Erste Scene

[38] Veit, gleich darauf Gertrud.


VEIT sitzt an dem kleinen Tischchen im Lehnstuhl, die Pfeife im Mund, eine Zeitung in der Hand, einen Bierkrug und ein Stück Brod vor sich und liest. Hm, geht doch heidenmäßig in der Welt zu, alle Tag' was Anders – man ist ordentlich kein Mensch mehr, ehe man seine Zeitung verschluckt hat. Lachend. Bin mein' Seel, lieber der Werninger, als ich König von Italien sein möcht! Brauch doch Keinen nicht zu fragen, wann ich einen Baum schlagen lassen will! Wollt's Einem schon vertreiben der mir sein' Nas' in die Sonnwirthschaft[38] stecken wollt! Horchend, man hört, sehr entfernt, eine Beethovensche Sonate spielen. Da schlagt die Rosel wieder das Clavier – statt daß sie arbeiten thät. Finster. Sollt's ihr nicht leiden, dem Faulpelz! Aufhorchend, mit leuchtendem Gesicht. Schön klingen thut's aber und können thut's das Kind auch! Klopft mit den Fingern den Tact auf dem Tisch, summend. Dideldum, dideldum! Steht doch nichts auf gegen die Musich! Die erste Silbe zu betonen. da hat man doch was für sein Geld!

GERTRUD von rechts, eilig. Du, Alter – was meinst –

VEIT immer nach oben hinauf horchend. St! St! Sachte, Frau!

GERTRUD. Sachte? Ich? Ja warum denn?

VEIT deutet nach oben. Hörst denn nicht? Die Rosel schlagt das Klavier.

GERTRUD. Ei, so soll doch der Guckuk! Nicht genug, daß das Mädel müßig da droben sitzt wie eine Hofdam' – der Alte legt auch die Händ' in Schooß, um der Narrethei zuzuhorchen!

VEIT nickt sehr zufrieden. So! Jetzt ist das Stück abgespielt. Na was soll's, Alte?

GERTRUD. Ja, was soll's! Ich hab' Dich fragen wollen ob Du meinst daß es genug ist, wenn wir für übermorgen zu des Balzers Hochzeit drei Kälber und acht Gäns' schlachten? Hast aber gewiß keine Zeit zur Antwort!

VEIT. Jetzt schon! Der Balzer hat achtzig Gäst ansagen lassen –

GERTRUD. Was – achtzig? Hat ja geheißen nur Vierzig?

VEIT. Der Alte war gestern bei mir auf der Schneidmühl, 's kommt die ganze Verwandtschaft der Braut; sollen uns auf achtzig einrichten.

GERTRUD die Hände faltend. Und das sagt der Mann heut erst? Da müssen ja gleich drei Kälber mehr geschlachtet werden.

VEIT rauchend, etwas verlegen. Hab's gestern vergessen!

GERTRUD. Glaub's gern! War ja der Weinreisende aus dem Elsaß wieder da, der Dir immer den Kopf beduselt mit seinen Flatusen über die Rosel!

VEIT schmunzelnd. Ist ein gewichster Kerl' – hat aber Hand und Fuß was er schwätzt! Gestern hat er wieder verzählt daß die Leut sagen: »Der Werninger brauch' kein Aushängeschild mehr, seine Rosel sei Sonn' genug.« – Mit großer Befriedigung, nimmt einen Schluck aus seinem Krug. Ja – das hat er gesagt, mein' Seel!

GERTRUD trocken. Und heut' früh war er fort – und hat vergessen für acht Tag Logis die Zech' zu zahlen.

VEIT verblüfft. So!

GERTRUD. Und hat Dir nicht verzählt, daß die ganze G'meind' jetzt der Rosel den Spottnamen: die Hofdam' angehängt hat, gelt?

VEIT. Der pure Neid! Gehen dafür nicht alle Gäst von auswärts mit der Rose um wie mit einer Prinzeß? Reden nicht sogar die kecksten Bauernsöhn' leiser wenn sie manchmal durch's ordinair Gastzimmer geht? Das Kind hat einmal was Vornehmes an sich – das spürt ein Jeder!

GERTRUD. Ich spür' nichts, als daß Du vor Eitelkeit überschnappst, denn Du thust nichts mehr, als die Rosel bewundern, läßt sie lange Kleider tragen, rufst sie: Rose, weil sie Rosel nicht hören kann,[39] siehst's ruhig mit an, daß sie droben in der Stub sitzt, den ganzen Winter zu keinem Tanz zu bringen war –

VEIT wichtig. Darf sie nicht – hat der Doctor aus Freiburg ja verboten! Sie leid't an den Nerven hat er gesagt!

GERTRUD. Ja, gesagt hat er's. Aber von den Nerven hat man im Schwarzwald nichts gehört, seit die erste Eich' Wurzel geschlagen hat! Mach Du mir nichts vor, Alter – Du bist auch nicht blind – Du thust nur so, als merkst Du nichts.

VEIT grob. Was – was sollt ich merken?

GERTRUD. Daß Alles kommen ist, wie ich Dir's vorhergesagt hab'! Schmerzlich. Die Rosel ist fremd worden in der Heimath, und wann das seelengute Kind auch kein Wort sagt, und niemals klagt, ich seh' ihr's doch an –

VEIT zornig. Was siehst ihr an?

GERTRUD mit einem schweren Seufzer. Daß sie nicht glücklich ist und nicht mehr zu uns taugt!

VEIT springt auf. Will Dir sagen was Du siehst; daß Du die Rosel nicht kommandiren kannst wie Unsereinen, gelt? Sie sagt nichts – sie widerspricht Dir niemalen nicht, aber sie geht ruhig ihren eignen Weg; das ist die Frau Sonnwirthin nicht gewohnt von ihren Leuten, und das vertragt sie nicht! He? Und weil Du mir damals angekündigt hast: »wenn die Rosel heim komm und sei mir zu neumodisch, und ich fluch' und schimpf mit ihr – so nehmst Du Parthei für das Mädel gegen mich«, so machst jetzt den Advocaten gegen die Rosel, weil ich nicht schimpf', weil sie mir nicht zu neumodisch ist – weil sie mir auf's Wort folgt und weil ich stolz bin auf das Mädel! Hä? Das ist der Nagel –

GERTRUD ruhig. Den Du nicht auf den Kopf troffen hast, Alter. Ich hab mich der Rosel auch nicht zu schämen, sie ist eine gute Tochter, die uns mehr Ehr' macht, als es für Leute wie wir, nöthig wär'. Aber das schneidet mir in die Seel', daß Du nicht an das Dorle denkst, auf die Du erst recht stolz sein kannst, die sich das Herz im Leib brochen hat, um die Rosel dem Leblanc aus den Klauen zu reißen, der sie für sein liederlichen Sohn hat haben wollen.

VEIT zornig. Wär' mir eine schöne Weihnacht gewesen, das! Hätt' mich zum wortbrüchigen Mann ge macht, denn der hat's gewußt, daß die Rosel eine Braut ist! Ja, das war brav vom Dorle – muß wahr sein. Hat halt nicht glaubt, daß der Steffen von ihr lassen könnt!

GERTRUD. Wohl hat sie's geglaubt; denn sie kennt den Dickkopf und hat mich eine Stunde vor der Abreise heilig geloben lassen, daß ich's der Rosel niemals zu wissen thun, warum sie mit dem Steffen auseinander sei. Reut mich heut noch, daß ich's ihr versprochen hab'! – Na, der Steffen hat das Dorle richtig sitzen lassen und hörst Du ein Wort von ihr über den schlechten Burschen, oder siehst Du ein unfreundliches Gesicht von dem Kernmädel? Die weiß nichts von Nerven, arbeit' von früh bis spät und molestirt keinen Menschen mit ihrem Leid. Aber die Rosel sitzt ganze Nächt' auf dem Hirschensprung, schwätzt oft Tage lang kein Wort, sieht nicht einmal daß das Dorle kreuzunglücklich ist – und das Alles, weil sie Heimweh hat nach dem[40] vertrackten Paris. Und das End' vom Lied wird sein, daß Du sie wieder in's Frankreich hineinschicken kannst! Das kommt von Deiner Weisheit.

VEIT auffahrend. Bist närrisch?


Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Gesammelte dramatische Werke, Band 10, Leipzig 1863, S. 38-41.
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