Erste Scene

[31] Baron. Krabbe. Magister.


BARON sitzt rechts im Armstuhl und raucht. Aber zum Teufel, Magister, wie konnten Sie den Jungen so aus der Art schlagen lassen! Nicht zu wissen, wo er zu finden ist! Seit vier Stunden sitze ich nun hier wie eine Puppe im Thiergarten und kann mein entartetes Fleisch und Blut nicht zu Gesicht kriegen!

MAGISTER kläglich. Ja, liebster Gott, wer soll solche junge fanatisirte Brut heut zu Tage im Zaum halten? Heute dinirt er bei Mielenz, morgen in irgend einer Keller-Spelunke, wie es ihm Mit einem grimmigen Blick auf Krabbe. oder seinem zweiten Ich, dem Herrn Krabbe, einfällt. Sie gehen stets zusammen aus, wie sie aber nach Hause kommen, weiß ich nicht, denn ich habe dem Herrn Baron meinen Schlaf nicht verkauft, wie der Mann im Mährchen – um zehn Uhr liege ich auf dem Ohr, und wenn sie vor meinem Fenster Kanonen abfeuern! Das aber habe ich in drei Monaten nicht erlebt, daß einer der jungen Herren früher nach Hause kam.

KRABBE kläglich. Aber du Gerechtester, was thun sie denn draußen?

MAGISTER. O, sie haben schwere Arbeit! Herr Julius Zum Baron. versichert, daß er sehr viel zur Erhaltung der Ruhe auf den Straßen beiträgt.

BARON trocken. So! O ja, sieht ganz danach aus! Hatten wir doch gleich eine Versammlung von ein paar Hundert Straßenjungen um die[31] Droschke, als Herr Krabbe ausstieg, und als er mich »Herr Baron!« nannte, da brüllte die liebe Jugend aus einem Halse: »Ein Reactionär! Ein Reactionär!«

KRABBE. Es ist ein schauderhaftes Treiben hier, Gott du Allgütiger! Und was das Alles für Geld kostet!

BARON ausspringend. Ja, zum Wetter, das ist ja eben das Unbegreifliche! Meinen Banquier hat er auf eine fürchterliche Weise angepumpt; ich erwarte jeden Augenblick den alten Gottlieb zurück, den ich hinschickte, um das Sündenregister zu holen! – Werde schöne Dinge zu hören bekommen. Sagen Sie mir nur, Magister, was macht er mit all dem Gelde?

MAGISTER reibt sich die Hände. Ei, Herr Baron, er macht die Mode mit, läßt Fenster einwerfen, Katzenmusiken besorgen, Fahnen sticken, stattet Freischärler aus, und das Alles, versichert er mir, kostet gräßliches Geld.

BARON mit dem Fuß stampfend. Da schlag' das Wetter drein!

KRABBE zum Magister. Aber wenn der Herr Julius, Zum Baron. der Ihre, meine ich, alle die schönen Siebensachen bezahlt, wie kommt denn der meine zu den heillosen Schulden, von denen mir die Pasewalkern schreibt?

MAGISTER. Da fragen Sie mich zu viel! Ich bin nicht der Hofmeister Ihres Julius, Herr; ich habe mich gewahrt genug, als mein junger Herr Ihrem Sohn das Zimmerchen dort Auf links zeigend. anbot; dieses moderne Volk hat gar keinen Sinn für den Unterschied der Stände, das schließt Freundschaft in's Blaue hinein, auf Leben und Tod! – Wir haben hier Alles gemeinschaftlich, nur nicht unsere Ansichten! Die beiden Herren Studiosen sind wüthende Demokraten oder gar Republikaner – da können Sie sich einen Begriff machen, was ich friedlicher Mann ausstehe! – So oft ich meine Warnungsstimme erhebe, heißt es: »Schweig, alter Reactionär, still, philiströser Maulwurf!« – Freiheit und Brüderschaft und Gleichheit und Menschenrechte[32] und breiteste Grundlage – das sind so die Schlagwörter, auf die ich denn auch gar nichts zu antworten weiß!

KRABBE faltet die Hände. Herr Gott, das ist eine Zeit!

BARON hin und her gehend. Es kommt nur darauf an, wie man die Zeit nimmt, mein lieber Herr Krabbe! »Nur nicht verblüffen lassen!« heißt das elfte Gebot. Ich sage Ihnen, ich habe auch meine Schlagworte, die tüchtig klappen, wollen doch einmal sehen, wer das letzte Wort behält!

KRABBE sich zusammennehmend, steht auf. Na, ich werde meinem Julius auch nichts schuldig bleiben! Nach Glognitz muß er mit mir, und meine Pathe, die dicke Trude, heirathen oder ich enterbe ihn! – Will mir doch einmal seine Kajüte ansehen! Da hinein? Zum Magister.

MAGISTER zeigt auf die Thür links. Da hinein!

KRABBE im Abgehen. Gott, was bin ich für ein erbärmlicher Vater! Links ab.

BARON ihm nachsehend. Ja, das muß wahr sein!


Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Vatersorgen. Berlin 1849, S. 31-33.
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