[NIcht schäme dich / du saubere Melinde]

1.


NIcht schäme dich / du saubere Melinde /

Daß deine zarte reinligkeit

Der feuchte mond verweist in eine binde /

Und dir den bunten einfluß dräut.

Der große belt hegt ebb' und flut /

Was wunder /wenns der mensch der kleine thut.


2.


Die röthligkeit bey deinen bunten sachen

Hat niemahls deinen schooß versehrt.

Wie muscheln sich durch purpur theurer machen /

So macht dein schnecken-blut dich werth.

Wer liebt ein dinten-meer wohl nicht /

Weil man daraus corallen-zincken bricht?


3.


Nur einmahl bringt das gantze jahr uns nelcken /

Dein blumen-busch bringts monatlich /

[69] Dein rosen-strauch mag nicht verwelcken /

Sein dorn /der hält bey dir nicht stich /

Denn was die sanfften blätter macht /

Das ist ein thau von der johannis-nacht.


4.


Kanst du gleich nicht die lenden hurtig rühren /

Lobt man dich doch im stille stehn /

Der augenblau wird leichtlich sich verlieren /

Denn wirst du seyn noch eins so schön.

Man sammlet /spricht die gantze welt /

Viel besser frucht /wenn starcke blüte fällt.


5.


Laß mich darum doch keine fasten halten /

Ein könig nimmt den schranck zwar ein /

Doch muß er fort /wann sich die wasser spalten /

Der geist muß ausgestossen seyn.

Man geht /wie iedermann bekandt /

Durchs rothe meer in das gelobte land.

Quelle:
Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte erster Teil, Tübingen 1961, S. 69-70.
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