2.

[257] Der Romanendichter zeigt uns in seinem Werke wenigstens die möglichen Menschen der wirklichen Welt. Was sehen wir an diesen, oder vielmehr, was müssen wir an diesen sehen, wenn wir ihr Seyn, ihr Handeln, der Wahrheit nach, betrachten wollen?

Wenn das bloße Sehn genug ist: so stoßen wir zuerst auf Figur, Schönheit, Anstand, Würde im Betragen. – Aber all' diese Dinge zeigen uns so wenig die Wahrheit im Menschen, daß man nur da noch vielleicht ein Aufsehn durch sie allein erregen kann, wo man, zum Vorwande und zur Entschuldigung sehr ehrbarer Absichten, unglücklicherweise aus der Dacierschen Uebersetzung des Plato so viel weis, daß Sokrates mit einem schönen Körper eine schöne Seele nothwendig vergesellschaftet glaubte. Die schönste anständigste Figur, die zu dem Phedrischen: O quanta species – cerebrum non habet! Anlaß giebt, wird[257] vom Pöbel nur begafft. Und das muß doch nicht von denen Menschen gelten, mit welchen wir uns die Mühe geben sollen, Bekanntschaft zu suchen?

Das zweyte, das wir am Menschen sehn, sind Ehre, Würden, Reichthümer. Wenn dies das wäre, was wir betrachten müßten, wenn wir das Seyn eines Menschen der Wahrheit nach sehen wollten: so würde der kluge Mann öfter den Hut vor dem Fürsten und seinem Generalpächter abziehen, damit er in ihre Gesellschaft käme.

Ich sage nicht, daß in all' diesen vortreflichen Dingen gar nichts zu sehen wäre, wenn wir den Menschen, der Wahrheit nach, betrachten wollen. Aber dann erscheint alles das, was wir betrachtet haben, bloß als Ursache einer Wirkung, bloß in Beziehung auf den wirklichen Menschen; es wird uns bloß als Mittel, nicht als Absicht oder Endzweck gezeigt. Wir sehen die Schönheit bloß, in so fern sie auf den Conti oder den Prinzen wirkt; Würde bloß, weil sie den abscheulichen Marchese zu einem seinen Kammerherrn macht; Reichthümer bloß, daß sie dem guten Timon (im Shakespear) viel Freunde erwerben, – die keine Freunde sind.

Der Dichter, der das Ansehn hat, als wolle er uns von seinen Personen bloß diese Sachen zeigen, oder sie nur für die wichtigsten ausgeben, treibt[258] gewiß verschiedene seiner Leser – vielleicht diejenigen, die ihm die liebsten seyn sollten – ehe zu ihrem häßlichen und armen Esop, oder zum bucklichten Scarron mit seinem durchgestoßenen Pourpoint noir, als daß sie lange in dieser Gesellschaft ausdauern.

Und was werden sie in jener Gesellschaft suchen? Sie werden die Menschen darinn empfinden und handeln sehen wollen. Das bloße Hörensagen wird sie natürlich weniger vergnügen können, als wenn sie jeden Einfall, jeden Spott, jede Satyre selber sagen hören. Und sie werden durch andre nie das erfahren, was sie sehen können. –

Der Dichter muß uns also, wenn wir vom Menschen etwas sehen sollen, so ganz in die Gesellschaft seiner Personen bringen, daß wir seine Personen mit ihrem ganzen Seyn vor uns haben.

Wenn wir das von den Menschen sehen wollen, was wir, um sie in der Wahrheit zu sehen, betrachten müssen: so ists natürlich, daß wir uns an ihren Aeußerungen, an ihren Unternehmungen zu halten haben. Aber das bloße Erzehlen: »es trug sich zu! es geschah!« giebt uns nichts, als die Oberfläche, das Aeußere der geschehenen Dinge zu sehen. Und heißt dies den Menschen, der Wahrheit nach, sehen? sehen, was und wie er ist?[259]

Im wirklichen Leben ist die bloße Erzehlung der sich zugetragenen Sachen so sehr selten genug, daß wir all' Augenblick einmal die Frage: »Wie ist das möglich? Wie hat sich das zutragen können?« hören, und selber thun. So gar, wenn wir Augenzeugen eines Vorfalls sind, worinn ein bekannter Mann nur nicht nach unsrer Einbildung verfährt: so ist diese Frage auf unsrer Zunge.

Die bloßen äußern Umstände eines Menschen sind es nie, die ihn vermögen, eine Sache zu thun. Wenn dies möglich wäre: so müßten Agathon und Danae in Marmor gehauen, sich eben so herzlich lieben können, als die Personen selbst. Wer sieht nicht, daß so zu sagen ein Medium ist, durch das die Person, oder die Begebenheit, hindurch gehen müsse, um irgend eine Wirkung auf eine andre zu machen. Dies Medium ist das Herz, die ganze Geists- und Gemüthsverfassung der Person, auf welche gewirkt wird. Der Ausdruck, den wir im wirklichen Leben bisweilen von einigen Menschen gebrauchen, daß sie Maschienenmäßig handeln, das heißt, daß es keiner Einwirkung auf ihre Geists- und Gemüthsverfassung bedarf, um sie zu einer That zu bewegen, sagt so wenig Rühmliches, daß wir ehe diese Personen für Maschinen erklären möchten. Und der Mensch soll nie Maschiene seyn; auch nicht Maschiene des Dichters.[260]

Jede wirklich werdende Begebenheit hat ein doppeltes Verhältniß; einmal ist sie Wirkung vorhergegangener, – und dann ist sie Ursache folgender Begebenheiten. Wenn es heißt, daß wir durch einen andern, oder durch diese und jene Sache bewogen worden sind, dies oder jenes zu thun, mit einem Wort, wenn sich eine Aeußerung zeigt, wer sieht nicht, daß dies eigentlich heißt, wir sind in die Gemüthsfassung gesetzt worden, dies oder jenes zu thun.

Bey den, auf uns wirkenden Ursachen, vermöge deren ein gewisser Gemüthszustand so und auf diese Art erfolgt, kommt es nicht allein auf die, auf uns wirkende Ursache an, sondern auch auf den damaligen Zustand unsrer Gemüthsfassung, und auf tausend Kleinigkeiten mehr, die alle zusammen kommen müssen, wenn eine gewisse Wirkung erfolgen soll. Die ganze vereinte und in einander geflossene Summe unsrer Ideen und Empfindungen; – der Zustand unsers Körpers, Krankheit oder Gesundheit, Gesellschaft und Wetter und viele namenlose, dem Ansehn nach sehr unbedeutende Dinge können diesen Gemüthszustand mehr oder weniger günstig gestimmt haben, so daß der Ton erfolgt oder nicht. Unser Körper hat nur zu viel Einfluß auf den Zustand unsrer geistigen Empfindungen. In einem der Trauerspiele aus Shakespears Werken,[261] das unsre Landsleute noch nicht deutsch besitzen, verspricht sich Menenius einen günstigern Erfolg seiner Gesandschaft an den Coriolan, wenn er sie Nachmittags unternimmt3. Nur an der Tafel, an der Tafel, an welcher Musarion presidirte, und Chloe aufwartete, nur vermöge des Beystands jenes Korbs, den Chloe herbey brachte, und vieler kleinern Umstände mehr, die wir alle bey dem Dichter finden, konnte die Wirkung erfolgen, wodurch Phanias zum glücklichen und wahrhaft weisen Manne wurde.

Wenn eben diese Begebenheit Ursach folgender Begebenheiten wird: so finden eben die vorigen[262] Verhältnisse statt. Sie wirket alsdenn auf den Gemüthszustand der Person, damit die Begebenheit erfolgen könne, die eigentlich eine Wirkung davon ist.

So verhält es sich im wirklichen Leben. Das Innre und das Aeußere des Menschen hängt so genau zusammen, daß wir schlechterdings jenes kennen müssen, wenn wir uns die Erscheinungen in diesem, und die ganzen Aeußerungen des Menschen erklären und begreiflich machen wollen. Wenn wir in der wirklichen Welt nicht jedesmal alle die Ursachen, die eine Begebenheit vielmehr so, als anders hervorbringen, begreifen und beobachten können: so geschieht dies, weil die Summe der wirkenden Ursachen zu sehr groß und mannichfaltig; das Ganze zu sehr in einander geflochten ist, als daß wir sie darinn zu entdecken vermögen. Oft wollen wir auch nicht die Aufklärung der Begebenheit haben, – weil gewöhnliche Begebenheiten selten dieser Entwickelung des ganzen Gemüthszustandes einer Person bedürfen, um bloß geglaubt zu werden; – weil wir gewöhnlich nicht Unterricht in den Begebenheiten der Welt suchen; – und weil oft Erzehler und Zuhörer die geistigen Bewegungen nicht zu beobachten, anzugeben und zu begreifen wissen; oder zu Maschinenmäßig zu denken gewohnt sind, als daß sie nur einmal an das[263] Daseyn derselben gedenken könnten. Wenn daher, bey einer irgend unwahrscheinlichen Begebenheit ein: »Wie ist das möglich?« erfolgt: so wird dies gewöhnlich durch Betheurungen, durch Zeugenanführung u.s.w. befriedigt.

Ich bin oft sehr geneigt gewesen, manchen Romanendichter um ein dergleichen Zeugenverhör zu bitten. Denn das, was wir in manchem lesen, bedürfte gewiß noch mehr Creditive, als die seltensten Begebenheiten der wirklichen Welt. Und bey diesen läßt doch der gewissenhafte Geschichtschreiber oft die Dokumente hinzudrucken, um seine Leser nicht zum Kopfschütteln zu bringen. –

Wenn die Absicht des Dichters zuförderst und vor allen Dingen ist und seyn soll, uns an seinen Menschen, an seinen Personen das zu zeigen, was wir, der Wahrheit nach, am Menschen sehen können: so darf er diese äußere und innre Verbindung der wirkenden Ursach irgend einer Begebenheit, die er durch eine Person ausführen läßt, schon deßwegen nicht vernachläßigen, weil wir bey dieser Vernachläßigung nie das sehen würden, was wir bey ihm sehen sollen.

Der Dichter, wenn er sich nicht entehren will, kann den Vorwand nicht haben, daß er das Innre seiner Personen nicht kenne. Er ist ihr Schöpfer: sie haben ihre ganzen Eigenschaften, ihr ganzes[264] Seyn von ihm erhalten; sie leben in einer Welt, die er geordnet hat.

Mit dieser Voraussetzung werden wir nun, bey dem Wirklichwerden irgend einer Begebenheit, das ganze innre Seyn der handelnden Personen, mit all' den sie in Bewegung setzenden Ursachen in dem Werk des Dichters sehen müssen, wenn der Dichter sich nicht in den bloßen Erzehler verwandeln soll. Ich habe ein Beyspiel aus Musarion angeführt, in welchem man sehen kann, wie sorgfältig der große Dichter dieses Werks uns das Innre seiner ganzen Personen aufzudecken gewußt hat. Wir sehn nämlich das Wie des Vorfalls, der den Theophron zum γνωϑι σεαυτον, der den Cleanth in seinen Stall bringt, und den Phanias zum Glücklichsten aller Menschen macht, so umständlich, daß wir diese Personen jetzt mit aller der Wahrheit erkennen, mit welcher der Dichter sie uns zeigen will und muß. Dies Innre der Personen sehen wir an den Wirkungen, die auf den einen Chloe, auf den andern der Korb, auf den dritten Musarion macht. Der Dichter zeigt uns diese Wirkungen an all' den Aeußerungen dieser verschiedenen Personen bey den verschiedenen Gegenständen; und wir sehn diese Aeußerungen so ganz eigenthümlich erfolgen, daß nach dem, diesen Personen gegebenem Charakter nur gerade dies, und [265] nichts anders erfolgen konnte. Sie stehen in der genauesten Verbindung als Wirkung und Ursache mit einander. Man erlaube mir diese allgemeine Zergliederung in einen einzeln Fall zu verwandeln. Cleanth muß uns sein System geben, und muß es auf eine übertriebene ekelhafte Art geben, wenn Phanias von seinen unglücklichen Einbildungen zurück kommen soll. Die Sachen stehen in so genauer Verbindung, daß die eine unmöglich ohne die andre wirklich werden kann. Nun wird selbst auch ein Cleanth nicht, – und er kann nicht ohne Veranlassungen sein System auskramen. Diese Veranlassungen, diese Bewegungsgründe müssen zuvor sein Innres in Bewegung setzen, wenn jene Wirkung erfolgen soll, und müssen also so beschaffen seyn, daß sie ihn in Bewegung setzen können. Und dies Innre werden wir dadurch als bewegt erkennen, und anschauend so vor uns sehen, wenn diese Veranlassungen, diese Bewegungsgründe allein den Cleanth bewegen, sein System auszukramen; und an den Sachen selbst, die ihn bewegen, werden wir entdecken, was der vor ein Mann ist, der sich gerade durch diese, und keine andre, auf diese und auf keine andre Art, in Bewegung setzen läßt. Der Dichter hat hier die Sachen so glücklich gewählt, daß ein Theil derselben uns gerade das am Cleanth sehen läßt, was wir an ihm sehen sollen,[266] und ohne welches uns die ganze Wirkung, die das Auskramen seines Systems auf den Phanias macht, wenn nicht unglaublich, doch nicht so anschauend, so überzeugend seyn würde, als es jetzt ist. Der Dichter führt uns die verschiedenen Stufen eine nach der andern herauf; nirgends ist Sprung, nirgends ist Lücke. –

Diese, den Cleanth in Bewegung setzende Dinge, die, indem sie uns sein Innres aufklären und zeigen, zugleich die Wirkungen dieses Innern uns so anschauend darlegen, sind:


Der Augenblick, worinn Musarion

Ihn überfiel, ihr Blick, der schalkhaftsanfte Ton

Der Ironie, und (was noch zehnmal schlimmer

Als alles andre war) ihr ungewohnter Schimmer,

Die sanfte Majestät der Liebesköniginn,


Dies alles nun


Bestürmt auf einmal für die Ehre

Der Apathie zu stark, den überraschten Sinn, –


und bewegte den Cleanth zu einer großen Dummheit. Ein Stoiker, über den nichts Aeußers Macht haben soll, und, seiner Versicherung nach, hat, und den eben dies Aeußere so ganz aus der Fassung bringt, daß er seine sehr unweise Aufführung eingesteht, die hier kein Mensch wissen will, – bezeugt die ganze Macht, die dies Aeußre auf ihn wirklich hat, und entdeckt uns sehr deutlich dadurch sein ganzes[267] Inneres4. Dieser Zug allein, wenn wir ihn nicht auch schon in der Stellung gefunden und gesehen hatten, »die der Philosophie nicht gar zu rühmlich war,« würde den Cleanth von der Seite charakterisieren, von welcher ihn Phanias sehen mußte, um den Mann kennen zu lernen, und wir mit ihm.

Was Cleanth sagt, und was Phanias dabey leidet, erweckt jenen:


– Blick voll junger Amoretten

Und Grazien, der stracks an unsichtbare Ketten

Cleanthens Tollheit legt –


Und noch geschmeidiger wird dieser unbiegsame Stoiker, wenn er hört;


Glücksel'ger Phanias! der Freunde sich erkohren,

Von denen schon der Anblick weiser macht.


Der Dichter erklärt ganz vortreflich die Ursach dieser Geschmeidigkeit; und so geschmeidig mußte Cleanth seyn, das ist mit andern Worten, so sehr mußte er sich wohlgefallen, so sehr mußte sein Inneres[268] in Bewegung seyn, wenn ihn der Eifer für sein System so weit führen sollte, daß Phanias die ganzen Lächerlichkeiten seines Lehrmeisters sehen konnte. Musarions Daseyn, Musarions Gestalt, jeder ihrer Blicke, jedes ihrer Worte mußte einen Stoiker, wie Cleanth zu jenen Uebertreibungen bringen, indem diese Dinge vorher seine Eitelkeit, seine Prahlsucht, – mit einem Wort sein Innres in Bewegung setzten. Und alles, was wir von Musarion hören und sehen, war nothwendig, wenn die Wirkung erfolgen sollte; so, daß wenn man den geringsten dieser Umstände wegnehmen und abändern wollte, diese Wirkung nicht so erfolgen könnte, wie sie erfolgt. –

Der Eifer, mit welchem Theophron seine Lehren behauptet, den Beyfall, den ihnen Musarion zu geben scheint, (wozu auch der kleine Umstand gehöret, bey dem so gar Cleanth sein volles Glaß vergaß) haben diesen Cleanth in keine kleine Bewegung gesetzt, die, indem sie uns den Cleanth immer genauer kennen lehrt, den Stoiker nicht eben von der besten Seite charakterisirt, – und diese Bewegung will eben in eine Widerlegung des Theophron ausbrechen,


Als ihn ein Umstand unterbricht

Auf den der weise Mann sich nicht gefaßt gehalten.
[269]

Chloe mit ihrem Korbe, und die Düfte,


– die aus diesem Korbe steigen,

– die Cleanth mit Mund und Nase in sich schlürft,


Theophrons Feuer, das diesen Cleanth auf sein gefrornes Blut nur desto stolzer, und daher desto entscheidender, zuversichtlicher in seinen Meynungen macht, – das oft gefüllte Glaß, ersetzen die Bewegung, die vorhin unterbrochen war; und als Phanias der Wirkung dieser Bewegung sich widersetzen will, so


– reizet dies noch mehr des Weisen Galle,

Im Eifer schenkt er sich nur desto öfter ein,

Glaubt, daß er Wasser trinkt, nicht Wein,

Und demonstrirt den Aristipp und alle,

Die seiner Gattung sind, in Circens Stall hinein.

Sein Eifer für den Lieblingssatz der Halle,

Durch jeden Widerspruch und jedes Glaß vermehrt,

Hat von sechs Flaschen schon die dritte ausgeleert,

Als der Planetentanz, womit der Geisterseher

Die Damen zum Beschluß ergötzt,

Ihn vollends ganz in Flammen setzt. u.s.w.


Ich habe in des Dichters eigenen Worten alle die übrigen Umstände angeführt, wodurch das Wie der ganzen Umformung des Phanias, in Rücksicht auf seine Achtung für diesen Philosophen, begreiflich wird. Ists nun ein Wunder, wenn Cleanth die Wirkung hervorbringt, die ihn der Dichter hervorbringen läßt? Man erzehle die Sache: Phanias[270] hat den Cleanth aus dem Hause gejagt, weil er sich vollgetrunken, und in der Trunkenheit die ganze Ueberspannung seines Systems und den Mißlaut zwischen seinen Worten und zwischen seinen Thaten gezeigt hat, – man erzehle die Sache auf diese Art (und auf diese Art erzehlen die mehrsten Romanendichter ihre Begebenheiten, das ist ohn' alle Verbindung der äußern Wirkung mit den innern Ursachen) – was werden wir an dieser ganzen Erzehlung hören, das uns hierinn eigentlich das von Phanias und vom Cleanth zeigte, was wir, der Wahrheit nach, vom Menschen sehen wollen? Cleanth könnte auf vielerley Weise zu seiner Trunkenheit gekommen seyn; wir könnten ihn so gar deßwegen bedauern müssen; Phanias, von der andern Seite, könnte uns ungerecht, wetterwendisch heißen. Jetzt versuche man, ob man von diesen beyden Personen etwas anders denken kann, als was uns der Dichter von ihnen, vermöge der Aufdeckung ihres innern Seyns, denken lassen will? Und dies deckte er uns, wie gedacht, auf, indem er durch Gegenstände Wirkungen auf sie hervorbringen ließ, die sie auf eine oder die andre Art in Bewegung setzten. – Ich muß noch hinzu setzen, daß die vom Dichter festgesetzte Umformung der Ideen des Phanias durch die Wirkung der Musarion auf ihn eben so sehr befördert wurde.[271] Der ganze Gemüthszustand des Phanias wird, vor unsern Augen, so sichtlich umgeschmolzen, daß, wenn er auch sonst dem Cleanth alles verziehen haben könnte, er es doch jetzt nicht mehr so kann, daß er ihn ferner schätze oder liebe.

So vortreflich sehn wir das Wie bey dieser ganzen Sache! So genau zeigt uns der Dichter Ursachen, wie sie das Innre der Person in eine Bewegung setzen, die wieder zur Ursache der folgenden Wirkung wird. Wenn uns Cleanth sein System vordocirte, ohne daß wir alle die Schritte sähen, die vorhergehen müssen, wenn ein Cleanth bewegt werden soll, auf diese Art seine Lehren auszukramen: so würden wir das Wie der Begebenheit vermissen; wir würden nicht sagen können, warum er jetzt vielmehr, als zu einer andern Zeit, warum er lieber so, als auf eine andre Art, seine Meynungen auskramete? Wir würden nichts von dem sehen, was einen solchen Stoiker in Bewegung setzen kann, – und also von diesem Stoiker eine sehr kahle, flache Idee haben. –

Wir haben gesehen, daß in dem wirklichen Leben auf diese Art alle Begebenheiten sich zutragen, und daß wir dies Wie schlechterdings in dem Dichter sehen müssen, der uns die Menschen, der Wahrheit nach, zeigen will. Freylich mag die Aufsuchung, die Aufklärung dieses Wie, die[272] Entwickelung einer Begebenheit auf diese Art, ein schwerer Geschäft seyn, als die bloße Erzehlung derselben. Es erfodert einen aufmerksamen Beobachter der menschlichen Natur, einen tiefen Kenner des menschlichen Herzens. Aber diese Art von Behandlung einer Begebenheit ist es auch, die die Lessinge, Wielande, Fieldinge, Sterne, und einige andre mehr, so sehr über die gewöhnlichen Dichter erhebet. – Sie kann nicht anders erreicht werden, als wenn wir jedesmal die Ursachen, die eine Wirkung hervorbringen sollen, im genauesten Verhältnisse, und anschauend, wie sie diese Wirkung in der That hervorbringen, vor uns sehen. Das übrige hierüber läßt sich in der Folge erst entwickeln. –

Da eine Sache durch nichts so sehr begreiflich gemacht werden kann, als durch ihr Gegentheil: so will ich ein Beyspiel von der entgegengesetzten Art anführen. Ich verlange nicht das, was ich anführe, schlechterdings zu tadeln; ich gebrauche es nur, um meine Meynung in ein desto heller Licht zu setzen. Ich schätze den Mann sehr hoch, aus dessen Werken ich es wähle. Wenn ich es lieber aus seinem Roman, als sonst woher nehme: so geschiehts, weil ich sicher voraus setzen kann, daß die Romanenleser in Deutschland mit ihm mehr bekannt sind, als mit andern deutschen Romanen. [273] Sophie5 kommt auf ihrer Reise in das Haus der Frau van Berg zu Konigsberg. In der Art und Weise, wie dies zugeht, ist eben nichts unwahrscheinliches. Sophie kommt in Königsberg an, – will, auf die bloße Empfehlung der Frau Predigern, von der sie zum Abschiede noch dazu sehr kalt umarmt worden ist, sich nirgends einmiethen, als bey der Frau Debeau; – sie kann die Wohnung dieser Frau von keinem ausfragen; aber sie will doch nur zu ihr, und nicht in irgend einem Wirthshause sonst sich einmiethen, wo ihr Bruder, auf den sie wartet, sie wahrscheinlicherweise ehe erfragen könnte, als bey der Madam Debeau; – sie giebt dem ersten besten jungen Menschen, der sie dahin zu führen verspricht, ihren Arm; – dieser führt sie in einen sehr unanständigen Theil der Stadt; – H. Puff ist ihr gefolgt; nimmt sie dem jungen Menschen eben dort ab; und führt sie,[274] nach einigen Umschweifen, zu seiner Schwester, der Frau van Berg. Dies ist die Erzehlung dieser Begebenheit. Alle äußere Umstände sind da, wodurch sie wirklich hat werden können; aber ist dies für den dichterischen Leser genug, der den Menschen nach der Wahrheit, das ist, mit der Veränderung seines äußeren Zustandes zugleich alle die innern Zustände desselben kennen will, um genau zu sehen, wie eine Begebenheit erfolgt ist, und warum sie nicht anders hat erfolgen können, als sie der Dichter erfolgen läßt? – Und dies können wir nicht anders sehen als indem wir an dem Betragen der handelnden Person jedesmal die Wirkungen entdecken, die diese äußern Umstände auf ihr Innres gehabt haben. Aber diese innre Verbindung von Wirkung und Ursache, die uns das an der Sophie zeigte, was wir an ihr sehen wollen, finden wir hier gar nicht. Was sehen wir von ihrem innern Seyn, von den Ursachen, die sie bewegen, der Empfehlung der sie kalt umarmenden Frau Predigerinn allein folgen zu wollen? Wie geht dies zu? Sie umarmt die Frau Predigerinn dafür desto wärmer: dies ist vortreflich; dies ist wahr; aber was that nun die Frau Predigerinn, daß Sophie ein unumschränkt Zutrauen in ihre Empfehlung setzt? Wir sehen gar keine Ursache dieser Wirkung, aus dem Innern der Sophie. [275] Errathen läßt sie sich; aber es kann auf mancherley Art zugehen. – Und errathen wollen wir nicht; wir wollen vom Dichter lernen. Der Dichter, der sich in solchen Fällen auf seine Leser verläßt, setzt solche Leser voraus, die schwerlich Romane lesen; und wenn sie sie lesen, die ihre eigenen Bemerkungen über den Menschen durch seine Bemerkungen bestätigt, aufgeklärt, erweitert haben wollen. Der Nutzen, die Vortheile, die er dem allergrößten Theil seiner Leser durch die Mühe verschafft, jedes Wie in seinem Werk aufzuklären, sind so groß, – sie sind so gewiß die einzigen, wenigstens die wichtigsten, die die Leser erhalten können, daß er beynahe aufhört, für sie Dichter im wahren Verstande zu seyn, wenn er sie ihnen nicht giebt. Wir werden von den Vortheilen der Aufklärung dieses Wie in der Folge reden. –

Ein »wie gieng das zu?« werd' ich bey dieser Situation noch oft thun. Wie gieng es zu, daß Sophie auf die Unmöglichkeit, die Frau Debeau auszufragen, nicht lieber zu einem andern Mittel ihre Zuflucht nahm, um eine Wohnung zu finden? – Wie gieng es zu, daß sie sich dem ersten besten jungen Menschen anvertraut? anvertraut, da es schon anfängt, dunkel zu werden? »Er hatte ein empfehlend Gesicht,« wird der Dichter antworten; aber ich sehe die Verbindung dieser Ursache mit ihrer[276] Wirkung nichts weniger, als anschauend; vielmehr ist die unerklärliche Begierde nach Frau Debeau noch das, was sie zu treiben scheint. – Wie geht es zu, daß H. Puff ihr gefolgt ist? »Er war ein ehrlicher Mann, und sie ein hübsches Mägdchen«! – Das ist die Erzehlung der äußern Begebenheit; aber wie geht es zu, daß es nun eben Sophie ist, oder warum ist es eben Sophie, das heißt, welcher Theil ihres Seyns, welcher kleine Zug dieses Individui ist es, der den Puff in Bewegung setzt. Kann es jedes schöne Gesicht: so ist keine Ursache da, warum der Dichter seiner Sophie vielmehr solche, als andre Züge, vielmehr solche, als jene Eigenschaft gegeben hat? so ist keine Ursache da, warum sie lieber Sophie, als Henriette ist? Will der Dichter nicht, soll der Dichter nicht seine Personen individualisiren? Und soll er ihnen nicht vielmehr diese als jene Eigenschaften geben, weil die eine Art von Eigenschaften nothwendig die Mittel sind, warum die Handlungen derselben nicht vielmehr anders als so erfolgen? Cleanth mußte alle die Eigenschaften, die er hat, und nur eben diese Eigenschaften haben, wenn die Handlung so erfolgen sollte, wie sie erfolgt. Waren die abgesonderten Eigenschaften eines Stoikers überhaupt genug, diese Wirkungen andrer auf sie, auf solche Art anzunehmen, wie es hier nöthig ist.[277] Gewiß nicht; denn Epiktet und Zeno selbst, und Kato und Marc Aurel waren auch Stoiker; wer sieht aber nicht, daß die übrigen Eigenthümlichkeiten dieser Personen sie zu sehr verschiedenen Stoikern machten? Also die abstrahirte Idee von Schönheit ist nicht hinlänglich, uns anschauend zu zeigen, warum eine Wirkung vielmehr so als anders erfolgt ist. Und, damit ich eine Schönheit mit der andern vergleiche, war es gerade jede Schönheit oder Schönheit überhaupt, wie man sie abstrahirt sich denkt, die den Agathon fesseln konnte, und fesseln mußte, wenn wir in ihm den Agathon und nicht – etwan den Theagenes (damit ich unter Griechen bleibe) erkennen sollten? Es mußte die Schönheit der Danae, und nur in dem Anzuge, in dem Anstande seyn, die den Agathon fesselt, wenn wir in diesem Agathon ein einzelnes Individuum erkennen, wenn wir uns bestimmt Rechenschaft von der Verbindung zwischen Wirkung und Ursache geben sollten. Wenn also die Personen vielmehr diese als jene Eigenschaften haben müssen, wofern wir uns bestimmt die Frage beantworten sollen, warum eine Begebenheit vielmehr so, als anders erfolgt? so ist die allgemeine Antwort, »H. Puff folgte Sophien, weil sie schön war,« – so viel als gar keine Antwort; denn diese Antwort klärt von dem eigentlichen Wie der Sache gar nichts auf. Mit einer[278] allgemeinen Schönheit konnte die Sache so ablaufen; sie konnte auch nicht so ablaufen; Eine bestimmte Verbindung von Wirkung und Ursache kann nicht statt dabey finden. – Im wirklichen Leben verhält sich die Sache gerade so, wie wir sie hier zu haben wünschen. Die verschiedenen Urtheile, die wir von einer und derselben Schönheit hören, beweisen, daß jeder dieser Beurtheiler etwas besonders darum findet, worinn er sich verliebt hat, oder verlieben kann. Wohl dem Dichter, wie dem Romanendichter, der Zeit und Raum genug hat, die besondern Ursachen noch unter den allgemeinen herauszuheben, die eine Wirkung hervorbringen können. –


Wer sieht nicht, daß das, was ich von Sophien sage, auch von H. Puff gilt; von dessen besondern Eigenschaften sich hier keine, als Ursache der Frage: Warum es accurat H. Puff ist, der durch Sophien in Bewegung gesetzt wird? angeben läßt.


Wieland hat uns kein einziges Wie in seiner Musarion (so wie auch im Agathon nicht) vorenthalten, aus dem wir sehen können, warum die Sache vielmehr so, als anders erfolgt ist? In Sophiens Reise müßten, in dem angeführten Fall, alle die geschehenen Fragen beantwortet werden,[279] wenn ich Sophiens Seyn kennen lernen, wenn ich in ihr den Menschen nach der Wahrheit sehen sollte. Zwar erlang' ich auch endlich eine, von mir selbst, aus ihrem äußern Betragen abstrahirte Kenntniß ihres innern Seyns; aber dem Dichter hab' ich nichts dabey zu danken, und diese Kenntniß bleibt sehr unbestimmt, sehr unvollständig; und an verschiedenen Stellen kann ich von ihrem innern Seyn gar nichts sehen. Von jedem Menschen, den ich in so mancherley Auftritten beobachte, als Sophien, lern' ich eben so viel; und lern' es gewisser, und bestimmter, und anschauender. In Wielands Musarion lern' ich aus einem Zuge (ich habe einen dergleichen vorher angeführt) den ganzen Stoiker kennen, den Wieland so gut, wie Hermes seine Sophie, mir zugeführt hat, damit ich ihn kennen lernen soll. Wie viel Zeit bedarf der Dichter nicht in dem einen Falle mehr, als in dem andern, zur Erreichung des Endzwecks, den er gehabt hat! Wie viel Zeit bedürfen die Leser, um die Personen kennen zu lernen, in dem wahren Sinn, den das Wort hat; und wie viel lernen dies in dem einen gar nicht, und können es nicht lernen; an statt, daß es bey dem andern bloß ihre Schuld, wenn sie nicht begreifen, was vor Ursachen, unter gewissen Umständen, diese oder jene Wirkung hervor bringen. – Man erlaube es mir, diese verschiedne[280] Arten der Behandlung hier durch kurze Vergleichungen kenntlicher zu machen.

In der Musarion sind die handelnden Personen wahre Menschen; ich erkenne, daß sie es sind; ich sehe in ihnen das, was ich im wirklichen Leben betrachte, und wozu ich die Anlage in mir selbst fühle. Der Dichter, dessen erste Pflicht es ist, mich mit den Personen bekannt zu machen, die er mir zeigt – denn warum zeigte er sie nur sonst? – das heißt, sie zu individualisiren, erreicht hiedurch allein seinen Zweck; – erreicht ihn dadurch, wenn er mich sehen läßt, warum sie so handeln, wie sie handeln. – In der andern Art von Behandlung seh' ich Gestalten, Figuren, die das Ansehn von Menschen haben, deren innre Vorstellungen aber von den äußern Dingen wohl einen ganz andern Gang halten könnten, als bey uns, ob gleich die Personen so erscheinen, wie Menschen. Der Eindruck, den äußere Dinge auf ihr innres Seyn machen, kann sehr füglich ganz anders seyn, als er es aus wahre Menschen ist, obgleich die Erscheinungen Aehnlichkeit und Uebereinstimmung mit den übrigen Erscheinungen der Welt haben. Man denke sich einen höhern Geist in menschlicher Gestalt. Sein Aeußeres wird immer Mensch seyn müssen; aber seine Vorstellungen, die Wirkungen der äußern Dinge auf ihn, werden[281] ganz anders beschaffen seyn, als bey wirklichen Menschen. Es würde zu profan in einer Schrift über die Romane klingen, wenn ich das Beyspiel nehmen wollte, das ich nehmen könnte. – Wenn mir der Dichter das Innre seiner Personen aufdeckt, indem er mir an den Wirkungen die bestimmten Ursachen zeigt: so wird er mich vor allem Irrthum bewahren. Und dies ist um so mehr nothwendig und natürlich, da die Personen des Dichters gewöhnlich zarte, weiche Seelen sind, die tiefer gerührt werden, als andre; – da dieser tiefere Eindruck um so ehe Wirkungen hervorbringen muß; – und da der Dichter selbst keine andre, als wichtige Begebenheiten für seine Personen gewählt haben will.

In der ersten Art von Behandlung sehen wir ferner freye Menschen, das heißt Menschen, die durch nichts in Bewegung gesetzt werden, als was Menschen darinn setzen kann. Sie gehn, handeln, bewegen sich in allen Richtungen, die der Menschheit eigen sind. In der andern Art haben die Personen das Ansehn, als ob sie Maschinen des Dichters wären, die vielmehr da, als dort sich hinbewegten, weils der Dichter nun gerade so haben wollte. Warum geschähen nämlich die erfolgenden Dinge lieber so, als anders, da in den Personen selbst keine Ursache ist, warum sie so erfolgen?[282]

In dem erstern Falle sehn wir die sich zutragende Begebenheit so erfolgen, wie alles in der Natur erfolgt, werdend; in dem letztern hören wir die bloße Erzehlung der sich zugetragenen Sache. –

Dies sey hier zur Vergleichung dieser beyden Arten von Behandlung einer Begebenheit genug! Vielleicht geht es über die Kräfte eines menschlichen Geistes, uns immer auf die bestimmteste Art diese Verbindung von Wirkung und Ursache zu zeigen; aber der Romanendichter, der nach der Vollkommenheit strebt, kann kein anderes, als dies Ziel haben. –

Es ist übrigens nicht Tadelsucht, wenn ich einen Dichter, wie den Verfasser von Sophiens Reise, einer solchen strengen Prüfung unterworfen habe. Lessing sagt irgendwo vom Genie, daß es sich gern beurthei len hört, schaal oder gut, es ist ihm eins; und dieser Fall ist gewiß bey meinem Freunde wahr. Er hat es selbst gewünscht, strenge beurtheilt zu werden; und er hat immer noch so viel in seinem Romane geleistet, daß er auch die allerstrengste Beurtheilung nicht zu sehr fürchten darf. Freylich Bitterkeiten verbittet er; aber strenge Urtheile sind was ganz anders, als Bitterkeiten. Und einen Mann von Verdienst, den ich oben drein schätze, getrau ich mich ehe strenge zu beurtheilen, als den[283] ersten besten Romanenklecker. – Ich muß noch, zum Ruhme seines Werks, hinzusetzen, daß sich diese genaue Verbindung zwischen Wirkung und Ursache darinn an manchen Stellen zeiget, nur daß sie nicht anschauend genug entwickelt ist, und daß sie an einigen noch ehe sichtbar seyn würde, wenn das Ganze seines Werks nicht mit so sehr vielen, außer wesentlichen Reflektionen und Bemerkungen durchflochten wäre, unter denen der aufmerksamste Leser den Faden dieses Wie verlieret, und der Dichter ihn vielleicht oft selbst, wider seinen Willen, verloren hat. Diese Reflektionen sind es, um es im Vorbeygehn zu sagen, die wir für das, in einem Werke dieser Gattung halten, was Horaz ornamenta ambitiosa nennt. Alles, was nicht zur anschauenden Verbindung des Zusammenhangs innrer und äußrer Ursachen und Wirkungen gehört, alles, was nicht zur Aufklärung des Wie sich die Sachen zugetragen? erforderlich ist, – und hiezu können freylich sehr oft Reflektionen und Bemerkungen nothwendig seyn – ist in einem Roman üppiger Auswuchs, der weggeschnitten zu werden verdient, und es um so mehr verdient, da er den Lesern gewiß nicht den Unterricht gewähret, den er, nach der Absicht des Dichters, geben soll. Das mehrere hierüber gehört an einen andern Ort. –[284]

In der äußern Einrichtung der Romane liegt vielleicht ein andrer Grund, warum der anschauende Zusammenhang von Wirkung und Ursache, die innre und äußre Verbindung des Werks, bey der einen Einrichtung ehe erhalten werden kann, als bey der andern? Es dünkt mich nämlich, daß dieser Zusammenhang, mit Wahrscheinlichkeit nicht anschauend erhalten werden kann, wenn die Personen selbst den Roman schreiben, das ist, wenn er in Briefen geschrieben ist. Die Personen sind, den Voraussetzungen des Dichters zu Folge, oft in zu großer Bewegung, als daß sie in sich selbst zurück kehren, Wirkung und Ursach gegen einander abwiegen, und das Wie bey dem Entstehn ihrer Begebenheiten so aufklären könnten, wie wir es sehen wollen. Ich weis, daß eben dieser Ursach wegen, auch die übrigen Reflektionen und Bemerkungen, mit einigen andern Redezierrathen, als Gleichnisse u.d.m. in einem solchen Werke zu viel sind, und am unrechten Orte sich finden, und dennoch oft dort gefunden werden; aber ich habe auch gleich vorher schon sie für üppigen Auswuchs erklärt. – So wie wir aber an jenen Bemerkungen über den Zusammenhang der innern und äußern Bewegungen, an jenen Beobachtungen unsers innern Seyns bey dem Entstehen der Begebenheiten gewinnen, und das erhalten würden, was[285] wir suchen: eben so haben diese moralischen Reflektionen, wenn wir bloß auf die Personen sehen, die sie machen, mehr Wahrscheinlichkeit für sich, weil wir noch ehe einen Menschen finden, der eine alltägliche Bemerkung, eine moralische Sentenz auskramen kann, als einen, der auch in der ruhigsten Situation in sich selbst sich hineinziehen, sich genau beobachten, und Wirkung und Ursache anschauend und bestimmt gegen einander abwiegen könne, oder wolle. Indessen, die Vortheile und Nachtheile gegen einander abgewogen, die aus der mehr oder mindern Beobachtung der Wahrscheinlichkeit, in den Briefen der Personen entstehen können: so ists gewiß, daß wir, bey Beobachtung der mindern Wahrscheinlichkeit, alleine gewinnen können; und daß wir also weit ehe die Vernachläßigung dieser Wahrscheinlichkeit verzeihen werden, wenn wir nur diese Beobachtungen über das Entstehen der wichtigsten Begebenheiten, diesen Fortgang und Verbindung des innern und äußern Seyns der Personen erhalten, als wenn wir, bey größerer Wahrscheinlichkeit, Dinge finden, die uns nichts nützen, und die wir wieder vergessen. Und wenn sich jene Beobachtungen gar nicht, mit irgend einer Wahrscheinlichkeit, in den Briefromanen erhalten ließen: so dürfte die ganze Erfindung dieser Behandlung wohl nicht das Verdienst haben, das man gewöhnlich[286] ihr beylegt. Ein Roman in Briefen wäre dann sicher, ein so dramatisches Ansehn er hat, der schlechtere Roman; und ich weis nicht, ob wir in den wirklichen Beyspielen, die wir davon haben, Widerlegungen dieser Meynung finden; ob wir einen Roman haben, der so viel leistet, als Wielands Agathon? – Es sey aber ferne von mir, dem Genie Gränzen vorzuzeichnen; und es auf die eine Art von Behandlung allein einschränken zu wollen. So wie der dramatische Dichter in seinem Werk diese Verbindung des innern und äußern Seyns seiner Personen, die Reihe von Wirkung und Ursache erhalten, und uns das Wie jeder Empfindung, jeder einzeln Scene zeigen kann; – und Beyspiele hiezu sind, von deutscher Art Minna von Barnhelm, Emilia Galotti, und vielleicht einige andere mehr – ob der Dichter gleich selbst nicht, sondern nur seine Personen sprechen: eben so kann der Romanendichter, in einem Roman in Briefen, vielleicht auch diesen Zusammenhang des innern und äußern Seyns seiner Personen, das eigenthümliche Wie jeder Begebenheit uns zu zeigen wissen; und wenn wir noch nicht Beyspiele davon aufzuweisen haben: so sind sie doch deßwegen noch nicht unmöglich.

Daß diese Verbindung des innern und äußern Seyns der Personen, dieser Fortgang des Aeußern, [287] wie er auß dem Innern entstehet, nichts außerwesentliches in einem Werke sey; – daß im wirklichen Leben alle Begebenheiten auf diese Art ihr Daseyn erhalten; – daß der Dichter uns diesen Zusammenhang anschauend zeigen müsse, wenn wir ihn mit Gewißheit entdecken sollen: das alles glaub'ich außer Zweifel gesetzt, und die Art und Weise, wie diese Verbindung erhalten werden müsse, durch Beyspiele erläutert zu haben. Die Foderung dieses Zusammenhangs also ist keine Grille; und sie wird es um desto weniger scheinen, wenn wir alle die Vortheile, die solche Behandlung eines Werks gewähret, erst werden untersucht haben.

3

Wenn die Sache vielleicht nicht non Römern gilt, so gilt sie doch gewiß von vielen Menschen. Hier ist die Stelle:

He (Coriolanus) was not taken well, he had not din'd. –

The veins unfill'd, our blood is cold, and then

We powl upon the morning, are unapt

To give or to forgive; but when we've stuff'd

The pipes, and the conveyances of blood

With wine and feeding, we have suppler souls

Than in our priest-like fast; therefore I'll watch him

'Tillhe be dieted to my request

And then I'll set upon him.

und Brutus (ein Tribun) antwortet ihm:

You Know the very road into his kindness –

Als Menenius ins Lager kommt, sant er der Wache:

Has he (Coriolanus) din'd, canst thou tell? for I would

Not speak with him till after dinner.

4

Wenn also der Kontrast, der sich zwischen dem Charakter des Philosophen, und seiner äußern Situation befand, vorzüglich dazu beytrug, das Innre desselben zu entwickeln: so würde auch der Romanendichter diesen, vom Diderot, dem dramatischen Dichter so sehr empfohlenen Kunstgriff vorzüglich gut nützen können. Man sehe hierüber seine dramatischen Werke (Ed. de Berlin) T. 2. 224. –

5

Sophiens Reise S. 172 f. 1ster Theil. – Wenn Sophie am Ende eine Prüde, eine sich sehr weise und gelehrt dünkende Prüde seyn sollte, und den Saamen dazu schon im Anfang in sich trüge, so daß sie es nur, durch ihre Begegnisse ganz würde, so hätte der Dichter ihr Zutrauen zu einem Menschen mit einnehmendem Gesicht in einen Zug von kluger Prüderie verwandeln, und dann dies Zutrauen als eine fernere Ursache, wodurch ihre Prüderie, dem gestochenen Ziel näher käme, gebrauchen können- Dann wäre Verbindung zwischen Ursach und Wirkung.

Quelle:
Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman, Leipzig und Liegnitz 1774. , S. 257-288.
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