593. Der Jäger und die Müllerstöchter.

[369] Mündlich.


War mal ein Müller und der hatte drei Töchter. Eines Tages kam ein fremder Jägersmann und hielt um eine derselben an. Der Müller gab das Jawort und die Heurat ward vollzogen. Beide fuhren ab nach des Jägers Heimat, kamen in ein uraltes Schloß. Eines Tages ging der Jäger auf die Jagd und gab seiner Frau ein Ei und einen Schlüssel. Drohte ihr aber an, da und da dürfe sie nicht hinein, es seien lauter Bären und Wölfe drinnen. Jäger war kaum fort, da stach es die junge Frau in die Nase, was doch wol in dem verbotenen Gemach drinnen sein möge. Nahm den[369] Schlüssel, machte auf und, o, welcher Schrecken, es waren lauter Todtenschädel drinnen und Alles voll Blut. Jägerin ließ im Schrecken das Ei fallen, welches ein blutiges Mäslein bekam. Der Jäger kehrte heim und fragte zu allererst, »Weib, wo hast du dein Ei?« Sie zeigt es, er nahm das Schwert und hieb ihr augenblicklich den Kopf ab, trug sie in den Keller und hob sie dort auf. Bald darauf kam der fremde Jäger wieder in des Müllers Haus, um eine andere Schwester zu holen. Sie hätten's, sagte er, recht gut bei ihrer Schwester zu Hause, eine müsse noch zur Aushilfe mit ihm. Wirklich fuhren sie ab, wieder dem alten Schlosse zu. Jäger ging wieder auf die Jagd und gab der jungen Müllerin die Schlüssel und ein Ei. Verbot ihr strengstens in jenes Gemach hinein zu gehen, weil lauter Wölfe und Bären darin seien, die sie fressen. Dachte die junge Müllerin, ich muß doch mal dort hinein gehen und sehen, was drinnen. O Schrecken! sie sah den Kopf ihrer Schwester, ließ das Ei fallen, das im Blute herum schwamm. Nahm das Ei wieder und legte es an ein Plätzlein hin. Jäger kam bald heim und seine erste Frage war: »Wo hast du dein Ei?« Hier hab' ich's und im Nu hieb er ihr den Kopf ab, schaffte sie in den Keller und hob sie auf. Der Jägersmann erschien bald darauf wieder in der Mühle. Wollte auch die dritte und lezte Tochter des Müllers haben, weil es den andern beiden Schwestern so gut bei ihm gehe. Auch dies gestattete der Vater und beide fuhren wieder dem alten Schlosse zu. Schwester fragte nach den Ihrigen, Jäger aber gab zur Antwort, sie werden gestorben und begraben sein, ging auch bald fort auf die Jagd. Gab der Müllerin das Ei in einem Lümplein und Schlüssel, sie solle ja nicht in dieses Gemach hinein gehen, es seien Wölfe und Bären darin, welche sie fressen.[370] Kaum war der Jäger fort, so ging sie zu allererst in das verbotene Gemach und sah, o Schrecken, ihrer Schwestern Todtenköpfe und ließ das Ei fallen, schrie immer laut auf. Der Jäger kam heim, fragte wiederum: »Wo hast du dein Eilein?« Hier, und siehe, es hatte kein Mäslein. Und der Jägersmann that ihr nichts zu leide. Sie schrieb ihrer Mutter und ihrem Vater, wie gut sie es hätte. Machten bald miteinander eine Reise in die Mühle und füllten eine Kiste mit Gold und Silber und Seidenkleidern. Unten hinein verbarg sie die Schädel der beiden Schwestern. Müller fragte gleich, ob Alles in Ordnung sei. Sie antwortete ihm: »Es werde doch Alles besorgt werden.« Sie gingen wieder fort und die Tochter sagte freudig, ich hab's gut, schaut nur mein Gold und Silber an. Als sie auf ein Tuch kamen, sagte die junge Müllerin: »Mutter, leider muß ich euch auch noch etwas sehen lassen. Es sind die zwei Köpfe meiner Schwestern.« Sogleich fuhr sie wieder in's alte Schloß mit dem Jäger, nahm Alles mit sich, merkte aber, daß es ihr um kein Haar besser gehen werde, als ihren Schwestern. Nahe war's daran, und sie floh noch glücklich aus dem alten Mörderschlosse. Sie kommt zu einem Fuhrmann, bittet ihn, er möchte sie aufsitzen lassen. Deß weigerte sich dieser, sie ging weiter und kam zu einem zweiten Fuhrmann. Der läßt sie aufsitzen und verbirgt sie unter seinen Futtersäcken. Der Jäger und Räuber vom alten Schlosse sezte ihr eiligst nach und kam zu dem Fuhrmann. Der sagte, sie wäre eben da hinunter, was der Jäger nicht glaubte. Fuhrmann mußte Säcke abladen, und als sie bis zum viertlezten kamen, glaubte der Räuber, daß sie nicht drunten sei. Die Müllerstochter aber war drunten und kam so glücklich in die Mühle zu Vater und Mutter und lebte noch viele Jahre.

Quelle:
Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 369-371.
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