fügte diesem Befehle die Versicherung hinzu, daß die Folgsamkeit freigebig belohnt werden sollte.

Hierauf kehrte ich beruhigter zu dem Pfarrer zurück, der schon alle vorbereitenden Anstalten zu der Beerdigung zu treffen begann, die am folgenden Tage Statt finden sollte. Das Glück war mir günstiger, als ich hoffen durfte, denn wenige Stunden nach der Beerdigung zog ein französisches Regiment durch die Gebirge, das nach Frankreich beordert war und dessen Obristen ich als einen sehr achtbaren Mann kannte. Ihm durfte ich die Wittwe empfehlen, und ich war[156] überzeugt, daß sie unter seinem Schutze Frankreich sicher erreichen würde. Es blieb mir nun nichts übrig, als sie mit der Nothwendigkeit der baldigen Abreise bekannt zu machen. Sie nahm meine Erklärung mit Ruhe auf und sagte, sie sei bereit ihrem Schicksale zu folgen und ihr Vaterland auf immer zu verlassen, das sie nie wieder wohlwollend aufnehmen würde. Sie bemerkte die Verwunderung, welche diese Worte in mir erregten, und sagte: Ich bin Ihnen, Obrist, so viel Dank schuldig, daß es mir eine Pflicht scheint, Ihnen manche Aufklärungen zu geben, ohne die Sie vielleicht mein verletztes Gefühl nicht begreifen könnten und das Unglück meines Lebens nicht einzusehen vermöchten. Sie haben es in Madrid leicht bemerken können, fuhr sie fort, mit welcher Glut der Seele ich Don Fernando liebte, denn ich war unabhängig und brauchte eine Neigung, die ich für anständig und edel hielt, nicht zu verbergen. Noch heftiger, schien es, flammte die Glut der Liebe in Don Fernandos Seele, und wir schlossen einen Bund, der, wie ich hoffte, uns beide beglücken sollte. Sie wissen, daß ich der französischen Partei aus der reinen Ueberzeugung ergeben war, daß nur durch sie das Wohl meines Vaterlandes zu erreichen möglich sei. Auch diese Ansicht schien Don Fernando zu theilen. Wir waren vereinigt, und wenige Wochen waren hinreichend, um den Schleier vor meinen Augen zu zerreißen. Ich mußte[157] es bald erkennen, daß ihn nicht ein hohes Interesse für die Fortschritte menschlicher Veredlung nach Spanien geführt hatte, er scherzte über meine Begeisterung und glaubte, da wir so innig verbunden waren, nicht mehr nöthig zu haben, mir seine wahre Ansicht zu verbergen. Sein Vortheil bestimmte ihn allein; er wollte bei der Verwirrung, die die verschiedenen Parteien erregten, gewinnen; er wollte steigen, und das allgemeine Unglück sollte ihm dazu helfen, die höchsten Stufen der Ehre zu erreichen. Er hatte gehofft, dieß durch französischen Einfluß zu erlangen, doch wurde ihm dieß zweifelhaft bei dem abwechselnden Glück, womit in Spanien gekämpft wurde. Er suchte sich also der entgegengesetzten Partei vorsichtig zu nähern, ohne es mit der französischen verderben zu wollen, und hoffte so auf jeden Fall seinen Zweck zu erreichen.

Abscheu und Verzweiflung erfüllten meine Seele, als ich diesen Charakter in ihm erkannte, und dennoch gab es Stunden, wo die Täuschung zurückkehrte und das Gefühl der Liebe von Neuem meine Brust belebte, wo mich der thörichte Wahn ergriff, ich könne dieß Herz vielleicht läutern, diese Seele auf eine edlere Bahn leiten; aber bald sollte für mich auch die letzte Täuschung verschwinden. Einen Augenblick schwieg die schöne Kastilianerin, eine tiefe Röthe glühte auf ihren Wangen und die Flamme des Zornes brannte in den dunkeln Augen bei der Erinnerung erlittener Schmach. Nach[158] kurzem Schweigen fuhr sie mit unterdrückter Bewegung fort: Nicht bloß mein Vermögen wollte er benutzen, um seine ehrgeizigen Plane zu erreichen, sondern mich selbst. Ich sollte ihm dazu dienen, die Machthaber aller Parteien zu fesseln, zu blenden – doch genug über meine Erniedrigung, die jedes Band der Seele zwischen uns löste, ohne die Fesseln zerreißen zu können, die mich unauflöslich an seine Person schmiedeten. Ich glaubte nun, ich hätte den Kelch des Elends bis auf die Hefen geleert, aber zu diesem im Herzen nagenden Unglück drängte sich noch ein Leiden von außen herein. Die Intriguen Don Fernandos waren nicht mit Feinheit geleitet, sie wurden von allen Seiten durchschaut, und wir wurden bei der französischen Partei ein Gegenstand der Verachtung. Der Hof war uns so gut als verboten, und mein Haus, das Sie als den Sammelplatz der glänzendsten Gesellschaft gekannt haben, war eine Einöde. Die Gegner der Franzosen betrachteten uns mit dem reinsten, ganz unverhehlten Abscheu und wir wurden wie Verpestete gemieden. Unter solchen Umständen fand ich es natürlich, daß Don Fernando Spanien verlassen wollte, und ich weigerte mich nicht ihm nach Italien zu folgen, das er mir als künftigen Aufenthaltsort vorschlug. Er hatte sich gleich nach unserer Verbindung mit liebender Zudringlichkeit der Verwaltung meines Vermögens bemächtigt, und in der Stimmung, in der sich meine[159] Seele nun befand, achtete ich zu wenig auf die Güter des Lebens. Aber ein wahrhaftes Entsetzen ergriff mich, als ich nach unserer Abreise aus Madrid durch ihn selbst erfuhr, daß er alle eingezogenen Gelder auf seinen Namen hatte stellen lassen und daß ich also in eine Abhängigkeit von ihm gerathen war, die mich beinah zu seiner Sklavin machte. Er machte mich mit der größten Ruhe mit dieser Einrichtung bekannt und sagte lächelnd, er habe diese Vorsicht beobachtet, damit die Grillen, die mein Herz von ihm entfernt hätten, mich niemals bestimmen könnten, mich gänzlich von ihm zu trennen, und damit er, wie es ihm seiner ruhigeren Vernunft wegen gebühre, Herr meines Schicksals bleiben könne und meine leidenschaftliche Seele nie das seine zu bestimmen vermöchte. Im Innersten empört machte ich ihm die bittersten Vorwürfe über diese niedrige Art zu handeln, und es entschlüpfte meinen Lippen die Aeußerung, daß ich schon lange bemerkt habe, daß ich von ihm betrogen sei, daß ich an sein großes Vermögen in Deutschland nicht glaube, weil er so eifrig bemüht sei sich das meinige anzueignen. Die Erfahrung meines Lebens, erwiederte er ruhig, hat mich vorsichtig gemacht. Durch den Gemahl meiner Schwester, den Grafen Hohenthal, wurde ich in früher Jugend aus einer ruhigen, sorglosen Lage gedrängt, und er hat es zu verantworten, wenn dadurch ein Schatten auf meinen Charakter fällt, daß[160] ich nun vielleicht zu ängstlich jedes Besitzthum, das mir erreichbar wird, mir zu sichern strebe, denn durch seine Schuld habe ich früh mit dem Mißgeschick kämpfen müssen und in den Jahren der Jugend, die dem Genuß hätten geweiht sein sollen, habe ich die Bitterkeit des Lebens erfahren.

Es war mir höchst überraschend zu sehen, daß ein Mensch so sehr ein Lügner gegen sich selbst werden kann, und es lag zugleich etwas Komisches darin, wie er die Wahrheit, daß Sie, mein theurer Vater, einem Sie unverschämt beraubenden Bedienten in seinem frechen Beginnen Einhalt thaten, in seine Erfindungen hinüber spielte, durch die er sich für Ihren nahen Verwandten ausgab. Mich überwältigte der Eindruck des Komischen und ein unwillkührliches Lächeln zuckte mir um die Lippen.

Die Dame schwieg verwundert und beleidigt einen Augenblick, und eilte dann sichtlich ihre Erzählung zu beendigen. Aehnliche Gespräche, sagte sie, hatten wir oft auf der Reise, und nicht immer hielt ich die Ausbrüche meines Zornes zurück, und eben hatte ich Don Fernando betheuert, daß ich ihm nie vergeben, und fortan nur Haß und Abscheu gegen ihn empfinden würde, daß mein Fluch seine Sterbestunde belasten solle, als wir überfallen wurden und nur durch Ihren Beistand einem noch schrecklicheren Loose entrannen.

Wir schwiegen nun beide verlegen. Endlich sagte die[161] Dame mit etwas trockenem Tone: Da ich vielleicht in meinem Vertrauen zu weitläuftig geworden bin, so bitte ich Sie dieß zu verzeihen und zugleich mir so viel Wohlwollen zu beweisen, als zu einiger Erwiederung meines Vertrauens gehört. Sagen Sie mir aufrichtig, fuhr sie lebhaft fort, was konnte Sie zum Lachen reizen, als ich erwähnte, wie es Don Fernando rechtfertigen wollte, daß er auf eine so unwürdige Weise mich gänzlich von sich abhängig gemacht hatte?

Gewiß lachte ich nicht, sagte ich mit Verwirrung. Nun, worüber lächelten Sie denn? fragte die Wittwe ungeduldig. Daß Ihr Gemahl Ihnen ein so gänzlich falsches Bild von dem Grafen Hohenthal entworfen hat, sagte ich endlich, um nur etwas zu sagen. Wie, Sie kennen den Grafen Hohenthal? rief sie höchst verwundert. Die Gräfin ist meine Mutter, sagte ich in der Ueberraschung. Erstaunt ließ die Dame die Arme sinken und rief, indem sie mir starr in die Augen blickte: So war ja Don Fernando Ihr Oheim? Ich lächelte und schwieg. Wie kommt es dann, fuhr sie fort, daß Sie Ihre Verwandschaft nicht schon in Madrid geltend machten? Da ich in Frankreich erzogen wurde, so hatte ich keine Gelegenheit meinen Oheim kennen zu lernen, und ich wollte mich erst überzeugen, ob der nun Verstorbene dieselbe Person sei, für die ich ihn hielt, ehe ich mich ihm zu erkennen gab. Sie erinnern sich aber vielleicht, daß eine[162] Krankheit, die ihn damals überfiel, mich meine Absicht verfehlen ließ.

Die Wittwe sah mich mit einem durchdringenden Blicke an. Sie fühlte die Zweideutigkeit meiner Antwort und sagte endlich, indem sie die flache Hand auf ihre Stirn legte: Ich will nicht weiter in Sie dringen; ich selbst habe Don Fernandos Charakter so kennen gelernt, daß ich mir denken kann, wie seine Verwandten Gründe haben konnten, sich von ihm zurückzuziehen. Weßhalb soll ich noch einen Schmerz mehr auf meine Seele laden durch die Kenntniß von Dingen, die mir vielleicht besser verschwiegen bleiben. Als ich auf diese Bemerkung schwieg, sagte sie nach einigen Augenblicken: Gönnen Sie mir den Vorzug, mich als Ihre Verwandte zu betrachten, wenn wir im Leben wieder zusammentreffen sollten. Da meine Lebenspläne jetzt nur von mir allein abhängen, so habe ich nicht die Absicht nach Italien zu gehen, wenigstens für jetzt nicht. Eine Verwandte, die mit mir erzogen wurde und meine schwesterliche Liebe mit Innigkeit erwiederte, lebt in Frankreich in der Nähe von Bordeaux, wohin sie dem Gemahl folgte. Zu ihr will ich, und will dort in Ruhe und Abgeschiedenheit mein Herz zu heilen, und mein Gewissen zu beruhigen suchen.

Ihr Gewissen? fragte ich befremdet.

Ja, mein Gewissen, erwiederte sie, denn ich quäle mich[163] mit inneren Vorwürfen, daß ich Don Fernandos Leben, wenn auch nur um Stunden, verkürzt habe. Ich wollte ihm in unserer letzten Unterredung mein ganz versöhntes, ihm völlig vergebendes Herz zeigen, weil ich glaubte, dieß sei, um sein Gewissen zu beruhigen, nothwendig. Er unterbrach mich aber, indem er mir sagte, ich möchte erlauben, daß er seine letzten Gedanken auf wichtigere Gegenstände richtete, denn es sei ein Irrthum von mir, wenn ich glaube, daß ich ihm so viel zu verzeihen habe; wir wären auf dem Wege unseres Lebens nur durch verschiedene Ansichten geleitet worden, und dieß sei Alles. Ich vergaß in diesem Augenblicke die Nähe seines Todes. Der Schmerz über mein durch ihn zu Grunde gerichtetes Leben überwältigte mich, und tief empört darüber, daß er nicht einmal eine Ahnung von seinem gräßlichen Unrecht zu haben schien, ließ ich mich zu einer Leidenschaftlichkeit verleiten, die ihn in seinen letzten Augenblicken nicht schonte, und der Strom meiner Vorwürfe wurde nur durch den Strom des Blutes gehemmt, der aus seinen Wunden drang.

Mein Bekannter, der Obrist, dessen Schutz ich die Wittwe empfohlen hatte, unterbrach unsere Unterredung, indem er kam, unhöflich, daran zu erinnern, daß er mit seinem Regimente aufbrechen müsse. Eilig war Alles zur Abreise geordnet, und ich trennte mich nicht ohne Theilnahme von einer[164] Frau, deren Lebensglück ein Elender gewissenlos zertrümmert hatte.

Auf dem Rückwege zu meinem Regimente drängte sich mir die Betrachtung auf, wie falsch wir oft über die Menschen urtheilen, wenn wir bei ihnen Gewissensqualen über Handlungen voraussetzen, die wir als abscheulich erkennen. Ich habe im kurzen Laufe meines Lebens schon manchen ruhig sterben sehen, von dem seine Bekannten behaupteten, seine Handlungen würden in der Stunde seines Todes schwer auf seiner Seele lasten. Die Unglücklichen erkennen ja ihr Unrecht nicht; die Verblendung verläßt sie ja auch im letzten Augenblicke nicht. Sie halten ihre Schlechtigkeit für Klugheit, ihre Hartherzigkeit für Vernunft und männlichen Charakter, den schnödesten Geiz für eine achtungswerthe Sparsamkeit, und haben so für jeden Fehler den Namen einer Tugend bereit, unter dem die Sünde recht mit Liebe gehegt wird. Würde denn nicht auch jeder Mensch eilen, ihn schändende Makel von sich zu thun, wenn er sie als solche erkennte? Aber das ist unsere unglückliche Verblendung, daß wir unsere schlimmsten Fehler für unsere besten Tugenden halten.

Als ich das Standquartier meines Regiments erreichte, bemerkte ich, daß das erwartete, welches sich mit dem meinigen vereinigen sollte, schon eingetroffen war, und da nun kein[165] Grund zum Verweilen mehr vorhanden war, so wurde beschlossen am andern Morgen aufzubrechen, und wir verließen eine Gegend, die mir gewissermaßen merkwürdig geworden war. Erst nachdem einige Tagesmärsche zurückgelegt waren, ließ ich die Marketenderin und ihren Gatten rufen. Das Gesicht der Frau zeigte deutlich, wie übel sie mit mir zufrieden war, daß ich sie gleichsam in Gefangenschaft unter der Aufsicht ihres Mannes mehrere Tage erhalten hatte, und ich hatte Grund zu vermuthen, daß er das Recht des Mannes der Frau zu befehlen durch sehr ernsthafte Mittel hatte müssen geltend machen, ehe sie sich ihm zu gehorchen bequemte. Ich machte sie nun mit dem Tode ihres Bruders bekannt und versüßte die Nachricht dadurch, daß ich ihr das ihr bestimmte Erbe einhändigte. Die schwere mit Dublonen gefüllte Börse verfehlte ihre Wirkung nicht. Sie trocknete die Thränen und sagte, es sei doch grausam von mir, daß ich ihr jetzt erst den Tod ihres einzigen Bruders anzeigte, der doch in seinen letzten Augenblicken ihrer noch liebevoll gedacht habe, und nun, da wir schon so weit entfernt wären, könne sie nicht einmal den Trost haben, sein Grab mit ihren Thränen zu benetzen. Ich entschuldigte mein Verfahren, so gut ich vermochte, ohne ihr zu sagen, daß ich sie gerade von solchen Beweisen ihrer Zärtlichkeit hatte abhalten wollen, denn ich bin sehr überzeugt, daß der sogenannte[166] Don Fernando mit diesem Namen gestorben ist, ohne dem Pfarrer in seiner letzten Beichte das demüthige Bekenntniß abzulegen, daß er der Sohn des alten Lorenz und der Bruder der Marketenderin sei, und der gutmuthige, beschränkte alte Mann würde sich mit Gewissenszweifeln darüber gequält haben, daß er einem so verhärteten Sünder die vollständige Absolution gewährt hatte und ein christliches Begräbniß mit allem Prunke, den seine kleine Kirche bieten konnte, wenn er diesen Umstand erfahren hätte. Die Schwester des Verstorbenen nahm meine Entschuldigung kalt auf; der Unteroffizier, ihr Gatte, aber sagte lächelnd: Ich habe Sie, mein Obrist, niemals hart gefunden; im Gegentheil, Ihre Milde erkennt das ganze Regiment dankbar an; wenn Sie also dieß Mal für nöthig gefunden haben, eine Ausnahme zu machen und sich gegen meine Frau hart zu zeigen, so müssen Sie dazu wichtige Gründe haben, die uns weiter nichts angehen. So sehe ich die Sache an, und damit kann sich meine Frau ebenfalls beruhigen. Was aber die Erbschaft anbetrifft, fuhr er fort, indem er die Börse aus den Händen seiner Gattin nahm und sie wohlgefällig in seiner braunen Hand wiegte, so gestehe ich, daß sie mich freut, denn dieses Geld soll unserm kleinen Eugen zu Gute kommen. Ich habe die Ueberzeugung, fügte er hinzu, indem er die funkelnden Augen auf mich richtete, daß Niemand im Regimente meinen[167] Muth bezweifelt; ich stand immer mit den Braven und würde es weit in der Armee gebracht haben, wenn nicht die Armuth meiner Eltern es ihnen unmöglich gemacht hätte, auch nur die geringste Sorgfalt auf meine Erziehung zu wenden. Jetzt habe ich die Mittel in Händen meinen Sohn so gut unterrichten zu lassen, wie den Sohn eines Generals, und wir können es noch erleben, sagte er freudig lächelnd, indem er seiner Gattin derb auf die Schulter schlug, unsern Eugen als General kommandiren zu sehen. Das denke ich, so oft ich ihn in seinem Korbe schreien höre, und mich quälte nur die Sorge, woher ich die Mittel zu seiner Erziehung nehmen sollte; doch jetzt, Dank meinem verstorbenen Schwager, bin ich von dieser Unruhe befreit. Nach diesen Worten führte der brave Soldat seine Gattin hinweg, und mir traten bald so viele ernsthafte Sorgen entgegen, die die Erinnerung an diese Begebenheit in den Hintergrund meiner Seele zurückdrängten, daß ich nur jetzt, indem ich Ihnen schreibe, dieselbe wieder lebhaft in mein Gedächtniß zurückrufe.

Evremont ging nun wieder zu den öffentlichen Begebenheiten über, die er fortfuhr dem Grafen zu berichten, in wie weit er selbst eine handelnde Person dabei war, bis zu dem Augenblicke, wo er Gelegenheit fand seine großen Pakete abzusenden.[168]

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 3, Breslau 1836, S. 137-169.
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