An Calisten

Ich kan mir nicht mehr widerstreben;

Die schönheit flößt mir das gelüsten ein.

Im Paradieß kan keiner leben /

Und ohne fall und fehl-tritt seyn.

Dein Edens-platz / mein kind Caliste /

Zieht meine hand

Auff deinen kreyß der rundten brüste /

Und meinen leib in dein gelobtes land.


Der lentz pflegt uns in herbst zu leiten;

Das jahr läst uns nach blumen früchte sehn:

laß mich doch auch nach deinen zeiten

In deinen anmuths-garten gehn.

Mein frühling ist ein kuß gewesen /

Laß aus der schooß

Mich endlich reiffe früchte lesen /

Wie in dem stand der unschuld nackt und bloß.


Du kanst den leib mir nicht verschliessen/

Von welchem du mir schon das hertz entdeckt.

Laß unsern geist zusammen fliessen /

Weil doch kein kuß ihm selber schmeckt.

Vergrabe mich in helffenbeine /

Voll fleisch und blut;

Denn werd ich gleich darinn zum steine /

So weiß ich doch/ daß es mir sanffte thut.


Eröffne mir das thor zum lande /

Wo zucker rinnt / und wollust tafel hält;

Laß meinen kahn am engen strande

In deine neu-erfundne welt.

Du darffst dich nicht / Caliste / schämen;

Das feigen-blat /

[410] Das Eva für sich muste nehmen /

Zeigt und verdeckt nicht unsre lagerstatt.


Bestraffe mich mit keinem tadel /

Daß deinen schooß mein hertze lieb gewinnt;

Denn der magnet forscht mit der nadel /

Biß er den mittel-punct ergründt.

Ein schäfgen weidt in thal und auen /

Wo schatten ist;

Mein hertze will das deine schauen;

Drum such ich es / da / wo du offen bist.

Quelle:
Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte erster Teil, Tübingen 1961, S. 410-411.
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