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[240] Ich werde dem jungen Romanendichter nichts über den Reiz des Neuen, des Unerwarteten, des Wunderbaren, der Schicklichkeit, des Anstandes, der Simplicität, der Naivete, der Mannichfaltigkeit, der Aehnlichkeit und des Kontrastes sagen. Es giebt Bücher, aus denen er das lernen kann, was ich ihm hier sagen könnte; und diese Bücher sind bekannt. Ich habe unter den Gegenständen, die die belebte Natur ihm als Materialien zu seinem Werke darbeut, nur einige, – nur die berühren wollen, über die ich noch etwas sagen zu können glaubte. Ich habe überhaupt mehr Winke, mehr Anlaß zum Denken, als vollständige Abhandlungen geben wollen; und wenn ich meinen Zweck erreiche: so hab' ich vielleicht mehr gethan, als alle Vollständigkeit hätte thun können. –

Es ist ein bekannter, – und auch schon vorher hier angeführter Grundsatz, daß der Dichter alles in der handelnden Natur nützen dürfe. Die widerlichsten, die schrecklichsten Gegenstände werden ihm brauchbar seyn, wenn er Thorheiten und Laster züchtigen, – oder sie vielmehr, ihrer Natur nach, abbilden will. In Lessings Laocoon finden sich Beyspiele, wie so gar der Ekel, den man sonst nicht als einen Gegenstand der Nachahmung ansah, dienlich seyn könne, das Lächerliche eines Gegenstandes zu erhöhen.[241]

Auf die Art, wie der Dichter diese verschiedenen Gegenstände behandeln wird, kommt freylich noch immer das mehrste an. Die Gestalten, unter denen sie erscheinen können, – ihre Abwechselung, – ihre Verbindung bedarf einer solchen sorgfältigen Arbeit, einer so richtigen Kenntniß des menschlichen Herzens, daß es dem Dichter nicht zu verdenken ist, wenn er Jahre lang an seinen Werken feilet. Ehe ich zu den Bemerkungen, die sich auf die Verbindung der verschiedenen Materialien beziehen, übergehe, will ich noch etwas über die körperlichen Gegenstände der Natur voran schicken.

In den neuern Zeiten hat die Frage, von dem Werth oder Unwerth der Beschreibungen solcher Gegenstände, zu einigen Streitigkeiten Anlaß gegeben. Ich glaube nicht, daß Lessing selbst jede Beschreibung derselben, – auch wenn der Dichter sie als Mittel zu brauchen gewußt hat, aus der Dichtkunst hat verbannen wollen. Wenn diese Beschreibung aber Endzweck ist; wenn der Dichter nichts will, als beschreiben, und nur beschreibt, um zu beschreiben; wenn er sie als ein unrechtes Mittel braucht, oder die Beschreibung mehr ausdehnt, als sie ihm, zur Bezeichnung der Sache, nöthig ist: so scheint Lessings Urtheil wohl sehr richtig, und nichts weniger, als willkührlich zu seyn, weil es sich auf die Natur dieser körperlichen Gegenstände, und auf den Endzweck des Dichters und der Dichtkunst gründet.[242]

Es wäre unverzeihlicher Eigensinn, jede Beschreibung aus Geßners Idyllen, oder aus den Wielandschen Schriften verbannen zu wollen. Aber freylich, wenn


Ein Mückenfuß gemalt! – ein Hühnerkorb gemalt!

Ein Ziegenbart gemalt!


wird, um sie zu malen, – oder auch der Ursache wegen, warum Michaelis diese Maler züchtigte: so wird diese Malerey ekelhaft und langweilig. –

Wenn Wieland uns eine Beschreibung von dem Hause der Danae zu Smirna giebt: so ist diese Beschreibung nothwendig, weil sie einen Einfluß auf den Agathon mit hat. Wir mußten das Haus, und die Einrichtungen desselben, zum Theil kennen, weil sie, als mitwirkende Ursachen, in dem Werk gebraucht werden. Ohne diese Kenntniß können wir uns nicht so vollständig von all' den, auf den Agathon in diesem Hause, gemachten Eindrücken, Rechenschaft geben.

Daß Ort, Zeit, Umstände den Eindruck erhöhen und vermehren können, den die vor uns geschehenden Handlungen und Thaten auf uns machen, das beweist die Erfahrung. Die Nacht im Hamlet, und im Makbeth des Shakespears vermehrt sehr merklich unsre Bewegungen bey diesen Trauerspielen. Und wie können wir von diesen Dingen etwas wissen, wenn sie uns der Dichter nicht bezeichnet? Im Shakespear findet sich mehr als eine solche Beschreibung, nur freylich in so wenigen Zügen, als der [243] dramatische Dichter beschreiben kann. Und wie vortreflich er unter andern die Beschreibung, die Antonius von dem Mantel des Cäsars macht, gebraucht hat, darüber besinn' ich mich, in einer Engländischen kritischen Schrift, (mich dünkt in dem Essay on the Genius and Writings of Shakespear) vortrefliche Bemerkungen gelesen zu haben. –

Ich will gewiß nicht unsern Alltagsbeschreibern das Wort reden, die uns, bey jeder Gelegenheit mit Beschreibung eines Morgens, eines Sturms u.s.f. ohne Anlaß, ohne Endzweck oder Absicht, als um zu beschreiben, beehren; und die bey körperlichen Gegenständen oft noch verschwenderischer sind. Wenn jede Beschreibung immer nur ein einzelner Theil eines Ganzen seyn kann; wenn jeder einzelne Theil sein größtes Verdienst darinn hat, daß er zur Vollendung, zur Erfüllung des Ganzen das seinige beyträgt: so ists natürlich, daß jede Beschreibung mit Recht nicht weiter sich ausdehnen darf, als es nöthig ist, damit wir die Wirkung, die sie als einzelner Theil (als Ursache) machen soll, und macht, erkennen mögen. –

Im Laocoon findet sich so viel Vortrefliches über die Kunst, wie man die Beschreibung körperlicher Gegenstände in Handlung verwandeln könne, daß ich nichts bessers zu thun weis, als meine Leser dahin zu verweisen.

Quelle:
Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman, Leipzig und Liegnitz 1774. , S. 240-244.
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