Fünfte Scene

[89] Sonnenberg. Rösel.


RÖSEL hinter dem Gitter. Dort oben sind die Fenster des Junkerganges; aber vor den verwünschten Sträuchern kann man nichts sehen. – Es ist schon ganz Morgen, ich meine, nun müßte man doch bald Etwas erfahren – aber es ist noch Alles so todt und still, als wäre es tief in der Nacht. Sie bleibt vor dem Gitterthore stehen. Ach, wer da hinein könnte, da ließe sich's heimlicher lauschen, als hier draußen. – Sie faßt die Stäbe, und lehnt das Köpfchen an die Thüre. Ach, da drinnen ist's herrlich! Die Thüre weicht von dem Druck. Ach, es ist ja offen hier – nun könnte ich hineingehen, wer darf mir's wehren? Sie öffnet nur halb, und schlüpft hinein. Da bin ich ja schon! Tief Athem holend. Ist mir's doch, als hätte ich recht was Böses gethan, ach, und 's ist doch nur die Sorge um den armen Junker. Der Antonio, sagten sie, wär' schon abgereist, aber ich glaub's nicht recht. Wo bekomm ich nun Nachricht, als bei dem Junker selbst? – Die ganze Nacht konnte ich kein Auge schließen, und wie der Tag graute, stahl ich mich schon fort, was hilft's! – wenn ich den Junker nun anrede auf der Straße, ist er vielleicht stolz geworden, und gibt mir gar keine Antwort. Aergerlich. Warum haben sie ihn auch zum kaiserlichen Leibjunker gemacht;[89] jetzt wird er die arme Pfeffer-Rösel nicht einmal mehr küssen. Sie ist während dieses Selbstgesprächs nach und nach vorwärts gegangen, so, daß sie jetzt ganz vorn steht, aber auf der entgegengesetzten Seite, wo der Junker schläft. Pfui, Rösel, das war ohnedem nicht recht. Seufzt. Aber ist denn ein Kuß gar so was Böses? Ich denke doch so gerne daran, und je öfter ich daran denke, je lieber denke ich daran. – Ach einmal, nur einmal möcht ich den Junker noch sprechen, daß er mir selber sagte: Wehmüthig. ob er es denn so schlimm mit mir meint. Der Junker macht eine leise Bewegung im Schlaf, Rösel wendet sich erschrocken um, und fährt vor Schrecken bis an's andere Ende der Bühne, da sie den Junker erblickt. Gott steh' mir bei, da ist er selbst! Sie steht athemlos, preßt die Hände auf's Herz, und sagt in der heftigsten Bewegung. Was wird er von mir denken? – was werden die Leute denken, wenn sie mich hier sehen? Sie betrachtet ihn froh. Aber er schläft ja? er rührt sich nicht – wahrhaftig, er schläft! Sie geht wieder etwas näher, beruhigt. Im Schlafe kann er mir nichts thun; er liegt ja so fromm! was er wohl träumen mag? wie schnell er Athem holt! Sie tritt wieder näher. Und wie hübsch er ist, ach, Jemine, wie schrecklich hübsch! So nahe und lange hab' ich nie noch mir getraut, ihn anzusehen. Sie stellt sich auf die Zehen. Es ist doch ganz ein ander Ding, wenn einer die Augen zu hat, da hat man gleich Courage. Aber, wenn er jetzt hersähe? – Sie bedeckt, sich schnell abwendend, das Gesicht mit der Hand. Huh, das wär' eine Schande! Sie dreht langsam den Kopf, und sieht durch die gespreitzten Finger nach ihm hin. Er sieht nicht her! – Er hat wohl lang gewacht,[90] daß er so fest schläft! Neugierig. Ei schau – was guckt denn da für eine Kapsel heraus, das ist am Ende gar – gewiß – das ist das Conterfei von seiner Liebsten. – Hat er denn eine Liebste? – Ach Rösel, wenn du das wüßtest – Sie legt die Hand auf's Herz, schmerzlich. Das möchte dir recht gesund seyn. Sie sieht sich nach allen Seiten um, leise. Es ist noch Alles still – er schlummert fest; wenn ich – Sie schielt nach der Kapsel. Pfui, Rösel, das ist abscheulich! wenn ich aber doch – nur einmal ansehen, und Sie kommt immer näher. wacht er auf, so lauf ich davon. Sie schleicht auf den Zehen hin, faßt mit zwei Fingern die Kapsel, und zieht an derselben das Pergament mit heraus, sobald sie es hat, bleibt sie vor Schreck regungslos stehen, ohne den Muth zu haben, weder rechts noch links zu sehen. Gottlob! er schläft fort – Sie schleicht von ihm weg, und betrachtet ihren Raub. Da habe ich einen schönen Fang gethan! Ein altes Pergament! Sie macht die Kapsel auf. mit einem großen Wappen d'ran, ist das sein Liebchen? Froh. Das mag ich ihm gönnen. Aengstlich. Doch – wenn er nun erwacht, und sucht das Pergament? den Pack kann ich ihm nicht mehr in den Koller stecken, das wäre tollkühn. Immer banger. Gott! was fang' ich damit an? Sie sieht nach ihm hin. Aha – hier leg' ich's unter das Barett – wenn er es nimmt, muß er es finden, und ich mache mich aus dem Staube. Sie schleicht hin, erhebt leise das Barett, und versteckt die Pergamente darunter. Die Bank muß auf einem erhöhten Tritt stehen; als sie zurücktreten will, gleitet sie, und fällt so, daß sie knieend vor dem Junker liegt, schreit. Ach![91]

SONNENBERG fährt auf. Was ist's – Er sieht Röschen. Mein Röschen, Du?

RÖSEL in schrecklicher Verlegenheit. Ach, nein, nein, Herr Junker! – ich bin's nicht! – ich war – ich wollte –

SONNENBERG milde. Hast Du hier meinen Schlaf belauscht?

RÖSEL angstvoll. Ach, denkt nur nichts Arges, ich – ich sah Euch schlafen, und da konnt' ich nicht mehr fort, ich mußt' Euch immer ansehen, und wieder ansehen, und da – Sie bricht plötzlich in Thränen aus, und bedeckt das Gesicht mit beiden Händen.

SONNENBERG. Und da? Und da? Er zieht ihr langsam die Hände vom Gesicht, und legt sie, in den seinigen gefaltet, auf sein Kniee, so daß Rösel sich zu ihm hinüberbiegen muß. Mein süßes Röschen, und was war da?

RÖSEL. Fragt mich nicht so, mein lieber Junker! Sagt auch nicht Röschen zu der armen Pfeffer- Rösel, das ist ja viel zu vornehm für mich, und macht mir nur das Herz recht bang und schwer.[92]

SONNENBERG legt leise seinen Arm um ihren Nacken. Und warum, Du holdes Kind?

RÖSEL. Ja seht, wenn Ihr so lieblich sprecht, so ist mir gleich zu Muthe, als stünd' ich Euch nicht gar so fern, als wären wir uns schon lange zugethan mit Seel und Leib, und als dürfte ein treues Herz wohl auch dem vornehmen Junker sich ergeben in warmer –

SONNENBERG. In warmer – Liebe – sprich es aus, mein Röschen, wolltest Du so sagen?

RÖSEL sieht ihn einen Augenblick schweigend an, dann nickt sie treuherzig mit dem Haupt.

SONNENBERG springt auf, und reißt Rösel mit sich empor in seine Arme. Röschen, Du bist mein! Ich liebe Dich von ganzer Seele.

RÖSEL an seinem Hals. Ach, Junker, so geht es ja mir auch! – Horchend. Horch! was ist das? Sie reißt sich aus seinem Arm. Es nahen Bewaffnete – wenn man mich hier – hier bei Dir fände – die Schande! – dort! – Sie springt hinter die Hecke, und verkriecht sich hinter dem Piedestal der[93] Diana, dann winkt sie mit der Hand hervor. Auf Wiedersehen, mein Junker!


Der Junker sieht ihr träumend nach.


Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Pfeffer-Rösel oder Die Frankfurter Messe im Jahr 1297. Wien 1833, S. 89-94.
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