XIII

[240] Der andere Tag ging ohne Störung und ohne merkwürdige Vorfälle vorüber. Den folgenden zog der General mit seiner Schaar weiter, um sich der großen Armee anschließen. Das Geräusch der Waffen der Gehenden und Kommenden war verschwunden, und eine so tiefe Ruhe und Stille senkte sich wieder auf das Schloß nieder, als ob Krieg und Tod gar nicht in der Nähe wütheten.

Der Graf besuchte nun den Obristen Thalheim, den er vom Schlosse entfernt gehalten hatte, so lange die Franzosen dort die Herren waren, denn der alte Krieger würde nicht mit der nöthigen Geduld den Anblick der übermüthigen Sieger ertragen haben. Er theilte ihm zum Troste die Nachricht mit, die sich anfing zu verbreiten, daß endlich die Russen zum Beistande erschienen seien, und man hoffte nun mit Gewißheit, daß Napoleons Macht an dem nordischen Koloß scheitern würde.

Auf St. Julien schienen mancherlei Bewegungen des Gemüths nachtheilig gewirkt zu haben, denn sein Zustand fing sich an merklich zu verschlimmern; seine Wunden entzündeten[240] sich von Neuem, und der Arzt gerieth in Verzweiflung. Emiliens Kummer war sichtbar, wenn der junge Mann so bleich und im Fieber zitternd in der Gesellschaft erschien, und ihre fragenden, theilnehmenden Blicke senkten Balsam in das verwundete Gemüth des Kranken. Der Graf und die Gräfin bemühten sich liebevoll ihn aufzurichten, und Dübois verdoppelte Aufmerksamkeit und Pflege. Selbst der Obrist Thalheim bewies dem jungen Manne aufrichtige Theilnahme und vermied es sogar, in seiner Gegenwart die Franzosen zu verwünschen, so daß nach und nach Ruhe und Heiterkeit in seine Seele zurückkehrte. Die Bauern hatten durch die kurze Anwesenheit der Franzosen mehr gelitten, als man Anfangs glaubte, und der Graf mußte auch hier helfend eintreten, wenn nicht einige ganz zu Grunde gehen sollten; er selbst erwähnte seinen eigenen Verlust nicht, ob dieser gleich nicht unbedeutend war.

So war das Weihnachtsfest herbeigekommen, und obgleich Jeder dem Andern kleine Geschenke bot und mit Dankbarkeit als Zeichen der Liebe empfing, so waren doch alle Gemüther zu sehr gedrückt, als daß eine allgemeine Heiterkeit hätte stattfinden können. Die Feinde waren Herren des Landes, das von ihnen planmäßig ohne Schonung benutzt wurde; die Festungen waren in ihrer Gewalt, und Niemand konnte es sich abläugnen, daß eine große Entscheidung nahe[241] sei, denn, mußte die Macht Rußlands vor der Napoleons weichen, so war es nur zu gewiß, daß er ohne Widerspruch das Schicksal des unglücklichen Landes bestimmen durfte.

Diese traurige Stimmung wurde noch erhöht, als die Nachricht von der unglücklichen Schlacht bei Pultusk sich verbreitete; beinah aller Muth und alle Hoffnungen wurden erschüttert. Die langen traurigen Winterabende trugen dazu bei, die Schwermuth zu erhöhen. Nur mit Anstrengung vermochte man zuweilen aus der Wirklichkeit hinweg zu flüchten, und in Poesie und Musik den Trost zu suchen, den das Leben in der Gegenwart nicht gewähren konnte.

Endlich kam die Nachricht von einer furchtbaren Schlacht, die den 7 und 8 Februar bei Eylau geschlagen sein sollte. Das Gerücht verkündigte, die Russen wären die Sieger und Napoleons Armee nach einem fürchterliche Blutbade vernichtet. Wenn auch das menschliche Gefühl die auf Hohenthal vereinigten Freunde zu schaudern zwang über den gräßlichen Untergang so vieler Tausende, so erhob sich in der Seele doch die lange nicht gekannte Freude; die Hoffnung regte sich im Herzen; man glaubte wieder an die Rettung des Vaterlandes, und wenn man auch ahnete, daß noch manche Kämpfe zu bestehen sein dürften, so faßte man doch Muth nach diesem ersten Pfande des wiederkehrenden Glücks. Nur St. Julien schlich bei der allgemeinen Freude hinweg; er fühlte mit innigem[242] Schmerz die Niederlage der Franzosen; er zweifelte aber an der Wahrheit der Berichte, der Sieg schien ihm gefesselt an die französischen Adler; er konnte sich die Möglichkeit nicht denken, daß die dreifarbige Fahne rückwärts wiche, und er hoffte also mit Sehnsucht auf bestimmte Nachrichten, die, wie er nicht zweifelte, diesen ersten widersprechen würden. Aber sein Herz war getheilt, er mußte es sich gestehen, daß ihm der Sieg der Franzosen keine reine Freude gewähren würde, weil er seine deutschen Freunde, an die ihn tausend zarte Bande knüpften, so innig schmerzen mußte.

Ueberhaupt hatte St. Julien im Umgange mit diesen Freunden das Leben anders betrachten gelernt; er hatte mit einem gewissen Leichtsinn, wie beinah alle jungen Leute in Frankreich, Militärdienste genommen; es schwebte ihm dunkel das Bild des glänzenden Ruhmes vor, den er, durch Napoleons Stern geleitet, gewinnen wollte, ein strahlender Name in der Geschichte, und als Lohn im gegenwärtigen Leben in der Ferne der Marschallsstab von Frankreich. Er hatte sich nie gefragt, weßhalb diese Kriege geführt würden und welchen Zweck sie befördern sollten.

Hier nun unter Frankreichs Feinden hatte er den Beistand gefunden, der ihm das Leben rettete, und hier öffnete sich sein Herz Gefühlen, die ihm dieß Leben verschönerten[243] und ihm bis dahin fremd gewesen waren; denn wie innig er seine Mutter auch liebte, so fühlte er doch, daß er der Gräfin mit größerer Zärtlichkeit ergeben sei. Der Graf flößte ihm nicht nur die Liebe ein, die er für einen Vater empfunden haben würde, wenn er jemals einen Vater gekannt hätte, sondern er betrachtete ihn auch mit Bewunderung; er war ihm das Vorbild eines vollendeten edeln Mannes, dessen kleine Schwächen selbst seinen Charakter mehr zierten, als entstellten. Sein empfängliches Gemüth öffnete sich dem Zauber, den die Dichtkunst auf ihn übte, die er durch den Grafen in den Werken aller Sprachen kennen lernte, und er empfand es lebhaft, welchen nie versiegenden Quell der edelsten Genüsse ein gebildeter Geist in sich trägt. Und Emilie! Schon der Klang ihres Namens bewegte ihm das Herz in seinen Tiefen, jeder ihrer Blicke, jedes ihrer Worte umstrickte ihn mit neuem Zauber; er fühlte die glühendste Leidenschaft, die zärtlichste Sehnsucht in seiner Seele und wagte es zu hoffen, daß ein ähnliches Gefühl sich auch in ihrem Busen entzündet hätte.

Unter diesen Umständen war ihm der Gedanke schrecklich, dieß Haus, diese Menschen je verlassen zu müssen, und doch war dieß, sobald der Friede geschlossen war, unvermeidlich, und er schloß sich seinen deutschen Freunden und vor Allen Emilie nur um so inniger an, um über der beglückenden[244] Gegenwart die quälenden Sorgen für die Zukunft zu vergessen.

Es konnte der Gräfin nicht entgehen, daß zwischen St. Julien und Emilie sich das zarteste, innigste Verhältniß bildete; es erfüllte dieß ihr Herz mit Sorgen für die Zukunft ihrer jungen Freunde, und dennoch wagte sie nicht mit Emilien darüber zu sprechen, weil oft eine Leidenschaft erst dadurch Macht gewinnt, wenn man unbestimmten Gefühlen Wort und Gestalt giebt. Die jungen Leute ferner als bisher von einander zu halten, ließ sich ohne fühlbaren Zwang nicht machen, und dieser würde ein Mißtrauen, welches keines von beiden verdiente, gezeigt haben. Es blieb also der Gräfin nichts weiter übrig, als von der Zukunft, wenn auch mit sorgendem Gemüthe, zu erwarten, wie das Loos ihrer jungen Freunde sich entwickeln würde.

Unter diesen verschiedenartigen Hoffnungen und Sorgen hatten die Freunde mehrere Tage gelebt; da begann die Hoffnung, welche nach der Schlacht bei Eylau erregt worden war, nach und nach zu sinken. Der Obrist Thalheim, der sich am lebhaftesten gefreut hatte, wurde zuerst bedenklich, da nach diesem großen Schlage keine Veränderung in der politischen Lage fühlbar wurde. Er fing zuerst an den großen Sieg zu bezweifeln, und bald konnte es sich Niemand mehr verbergen, daß zwar ein großes Blutvergießen bei[245] Eylau stattgefunden hatte, aber daß es für keine Partei entscheidend gewesen war. Ein Schimmer von Hoffnung erhielt sich noch; die Franzosen hatten doch auf jeden Fall einen sehr kräftigen Widerstand gefunden und nach diesem blutigen Tage keine bedeuten den Vortheile gewonnen.

Während solcher Spannung kam der Frühling heran. Die Wiesen bekleideten sich mit zartem, frischem Grün; der würzreiche Duft der Veilchen schwebte in den Thälern; tausend Blumen öffneten ihre Knospen und schimmerten der wärmenden Sonne in allen Farben entgegen; die Bäche waren von den Banden gelöst, mit denen sie der Winter gefesselt hatte, und schlängelten sich wie Silberbänder durch das frische Grün; das zarte Laub der Birken flimmerte wie duftiges Gold um die silbernen Stämme, indeß Buchen, Linden, Eichen und alle später sich belaubenden Bäume ernsthaft da standen und die Zweige mit den schwellenden Knospen in der lauen Luft wiegten, gleichsam als ob sie das voreilige Thun der andern tadeln wollten.

Noch kein Frühling hatte St. Juliens Herz mit so trunkenem Entzücken erfüllt, als dieser, und Emilie behauptete, ihn in solcher Schönheit noch nie erlebt zu haben; auch Theresens Seele öffnete sich dem holden Zauber, und die jungen Leute vergaßen allen Kummer der Welt, wenn sie auf den nahen Bergen umher schweiften oder durch die[246] blühenden Thäler einem klaren Bache folgten, bis er sich mit Brausen auf die Räder einer einsam gelegenen Mühle stürzte. Die älteren Freunde genossen mit Sorgen die schönen Tage, denn trübe und schwül wie ein Gewitter drückte die französische Macht das Land, und bange harrte man der Zukunft entgegen.

Endlich ward die Schlacht bei Friedland geschlagen, und wenige Tage danach wurde der Waffenstillstand mit Rußland geschlossen und gleich darauf der mit Preußen. Jetzt mußten alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft aufgegeben werden, denn Jedermann konnte voraussehen, daß ein höchst nachtheiliger Frieden diesem Waffenstillstande folgen werde.

In dieser Zeit hörte der Graf mit minderer Theilnahme, als wohl sonst in seinem Charakter lag, die Berichte des Predigers, der schon früher, wie er es versprochen hatte, Erkundigungen über alle Mitglieder der Hohenthalschen Familie hatte einziehen wollen, aber durch die unruhigen Zeiten daran war verhindert worden. Er konnte jetzt dem Grafen mittheilen, daß sein Verwandter, der den Prozeß gegen ihn habe einleiten wollen, in sehr bedrängten Umständen lebe, und daß vermuthlich das so wichtige Dokument, welches der alte Lorenz entwendet hatte, nur dadurch in die Hände des Grafen zurückgekommen sei, weil sein Vetter die erforderliche Summe nicht habe herbeischaffen können,[247] um dem alten Lorenz den Diebstahl zu bezahlen. Auf seine Erkundigung erfuhr der Graf ferner, daß sein feindlich gesinnter Vetter einen einzigen Sohn habe, der in der Schlacht bei Eylau verwundet worden sei und dessen Schicksal seine Eltern mit dem tiefsten Kummer erfüllte, weil man seitdem keine Nachricht mehr von ihm habe.

Der Graf beschloß nach diesen Nachrichten, sobald es die Umstände erlaubten, mit diesen fernen Mitgliedern seiner Familie in Verbindung zu treten und dann nach der Art ihres Betragens das seinige abzumessen.

Es war ein schöner, heitrer Nachmittag in der ersten Hälfte des Juli, als die Gräfin mit St. Julien und Emilie den Obristen Thalheim besuchte, der so sehr von den neuesten Begebenheiten niedergebeugt war, daß man für seine Gesundheit fürchten mußte. Der Graf hatte noch einige Rechnungen mit seinem Verwalter durchzusehen und versprach, den Uebrigen zu Pferde zu folgen. Eben waren seine Geschäfte beendigt, eben wollte er befehlen, sein Pferd vorzuführen, als das Schmettern eines Posthorns, das ein vielfaches Echo in dem engen Thale weckte, seine Aufmerksamkeit erregte. Er trat zum Fenster und bemerkte bald, wie ein leichter, glänzender Reisewagen mit vielen Bedienten durch die Schlucht flog und in den Baumgang einlenkte, der zu des Grafen Schloß führte. Der Wagen flog in den[248] Hof, zwei Bediente sprangen ab, um den Schlag eilfertig zu öffnen, und heraus stieg der General Clairmont, der eilig die große Treppe hinauf sprang und, ehe der Graf, der ihm entgegen ging, noch die Treppe erreichte, schon in dessen Armen lag. Ich mußte Dich noch sehen, mein guter, theurer Freund, rief der General, indem er dem Grafen herzlich die Hände drückte; ich kann nur eine Stunde bei Dir bleiben, ich bringe wichtige Befehle des Kaisers nach Paris, und ich machte den kleinen Umweg mit Freuden, um Dich noch ein Mal zu umarmen.

Der Graf dankte ihm für seine Freundschaft, und da er nur einen so kurzen Besuch ankündigte, so wurden sogleich einige Erfrischungen herbei geschafft, und beide Männer saßen bald in trauliche Gespräche vertieft, zu welcher Unterhaltung der General das Meiste in der heitersten Laune beitrug.

Weißt Du, rief er endlich, weßhalb ich mit solchem Entzücken nach Paris fliege? Es ist meiner Familie gelungen, eine Verbindung für mich zu schließen, die ich schon einleitete, ehe dieser Krieg ausbrach, und jezt werden meine Wünsche gekrönt; eine der schönsten Damen in Paris ist meine Braut, jung, reich, liebenswürdig, talentvoll und, sezte er mit Gewicht hinzu, von altem Adel. Und die Schöne, die in Deiner Begleitung war? fragte der Graf lächelnd.[249] Ach! rief der General, die lustige Dirne ist fort. Ich wurde bei Eylau, wo es verdammt heiß herging, verwundet, zwar nicht bedeutend, aber ich mußte doch einige Wochen zu Bettliegen; ich vertraute der leichtsinngen Person zu sehr, sie zeigte mir große Liebe, übernahm meine Pflege selbst und wich nicht von meinem Lager, und so kam es, daß ich, als ich eines Morgens nach einer ruhigen Nacht erwachte und erwartete, sie werde wie gewöhnlich, mein Frühstück bereiten, erfuhr, sie sei mit einem jungen Manne davon gegangen, der sich auch im Lager aufhielt und den sie für ihren Bruder ausgegeben hatte. Als ich nachsehen konnte, ergab es sich denn freilich, daß sie alles mitgenommen hatte, wozu sie hatten kommen können, aber mag es sein, ich fluche ihrem Andenken deßhalb doch nicht; da ich nun eine ernsthafte Verbindung schließen will, so hätte ich sie doch von mir entfernen müssen; und so mag sie dann immer ihren Raub als ihre Mitgift betrachten und einen deutschen Pinsel damit beglücken.

Es konnte nicht fehlen, daß die Unterhaltung bald die Gegenstände berührte, die für Alle die wichtigsten waren, und als der Graf des Waffenstillstands gedachte, rief der General: der Friede ist so gut wie geschlossen, und was ich nimmermehr geglaubt hätte, Preußen besteht noch. Der frühere Plan Napoleons, diese Monarchie gänzlich aus der Reihe[250] der Staaten verschwinden zu lassen, ist aus persönlicher Freundschaft für den russischen Kaiser von ihm aufgegeben worden. Freilich, fügte er lächelnd hinzu, werdet Ihr unschädlich gemacht, die Hauptfestungen bleiben in unsern Händen, eine Besatzung fürs Erste im Lande, aber Ihr besteht doch als Monarchie, und das ist bei der jetzigen Lage der Dinge etwas Großes zu nennen.

Eine dunkle Röthe des Zorns färbte die Wangen des Grafen, der in dem leichtsinnigen Freunde einen höhnenden Feind zu erblicken glaubte; mit Mühe hielt er sein Gefühl zurück und sagte mit unterdrückter Stimme: Es ist auch etwas Großes, daß Preußen noch besteht, und Wer weiß, was sich in der Zukunft daraus entwickeln kann.

Gewiß, fuhr der General scherzend fort, ohne des Grafen veränderte Stimmung zu bemerken, Manches werdet Ihr Euch jetzt müssen gefallen lassen. Napoleon verfolgt standhaft seinen Plan, England zu verderben, und da dieses Volk am Schmerzlichsten in seinem Handel verwundet werden kann, so müßt Ihr großherzigen Preußen dem Prohibitiv-Systeme beitreten und den Insulanern Eure Märkte verschließen; daraus folgt dann freilich, daß Eure alten Frauen und Kaffeeschwestern Napoleon verwünschen werden, weil er ihre Genüsse stört, aber dieser ohnmächtige Zorn wird Frankreichs Kraft nicht erschüttern.[251]

Gewiß, sagte der Graf, wäre es thöricht und kindisch von uns, an so armselige Genüsse zu denken, wenn das Vaterland untergeht, und mir scheint, es haben die denkenden Geister so triftige Gründe, so tief gefühlte Ursachen, Eures Kaisers eisernen Scepter zu verabscheuen, daß es dieser kleinlichen Dinge dazu nicht erst bedarf. Aber auch dafür wollt Ihr sorgen, so scheint es, daß auch der arme und beschränkte Geist jeden Tag und jede Stunde an seinen gegründeten Haß erinnert wird. Es ist ganz etwas anders, fuhr der Graf heftig fort, als er bemerkte, daß der General ihn unterbrechen wollte, wenn einem Volke eine Entbehrung auferlegt wird, die zu seiner Erhaltung dient, deren Nothwendigkeit es selbst fühlt und einsieht, und Frankreich wird vielleicht noch einmal erfahren, welche Entbehrungen die Preußen erdulden können, um ihr Joch abzuschütteln. In einem solchen Falle zu seufzen und zu klagen wäre unmännlich und verächtlich. Aber wenn ein Fremder das Recht des Sieges schnöde mißbraucht, wenn er, um unausführbare Plane zu verfolgen, den Armen selbst bis in seine häuslichen Einrichtungen verfolgt und drückt, so wird diesem Armen das weitere Nachdenken erspart und sein Haß wird ohne Geistesanstrengung genährt. So oft ein Armer den jämmerlichen Genuß eines angewöhnten Getränks entbehren muß, so oft die Frau eines in seinen Mitteln beschränkten Bürgers daran denken[252] muß, ihren Tisch so zu bestellen, daß sie den Zucker entbehren kann, eben so oft werden alle diese Menschen fühlen, daß ein furchtbarer Despotismus sich auf uns gelagert hat, und es wird der unerträgliche Druck, den Willkühr und Laune gegen das äußere Leben üben, im Volke gewiß einen eben so lebhaften Abscheu, einen eben so glühenden Haß entzünden, wie edlere Gründe bei dem gebildeten Theile der Nation, und wenn Frankreichs Kaiser, wie aus einem Herzen, von allen diesen Millionen verabscheut wird, so muß er unterliegen.

Halt! sagte der General ernsthaft, Dein Eifer führt Dich zu weit und Du bringst Dich in Gefahr, ohne Deiner Sache zu nützen. Ich kann es mir denken, wenn Ihr an Euerm König hängt, daß Euer Herz mit Kummer erfüllt ist. Ich sehe es ein, daß Eure National-Ehre gekränkt ist und dieß könnte auch einen Franzosen zur Verzweiflung bringen, aber wenn ich Dir so viel einräume, so gib auch Du zu, daß solche Rücksichten unsern Kaiser nicht hindern dürfen, sein großes Ziel zu verfolgen, und bedenke, daß die Zeit viel zu aufgeregt ist, als daß ungeahnet Reden, wie Du sie führst, geduldet werden können; bedenke, daß Du Dich dann nicht über Napoleon zu beklagen hast, wenn solche Unbesonnenheiten Dein Unglück herbeiführen, und wenn, wie es scheint, fuhr er lächelnd fort, die Kolonialwaaren zu Deiner Familienglückseligkeit nothwendig sind, so bin ich der Mann, der[253] Dir persönlich die Freiheit verschaffen kann, so viel davon kommen zu lassen, daß Du die Wohlthat selbst auf Deine Bauern ausdehnen kannst.

Der Graf mußte lachen, sich so wenig verstanden zu sehen; indeß gab er dem besorgten Freunde darin Recht, daß die gegenwärtige Zeit mehr Vorsicht erheische, und er versprach ihm diese Vorsicht zu üben.

Und nun, rief der General, lebe wohl! Meine Zeit ist gemessen, empfiehl mich Deinen Damen, deren Anblick, wie es scheint, mir versagt bleiben soll, ich mag als Feind oder Freund erscheinen, und doch gestehe ich, ich hätte gern der Frau meine Huldigung dargebracht, die Dich Philosophen zu fesseln vermochte. Nachdem er den Grafen mit Herzlichkeit umarmt hatte, eilte er die Treppe hinunter, sprang in den geöffneten Wagen, und dahin flog die leichte Equipage durch den Baumgang, und bald schmetterte das Posthorn und weckte das Echo in dem engen Thale von Neuem. Der Graf stand und schaute dem enteilenden Freunde nach, bis sich die Töne in der Ferne verloren.

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 1, Breslau 1836, S. 240-254.
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