Wie Gott will

[100] Nach der Singweise: Warum betrübst du dich, mein Hertz, usw.


1.

Dein Will, O GOTT, sey meines Willens-Will!

Dein Gnaden-Raht sey meiner Wünsche Füll.

Erfüll es nicht, O Gott,

Wann, was der Seel nicht selig hier,

Mein thörichts Fleisch begehrt von dir.


2.

Du, weiser Gott! du weist, was mir gebricht,

Ich – was mir nützt, das weiß ich selber nicht

Und wünsche, was mir schadt.

Mein Sinn, was vor mir ist, vergist:

Wie solt er sehn, was künftig ist?


3.

Was schreib ich viel dir meine Notdurft für?

Du weist, was gut, und gibst es gerne mir,

Du treues Vatter-Hertz!

Ach! schenkst du uns doch unbegehrt,

Hast ungebetne Bitt gewährt.

4.

Du meinst es gut; bös ist oft, was ich meyn,

Es sey mir nütz, und richte nach dem Schein, –

Ist doch mein bittrer Schad.

Ich seh ihn nicht: den sihest du

Und lässest, ob ich will, nicht zu.


5.

Was ist und war und was noch werden wird,

Dein weiser Raht schon in Gedanken führt,

Eh ich noch worden war.

Der mich ohn mich aus nichts gemacht,

Hat längst mein gutes vorbedacht.


6.

Der dieses Rund in seinen Armen hält,

Der alle Haar auf meinem Haubt gezählt,

Der alles weiß und kan:

Solt der mein Bästes wissen nicht

Noch geben können, was gebricht?


7.

Er hasset nicht, was er zur Welt gebracht,

Und liebet stets, was seine Hand gemacht.

Mein Lieben ist mir feind,

Sein Lieben hat mein Heil zum Ziel,

Das meine mich erwürgen will.
[101]

8.

Zwar uns verklagt die Sünd vor deinem Thron,

Die Bosheit heischt von dir auch bösen Lohn.

Doch gehet Gnad vor Recht.

Dein Sohn die Schläge für uns hielt,

Durch Ihn bey dir Erbarmung gilt.


9.

Wer lebet fromm, so viel ein Mensche kan,

Den sihest du mit Langmut-Augen an,

Wann er aus Schwachheit fällt.

Bald aber auch dein Zorn ergreift

Den, der beharrlich Sünden häuft.


10.

Mein Sinn ist blind, kennt deinen Willen nicht;

Laß gehen auf in mir der Weisheit Liecht,

Herr! daß ich sehen mög.

Wann du mich willig haben wilt,

Pflantz in mir deines Willens Bild.


11.

Ich thue nicht das gute, das ich will;

Das ich nicht will, das Böse, ich erfüll

Und kämpfe so mit mir.

O Gott, mach du das Gute fäst,

Biß daß das Böse von mir läst.


12.

Ich bitte dich: laß mich nichts bitten sehr,

Auf daß es mich, ists böse, nicht gefähr.

Ists gut, du wirst es mir

Wol schenken auch ohn meine Bitt,

Wann ich an dir nur zweifle nit.


13.

Will ich, was du, so wilst du, was ich will.

Wilst du dann nicht, wer ist, der mir erfüll

Mein Wollen sonder dich?

Will ich auch nicht, so muß ich fort:

Es muß geschehn dein Will und Wort.


14.

Herr! wie du wilt, so soll mein Wille seyn.

In Lieb und Leid bin ich und bleibe dein,

Im Leben und im Tod,

In Schmach und Ehr, arm oder reich,

Krank und gesund: gilt alles gleich.
[102]

15.

Fahr hin, mein Will, ihr Sorgen, gute Nacht!

Gott will mir wol, vor mich sorgt seine Macht,

Die alles, alles kan.

Euch folg ich nicht, Höll, Fleisch und Welt!

Des Himmels Will mir nur gefällt.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 5, Hildesheim 1964, S. 100-103.
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