Monologsatz

[202] Gerichtet an das Bildnis einer Rokokofürstin in Fulda


O schöne Dame, deren Asche nun

Wer weiß wie lang im Kupfersarge ruht

(Groß ist gewiß die Trauerweide schon,

Die drüber ihre Zweige fallen läßt,

Schmalblättrige: wie ihre Hände schmal

Und ebenso graziös im Hin und Her), –

O schöne Dame, deren Brünnlein einst

So lebhaft plapperte, wie – nun, wie jetzt

Der schönen Damen Brünnlein plappern, und

Die doch so stolz war, wie wir Heutigen

Nur selten Stolz wahrnehmen bei der Frau

(Weil, ach, so selten heute Adel ist), –

O schöne Dame, deren Namen wohl

Ins Grab versank, wie dieser Lippen Rot

Und dieser Augenbrauen seidnes Schwarz:

Du hattest mehr als einen Dichter einst,

Gewiß ein Dutzend wohl, und Dutzende

Von schwärmenden Verehrern voller Geist:

Doch keinen, der dich jemals so verliebt

Anschaute wie jetzt ich, denn, sieh, mir ist,

Als säh ich meine Dame jetzt in dir,

Von der ich nun seit Tagen ferne bin,

Und der ich immer huldige, wo nur

Mich edle Schönheit, stolze Güte grüßt.


(Aus einem Reisebriefe von 1905.)


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, München 1921, S. 202-203.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ausgewählte Gedichte
Ausgewählte Gedichte