II.

[156] Bei dem gefürchteten Rhadamantys, dem »vornehmen« Kritikus Doktor Ottokar von Feichseler, war eine illustre Gesellschaft versammelt und genoß zu einer Punschbowle die Orakel des Gastgebers. »Man bemerkte« zuvörderst den Lord-Protektor und Pfadfinder großer Geister, Doktor Gotthold Ephraim Wurmb, mit seinem mieselsüchtigen Pfaffengesicht. Ferner den feinsinnigen Eklektiker Luckner, eine kleine behende Persönlichkeit von slowakischem Typus mit listig funkelnden Philologenäuglein, übrigens eine ehrenhaft und ideal angelegte Natur trotz einer gewissen boshaften[156] Pfiffigkeit. Er trug immer einen glattgebürsteten Cylinder und gelbe Handschuhe, und spendete den Dienstmädchen Handdrücke wie ein Gentleman. ›Man bemerkte‹ neben ihm den ebenfalls feinsinnigen Eklektiker Adolf Gutmann, auch der ›Scheene Adolf‹ genannt, da er sein holdes Bildniß mit Vorliebe vor seine Buchfabrikate zu setzen pflegte. Ob sein großer Kopf auf seiner kurzen dicken Figur grade so schön wirkte, mußte man edeln Frauen zu beurtheilen überlassen. Jedenfalls konnte man seinem schwarzen wallenden Barte eine ansehnliche Länge nicht absprechen, um welche ihn zwar nicht Barbarossa, wohl aber Erzvater Abraham beneidet haben möchte. Mit diesem stand er ohnehin auf gutem Fuße, denn er lebte wie in Abrahams Schoß. Moses und die Propheten waren ihm hold, obschon er viel über sein Elend zu klagen hatte. Denn sein Vater und sein Schwiegervater lebten alle Beide noch und erst nach deren Tode wurde er dreifacher Millionär. Bis dahin aber mußte sich der arme Teufel mit seiner halben und der andern halben Million seiner Gattin begnügen. Aus berechtigtem Groll über solch dürftige Lage schrieb er gar weltschmerzreiche Poemata und wünschte sich oft den Tod, angeekelt von der Niedrigkeit der Welt. Wenn er von 50 Zeitungen besprochen wurde, jammerte er, daß die 51te fehle, und stellte die kühne Behauptung auf, er habe ja nur Feinde und keinen Freund auf der Welt. Böse Menschen versicherten, wenn er über seinen Nothzustand klagte und nur für hohe Honorare schreiben konnte, daß ihm auch wirklich die Litteratur jährlich ein[157] kleines Vermögen koste. Doch war dies Verleumdung, da er als früherer Börsianer (er machte erst seit seinem 35ten Jahre in bedruckten Papierchen) viel zu viel filzige Geschäftsklugheit besaß. Seine besondere Spezialität bestand in Cigarrenbehältern und Aschbechern, auf deren Grund rothgedruckt stand: ›Gutmann, Pessimistische Novellen‹, eine funkelnagelneue Art von Reclame, um deren Patentrecht ihn Barnum behufs Importirung nach Amerika ersucht haben soll. Daß er natürlich seinen Abscheu vor aller Reklame und vorlautem Vordrängen bei jeder Gelegenheit kundgab, wußte Jeder zu würdigen. Uebrigens war er ein sogenannter guter Kerl und flößte den Eindruck einer gewissen Bonhommie ein. Freilich durfte man nicht tiefer auf den Grund gehen; dann kam ein gehöriger Berechner heraus. Auch fehlte es ihm nicht an bedeutendem Giftvorrath, den er ohne Namensnennung (da er natürlich nie den gemeint hatte, der sich getroffen fühlte) mit vieler Gewandheit zu verspritzen wußte. Wenn er sich übrigens über die Welt beklagte, so hatte er in gewissem Sinne nicht Unrecht. Denn theils in Folge des üblichen Neides auf seine günstigen äußeren Verhältnisse, theils aus Erbitterung Jener, die ihn erst später in seiner Eigenart kennen lernten, verschwor man sich allerorts, ihn für einen stümpernden Dilettanten auszuschreien. Gab doch seine komische Eitelkeit erwünschten Anlaß, sich über ihn lustig zu machen! Lobte ihn eine Zeitung, so mußte dies durchaus auf irgendwelche Bestechung hinauslaufen! Der immer gerechte Leonhart hatte jedoch dies niemals zugegeben, sondern[158] stets Esprit, Wissen, Form- und Stilbegabung, ja sogar wirklichen Gedankengehalt an ihm gerühmt, obschon er Gutmann selbst die offenherzigsten Grobheiten an den Kopf warf und ihm zu Gemüthe führte, daß ihm alle und jede Ursprünglichkeit fehle. Die Andern aber nahmen seine Einladungen an, tranken sein Bier, rauchten seine echten Havanas und erklärten ihn einstimmig für die eingebildetste Null des Jahrhunderts. So geht's in der Welt. Wenn der arme Gutmann sich für einen verkannten großen Dichter hielt, so verdiente das nur ein Lächeln. Wenn er sich aber für ebensogut und sogar für besser hielt, als viele großspurige Rhodomonteure, die auf ihn herabsahen, so vertrat er zweifellos die objective Wahrheit. Selbst sein Charakter gewann bei einem solchen Vergleich, so viel von einem hausirenden Bandjuden in litterarischen Geschäftchen ihm anklebte. Denn eine gewisse vertrauensselige Kindlichkeit und naive Schläue verliehen ihm etwas Gewinnendes, obschon sein Auge tückisch und böse genug aufblitzen konnte, wenn seine unmäßige Eitelkeit ins Spiel kam. Uebrigens besaß er eine begeistrungsfähige Anempfindung, die ihn das Schöne wirklich erkennen ließ, da er ein grundgescheuter Kerl und keineswegs vernagelt war. Alles in Allem noch immer einer der Besseren, eine der merkwürdigsten Figuren des literarischen Lebens, dieser Commis-Voyageur in Poesie, der trotz alledem für die Berliner Litteraturjuden noch ein unverständlicher Idealist blieb.

Außerdem waren noch die zwei neuesten Größen, Holbach und Krastinik, und der philosophische Speichellecker[159] Oberst von Dondershausen anwesend. Derselbe strotzte ordentlich von Biedermannshuberei, die ihm das glattrasirte Kinn wie Salbungsöl heruntertroff. Seine Fischaugen glotzen erbaulich wohlwollend in die unphilosophische Welt hinein. Da er nachher im Hohenzollernclub ein kornblumiges Festbardit vortragen mußte, war er im Frack erschienen und hatte sein ungewöhnlich reichhaltiges Ordenskettchen angelegt, das ihn als einen erprobten Streber mit diensteifriger Handkuß-Vergangenheit auswies. Er thronte hier hochtrabend mit als Kunstrichter, da der erlauchte Doktor Ottokar von Feichseler soeben die berüchtigte Anthologie realistischer Lyrik unter seine kritische Sonde nahm. Dieselbe lag, hochelegant im Kaliko gebunden, auf dem Tisch und ihr Herausgeber, der fettgesunde Jüngling Erich von Lämmerschreyer, saß mit andächtigem Gesicht davor, wie ein Bußfertiger auf dem Armesünderbänkchen. Mit der üblichen Gewandtheit, welche die weihepriesterlichen Rotzjungen und Tugendbesinger des Jüngsten Deutschland bei Verfolgung ihrer Privatzwecke entwickeln, hatte sich der begabte Neophyt eilig aus Leonhart's Bannkreis entfernt, nachdem er dessen Einfluß ausgenützt. Mit bescheidener Zerknirschung machte er alsbald dem Hohepriester des akademischen Idealismus, Ottokar dem Würdevollen, einen Ehrenbesuch und empfahl die Anthologie, welche er soeben herausgegeben, dessen unmaßgeblichem Wohlwollen. Aus dem Munde eines so hochzuverehrenden Mannes würde ihn auch der strengste Tadel erquicken.

Er kannte halt Ottokar's schwache Seite. Greis[160] Ottokar (er war eigentlich erst 36 Jahre alt, aber erklärte sich für zwanzig Jahr älter, da die Stürme der Erfahrung ihn vorzeitig gebeugt hätten) würdigte diesen schönen Zug und beurtheilte danach den ganzen Menschen. Demgemäß pries er Lämmerschreyer sofort als einen jungen Mann von reinen Sitten und lauterer Gesinnung, der sich von dem Größenwahn der Andern frei halte. Auch lud er ihn zu der kritischen Sitzung ein, die er über die tragikomische Lyriker-Revolution abhielt. Zu allen Urtheilen sagte Erich der stilvolle Schwerenöther demüthig Ja und Amen.


Die wundersame Anthologie aber lautete:


Realistisches Jahrbuch der Lyrik.

Herausgegeben von E.v. Lämmerschreyer unter Mitwirkung aller Genies, die seit 1850 das Licht dieses ärmlichen Erdballs erblickten.


Vorrede.


Auf dem Kreis der hier versammelten Dichter beruht die Zukunft der Menschheit. Erhabener Geist, du hast uns viel gegeben! Wir sind die Erkorenen und rufen dem kommenden Jahrhundert. Was nicht für uns ist, ist wider uns. Nieder mit der ganzen altersschwachen Bagage! Man höre und staune: Mit unserer Lyrik befreien wir die altersschwache Welt! Wir sind die Reformation der Litteratur, welche schon unser lieber Genosse Leonhart prophezeite. Noch hat sich aus unsrer Mitte kein Führergenie erhoben, wie Goethe aus der älteren Sturm- und[161] Drangperiode, obwohl wir bereits einen Lenz in Mokamaute und einen Klinger in Haubitz besitzen. College Hartung mit seinen orientalischen Allüren, die sich an Freiligrath geschult zeigen, fühlt sich dem Maler Müller verwandt und in dem strengen Ernst des Didaktikers Edelmann ahnen wir den Herder unsrer Epoche. Wer vermöchte Klopstock'schen Würdeschwung in unserm Freunde Max Henkelkrug zu verkennen! Schiller'sches Pathos athmet in Vielen, auch in unserm gefeierten Dramendichter Herrn v. Alvers. Kurz, man dürfte sagen, daß die Rollen vertheilt sind, und die thaufrische Blütheperiode einer neuen Klassicität nun losgehn kann. Wie gesagt, nur der Goethe fehlt noch, aber sollte nicht Anno Buchsbaum die Keime eines solchen in sich tragen? Und wenn uns auch Goethe und Schiller versagt blieben, so wird doch hoffentlich unser großer einziger Lessing neu erstehen in unserm Ambrosius Sagusch. Vivat sequens!


Der Herausgeber.


Max Henkelkrug.

Der Weltbefreier.

Der Satan führte mich im Traum

In der Versuchung Bergeswüste

Und zeigte mir den Weltenraum

Sammt allen Schätzen jeder Küste.

Ich lachte in erhabenem Hohn:

»Armseliger, was willst Du schenken?

Zaunkönignestlein – Kaiserthron!

Der Adler soll die Schwinge senken?«
[162]

Hei, Pegasus, ins wilde Turnei!

Grimm sei Dein schneidiger Sporn!

Die Schranken der Sitte sprenge entzwei!

Hell schmettre der Freiheit Horn!

Die Geißel des Spottes in linker Hand

Und das Flammenschwert in der Rechten,

Den Popanz Wahn zu Boden gerannt!

Hinaus zum lustigen Fechten!


Fortreißt der Pegasus mich unaufhaltsam.

Auf, Flammen, mögt ihr prasselnd mich umwogen!

Der Ruhe Halfter sprengt mein Geist gewaltsam.

Nun, Myrmidonen, fürchtet meinen Bogen!

Die Sonnenrosse mögen mich zerschmettern.

Sei nur des Brütens Bann von mir genommen!

Der Aar saugt Lebenslust in wilden Wettern.

Verzweiflung und Martyrium, willkommen!


Ein heller scharfer Ton

Durchs Herz der Menschheit bebt,

Wie vor Posaunendrohn

Einst Jericho gebebt.


Ein Schauder wunderbar

Den Glücklichen ergreift,

Wie wenn ein lichter Aar

Ihm seine Locken streift.


Ein wilder Harfenklang

Um Schmerzverdammte schwirrt,

Wie Saite, die zersprang

Zerissen niederklirrt.
[163]

Ein Schrei, vor dem uns graut,

Im Herzen nimmer schweigt,

Wie klagend eine Braut

Sich auf die Walstatt neigt.


Ein Drängen unbekannt

In freien Seelen stürmt,

Wie wenn Gigantenhand

Den Berg zum Himmel thürmt.


Dies Drängen und dies Sehnen

Verläßt die Menschheit nie

In Lächeln und in Thränen

Und heißt – die Poesie.


Seid ihr hin, ihr schönen Tage

Ohne Plage, ohne Klage,

Wo noch frisch mein Blut,

Wo ich glaubte, niederringen

Könne alles und erzwingen

Stolzer Jugendmuth?


Mann und Greis in früher Jugend,

Ohne Laster, ohne Tugend,

Seltsam war mein Loos:

Bald in kühlen Scheingefühlen,

Bald in der sirokkoschwülen

Leidenschaft Getos.


Jeder Stern ist jetzt verblichen.

Auf der Welt gemeinen Schlichen

Suchte ich Ersatz.

Hab zur Herde mich erniedert.

Doch ich fühle angewidert:

Hier ist nicht dein Platz.
[164]

Liebe mag sich mir nun nahen.

Ach, ich kann sie nicht umfahen,

Denn mein Herz ist todt.

Glück und Ruhm sie mögen kommen.

Ach, mir kann es nichts mehr frommen.

Komm Du, grause Noth!


Wir nur passen noch zusammen!

Schüre mir die letzten Flammen

Für ein Lied empor!

Daß mein Zorn Dir, Sclavenherde,

Einmal zugedonnert werde,

Den ich lang Dir schwor!


Doch der Schmerz, der mich gezüchtigt,

Auch mich läutert und mich tüchtigt.

Jede Thränenfluth,

Die mir brannte unvergossen,

In mein stolzes Herz verschlossen,

Stähle mir den Muth!


Sommer ist dahingegangen

Und mein Blut schleicht matter nun.

Gelb und fahl die Blätter hangen

Und des Waldes Sänger ruhn.


Doch des Herbstes Abendsonne

Röther malt den Ahornhain

Und am Rhein in stiller Wonne

Frisch gekeltert perlt der Wein.
[165]

Ruhig sitz' ich beim Pokale,

Ruhig harre ich der Zeit,

Wo die satten Rebenthale

Und der Ahornwald verschneit.


Nach der Jugend Frühlingswärme

Folgt des Alters greiser Frost –

Winter, glaubst, daß ich mich härme?

Skol Dir, Skol im Herbstesmost!


Ob Dir der Jungfrau Scherz

Wie Rosenduft gefalle,

Der verschwiegene Mannesschmerz

Gleicht gediegenem Metalle.


Wenn die Sonnenstrahlen funkelnd

An den Bergesspitzen haften,

Selbst den Schluchten, grausig dunkelnd,

Reiz verleihn sie, zauberhaften.


Wenn ein Regenschleier schaurig

Dir verbirgt der Sonne Glänzen,

Dann erscheint Dir trüb und traurig

Selbst der Matten frohes Lenzen.


Krieg allem Feigen, Schlechten, Morschen, Alten!

Ich fühle auf der Stirn den Weihekuß.

Mit Arimanes' ewigen Gewalten

Des heiligen Feuers Priester ringen muß.


Kampf ist die Losung. Mit der Wahrheit Nadel

Durchstech ich geistig Blinden ihren Staar.

Was ficht mich an der Menge Lob und Tadel?

Was ficht mich an Verkennung und Gefahr?
[166]

Harold Theopol Mokamaute.

Aus allertiefstem Wonneweh.

Die dumpfe Dämmrung lastet

Auf meinem Adlergeist,

Seit mein unsterbliches Sehnen

Als sterbliche Liebe kreist.


Es kreist wohl über die Erde

Zur blauen Ewigkeit, –

Der Liebe Strahlenbrücke

Führt über den Schlund der Zeit.


Und floh auch Deine Liebe,

Die meine kann nicht entfliehn.

Und fliehst Du aus dem Leben,

Mir kannst Du Dich nicht entziehn.


Dein Tod zieht nach mein Leben,

Dein Schatten mich dann umschwebt,

Bis mit Deiner süßen Leiche

Für ewig er mich begräbt.


Ich will für immer verzichten

Auf jede Unsterblichkeit –

Denn ohne Deine Liebe

Wär sie unsterbliches Leid.


Und kann die Seele lieben

Wie hier im Aetherraum, –

Sie könnte nicht ertragen,

Was hier zu träumen kaum.
[167]

Denn hier auf Erden ist Liebe,

Die nimmer vergeht, ein Traum –

Für die Wirklichkeit des Glückes

Hat keine Seele Raum.


O süß-unsterbliche Wonne,

Für ewig zu enden nun,

Doch ewig Wange an Wange

Im selben Grab zu ruhn!


Nur keine Thränen, keine eitlen Klagen!

Ich werde nie Dich wiederschaun im Leben.

Doch Dich verlierend werde ich Dir sagen:

Ich hatte meine Liebe Dir gegeben.


Alles ist froh und alles ist hold

Vom Grasgrün bis zum Sonnengold.

Die Erde lächelt in Mairegenduft

Und Iris schwingt sich in schweigender Luft.

Und das liebliche Mägdlein bückt sich munter,

Blumen zu sammeln in kunterbunter

Farbiger Reihe zu reizendem Strauß

Und füttert die Sänger im Vogelhaus.


Sehnend streck' ich die freien Glieder,

Jauchze Glückauf in die schimmernde Luft.

Ströme unendlich beseligend nieder,

Neuer Welten balsamischer Duft!


Ein Veilchen, fand ich Dich im stillen Haine,

Sorglos ob je, ein Auge auf Dich fällt.

Doch eine Rose heut im Sonnenscheine

Blühst duftig Du, ein Wunder aller Welt.


[168] Ich lieg im Schooß Dir neugeboren: Als Sohn und Buhlen

Hast Du, Madonna, mich erkoren, mich mütterlich zu schulen.

Den Bund von Frühling und Sommer mag später ein Sprosse krönen,

Auch ich an Deinen Brüsten lag: Zähl auch den Gatten zu Deinen Söhnen.


Sprichst Du zu einer Frau: »Sie sind sehr tugendhaft,

Sehr geistreich und sehr weise, vollkommen ganz und gar,

Doch leider – daß doch Gott nichts ganz Vollkommnes schafft! –

Sie sind nicht schön« – sie denkt: »Der Dummkopf, der Barbar!«


Sprichst Du zu einer Frau: »Sie scheinen lasterhaft,

Albern, gemein und dumm, doch dies gesteh ich dreist:

Sie sind sehr schön, Sie reizen des Mannes Leidenschaft« –

Sie denkt: »Der Mensch ist roh, doch hat er wirklich Geist.«


Leer sei Deine niedre Stirn,

Jammerst Du, Du dicke Gute?

Ei was thut's, Grisettendirn?

Fülle steckt in Deinem Blute.

Weiter will ich nichts vom Weib:

Volles Herz in vollem Busen,

Treue und gesunder Leib.

Alte Jungfern sind die Musen.


Faul sind wir von Natur in allen Stücken,

In einem Punkt nur fleißig immerdar:

Uns selbst zu quälen will uns immer glücken,

Denn hier sind wir erfinderisch fürwahr.


Es ist ein Tantalusgefühl,

Zur Sinnlichkeit sich selbst zu treiben,

Doch im Genuß noch nüchtern-kühl

Und ohne Wonnerausch zu bleiben!
[169]

Nicht zähmen die verworfne Gier

Und deutlichst ihre Folgen kennen

Als wolle man nicht löschen schier,

Aus Faulheit lieber so verbrennen!


Wenn ich in das Lotterbette eile,

Ist es nur, mich zu verstecken

Vor der Fledermaus der Langeweile,

Die mich hetzt in allen Ecken.

Ach, es ist nicht mehr der Reiz der Sinne,

Denn ich weiß, was ich dabei gewinne:

Einen Katzenjammer besten Falles,

Einen schnöden Kitzel – das ist Alles.

Wird mein Wille mich denn nie erretten

Von den langgetragenen schweren Ketten?

Ja, ich thue einen großen Schwur:

Will mit einem Rucke sie zerreißen,

Tilgen jedes Sündenbrandmals Spur

Und den innern Moloch von mir schmeißen.

Liebe war es oft, die mich verführte

Und mit Leidenschaft das Herz mir rührte –

Kalt und ruhig blick' ich nun umher,

Keine Liebe kann mich locken mehr.


Es leuchtet in meines Innern Haft

Die Central-Seele der Welten.

Doch auch die Flamme der Leidenschaft,

Sie lodert daneben – was hilft das Schelten?


Vom Herbstwind eine Frühlingsblum' geknickt

Sahst Du noch nicht?

Dein Auge leicht dies Phänomen erblickt:

Mein Angesicht.
[170]

Elender, sieh Dein Bild in diesem Spiegel!

Die Lippe blaß, die Stirne düster!

Ehrloser Lüste und des Grames Siegel

In jeder Falte ausgeprägt.

Ach! Meiner Sünden Leiden trägt

Dies Antlitz, wüster, immer wüster.


Ich dämmte in mir meiner Liebe Fluth

Und barg voll Muth die innerliche Gluth

Und widerstand den Augen, die mich riefen:

»Was zauderst Du? O laß den Blick, den kalten!

Soll ich vor Dir denn noch die Hände falten?«

Die Zweifel, Zorn und Kummer, die schon schliefen,

Weckt' ich auss neu, um mich ihr fern zu halten.

Denn so nur in dem selbstgeschaffnen Leid

Könnt' ich das Werk vollenden, das ich plante:

Die Zukunftsschöpfung meine Seele ahnte,

In der mein Gram ward zur Unsterblichkeit.


O könnt ich nur einmal die Liebesqual,

Bekennen, mich stürzen zu Deinen Füßen,

Und auf sie drücken das Henkermal

Wuthbrennender Küsse, die Lust zu büßen!


Um Deine Kniee mit heimlicher Gier

Meine Arme brünstig stehend verschränken,

Deine zitternde Hüfte umspannend, zu mir

Deinen wallenden Busen, niedersenken.


Und immer weiter tasten jetzt

Auf taumelnder Inbrunst Stufenleiter,

Bis meine lüsterne Lippe zuletzt

Vom Nacken kostet weiter und weiter.
[171]

Bis die zarte Wange an meiner lehnt!

O könnt ich das Eis Deiner Keuschheit schmelzen!

Ha, wie der Verschmähung Rache sich sehnt,

Dich schwelgend durch Höllensümpfe zu wälzen!


Paulus Hartung.

Grabesseufzer an Serafina.

Die Perle birgt sich in der tiefen Muschel,

Brich sie heraus, so stirbt das Muschelthier:

Zur Liedesperle formt sich die Empfindung.

Doch ach! das Herz es bricht darüber Dir.


O sage nicht, daß dahin Deine Zeit

Und daß Deine Schönheit zu früh verblüht

Und daß Deine Jugendfreudigkeit

In der Schwermuth Asche für immer verglüht.

Einst streifte Dein Falkenauge nmher,

Deiner Schönheit Beute suchte es sich.

Nun senkt Dein Blick sich liebeschwer,

Wie der Taube, die nie vom Neste wich.

Und ist Dein Schritt nicht mehr so leicht?

Doch kehrte ich aus der Fremde zurück,

Entgegen eiltest Du mir vielleicht

So schnell, wie früher im Jugendglück.

Und wäre auch Deine Schönheit verblüht,

Sie blühte weiter im Herzen mir.

Denn ewig bewahrt ein liebend Gemüth

Die Rose der Erinnerung hier.
[172]

Ich möchte stehn, wo wie ein flinker Aar,

Deß Fittich leuchtet in der Sonne klar.

Wie weiße Federn sträubend seine Wellen,

Herniederstößt vom Berg der Wasserfall,

Bis am Granit die Fänge ihm zerschellen.

Wie Banner Wassersäulen wehn, die hellen,

Durchwirkt mit Gold, Rubinen und Smaragd,

Und schmetternd rollt es, wie Drommetenschall,

Wie Pauken wirbelt es in dumpfem Takt,

Und höher, dichter thürmt sich Wogenschwall,

Als lärme eine Heerschaar von Rebellen

In diesem Höllenschlunde, von Dämonen,

Die mächtig rütteln an den Felsenthronen,

Bis sie sich selbst erobert Sonnenkronen.

Hier möcht' ich stehn an des Verderbens Quellen,

Wo aus dem Abgrund dumpfe Schreie gellen.


Trüb war mein Blick von unvergossenen Thränen,

Mein Auge noch Dein Auge mied.

Daß Du verbergen wolltest, konnt ich's erwähnen,

Wenn sanft Du niederschlugst das Lid,

In Deinem Auge nur den Widerschein.

Verstohlenen Mitleids, das mir galt allein?


Ein Augenblick hat mir Dein Herz erschlossen,

Zum Tag des Glücks bin ich erwacht.

Auf welke Herzensblumen hat ergossen

Des Friedens Thau sich über Nacht.

Als Deine Lippe zitternd mich berührt,

Ward jedes Leidens Schatten mir entführt.


Und neue Sonne lag in Deinem Blicke.

Von mir Du fortgezaubert hast

Mit süßer Ueberredung die Geschicke,[173]

Die lange mich verwandelt fast

In eine Mißgestalt, ein Zwittersein,

Ein falsches Wesen, dessen Kälte Schein.


Doch jetzt fällt ab von mir die feige Hülle

Und ich bekenne laut und frei

All' meiner Liebe Uebermaß und Fülle,

Werf' ab des Stolzes Sclaverei,

Der mich vermummt ins fade Geckenkleid.

Frei will ich nun bekennen Lust und Leid.


Ich bin ein Künstler. Und das wahre Siegel

»Von Gottes Gnaden« ist Dein Mund.

Dein Aug' ist meiner eignen Seele Spiegel,

Ich schaue deutlich bis zum Grund

In der Gefühle Strom, den Quell der Triebe.

Mein Auge schärft der Sonnenstrahl der Liebe.


Daß ich ein Künstler, fühl ich erst durch Minne:

Jetzt springt die Fluth des Himmelsquells,

Den noch verbarg der grobe Staub der Sinne

Und des Verstandes kalter Fels.

Der Muse Gruß ist der Geliebten Lippe,

Und wahre Liebe wird zur Aganippe.


Gedanken bleichten Deiner Wange Glanz,

An ihrer weißen Rose zehrt der Gram.

Doch würde Freude oder holde Scham

Umwinden sie mit rötherm Rosenkranz,

Fürcht' ich, daß dieser rauhere Schimmer ganz

Die wahre Anmuth Deinem Antlitz nahm.

Zu früh der Sturm der Leidenschaften kam,

Wollüstig wirbelnd Dich im Lebenstanz.
[174]

Der Reue Dorn an Deinen Blüthen nagt,

Der Unschuld Frische ist Dir nicht geblieben,

Nur Liebesthau Dein welkes Herz erfrischt.

Zu brechen ach! Dich meine Hand nicht wagt,

Ich scheue jenen Dorn trotz allem Lieben,

Denn Deiner Farben Schmelz scheint nur verwischt.


Wie Moses, der geschaut das heilige Feuer,

Nicht sagen konnte, was er dort entdeckte,

So auch mein Geist für immerdar bedeckte

Meine Gedanken mit der Liebe Schleier.

Eh mögen meine Haare mir erbleichen,

Eh ich bekenne, was ich oft gelitten.

Wohl hast mein Herz Du mittendurch geschnitten,

Doch keine Thräne siehst Du niederschleichen.

Kein Blut so locken dreischneidige Klingen

Aus Wunden, innerlich verblutend, schweren,

Doch Todesblässe sie den Wangen bringen.

Auch Du vermißt in meinem Auge Zähren,

Wenn Deiner Worte Dolche mich durchdringen,

Mein bleiches Antlitz aber sollst Du ehren.


Zwei Sterne waren's und ein Glanz von Rosen,

Weißröthlich als ob Schnee darüber flockte,

Das war's, was in der Liebe Schlinge lockte

Mich schon Erstickenden und Odemlosen.

Ich brenne, brenne. Ströme nicht noch Meere

Verlöschen meine Gluth, doch brenn' ich gerne.

Entzündend mich an ihrem Augensterne,

Aufs neue stets ich weiter mich verzehre.
[175]

Ja, wie ein Phönix in die Flamme springe

Ich selber, die an meinem Marke prassen!

O wie viel süßer wäre doch die Schlinge,

Wenn ihre Arme wollten mich umfassen,

Und glichen sie dem heißen Feuerringe!

Wohl bin ich frei, doch bin ich glückverlassen.


Todtenlied auf die Geliebte des Kalifen.

Wehe, wehe über diese Todte,

Die der Sturm gepflückt in ihrem Lenze,

Eh der Gluthstrom ihrer Brust verlohte –

Sie die Herrin in dem Land der Tänze!

Sie die Herrin in dem Land der Sänge,

Sie die Herrin in dem Land der Rosen –

Laßt drum ihrer Heimathlieder Klänge

Ihre fliehende Seele noch umkosen!


Auf die schwarze Gruft laßt niederflattern

Weiße Rose, die zu Schiras sprießet!

Denn als Pflicht geziemt es den Bestattern,

Daß ihr schönes Leben schön sich schließet.


Nun hat sie das erste Leid betroffen,

Daß auch dieses wandelt sich in Gnade:

Früh steht Allah's Sternensaal ihr offen

Und zum Tubabaum ziehn ihr Pfade,

Während wir die Häupter niedersenken,

Sündenreif, der kargen Erndte harrend,

Und erst spät zum Grabe wankend lenken,

Fast willkommen uns entgegenstarrend.
[176]

Sie ist glücklich! Darum auf, Gebieter,

Welchen mehr, als uns, sie hat verlassen!

Warum willst Du, ihres Leichnams Hüter,

Deiner Jugend Mark in Gram verprassen?

Dreier Tage Lauf ist Dir verstrichen,

Speis und Trank versagend Deinem Munde –

Bleich wie sie, die Dir und uns verblichen,

Stierst Du starr und schweigend in die Runde.


Wartest, ruhend neben ihrer Leiche,

Kalt wie sie durch Dein erbittert Härmen,

Ob Dein warmer Odem wohl sich schleiche

In die Adern ihr, das Blut zu wärmen.


Doch genug! Erhebe Dich, Kalife!

Wenn der Liebe Freuden auch geschlossen,

Ist Dir's nicht, als wenn Drommete riefe

Oder Schnauben von beherzten Rossen?

Und Dein Reich, Kalif, es ruft Dich strenge,

Daß den Scepter fremde Hand nicht fasse!

Ferne hör' ich tausendstimmige Menge,

Feindestritte hör' ich nahn, erblasse!

Nein, erröthe in gerechtem Zorne!

Laß die Todten und das Leben wähle,

Daß an unstillbarer Sehnsucht Dorne

Nicht verblute Deine starke Seele!


Also hätte ja auch Sie gesprochen,

Wenn der Feinde Schaaren Dich umdrohten!

An dem Feinde sei ihr Tod gerochen:

So gedenk', o so gedenk' der Todten!
[177]

Rafael Haubitz.

Aus dem Morast der Sansara.

Jüngst im Traum durch Kaschmirs Hain

Schritt ich hin auf weichem Rasen,

Wo Jungfrauen, selbst ein Kranz,

Rosen sich zum Kranze lasen.

Und ich wollte lechzend schon

Meine Auges Gluth versenken

In den Blick der schönsten Frau,

Sinn und Seele, all mein Denken.

Wollte an mein fiebernd Herz

Ihren weißen Busen pressen

Und in wilder Liebeslust

Zeit und Ewigkeit vergessen.

Ich erwachte. Nacht um mich.

Einsam war ich und verlassen.

Todte Nacht, nur einzeln schlich

Noch ein Schwärmer durch die Gassen.


Wie unschuldsrein sind Deiner Lippen Rosen,

Wie jugendfrisch und rosig Deine Wangen,

Wie weiblich sanft Dein schmeichlerisches Kosen!

Doch tief im Herzen wohnen giftige Schlangen.

Längst ward es ein Morast, in dem versunken

Ein jedes reinre Fühlen, schmutz-getödtet.

Dort wohnt das Irrlicht nur und finstre Unken.

War diese weiße Stirn je schamgeröthet?


War früher je Dein Herz ein Friedensweiher,

In dem sich spiegelte der Stern der Reinheit?

Die Taube Weiblichkeit, hat sie der Reiher

Der Noth verscheucht vom Sumpfe der Gemeinheit?

Ach, überm giftgen Abgrund fliegt die Taube[178]

Verzweifelt hin und wieder in der Herde

Der Fledermäuse, flügel-lahm ihr Glaube

Und fern die Hoffnung auf die Heimatherde.


Sie winkt am Sumpfessaum, ein grüner Anger –

Umsonst! Nachtfalter schwirren dicht und dichter,

Die Taube stürzt sich, flatternd bang und banger,

Betäubt hinab, ihr eigener Vernichter.

Doch bist Du eine Taube, süße Schlange?

Warst Du es je? Du plätschertest mit Wonne

Im heimathlichen Kothe wohl schon lange –

Du mit dem reinen Antlitz der Madonne!


Denn keinen Flecken ließ das Schmutz-Geträufel

Auf Deinen holden Zügen. Zu der Katzen

Geschlecht gehörst Du, Engel halb, halb Teufel.

Wie möchten Deine Tatzen mich zerkratzen!

Doch sehnsuchtsvoll singst Du Sirenen-stimmig,

Als sehne sich Dein Herz nach reinerm Fühlen.

Folgt' ich Dir aber, würdest Du mir grimmig

Das Herz zerreißen, um damit zu spielen.


Gleich wie mit zartem Pfötchen sich ein Kätzchen

Ein Mäuslein fängt als Spielzeug – wie possirlich!

So würdest Du mich Stück für Stück, mein Schätzchen,

Zerfleischen – doch wie zierlich und manierlich!

Du echtes Weib! Das Weib schon eine Sphinx ist,

Liebe im Auge, Wollust in den Adern.

Und wer im Bann des Liebeszauberrings ist,

Soll mit der Fee, die ihn behext, nicht hadern.


Sie übt nur ihr Metier, wer will drob schmälen?

Und das, mein Kindchen, euch am meisten kitzelt,

Selbst wenn ihr wiederliebt, die Lieb' zu quälen.

Das Mündchen seinen eignen Kuß bewitzelt.[179]

Denn wenn auch wahre Leidenschaft euch schmeichelt

Und ihr sie sucht und anfacht, so verlogen

Ist die Kokette, daß sie Kälte heuchelt,

Bis es zu spät ist und der Traum verflogen.


Mein flammend Herz das ist ein Tabernakel,

Zu Weihrauch dort verbrennen Deine Mängel:

Aus dieser Gluth, abschmelzend allen Makel,

Ein Phönix, neuverjüngt, rein wie ein Engel,

Wirst Du entsteigen, die Du aus dem Schlamme,

Wie Venus aus dem Meere stieg, entstiegen

Mit keuscher Anmuth. Meiner Liebe Flamme

Soll zu dem Scheine noch die Wahrheit fügen.


Denn wer versteht unschuldig noch zu scheinen,

Wer äußerlich den schönen Schein bewahrte,

Wird innerlich, daß es nur Schein, beweinen.

Und, wenn sich wahre Liebe offenbarte,

Weit klarer ihre Lieblichkeit erkennen.

Dem Christus folgt zuerst die Magdalene,

Denn Er vergiebt. Wo seine Küsse brennen,

Da trocknet die nutzlose Reuethräne.


Reue? Warum? Blieb lauter nur die Seele

Und kann sie nur zur Liebe sich erheben,

So schwinden alle äußern Sündenfehle.

Wer viel geliebet, dem wird viel vergeben.

Frohsinn wird dann verschönen Deine Züge,

Aus Thränen sprießen blumenreine Triebe.

Verbanne von den Lippen jede Lüge

Und glaube was Du ahnst: Daß ich Dich liebe!
[180]

Die unverdiente Schmach erdulden müssen

Und selbst verdiente ist wohl bittre Pein.

Und bitter, an des Grames schwarzen Flüssen

Umirrend, fern dem Quell des Trostes sein.

Vom Heim und seinen Lieben fortgerissen,

Das Meer durchmessen einsam und allein,

Zu suchen Sicherheit am fremden Porte,

Nie zu betreten mehr vielleicht der Heimath Pforte.


Es ist wohl bitter, wenn ein König Dich,

Ein Volk, dem Du Dein bestes Blut geschenkt,

Mit einem Tritt fortschleudert. Sicherlich

Des Undanks Wort und That Dich bitter kränkt.

Und Haß, der in des Freundes Herz sich schlich,

Durch grundlose Verleumdung nur gelenkt,

Ist bitter, bitter höhnende Verachtung,

Und einem stolzen Sinn noch bittrer: Nichtbeachtung.


Gekränkte Ehre bitter einem Ritter,

Und in des Kriegers Brust das kalte Erz,

Der mit sich fallen sieht sein Land und bitter

Um ein zertretnes Vaterland der Schmerz.

Und bitter, wie ein luftversperrend Gitter

Den Kranken und Gefangnen, quält das Herz

Der falsche Stolz, der, wenn's nach Liebe ringt,

Aus eitlem Eigensinn und Trotz sich selbst bezwingt.


Verkannt zu werden bitter und noch mehr;

Verstanden nicht zu werden. Bitter Tod

Im Kern des Lebens. Bitter einem Seh'r

Vorauszusehen seines Volkes Noth.

Bitter, stirbt eine Sendung stolz und hehr

Mituns, zu sterben. Bitter ist das Brot

Der Armuth, bittrer noch ist Sündengeld.

Verschmähte Liebe scheint das Bitterste der Welt.
[181]

Und dennoch Dinge giebt's, die bittrer sind

Für Seelen stark und fest, wenn auch nicht rein,

Und edel, wenn auch kalt. Wie Schauer rinnt,

Dies bitterste Gefühl durch Mark und Bein.

Lieben und nicht geliebt zu werden find'

Ich eine Wonne neben solcher Pein.

Was ist vom Bittern übrig denn geblieben?

Es ist: Geliebt zu werden und nicht wieder lieben


Wenn taufendfach ich umdräut von Weh,

Wenn rastlos steigt der Leidenssee

Und zur Krisis drängt das Lebensfieber,

So ist mir wahrlich dies noch lieber,

Als wenn ein einzeln nagender Kummer

Vergiftet den zufriedenen Schlummer.


Wie ich Dich liebe kann ich nimmer sagen,

Nie habe mein Geheimniß ich gebrochen:

Ich will es ohne Klagen weiter tragen,

Der Gram bleibt ungeheilt und ungesprochen.

Denn Scham muß ein Bekenntniß mir verwehren:

Ich würde vor mir selber mich entehren.


Ich halte nächtlich Dich im Traum umfangen,

Ich kühle meine Gluth an Deinen Lippen

Und schmieg' an meine Deine blassen Wangen,

Am Necktar höchster Wonne darf ich nippen.

Doch Morgens ließ der Traum mir nichts als Thränen

Und ungestilltes unzähmbares Sehnen.
[182]

O knisterndes flammendröthliches Haar,

O schwüle Farbe der Wangen!

Dein Rehaug' blickt so klug und klar,

Als kenne es kein Verlangen.


Der Geist so herrlich entfaltet und

Die Rede so weise-gemessen!

Wir schließen wahrhaftigen Seelenbund,

Der Leib wird fast vergessen.


Das äugelt so keusch, das girrt so sanft,

Doch unter den Wimpern es lodert,

Und die Scham wird plötzlich zu Boden gestampft

Und fleischliche Opfer gefodert.


Hingebende Wuth, die einander trutzt!

O rasende Sehnsucht der Sinne!

Bald hast Du Simson abgenutzt,

O Astaroth der Minne!


Begierde ist ein Fieber-Rausch: Mein Fieber

Austobte im Delirium

Und kalt durchfröstelt es mich drum.

Ach, rationelle Heizung wär mir lieber!

Der innere Verbrennungsprozeß

Wird delirium tremens durch Exceß.

Man sagt, dem Säufer schlage zur Kehle

Heraus die Flamme vom Alkohole, –

O schlüge die Flamme aus meiner Seele –

Erkaltende Asche, verglimmende Kohle

Könnt' ich nur all meinen Spiritus

Phosphorisch leuchten lassen zum Schluß
[183]

In einer Geistesflamme! Statt dessen

Die Flammen nach Innen weiterfressen,

Den wahren Zündstoff so verzehrend,

Des Schaffens Ausbruch ihm verwehrend.


Mitternacht ist lange schon vorüber.

Einsam irr ich durch die regennassen

Von dem Morgenwind durchheulten Gassen.

Röthliche Laternen brennen trüber.


Fort die Kaufmannsstraße lang-langweilig!

Rings im Ehebett schnarcht der Philister.

Schnee und Hagel, tückisches Geknister.

Und den Tod im Herzen, weiter eil ich.


Schaudernd hin am kalten schwarzen Flusse!

Springe! Welt und Gott hat Dich verlassen.

Warum blöde nur das Dasein hassen?

Wirf es ab mit einem raschen Gusse!


Wer im Strom des Genusses zu baden gewillt,

Darf nimmer zaudern und zagen,

Wo die Naphtaquelle der Wollust quillt,

Hineinzutauchen wagen.


Ausbranden muß sich die Leidenschaft,

Bis der letzte Schaum zerronnen.

Vergeudet ist nur die geopferte Kraft,

Wenn nicht durchgekostet die Wonnen.


Den Wermuth schüttelst vom Mund Du Dir,

Den Kelch zur Hefe genossen!

Doch grämelt die halb gesättigte Gier

Ueber Freuden, die halb zerflossen.
[184]

Und willst Du Dich spröde entziehen der Lust,

Wird heimliche Brunst Dich verzehren.

Einlullt die Wollust die müde Brust,

Wird Dir Behagen bescheeren.


Und wenn Dir das Laster Gewohnheit wird,

So wolle es nicht mehr bezwingen!

Folg' der Gewohnheit unbeirrt,

Die Tugend kann nie mehr gelingen!


Mit einem feierlichen »Pfui!« unterbrach hier Dr. v. Feichseler die Vorlesung der einzelnen Stücke. »O wie widerlich, wie widerlich! Diese Versündigung an sich selbst, dies Wühlen in Unzucht und Größenwahn! Wohin, meine Herrn, wohin flieht die Moral, die Moral!«

Die kahle Glatze des eleganten Männchens strahlte von sittlicher Entrüstung. Alle Haare, die er je verlor, schienen sich in Gedanken emporzusträuben. So vertheidigt man nur die Moral, wenn man die traurigen Folgen kennt, welche das Abirren vom Pfad der Tugend strafen. War er nicht besonders berufen, als getreuer Ekkart zu warnen, er, den der Venusberg in stürmischer Jugend so grausam gerupft?

»Mich chokirt weniger die Immoralität,« docirte Dondershausen, »als die Zuchtlosigkeit dieser jungen Schwärmer. Wie kann man dichten, ohne ein Privatissimum in der Logik und exacten Philosophie gehört zu haben! Kant's ›Kritik der reinen Vernunft‹, meine Herrn, das erhabenste Werk, so der Menschengeist geschaffen,[185] kann diesen jungen Herrn zur Lectüre nicht dringlich genug empfohlen werden. Bezüglich der Sinnlichkeit in der Kunst denke ich bekanntlich anders, als unser verehrter Wirth. Allein, es muß eine geadelte Sinnlichkeit sein. Man lese meine ›Elegieen vom Mügelsee‹ in Hexametern, von welchen, wie ich wohl sagen darf, eine ganz neue Kunstanschauung der Sinnlichkeit herdatirt. Herr Graf haben sie ja gelesen?«

Krastinik verbeugte sich schweigend. Es war ihm widerlich, diese beiden abgelebten Pedanten ihr Gequatsch wiederkäuen zu hören. – Der Eine als moralischer Akademiker, der Andre als »vornehmer« »ritterlicher« Idealist, der seine greisenhafte Brunst mit ledernen philosophischen Phrasen verbrämte.


Man las weiter in der Anthologie.


Heinrich Edelmann.

Pfingsten eines Gottsuchers.

Rastlos wandernd ohne Grauen,

Würde es auch spät und später,

Wirst Du blauen klaren Aether

Durch des Urwalds Dickicht schauen.


Das ist der ruhige Fyord,

Der seinen Gruß entboten

Vom Heimathort zum Meere fort

Als sichrer Port dem ringenden Piloten.
[186]

Ist gleich des Glücks Symbole

Das Alpenglühn versunken,

Strahlt noch ein letzter Funken

Auf höchster Alp, des Ruhmes Aureole.


Das ist am Lebenshorizont

Der Abendstern, der später gern

Umwandelt sich zum Morgenstern,

Der durch des Todes Schatten bricht,

Bis sich an neuem Lebenslicht

Die auferstandne Seele sonnt.


Dem Edlen ist das Leben hold:

Der Ruhe Balsam und der Weisheit Gold

Vertraulich spendet jede Nacht.

Die Glorie der Kunst, das Meteor der Träume

Durchzuckt der Seele Sternenräume

In ungeahnter Wunderpracht.

Die auserkornen Geister aber hören

Egerias Geheiß in unhörbaren Chören,

Sich unsichtbare Geister zu beschwören.


Im Walde über Stock und Stein

Irrt König Artus, hinterdrein

Irret die Tafelrunde.

»Merlin, Merlin!« so hallt ihr Schrei'n

Aus weheklagendem Munde.


Merlin, der mystische Seher, hört

Kein einzig Wort, er starrt bethört

Nur in die Augen seiner Trauten,

Die ihm den Weisheitsstolz bethört,

An dem Jahrhunderte bauten.
[187]

An der Weißdornhecke sitzt er nun,

Sein Bart ist Moos, seine Füße ruhn,

Von Sommerfäden umschlungen.

Er ist verzaubert und merkt es nicht,

Starrt in der Nixe Angesicht,

Von ihrem Reiz bezwungen.


Die Seele verkauft sich der Liebeslust

Und dem üppigen Außenleben,

Doch der Liebesschmerz in des Denkers Brust

Wird neue Flügel ihr geben,

Abschüttelnd den eiteln Maienblust,

Bis der Sehnsucht Schwingen sich heben.


Die getrennten Glieder sind dann vereint,

Der Völker Tafelrunde.

Und Artus' Schwert mit dem letzten Feind

Sank zu der Vergangenheit Schlunde.


Zum Feeenschloß Avillion,

Zu den Inseln der Seligen, pilgern schon

Alle Templeisen im Bunde.

Und dort, von Sinnlichkeit erlöst,

Merlin das Saisbild entblößt,

Des Grals geheimnißvolle Kunde.


Gerhart Heidenauer

Messiasleiden eines Promethiden.

Zu Schmerz und Sünde wird der Mensch geboren,

Sein innerst Wesen nur ist Schmerz und Sünde.

Laokoon, durch alle Deine Poren

Gift spritzen dieser Schlangen Eiterschlünde.

Der Dichter aber wurde auserkoren,

Daß der Dämonen Walten er verkünde.[188]

Er trägt der ganzen Menschheit Sündenschmerz.

Ein Heiland, der gekreuzigt, ist sein Herz.


Nur einen wahrhaft Glücklichen ersinne,

Dem weder äußre Noth noch innre Qual

Das Sein vergällen, dem nicht Ruhm noch Minne

Den Sinn verrücken, der ins Erdenthal

Herniederlächelt von der Weisheit Zinne,

Den auch der Andern Sündenschmerz zumal

Zu Mitleid nicht erregt und edlem Zorn:

In ihm selbst quölle noch des Leidens Born.


Zwischen zwei Polen schwebt das Menschenloos:

Ein wirklich Weh und eingebildet Leiden.

Nicht nur der Schiffer im Orkangetos

Bebt auf der See, die Riffe zu vermeiden.

Falsch ist's, daß in des Hafens sicherm Schoos

Die Sicheren sich an fremder Mühsal weiden,

Sie beben auch in ahnungsvollem Graus,

Die Phantasie malt größere Schrecken aus.


Die Eifersucht ist aller Schmerzen Quelle,

Ob um ein Weib sie Dir das Sein vergälle,

Ob Dich im Ruhmkrieg kränke ein Rival.

Ruhm, Macht, Genuß, Gold, Liebe, Alles schal.

Verwirf sie alle, Tod heißt jede Wahl.

Mann, Weib und Thier verfallen allzumal

Dem Weltprinzip und dies Gesetz heißt Qual.

Wen sie verschont, der schafft sie sich zur Stelle,

Denn ohne Qual sinkt in das Nichts das Sein.

Das All und Nichts sind schmerzenlos allein.

Doch Wiege ähneln sich und Totenschrein,

Zum Leben selber führt des Leidens Schwelle.[189]

Und weil ein höheres Sein der Genius,

Noch höhere Qualen er erdulden muß.

Wenn der Gedanke, fern von Tageshelle,

Selbstmord verübt in seiner dunklen Zelle.


Wohl lehrte die Erfahrung schon von je,

Daß was Euch Schuld bedünkt, nur eitel Weh.

Doch ist's noch mehr: Ein unbewußtes Ahnen

Führt Sündenlose auf der Sünde Bahnen.

Und Weise, über Nichtiges erhaben,

Versuchen sich an Nichtigem zu laben

Und Epimetheus müht sich um Pandoras Gaben.


Denn schwach und zärtlich ist der Künstlergeist,

Leicht das Gewebe seines Innern reißt.

Drum möge er, zum Kampfe sich zu stählen,

Das Irdische dem Himmlischen vermählen.

Die Sehnsuchtthränen nach dem Ideale

Verschlucke Du und opfre mit dem Baale!

Taugt stets Dir Alpenluft? Sei Mensch im Erdenthale!


Du denkst des Sterns, der einst die Wüste Dir erhellt.

Doch Der verhüllte sich in Wolkennacht.

Und einsam nun Dein Herz im Dunkel wacht.

Der Reue Schakalschrei Dich ruhelos umgellt.


In einer Wüste stehst Du ohne Quell und Thau.

Es grinsen rings auf frührer Lebensbahn

Gerippe manch verschollner Karawan'.

Dein wunder, müder Fuß tritt Kiesel hart und rauh.
[190]

Weh dem, der opfern will die flüchtige Gegenwart

Der Zukunft, schwanger stets mit neuem Plan!

Doch unheilbaren Siechthums Unterthan

Ist, wer mit trübem Blick stets nach Vergangnem starrt!


Anno Buchsbaum.

Schnitzel aus dem Schuldbuche der Zeit.

Still, Krähen! Denn der Löwe brüllt. Die Tatzen

Zeigt er Euch, Minnesänger-Miesekatzen.

Von meiner Feder hofft nicht Degenstöße,

Nur Tatzenhiebe ziemen Eurer Blöße.


's ist Mai. Ein wunderschöner Monat, gelt?

Ja, alle Gaben, die herniedergießt

Aus vollem Horn der Frühling auf die Welt,

Mein frommer Sinn andächtig mitgenießt.

Mit Eimern regnet es vom Himmelszelt

Und alles Unkraut wunderherrlich sprießt.

Ach! Ueber's Wachsthum bin ich schon hinaus,

Obwohl ich hutlos wandle aus dem Haus.


Damit der Frühlingsregen salbe mir

Das Köpfchen und mir neues Wachsthum sende.

Denn aufwärts, wie man wähnet, streben wir,

Wenn uns das Haar durchnäßt die Himmelsspende.

O Streberthum! Was war die Frucht der Gier?

Der radikalste Schnupfen nur am Ende!

Doch freilich (o Mirakel!) wächst mein Bart!

Ja, weil seit Tagen er rasirt nicht ward.
[191]

So zeigt sich falsch doch jeder Ammenglaube:

Zu jedem Ding natürlich ist der Grund!

(Gelt, weise?!) Wie im malerischen Staube

Das Meer der Gärten fluthet grün und bunt!

Und wie die Wolke fliegt gleich einer Taube

Entlang die Himmelkuppel blau und rund!

Auch Fröschehallelujah hin und wieder

Und wie berauschend duftet frischer Flieder!


Mit neuem Flieder stets geheimnißvoll

(Ich ahne irgend einen Magnetismus)

Ein neu Gefühl der Brust erblühen soll.

Wodurch? 's ist jedenfalls ein Ding auf ismus.

Schon fühlt' ich 'was, mein Bein vor Rührung schwoll,

Da merkte ich, es war Herr Rheumatismus.

Und das Gefühl saß nicht im Herzen, nein,

Der Frühling regte sich in meinem Bein.


Dies Klima überhaupt! Frau Sonne heut

Glotzt frech vom Himmel, daß wir derbe flehen,

Sie möge haben die Gewogenheit,

Uns etwas weniger im Licht zu stehen

Und einmal glänzen durch Abwesenheit!

Was dann? Nun will sie gar für immer gehen!

So übelnehmerisch? Heißt das ertragen

Die deutsche Grobheit? (Gradheit, wollt ich sagen.)


Nur Euch, Ihr oft besungnen Maiennächte,

Euch will ich nicht bekritteln. Ihr, Ihr seid

Voll mystischer naturgewalt'ger Mächte.

Ja, greint der Kater sein unnennbar Leid,

Das ist das Urmotiv, das wahre, echte.

Schauer-Romantik! Himmel, wie er schreit!

Das ist die Sehnsucht nach der blauen Blume,

Nach »Unbewußtem« und nach Dichterruhme!
[192]

Jüngst schrie's vor meinem Lager. Gräßlich war

Das Mordgezeter. Haar, sträub' dich empor!

Erwürgt man nächtlich eine Kinderschaar

Ruchlos und grauenhaft vor meinem Thor?

Ein Kindermord von Bethlehem wohl gar?

Ha, schaudernd ich entschlossen Rache schwor:

Ich griff den Knecht des Stiefels – heiliger Vater

Fortschlich als Missethäter scheu ein Kater!


Ich schleuderte das Holz ihm schwungvoll nach,

Dann setzt' ich mich, in tiefer Rührung weinend.

Der Tag herein mit trüben Schauern brach,

Der Nachtwind heulte. Kurz, sich graus vereinend,

All die Symptome da – mir wurde schwach –

Für eine Poe'sche Vision anscheinend.

Nur daß ich einen Katerdämon habe.

Ist das nicht schauerlicher, als ein »Rabe«?


(Besonders wenn es uns im Schädel brummte!)

Krächz' Du nur »Nevermore«, berühmter Rabe!

Doch wenn ein greiser Kater also summte,

Wär's eine noch sublimre Herzenslabe!

Den früg' ich Fragen, denen er verstummte,

Graus, metaphysisch: »Werden aus dem Grabe

Auch Kater auferstehn?« Mir wurde schaurig,

An meinen todten Kater dacht' ich traurig.


Der Selige – Friede seinem Angedenken! –

Die weiland Gottesgeißel aller Braten

Und Mäuse – warum durfte ich nicht senken

Ihn in die Gruft der Ehre als Soldaten?

Und ihm als letzte Ehrenfahne schwenken

Ueber dem frühen Grabmal seiner Thaten

Ein Häschen ('s war sein Leibschmaus) an den Ohren?

Doch so zu sterben – wär' er nie geboren!
[193]

Wie starb er denn? Ein Social-Autokrat,

Fühllos, blutdürstig, und ein grimmer Hasser

Des Eigenthums, ein Held vom Zukunftsstaat,

Ein Anarchist vom reinsten (faulsten) Wasser,

(Er war mein Nachbar) dachte früh und spat:

»Soll dieser gottverdammte Bourgeoisprasser

Vor meinen Augen mästen seinen Kater

Und ich soff heute bloß zehn Cognacs? Brat' er!«


Gewöhnlich nämlich zwölf er 'runtergoß.

Doch die Fabrikherrn, niedrige Tyrannen,

Bekanntlich zahlen Die für Arbeit bloß.

Und schickt sich Arbeit wohl für freie Mannen?

Der feile Mammon fällt nicht in den Schooß,

Selbst Kater müssen ihre Thatkraft spannen,

Für Mäusefang nur füttert man die Armen.

Doch kannten Demokraten je Erbarmen?


Er neidete mein Vieh, so lag der Fall.

Und dieses zu raubmördern er beschloß.

Er that's! Und mit dem Ausruf »Hilf, Lasalle!«

Führte er meuchlings eines Nachts den Stoß.

Das Opfer sank wie dort der Sonnenball

In edler Glorie, sein Herzblut floß.

So werden wir einst Martyrtod erleiden,

Wir »Gründer«, und der Kater Loos beneiden.


Denn, wie St. Marxi heilige Schrift es lehrt

Ward so mein Eigenthum mir fromm entwandt!

Das ist ein Pfaffe, wer sich drob beschwert!

Ich – in den höhern Zweck mich seufzend fand.

Denn hatt' ich nicht mein »Kapital vermehrt?«

Ein Raub am Volk! Einst wird das ganze Land

»Getheilt« in gleichem Stil. Und nicht allein

Den Kater »theilt« man mir, auch Haus, Hof, Schrein.
[194]

Der Grund der Eigenthumsverletzung war

Der fette Wanst des Seligen. Wie ein Hase

Mocht' er wohl schmecken, speckig ganz und gar.

Das stach dem Theilungssüchtigen in die Nase.

Er »theilte« ihn für sich mit Haut und Haar.

Doch rieth dem Biedern eine kluge Base,

Noch zu verschweigen, wie geschickt er theile!

Er murmelte zwar heldenhaft: »Na, Keile!«


Doch rasch bedeuteten ihm fromme Seelen:

So schlecht sei diese Zeit, daß die Bethätigung

Des Freiheitsdrangs – z.B. Raub und Stehlen –

Noch ganz entbehre staatlicher Bestätigung.

Man werde es der Polizei erzählen.

So machte er's denn heimlich ab aus Nöthigung.

Auch keine Zeugen gegen ihn auftreib' ich,

Drum seinen Namen klüglich auch nicht schreib' ich.


Ich aber weiß es, daß der Ritter selig

Des Katzenordens sich begrub zu früh

In des Plebejers Magen. Ist's nicht schmählich?

O sei er unverdaulich! Drück' er wie

Ein Mühlstein den Verschlinger, unausstehlich!

Daß selbst solch ein Husaren-Schnurrbart nie

Den Pöbel schreckt! Denn wahrlich, ganz soldatisch

War der Verstorbne und aristokratisch!


Was mir der Todte war, – ihr Nachtigallen,

Die oftmals er mit süßem Mau gestört,

Ihr wißt es ja! Nehmt Alles nur in Allem,

Er war – ein Kater! Aber horch, was hört

Mein Ohr vom Ufer melancholisch schallen?

Quack, Quack! Mein tiefstes Innre sich empört,

Wie hier das Lehrgedicht der Meistersänger

Ersäuft das Minnelied der Mäusefänger!
[195]

O Ihr geblähten Frösche, Ihr Pedanten!

O wie erinnert Ihr mich doch – an wen?

Weiß nicht! An was? Je nun, an Folianten!

»Hoho! Hört, hört!« So quackt es jetzt. Es drehn

Auch Spatzen sich auf meinen Fensterkanten.

Ich sehe hier ein Sinnbild vor mir stehn:

Denn Kater, Frösche, Spatzen, Störche, kennt

Man als des Deutschen Reiches Plapperment.


O Eitelkeit, Vanitas Vanitatum!

Ich kenne einen Gecken, welcher sich

Im Sommer Winterüberzieher that um,

Weil er darin mehr einem Manne glich!

Der Schweiß ihm stromweis floß aus jeder Naht drum,

Doch duldete er still und wackerlich.

Er wurde lieber schwach und elend innen,

Um außen stärkern Eindruck zu gewinnen.


Ich kenne Gecken, welche blutarm sind

Und sich deß schämen. Was wird flugs erdichtet?

Sie schreien's in die Ohren jedem Kind,

Sie seien so erbärmlich zugerichtet,

Weil sie gelebt so lustig wie der Wind.

(D.h. höchst liederlich, wird nun berichtet

Im Flüsterton.) Das heißt: Ein Wüstling mag

Er lieber sein, als krank!! O welche Schmach!


Andre Bleichsüchtige und Nervenschwache

Erklären sich für Dandyhaft blasirt!

Der Dritte widmet sich dem Weltschmerz-Fache,

Als ob, weil er sich »angekränkelt« spürt,[196]

Auch »des Gedankens-Blässe« seine Sache!

Doch daß er Hartmann stets im Munde führt

Und nie ein Wörtchen von ihm las, ist schlimm!

Castraten prahlen mit Kombabus-Whim.


Andre versichern, die besonders bläßlich:

Wir leiden, hört, an unglücklicher Liebe!

Man glaubt's, da sie so überraschend häßlich,

Weiht ihnen des Erbarmens edle Triebe.

Was fragt die Logik nun ganz unerläßlich?

Als ob nicht drauf nur eine Antwort bliebe:

Der feige Mensch hat Furcht vorm wahren Sein,

Lügt lieber sich hinein in falschen Schein.


So wandelt der Culturmensch durch die Welt

Auf hohen Hacken, gründlich auswattirt,

Wenn auf das härtste Pflaster brennend fällt

Die Mittagsgluth. So tanzt er eng geschnürt

Der Schwindsucht zu. Der scheint mir fast ein Held,

Wer einmal sich natürlich ausstaffirt.

O Bauern, neidisch sehe ich Euch zu,

Hemdärmelig mit dünnem lockerm Schuh.


Ich kenne Jungfraun, die im Alltagsleben

Grad bis ans Herz uns gehen oder's Kinn,

Doch in Gesellschaft über uns erheben

Um Kopfeslänge sich. Was ist der Sinn?

Zu tief die Graziengewänder schweben

Zwar über ihre zarten Füßchen hin,

Doch wett' ich, daß sechs Zoll die Hacken groß –

So wächst man freilich über Nacht glorios!
[197]

Von allen Gattungen der Reue

Ist eine mir zumeist verhaßt,

Sie grade quält mich stets aufs neue

Und läßt mir keine Ruh und Rast.

Die Reue ist's um Fades, Nichtiges,

Um die Vergeudung schöner Zeit,

Der Gram, anstatt um Ernstes, Wichtiges,

Um lächerlichste Kleinigkeit.

Daß meine weiße Weste heute

Zerknittert ward von ungefähr,

Das macht mich der Verzweiflung Beute –

Und wenn es gar ein Schmutzfleck wär'!

Gestern zerbiß ich die Cigarre

Und sog unachtsam Nicotin.

Vorgestern wurde eine Schmarre

Mir als Verschönerung verliehn.

Vor Wochen stieß ich mir die Nase

Am Sims zufällig blau und roth.

Damals verschluckte ich im Glase

Gar eine Fliege – welche Noth!

Zu schwer soupirt' ich neulich Abend

Und hab' den Schlummer drum versäumt.

Und wenn auch Träume manchmal labend,

Neulich hab' ich zu stark geträumt.

Vor Monden habe ich verloren

Ein Zwanzigmarkstück – das ist stark!

Und gestern – wär' ich nie geboren! –

Gab ich als Trinkgeld eine Mark.

Dann hab' ich neulich aus Versehen

Mir auch ein Barthaar ausgezupft:

Welch nie zu sühnendes Vergehen!

Ein Stück der Mannheit ausgerupft!

Und neulich aß ich saure Gurken,

Dann Stachelbeeren und dann Bier!

Ich schimpfe selbst mich einen Schurken –[198]

Das heißt ja schlingen wie ein Thier!

Neulich trug ich zu hohe Hacken,

Doch dann, als mich Clotilde sah,

Reicht' ich ihr kaum bis an den Nacken,

Denn hackenlose hatt' ich da!

Das Halstuch knüpft' ich zwölf Minuten

Mir heut, ein Danaidenloch!

Denn der Effekt, wie zu vermuthen,

Blieb immer ja derselbe noch!

Frisirte eine Stunde tüchtig

Und war so weit, als wie vorher,

Als hätt' ich nur gebürstet flüchtig.

Heut drückt mich der Cylinder schwer.

Und morgen, wo ich ihn gebrauchte,

Setz' ich statt dessen auf den Filz.

War's kalt, in Eisfluth ich mich tauchte –

Heiß, kroch ich unter wie ein Pilz.

War's kalt, ging ich in Sommerjacke –

Heiß, trug ich Winterüberzieh'r!

Rasirt' ich, blutete die Backe –

Es ist um tollzuwerden schier!

O dieses teuflische Erinnern

Zernörgelt mir die Lebenslust!

Wann, Leichtsinn, nahst Du meinem Innern?

Wann wird mir endlich »unbewußt?«


Ich las eine erste Correctur,

Da fand ich einen Fehler nur.

Doch als ich die zweite und dritte las,

Da sah ich, daß ich noch drei vergaß.

Und als ich den Reindruck vor mir sah,

In Ohnmacht fiel ich nun beinah:

Sechs grobe Fehler standen da![199]

Das ist der Mensch! So lang es nützt,

Ihn weder Fleiß noch Vorsicht schützt.

Schönglatt ist Alles beim ersten Blick,

Doch zeigt ihm der nächste Augenblick

Die Flecken, wenn es halb zu spät,

Die größten aber er übergeht!

Erst wenn sie unwiderruflich geschehn,

Wir alle Sünden und Mängel sehn.

Und auf den Aerger folgt die Reu',

Fruchtlos stets, doch immer neu.


Der Mensch ist ein geborner Thor

Und stets die Weisheit er verschwor.

Wenn Jemand sich gar weise glaubt,

Weil weder Ruhm- noch Geldgier raubt

Ihm seinen Appetit und Schlaf

Und seinen ehernen Busen traf

Nicht falscher Minne giftiger Pfeil

Und wenn er sonst gesund und heil

Und ihm kein Kummer ward zu Theil –

So ärgert er sich mit Fug und Recht,

Daß einmal aufgepaßt er schlecht

Und lückenhaft seine Correctur!

Denn Gram und Aerger ist uns Natur.

Los wird ihn der Blasirte nur.

Dem fehlt zwar Aerger, doch auch Vergnügen –

Ist das der Weisheit Selbstgenügen?


Inconsequenz ist menschlich. Hört den Einen:

Das Leben ist, damit wir es beweinen.

So tief in Sünde ist der Mensch verstrickt,

Daß Heil und Hoffnung nirgends er erblickt.[200]

»Wohlan! So möchtest Du recht baldigst sterben?«

Er ruft entsetzt: »Um Gotteswillen, nein!

Ich mochte gerne siebzig Jahr erwerben

Und sollten sie auch eitel Sorge sein.«

»Welch Widerspruch!« so ruft man ungeduldig.

Dann murmelt er Etwas von der Mission,

Die wir auf Erden ja erfüllen schon,

Von zehn Geboten, kurz, bleibt Antwort schuldig.

Ein Andrer meint, daß allerliebst die Erde,

Daß reizvoll selbst Gefährde und Beschwerde

Und daß die liebe Sünde uns gegeben,

Damit das Dasein recht entzückend werde.

»So möchtest Du denn also ewig leben?«

»Um Gotteswillen, nein! Welch ein Gedanke!

Eh ich am Stab des Greisenalters wanke,

Eh weiß ich nicht, was ich mir selber thue!

Je kürzer, desto besser! Ruhe, Ruhe!«

Nun, alles Dies ist nur ein Widerspruch.

Entweder ist das Leben nur ein Fluch,

Die Welt ein Jammerthal, und drum beweint

Den Säugling, wünscht »lang Leben« eurem Feind.

Oder Ihr meint, dies sei die beste Welt

Und für Genüsse ein ergiebiges Feld,

Und haßt als einziges Uebel drum den Tod

Und laßt Euch schmecken Euer täglich Brod,

Und dann mit allen Kräften dahin strebt,

Daß möglichst lange Ihr genießt und lebt.

Entweder Ihr seid Thoren – so seid's ganz!

Euch dünke jeder Flitter echter Glanz!

Scharrt Gold zusammen, grübelt voll Erbauung

Ob der Methode richtiger Verdauung,

Hascht nur nach äußrem Schein und hohlen Ehren,

Laßt Pflichten Euch das Leben nicht beschweren,

Gedanke und Gefühl sei Euer Spott,

Eßt Hummersauce und verehret Gott![201]

Oder Ihr kamt zur bitteren Erkenntniß,

Daß alle Ideale hohl und schaal

Und daß der Tod des Lebens beste Wahl –

Dann scheut auch nicht das offene Bekenntniß!

Ja »Weltschmerz«, heiliges und großes Wort,

Gemißbraucht nur von der Titanen Affen!

Wenn Dich entweiht der Mund blasirter Laffen,

So wendet schweigend sich der Dulder fort.

Von ihrem Ichschmerz winseln nur die Thoren.

Denn der hat nie den wahren Schmerz empfunden,

Wer je darüber hat ein Wort verloren:

Der Stolz des Coriolan verhüllt die Wunden.

Der wahre Weltschmerz schweigt. Was soll er sagen?

Nur wiederholen wiederholte Klagen?

Nur fühlen soll er mit bewußter Klarheit

Die eine große fürchterliche Wahrheit:

Daß Glück ein Traum und Unglück einzig wahr

Und daß Zufriedenheit nur Täuschung ist,

Das schmerzenlos allein der Egoist

Und glücklich kaum der thierische Barbar.

Und spricht ein Mensch zu mir mit dreistem Munde:

»Sieh, ich bin glücklich,« dank' ich für die Kunde,

Doch drehe ihm den Rücken, weil ich sehe,

Er ist ein Narr, wo nicht ein Schuft, und immer

Prosaisch-nüchtern von der Stirn zur Zehe.

Gedankenmangel oder, was noch schlimmer,

Empfindungsmangel spricht er aus. Das Wehe

Scheint mir vielleicht im Ausdruck falsch und schief,

Doch immer liegt darin ein Adelsbrief.

Nur Der erhebt sich über das Gemeine,

Wer nicht mehr lächelt mit dem falschen Scheine.

Und das ist auch der Grund, warum kein Dichter

Aufsteht als dieser Zeiten strenger Richter:

Es fehlt die wahre wirkliche Empfindung,

Der faden Weltgelüste Ueberwindung.[202]

Und da nun wieder Jeder weiß, daß Claque

Und Clique heut nur machen in Reclame

Und daß nur aus der stinkendsten Kloake

»Erfolg« sich heut erhebt, die holde Dame,

Wie Venus aus dem Meer, – so sagt man richtig:

Gott, diese Dinge sind im Grunde nichtig!


Still, todtenstill vor mir der Pfad,

Doch hinter mir das Lärmen

Vom Feste einer großen Stadt,

Wo Lust und Leichtsinn schwärmen.


Ich schritt fürbaß und wußt' es kaum,

Hatt' Bitteres erfahren:

Nicht sanft thut's, einen Jugendtraum

Als falsch und faul gewahren.


Da war's, da war's zum ersten Mal,

Als sollt' ich zusammenknicken,

Als wolle geheimer Ahnung Qual

Mein dumpfes Hirn ersticken.


Ein Knabe war ich Abends noch,

Doch als ich mein Lager suchte,

Ein Mann, den zu des Kampfes Joch

Zu früh das Schicksal verfluchte.


Ach, von den Wunden jener Nacht

Kann ich nimmer gesunden,

Wo ich im tiefsten Herzensschacht

Das Lebenselend gefunden.
[203]

Eine Sonnenwende war jener Mond:

Mein Geist wird nimmer vergessen

Den Ort, wo jung und ungewohnt

Ich die Hölle des Weh's durchmessen.


Mein fürderes Leben, was ist es wohl?

Unter dem Fels des Lebens

Ein Athemholen schwer und hohl,

So ewig als vergebens!


Oft schleudr' ich ihn ab, bald rollt er zurück.

O Sisyphus, wie dich erretten?

Den Felsen selber schleudre in Stück',

Zersprenge des Lebens Ketten!


Und ist zu hart der Fels, entzwei

Muß er ja gehen am Ende:

An die Mauer der Dummheit und Tyrannei

Rollen ihn meine Hände!


Der Moskowiter stürzt, wenn halbbeeist

Die Newa, in den Winterstrom, nachdem

In heißem Dampf er badete bequem.

Doch heilsam ist es nicht für jeden Geist,

Aus heißem und wildgährendem Gefühl

Zu stürzen in der Praxis Eis und in der Thatkraft Fluthgewühl.


Fort mit weichlichem Bedauern,

Wie Du Dies und Das vergessen,

Warum Dies geschehn statt Dessen!

Was Dir konnte nie gelingen,

Wird vielleicht die Zukunft bringen:

Hoffen sollst Du und nicht trauern!
[204]

Ich sprach zur Thorheit: »Fliehe mich!«

Sie dankte schön und nimmer wich.

Die Weisheit bat ich: »Komm' doch her!«

Doch sie zu fangen war zu schwer.

»Und da ich Dich nicht fangen kann,

So komme, Thorheit, denn! Wohlan!«

Und sieh, die Treue kam sofort,

Ließ sich nicht bitten erst, aufs Wort.

Denn Thorheit steckt in Herz und Sinnen,

Wie könnte man ihr da entrinnen?

Die Weisheit steckt nur im Gehirne,

Und wer kann ewig die Gestirne

Beäugeln? Denken macht Beschwerde.

Der Körper will zurück zur Erde.

Und steht man erst auf ird'schem Boden,

Da ist's unmöglich auszuroden

Das Unkraut Laster und Verbrechen,

Selbst mit dem allerschärfsten Rechen.

Und ob ich auch an jedem Tag

Dich um Verzeihung bitten mag,

O Weisheit, daß ich Deinen Lehren

Noch immer muß Gehör verwehren –

Verzweifelnd hab' ich aufgegeben

Den Vorsatz, daß ich je im Leben

Würd' vierundzwanzig Stunden finden,

Ganz rein von Thorheit oder Sünden.

Denn Eins von Beiden mußt Du wählen,

Um langsam Dich zu Tod zu quälen.


Der Grund des Elends aber ist:

Gewohnheit, wie Ihr Alle wißt,

Ist unsre Amme. Ob wir heftig

Anklagen uns und rasch geschäftig

Vorhalten unserm Geist die Gründe,

Warum ja reizlos jede Sünde –[205]

Hilft nichts! Wer je sich gab Consenz

Zur Sünde, fühlt die Consequenz:

Gewohnheit wird sie. Es verschwören

Sich Leib und Seele und empören

Sich gegen jedes Reformiren –

Wie Du begonnen, mußt Du's weiter führen.


Köstlich ist die Tugendentrüstung

Und pharisäische Selbstbrüstung,

Mit der wir auf Andrer Sünden schauen

Voll tiefem Ekel und staunendem Grauen,

Weil wir ihr Laster nicht können verstehen

Und nicht den geringsten Reiz drin sehen,

Vielmehr nur den Ekel davor begreifen.

Wie kann doch A. so weit ausschweifen,

Mit Demimonde sich abzugeben,

Während doch manche Ladies eben

So gerne sich verführen lassen!

»Wie?« spricht B. »Ich sollt' mich befassen

Mit solchem Gräul? Ich halte Hetären,

(Nun, als ob Andre Heilige wären!)

Doch Ehefrauen verführen, entsetzlich!

Auch find' ich's gar nicht sehr ergötzlich.«

Denn Jeder zurück vor der Sünde schreckt,

Welche ihm nämlich selbst nicht schmeckt.

Es giebt in Sünde nicht Maß und Grad,

Es giebt nur einen bestimmten Pfad.

Und wer »natürlich« gesündigt hat,

Wird vom Genusse genau so satt,

Wie von der »unnatürlichsten« Sünde.

Alle die pharisäischen Gründe,

Warum eins besser, das andre schlimmer,

Gelten vor'm Auge der Wahrheit nimmer.
[206]

Ans Meer der Freiheit drangen wir verschmachtend,

Mit glühnden Adern stürzten wir hinein,

Der Vorsicht ernste Mahnung nicht beachtend.

Wir tranken bittres Salz, als wär' es Wein,

Erkrankten und ertranken. Tyrannei

Jedoch gefoltert wird vom Einerlei

Des ewigen Durstes, des unstillbaren,

Des nur vermehrten, wenn erfüllbaren,

Nach Opferblut. Am Quell der reinsten Fluth

Verschmachtet sie, lechzt und erstickt an Blut.


Eis oder Wasser heißt der Unterschied,

Den zwischen Bösem man und Gutem sieht.


Ich singe die Sonne am Himmelszelt

Und den Wurm, den sie bescheint,

Und was nur blinkt, stinkt, greint und weint

Die ganze Welt.


Die Lerche steigt übers Korn hinan

Als Ode. Die Schnittermagd,

Sehnsucht-geplagt, an der Sense nagt –

Das ist ein Roman.


Der Greis, der über Jugendthorheit klagt,

Heimlich der eignen schwachen Weisheit flucht ...

Zeigt mir die Venus, die der Welt entsagt,

Und den Apoll, der nur die Sonne sucht!
[207]

»Ruhm ist Luft«. Doch wer kann leben

Ohne Luft?

Dumpf erstickt das reinste Streben

In lebendiger Gruft.


Bedenk' ichs recht, so scheint mir in Tibet

Die beste Herrschaft. Dalai-Lamawesen,

Was ist's am End', wenn Ihr's bei Licht beseht?

Die Herrschaft des Genies. Dort wird erlesen

Ein Kind, vom Hauch des Ewigen umweht,

Und was es spricht, macht man zu Glaubens-Thesen.

Nicht Schönheit, Reichthum, Macht und Rang erliest man:

Den Weisesten zum Erdengott erkiest man.


Ja, der Kulturmensch kreuzigt das Genie,

Wofern er's nicht zum Aschenbrödel macht.

Am Himalaya beugt man ihm das Knie,

Nimmt seine Worte als Gesetz in Acht.

Denn Gottesoffenbarung fühlen sie

In seiner Art: Der Allgeist sichtbar wacht

Auf seiner Stirn, der in der Schöpfung waltet,

Doch sichtbar schon als Genius hier schaltet.


Warum nicht Größenwahnsinn? Jeder Wicht

An gleicher Krankheit leidet und er ist

Grad so auf seiner Kleinheit Werth erpicht.

Nur daß man ihm zu zürnen stets vergißt,

Weil er nur lächerlich. Die Rotte flicht

Die Dornenkrone immer ihrem Christ,

Spricht er: »Ich bin Messias«, weil ihr Neid

Zu Haß wird aus verletzter Eitelkeit.
[208]

Ich soll mich angestammten Narren bücken

Und nicht dem Dalai-Lama? Nimmermehr!

Ich will den Fuß ihm küssen mit Entzücken.

(Ja, wenn es noch des Papsts Pantoffel wär',

Das würde manchen Pilger hoch beglücken!

Kein Unterschied! Unfehlbar ist auch der!)

Nach Tibet will ich wandern: Jesuiten

Und stehende Heere sind dort nicht gelitten.


Nur Eins mißfällt mir an den dortigen Sitten,

Ein Ding, man nennt's gelehrt: Polyandrie.

Dort weilt in eines Männerharems Mitten

Die zücht'ge Hausfrau. Denn heirathet sie,

So nahn dem Altar auch mit raschen Schritten

Des Bräutigams Brüder alle. Einer nie

Die Hochzeit mit ihr feiern darf, o nein,

Sein ganz Geschlecht nennt seine Dame sein.


Nun bin ich festiglich zwar überzeugt,

Daß jede Dame, die davon vernimmt,

Erklärt, daß dies von Sittenrohheit zeugt

Und »Pfui!« »Abscheulich!« »Shoking!« ruft ergrimmt.

Doch Manche heimlich seufzend auch vielleicht

Für solchen Männer-Communismus stimmt.

Nur ist die eine Vorschrift unerläßlich,

Daß von den Bräutigams nicht Einer häßlich.


Ein Storch fiel mit gebrochnen Schwingen,

Die Menschen den Verwaisten fingen,

Er folgte ihnen treu und zahm.

Doch als die Zeit des Fluges kam,

Zersehnte er sich voller Gram.

Denn ach! der Aufflug wollt' ihm nicht gelingen.
[209]

Da senkten seine eignen Brüder

Erbarmend sich zur Erde nieder

Und trugen in vereintem Chor

Auf ihrem Fittich ihn empor.

Was er an eigner Kraft verlor,

Ersetzte ihm die Kraft der Andern wieder.


Ja Scham Euch, Menschen! Wer gefallen,

Gemieden wird er nur von Allen,

Tritt man ihn nicht mit Füßen gar.

Und doch trägt Liebe nur fürwahr

Zum Himmel. Ihr seid liebe-bar.

Beschämen Störche Euch – wie erst die Nachtigallen!


Wer die Lieblosigkeit der Menschen

In ihrer vollen Blöße schaut,

Kann schaudernd nur sein Haupt verbergen

Und weinen laut,

Und in sein eignes Innre blicken –

Ihm graut!


Mir war es im erotischen Schema

Stets ein verlockend possirliches Thema:

Den Newton, der in die Grube ging,

Ohne zu lösen das Minne-Problema,

Soll – so beschließt der Familienring

Eine frische Miß geleiten

Zu den Ehe-Seligkeiten.

Reizende Novellette! Einakter!

Studie für Haase und andere Charakter-[210]

Spieler! Newton, der immer stramm

Cosinus x, Parallelogramm,

Diagonalen und Regeldetri

Auftischt mit Mienen der Galantrie,

Und von alle den Eheattaquen

Keine Silbe versteht, den Nacken

Nimmer beugt zum irdischen Schmutz!

Laßt dies Doppel-Problem uns packen:

Fühlt der entkörperte Denker im Schutz

Seiner Wissenschaft kein Gelüsten?

Oder wird sich in ihrem Putz

Das Frauenzimmer noch immer brüsten

Und sich nicht instinctive schämen? –

Doch will ich den Autor-Eifer zähmen,

Die Sache bleibt besser ungeschrieben.

Was die Frauen und Kinder lieben,

Das behandle als feiner Kenner!

Wer schreibt in Deutschland denn für Männer?


Krankheit, einer Schwäche Geständniß,

Ist die »Liebe«, offnes Bekenntniß

Eignen Unwerths. Ergänzung fodern –

Welcher Mangel an Selbst-Respekt!

Periodischer Liebes-Anfall uns neckt.

Und wenn Andre so deutlich lodern,

Glaubt man selber, es sei was dran.

Glücklich, wer diesem Wahn entrann!

Laß die »Gefühle« vermodern!

Das Denken macht den Mann.


Der Bauer verhungert im Irenland

Und der Städter verhungert an Themsestrand[211]

Und im freien Urwald steht Baum an Baum

Und Asiens Steppen sind wüst und leer

Und die Erde hat ja für alle Raum

Und für alle Schiffe hat Raum das Meer –

Wer schafft dort Raum den Armen, wer?


Der Gesunde staunt über den Kranken,

Kann ihm nicht folgen mit seinen Gedanken,

Sich nimmer in seine Lage versetzen,

Bis ihn selber die Pocken zerfetzen!

Und wenn ein naseweiser Thor

Alle Seelenqualen verschwor

Und über Sünde und Leidenschaft

Die alten Phrasen zusammenrafft

Und Werther, Harold und René

Ihm lächerlich mit ihrem Weh,

So kommt der Schmerz schon ungeladen

Und straft ihn Lügen mit seinen Tiraden.

Was spaßhaft ihm und dunkel war,

Scheint nun sehr ernsthaft, wahr und klar.


»Ich will!« ist leicht zu sagen,

Doch Thun und Können schwer.

Der Knabe will sich wagen

Sofort ins eisige Meer.

Doch fröstelt er am Strande

Und zögert ohne Muth

Und ist erst spät im Stande,

Zu springen in die Fluth.[212]

Statt gleich hineinzuspringen,

Erkältet er sich erst.

Ja, Wollen und Vollbringen

Zugleich, das ist das Schwerst'!

Die That wär' schon halb fertig.

Doch ob die Zeit auch paßt,

Stehn immer wir gewärtig,

Bis uns der Frost erfaßt.


Wir fühlen in manchem Vergnügungslokal

Der Langeweile verzehrende Qual.

Wir gähnen, wir stöhnen, wir sehnen uns fort

Und bleiben doch ewig am selben Ort.

Leicht wäre ja geöffnet das Thor

Und die Stille der Nacht harrt unsrer davor.

Doch weil man bezahlt das Eintrittsgeld,

Pflichtschuldigst duldet man weiter als Held.


Der Posse des Lebens seid Ihr matt

Und klatscht nicht mehr, seid müd und matt?

Was bleibt Ihr? Seid Ihr denn hergebannt?

Ist denn für immer die Thür verrannt?

Was stoßt Ihr des Todes Thür nicht ein?

Sucht Ruh und Frieden im kühlen Schrein?

»Ja, weil wir bezahlt die Eintrittsgebühr,

So wollen wir etwas haben dafür.

Nach so viel Kummer und so viel Pein

Muß etwas Freude in Aussicht sein.

So wollen wir, ob wir auch stöhnen und schwitzen,

Doch den Spektakel zu Ende absitzen!«


Zwei böse Züge hab' ich beachtet,

Wenn ich der Menschen Wesen betrachtet.[213]

Der Cabmann, der recht langsam trottet,

Peitscht, wo sich die Menge zusammenrottet,

Die Pferde, daß sie wie Wetter schnaufen,

Damit er die Andern zwinge zu laufen!

Liest Jemand laut Dein neues Gedicht,

Der Arme sich fast die Zunge zerbricht.

Bald kann er dies, bald das nicht lesen,

Als wäre die Schrift chaldäisch gewesen.

Und Alles dies ganz unbewußt.

Doch des Einen Müh ist des Andern Lust.


Der Mensch ist ein geborner Sclav

Und trägt im eignen Ich die Fessel.

Wenn ihn kein Königsscepter traf,

So dient er flugs dem – Suppenkessel.

Der Tugendhafte nur ist stark

Und nur der Starke haßt Tyrannen.

Das Laster saugt am Lebensmark

Und kann den Tapfersten entmannen.


Die That wird lang vorher vorausgeplant

Und jeder Pfad zu diesem Zweck gebahnt.

Trotz alledem sie nur bestimmen muß

Der eine augenblickliche Entschluß.

Lang klebt die Hand am Hahn – da fällt der Schuß!


So ist der Weiseste, wer langen Rath

Verschmäht, von jeder Welle rasch bestimmt,

Wer mit dem Strome jeder Stimmung schwimmt.

Und wahre Weisheit ist allein die That.
[214]

Um der Sansara Kleinigkeiten

Sich kümmern ziemt dem Denker nie.

Doch lässest Du Dich so verleiten,

So lern' auch hier Philosophie.

Der Grundsatz soll Dich vorbereiten:

Ein jedes Ding hat stets zwei Seiten.


Seinen Nutzen hat auch Unbequemes;

Leicht duldet man Unangenehmes,

Wenn man nur eine hübsche Moral

Zu ziehen weiß aus jeder Qual.

Nicht nur die Moral des besondern Falles,

Sondern diese Moral für Alles:

Das Gute hat sein Uebeles oft,

Doch stets aus Uebel unverhofft

Sproßt Gutes. Nöthig sind alle Dinge,

Nutzlos nichts in dem Lebensringe.

Denn aus einer nutzlosen Handlung

Gehn tausend hervor in unendlicher Wandlung.

Jed' Ding ist ein Blatt von dem Riesenbaum,

Ein nöthig Atom im Weltenraum.

Der kleinste Gedanke, das winzigste Wort,

Zeugt Millionen andre sofort.

Täuschung ist Beides, Schmerz und Lust,

Deß seid im Schmerze auch bewußt.

Trinkt fühllos die Hefe, doch schmecket den Schaum.

Denkt, Lust ist ein Traum, doch ein lieblicher Traum.


Wie der Falke von des Jägers Hand

In die Luft sich hebt

Und entkappt froh jauchzend und gewandt

Auf zum Himmel strebt –[215]

Doch, gehorsam jedem Wink sogleich,

Wie er fortgesaust,

Auch zurückkehrt in des Herrn Bereich

Auf des Falkners Faust –


So auch suchst Du nur, was fremd und fern

O Germanengeist,

In das Hohe und das Weite gern

Es Dich vorwärts reißt.

Doch die Heimath dann den Sohn aufs neu

Dringend zu sich lädt:

Dann erst spürst Du recht, wie Du ihr treu.

Aber oft zu spät.


Was ist des Lebens Tragödie?

Ich will es Euch verkünden:

Das Leben ist eine Komödie

Und Späße darin die Sünden.

Doch in der Possenreißer Schaar

Da wollt Heroen ihr sogar

Mit tiefer Rührung finden.


Der prosaische Philister

Sucht Poesie in der Liebe:

Enttäuscht, entnüchtert ist er,

Wenn sentimentale Triebe

Mit kühlem Rechnen nur belohnt

Und die Göttin, die in seinem Herzen thront,

Ihm bald versetzt – Pantoffelhiebe.


»Priester des Ideals« nennt Ihr den Dichter,

Philister, phrasen-seliges Gelichter?[216]

»Pfaffe des Ideals« wär mir noch lieber!

Und wirklich giebt es immer solche Pfaffen,

Die sich mit »Idealismus« Brod verschaffen,

Von des hochseligen Herwegh Kaliber.

Oder des dito Dingelstedt, Verächter

Der Tyrannei als biederer »Nachtwächter«,

Der aber später, wenn das »goldne Vließ«

Von Grillparzer er gab, sich daran stieß,

Daß ihm »das goldne Vließ« noch sei benommen,

Da alle andern Orden er bekommen!


Das größte Geheimniß der wahren Kunst

Beginnt sich erst dann zu enthüllen,

Wenn der Mensch dem Künstler dienstbar wird

Und kein andrer Zweck die Seele verwirrt

Und nur die Musen mit liebender Gunst

Die entgötterte Seele füllen.


Hot, Pegasus! die kümmerliche Weide

Des Alltagslebens lasse hinter Dir!

Ob Du auf Streu nun lotterst oder Seide,

Du sollst nicht lottern. In der Luft Revier

Steig auf und selbst die höchsten Alpen meide

Du nicht in Deinem Flug! In Kraftbegier

Zerbrich die Halfter, sei kein Droschkenschimmel!

Erzhufig Roß der Phantasie, gen Himmel!


Und voll entfaltend Deine prächtigen Flügel,

Trag' mich empor, auf Deinen Rücken springend!

Hui! Schleudre von Dir bald Gebiß und Zügel,

Durch Sonnengluth und Wetterwolken dringend![217]

Verzicht' auf Dich, wer noch bedarf der Bügel!

Fort, Zaum! Ins Allerheiligste Dich schwingend,

Steig auf, Bellerophon! Mag's droben blitzen!

Die Sonne blendet nicht, die sicher sitzen!


Dies Bildniß ist nicht zeitgemäß. Es wäre

Moderner der Vergleich wohl mit Raketen,

Zerplatzend, während sie im Aethermeere

Aufsegelnd schon den Wolken-Kreis betreten.

Oder mit Luft-Ballons, die man beschwere

Mit tüchtigem Ballast nur, sonst gehn wir flöten.

Pfeilschnell geht's in den stickstofflosen Aether.

Die Stoffbeherrschung weicht, die Sinne später.


Die Blase platzt und mit verrenkten Beinen

Zur Muttererde purzeln wir. Noch neuer

Und zeitgemäßer mag das Luftschiff scheinen.

Dies »Hölzerne Pferd«, gleich Iliums Bedräuer,

In dem sich Holz und Stahl und Dampf vereinen,

Mit einem Schwanz von Kohlenrauch und Feuer.

Fünftausend Pferdekraft hat sein Gestampf.

Poeten lieben blauen Dunst, o Dampf.


Nur Opium ist unsre Phantasie:

Entzücken erst und herrliche Gesichte,

Dann Mattigkeit und Angst. Die Poesie

Hebt uns empor, doch bleierne Gewichte

Ziehn uns zum Staub. Wir nähren in uns nie

Das Göttliche und streben auf zum Lichte,

Ohne ins Thierische uns zu verirren,

Weil Ideal und Sinne sich verwirren.


Den Geist der Alten hat die Welt verloren.

Cäsar wird als Napoleon geboren.[218]

Wo Cincinnat? Nur Washington und Pitt

Noch widerhallen den Heroenschritt.

O bei den Heiligen von Marathon

Schlief gern auch ich, der spätgeborne Sohn!


Zerschmettert sind des Parthenon Gebilde,

Athene schwingt nicht mehr den goldnen Speer.

Doch ob das Gold verblich auf ihrem Schilde,

Noch rollt, vom Golde ihrer Weisheit schwer,

Durch der Geschichte sagenhaft Gefilde

Die alte Musenquelle zu uns her.


O Salamis, wo in der Meeresgrotte

Zugleich Euripides zur Welt gebracht,

Als Aeschylos durchbrach der Perser Rotte,

Der seine Stoffe suchte in der Schlacht!

Als Pindars Hymne, der beseelt vom Gotte,

Weil ihn Corinna's Weihekuß entfacht,

Dem Munde eines Sophokles entstieg,

Das Tropaion umtanzend nach dem Sieg!


O könnt' ich in ein einzig Wort ergießen

Doch meinen ganzen Haß und wär's ein Blitz!

Er sollte mir vernichtend niederschießen,

Sei nun sein Strahl Begeistrung oder Witz.

Wenn fest sich auch des Wahnes Pforten schließen

Und unerschüttert der Tyrannen Sitz,

Der Donner rollt, da hilft kein Blitzableiter

Des Vorurtheils – die Flamme lodert weiter.


O könnte doch mein Ekel und mein Zorn

Ausbersten, wie ein Aetna-Feuerfluß,

Wenn gleich sich aus der Galle bitterm Born

Die Lavaschlacke damit mischen muß![219]

Aus meinen Wunden zög' ich jeden Dorn

Und spitzte ihn als Liederpfeil! Zum Schluß

In meines Grimmes Acheron mich taucht' ich

Und, so gefeit, kein weitres Rüstzeug braucht' ich!


Ha, diese giftgetränkten Liederpfeile

Nach Kronen schöß' ich sie und Pfaffenglatzen!

Ich schleuderte sie mit des Blitzes Eile!

Ich peitschte sie auf freche Schergenfratzen!

Wie Feuerruthen! hiebe sie als Beile

In manch geheiligt Bollwerk, würd' die Tatzen

Der herrschenden Gewalt damit beschneiden,

Seciren in des Staates Eingeweiden!


Ich schwänge sie als zischend Henkereisen,

Auf Höflingsstirnen Brandmale zu drücken!

Bald nahte ich mit Tritten, schleichend-leisen,

Und höhnte ihre Willkür hinterm Rücken!

Bald würde ich als Löwe mich erweisen

Und brüllen, bis sich die Pagoden bücken,

Der Sündfluth Herold! Ach, Phantome nur!

Denn wir besitzen eine Preßcensur.


»Nur dreißig Jahre Preßfreiheit« erklärte

Für nöthig man, den Klerus zu besiegen.

Ich wollt', daß man uns nur ein Jahr gewährte.

Nicht, weil wir zweifeln dennoch zu erliegen,

(Denn stets das Kreuz Aposteln man bescheerte)

Nein, nur uns zu persönlichem Vergnügen,

Um unsern Abscheu völlig auszuschrei'n

Mit Worten, dauernder als Erz und Stein.


Ja wahrlich, Steine möchte man empören,

Doch besser ist's, die Steine aufzuheben,

Damit's die gähnenden Tyrannen hören,

Die der Lectüre wenig sich ergeben.[220]

Doch wenn die Fenster klirren, wollt' ich schwören,

Daß ihre Taubheit man curirt fürs Leben!

Nach Plötzensee schickt man die lästige Wahrheit,

Doch nur Kanonen bringen hier uns Klarheit.


»Verirrter Jüngling! Dynamit-Sprengler!« rief Feichseler. »Aber man sieht doch wo und wie! Und dazu ist dieser Buchsbaum ein sehr bescheidener Mensch, der nicht an Größenwahn leidet wie die Andern.«

Hier schnitten Lämmerschreyer und Luckner, die den Jüngling kannten, freilich eine sonderbare Grimasse. Aber Feichseler bot sofort einen Beweis, vor dem alles verstummen mußte: »Drei Mal hat er mich schon besucht, um, wie er sagte, von dem Rathe eines älteren Meisters, dem er über alles vertraue, zu profitiren.« Lämmerschreyer lächelte heimlich. Wie oft hatte er mit Buchsbaum über den »lächerlichen stelzbeinigen kleinen dünnen Kahlkopf« gelacht – »klein und schmächtig« galt bei diesen Kraftbengeln als ästhetische Verurtheilung, da sie wie die Chinesen die Mandarinenweisheit am Leibesumfang maßen. Feichseler verlas dann noch einen begeisterten Brief Buchsbaum's an ihn, welcher »Hochverehrtester Meister« anhob und »Ihr ganz gehorsamster« endete. Hier flocht Gotthold Ephraim Wurmb die Bemerkung ein, daß er eigentlich Buchsbaum entdeckt und in letzter Zeit vielen Gedichten desselben die Spalten seines alleinseligmachenden Blattes geöffnet habe.

Am schärfsten klopfte man auf Mokamaute los, weil dessen dämonisch-krankhafte Individualität durch ihre,[221] wenn auch ungesunde, Wahrhaftigkeit die conventionellen Phrasendrescher abstieß. Doch auch Krastinik sprach seine besondere Antipathie gegen diesen Dilettanten aus.

»Sein Leid ist so unnennbar groß und er versichert Jedermann, daß seine Seele nun völlig in der Lüste ekelm Schlund verdorben sei. Aber mit hartnäckiger Rüstigkeit bestellt er den Weinberg der Poesie weiter und setzt seine Leiden in edler Druckerschwärze wie eine vollgeladene Weltschmerzpistole der verachteten Welt auf die Brust. Dieser Kultus der Stimmungslyrik, diese Scheinpoesie, die naturgemäß zur Spielerei und Duselei verlockt, saugt ihm das letzte Mark aus den Knochen. In diesen Beiträgen ist er ja noch gar nicht in seinem esse. Man muß ihn in ätherischen Sphärenräumen herumfuchteln hören. Da löst er zuguterletzt alles in Wortmusik auf, als begnadeter Stimmungsfritze im Vollgefühl des einzig wahren Schöpfermysteriums. Sternenthau und Veilchenblau zu einem weinerlichen Reim verknüpfen – das eigene Persönchen, das weltverachtend nach Weltlust lechzt, selbstverleugnend dem All vermählen, um desto brünstiger die Befriedigung unersättlicher Ichsucht zu genießen – das ist so der richtige Lyriker von Gottes Gnaden!«

Diese herben Worte, welche der männliche Sinn des Ungars ihm entpreßte, gingen besonders dem Herausgeber Lämmerschreyer wie Oel ein. Seine stumpfe griechische Nase blähte sich, als genösse sie einen fetten Bratengeruch, und sein Schlangenäuglein blinzelte tückisch. Nun kam Krastinik selbst an die Reihe.


Graf Xaver Krastinik.

[222] Lebensritte.


Dem Thoren scheint Thorheit, was der Weise spricht,

Der Dinge Innerliches versteht er nicht.

Was sind die Außenformen? Ein Wirbel von Monaden.

Der Geist in seiner Klause nur webt den rothen Faden,

Der regelrecht sich hinzieht durchs Wirrsal der Erscheinungen.

Doch blind ist Eure Wahrheit und Eure Fakta: Meinungen.


Zu jedem Laster, sei es noch so arg,

Liegt in Dir selbst der Keim, o Pharisäer!

Drum sei mit Deinem Tadel lieber karg!

O säh' Dein eigenes Innere ein Späher!


Alles ist ein Wunder in der weiten Welt,

Räthsel Dich umgeben, wohin Dein Auge fällt.

»Ueber nichts Dich wundern« rieth ein Weiser zwar.

Aber wer's befolgte, nie ein Weiser war.


Alles will ich gern ertragen,

Gern des Elends Fülle kosten.

Eins nur mag ich nimmer wagen:

Thatlos langsam zu verrosten.


Doch wer mit der Welt der Kleinen

Sich entwürdigend verschwistert,

Muß sich ewig ihr vereinen,

In ihr Stammbuch einregistert.
[223]

Der Teufel hole das Nörgeln und Zaudern,

Das Zupfen an jedem Eselsohr!

Kleckse machst Du über dem Plaudern!

Schmiere frisch darauf los, Du Thor!


Es gleicht der Leidenschaften Weg

Dem Niedergang vom Bergessteg.

Gleitet aus ein falscher Schritt,

Reißt uns alle der Absturz mit.


Was Optimist, was Pessimist!

O Don Quixot-Gerede!

O Fechten um des Kaisers Bart!

Windmühlenflügel-Fehde!


Die Welt lacht sich ins Fäustchen nur,

Wenn Idealisten sich zanken,

Und klatscht sich mästend Beifall gar

Dem hungernden Gedanken.


Und ist Euch nichts geblieben mehr,

So gebt den letzten Thaler her

Und kauft ein Stückchen Blei!

Ein leichter Druck, es ist nicht schwer,

Und alles ist vorbei!


Euch betäuben, dumme Jungen,

Vor dem großen Weltenweh

Durch ein liederlich Juchhe,[224]

Bis Ihr gleich der Welt marode?

Endlich sind doch aus der Mode

Solche Trug-Entschuldigungen.


Wolle nicht wider die Sünde kämpfen,

Das wird nie Deine Begierden dämpfen.

Ihr zu trotzen will nicht taugen,

Sonst verzaubern Dich ihre Augen.

Aber wende ihr stracks den Rücken.

So wird Dir die Rettung glücken.


Freude entflieht mit dem Wind in die Wette,

Sorge hängt zähe wie eine Klette.


Oft schreiben wir der geistigen Arbeit zu,

Was andrer Kraftvergeudung wir verdanken.

Sei nimmer müßig, immer mäßig Du!

Ich glaube nicht an solche Arbeitskranken!


Dir selber nur, Dir kannst Du nicht entrinnen.

Die Ketten der Gedanken schleppst Du mit.

Den Abgrund, der sich öffnete tiefinnen,

Mit leichtem Fuß noch Keiner überschritt.

Ein Opfer braucht er, wenn er einmal klaffte.

Komm, Curtius! Im Tod er erst sich schließt!

Ach, seinem Ich nur Der sich je entraffte,

Wer selbstlos mit den Anderen genießt.
[225]

Ach, brauchte man nach jeder Fête

Als Soda doch ein Schlückchen Lethe!


Den Kummer der Vergangenheit

Kann ein Gedanke mindern,

Der uns von Reue nicht befreit,

Doch wohl sie weiß zu lindern.

Was Du auch thatest, gut und schlecht,

Das hat geformt Dein Wesen.

Und jedes Wesen hat sein Recht.

Sei, was Du Dir erlesen!


Kein Epigramm Dich weiht

So beißender Satire,

Als Deinen »guten Freunden« ihre

Erinnerung verleiht.


O Unglücksmutter Unersättlichkeit!

Wer ist denn reich? Wer seines Theils sich freut

Und hartes Brot wie Trüffeln wiederkäut.

Und statt der tausend Weiber, die ihn locken,

Sich nur begnügt mit einem Liebesbrocken.

Enthaltsamkeit – das ist Zufriedenheit.


Trübe Stimmung wird bemeistert,

Wenn man ihren Grund durchdacht.

Blitz zuckt auf aus Nebelnacht,

Gram zum Schaffen Dich begeistert.
[226]

Wir bringen vom Meer der Vergangenheit

Nur billige Waare für künftige Zeit.

Die ganze Fracht der Meerbefahrung

Ist unverkäuflich: die Erfahrung.


Mutter Natur, mir hast Du Dich entschleiert

Und jedes Würmchen ist mir lieb und traut.

Der jungen Pflanzen Triebe, stets erneuert,

Mein Auge freudetrunken schaut.

Die Schöpfung liebe ich wie eine Braut.

Denn Du verliehst ja Wolken, Wellen, Winde

Als Brüder, o Natur, mir Deinem Kinde.


Gewohnheit ist die Sünde wie die Tugend.

Vorm Keim des Lasters wahre Deine Jugend!

Umsonst sucht's dann die Mannheit auszurotten.

Die starken Wurzeln Deines Wollens spotten!


Dieser Grundsatz möge stützen

Deinen Wandel bis ans Grab:

Wisse Deine Zeit zu nützen,

Gieb Dich nicht mit Skrupeln ab!


Denn vergeudest Du Sekunden,

Werden leicht Minuten draus.

Jahre werden so aus Stunden.

Und Du wirst – ein altes Haus.


Zweifel, Reue, das sind Ketten.

Taste nicht nach gutem Rath!

Arbeit kann Verzweiflung retten

Und Befreiung ist die That.
[227]

Der Bach war unzufrieden

Mit seiner Kleinheit.

Und rief den Regen.

Und trat mit unruhvollem Sieden

Aus seinem Bett. Doch war ihm das kein Segen.

Denn er verlor darüber seine Reinheit.

Nun floß er durch Einöden, war voll Schlamm.

Mit Wehmuth drum gedachte er der Bäume

Und Blumen, die einst seine Ufersäume

Geschmückt. Was schwoll ihm auch so hoch der Kamm?


Die rothe Sonne funkelt

Pfeilscharf durch schwarze Rüstern

Und überm See es dunkelt,

Die Wogen flüstern.


Ich bin gesund und munter.

Doch in der Sehnsucht Wogen

Geh' ich urplötzlich unter,

Hinabgezogen.


Mehr Geistiges zu geben

Dem Menschen Gott vergönnte,

Als für das Erdenleben

Er brauchen könnte.


Ja, dieser Schmerz, uns nahend,

Wenn die Natur uns offen,

Ist ein Beweis, bejahend,

Was wir erhoffen.
[228]

Am Apfelfall fand Newton, heißt es,

Das Gravitationsgesetz.

Was sollten wir nicht finden jetzt

Im kleinsten Fall Gesetze des Geistes?


Und sätest nie den wilden Hafer Du

Und opfertest den Sinnen keck,

Warst nie ein Lidrian und Geck,

So traue ich Dir auch nichts Großes zu.


Ich soll mich der Wahrheit schämen,

Hör' ich den Michel toben?

Ich werde mich dann erst grämen,

Wollt Ihr mich loben.


Ich wußte, Liebe scharfe Pfeile wetzt,

Doch daß der Pfeil vergiftet, spür' ich jetzt.


Und wenn sich selbst herunterdrücken

Die Kaiser zum Steigbügelhalter,

Des Papstes weltlichem Verwalter,

Tritt Dante auf der Päpste Rücken.


Der Arzt, der zu studiren beginnt,

Keinem Leiden selber entrinnt,

Hält mit seiner Wissenschaft Schritt,

Macht jede Erscheinung der Krankheit mit.[229]

Nur was wir im innersten Wesen erkennen,

Wissen wir auch beim Namen zu nennen.


Drei Menschengattungen giebt's in der Welt.

Zuerst die sinnlich stumpfen Massen,

Die nichts verehren als Genuß und Geld

Und das Gefühl wie den Gedanken hassen.

Doch dann der Edleren geringe Zahl,

Zu zart durch Denken und Gefühle,

Sie gehen unter, höhnisch und brutal

Zerstampft und übersehn im Weltgewühle.


Denn sie sind Silber und das Silber sinkt

Im seichten Strom des Tages. Doch inzwischen

Die falsche Alphenide prahlt und blinkt.

Dem Silber laßt uns Eisen mischen!

Nein, fliehet nicht den rauhen Lebenskrieg,

Kämpft mit für der Verkannten Sache!

Ein jeder Genius im Glück und Sieg

Uebt für Myriaden Unterdrückter Rache.


»Fort Ihr! Vergangenheit, weich' Du zur Linken!

Und Du zur Rechten, Zukunft!« stolz ich rief

Und stürmte auf und nieder bis zum Sinken.

Nur dieser Worte Kreis mein Hirn durchlief.

Und als ich seufzend meine Uhr dann fragte,

Sah ich, daß von der schönen Gegenwart

Ich einer Stunde Blüthe mir zernagte

Mit löblichen Entschlüssen solcher Art.
[230]

Die Harmonie von Leib und Seele –

Halb Sportsman, halb Gelehrter sein –

Das ist ein Humbug. Eines wähle,

Sonst wirst Du keines von den Zwei'n.


Seit mir die Liebe schien ins Herz gleich wie Aurora,

Beklage ich nicht mehr, wie sehr mein Loos zerüttet.

Was immer bergen mag die Büchse der Pandora,

Hoffnung und Liebe jetzt mit Blumen mich beschüttet.

Ich weiß, daß jedem Ding spät oder früh bescheeret

Ein Himmel der Natur, des Ueberird'schen Gleichniß:

Geliebt zu werden von der Frau, die er verehret,

Ist jedem Mannessein das krönende Ereigniß.


Zum Himmel ich erhob die abendmüde Seele,

Schon öffnete er mir sein leuchtend Sternenzelt.

In goldnem Nimbus da, göttlich und ohne Fehle,

Im Halbmond mir erschien die Königin der Welt.

Es singen um sie her die Sphärenharmonien:

»Ave, Maria stella! Heil, Herrscherin der Fluthen!«

Seltsame Horden auch von Geistern sie umziehn,

Die machtvoll in dem Schooß der großen Wasser ruhten.

Sie boten Schätze dar, die dort im Abgrund schliefen,

Schätze, die kaum geträumt der prächtige Aladin,

Schätze, die aufgespürt zur Hülfe dem Merlin

Die Artusritter nicht aus den verborgnen Tiefen.

Die Jungfrau sie empfing mit Huld all' diese Gaben,

Indem die Wimpern sie auf schwarze Augen senkte.

Doch Er, den ihrem Schooß mystische Liebe schenkte,

Oeffnete groß den Blick, sich an dem Glanz zu laben.

Indessen zitterte der Ocean empor

Aus seiner Tiefe, da die Herrin ihm erschien.[231]

Und Deines Halbmonds Rand umfloß der Wogen Chor,

O Jungfrau, liebevoll Dir murmelnd Melodien.

Ja, jeder Silberschaum, ja alle Azurwogen

Des flüss'gen Elements zu Dir empor sich bäumen,

Von Deinem holden Leib ward himmelan gezogen

Dies Meer voll Hoffnungen und gläub'gen Liebesträumen.

»O Ewig-Weibliches!« Die Sphärenchöre sangen,

Prinzipien des Seins, die aus dem Meere stammen.

»O Ewig-Weibliches!« O wolle Du empfangen

Die Bitten hier von Luft und Erde, Fluth und Flammen!

O Unsre Liebe Frau, daß uns Dein Schutz behüte!

Kein Wesen ohne Dich gedeiht auf keine Weise.

Denn unsre Kraft bedarf all Deiner Frauengüte,

Zu einem Großen sie verknüpft verschiedne Kreise.

Durch Dich nur leben wir und blühn, Du unbeschreibliches

Geheimniß jedes Glücks, das sie ins Herze wob.

O Gattin, Schwester Du, o Mutter! Ewig Weibliches!

Nur Dir, nur Dir allein sei Ehre, Preis und Lob!


»Ah, bravo, bravo, lieber Graf!« rief Dondershausen. »Hier sieht man den gereiften Mann, welcher das Leben kennt!«

»Daß ein Mann wie Sie sich unter diese vorlauten Musenknaben und Maultitanen mischt!« flötete Adolf der Schöne.

»Nun, ehrlich gestanden,« Krastinik zuckte die Achseln, »mein Alter in Ehren! Daß meine Gedichte darum besser wären als die der Andern, kann ich nicht finden. Unreife – ja, die erkennt man wohl dort überall, aber auch echte Leidenschaft und mächtiges Wollen!«

Die vornehmen Kritiker und die feinsinnigen Eklektiker zuckten unisono die Achseln. Dann las man:


Helmold Heinrichs.

Erotik am Vesuv.

[232] Von Capris Kuppen rinnen nieder hier

Die Bäche, roth beglüht vom Morgenschein,

Als rinne schier ein Meer von Malvasier

Zur blauen Grotte selbst ins Meer hinein.

Und der Vesuv steigt weißlich aus der Flut,

Gekrönt von Wolken. Wie ein Zuckerhut.

Oder ein Beutel, oben dichtgeschnürt.

Bald scheint's, ein Hütlein habe sich aufs Haupt

Der Berg gesetzt. Bald scheint, vom Wind umschnaubt,

Ein bleiches Segel an dem Felsenmast

Stets auf- und abgezogen ohne Rast,

Sobald ein Luftzug dort den Dunst berührt.


Und hier im Angesicht – so malt's kein Pinsel –

Des Flammenberges, des zerstörungsfrohen,

Stürz' ich mich in der Liebe Flammenlohen

Und schwelg' in Deinen Armen, Kind der Insel.


»Ach, das ist mein Lieblingsdichter!« schmachtete Herr von Lämmerschreyer. »Welche Gluth des Colorits!«

»Auch ein bescheidener Mensch!« Wurmb wiegte anerkennend sein Denkerhaupt. »Er schreibt mir jede Woche zwei Postkarten aus Casamicciola.«

»Mir ja auch!« rief Feichseler.

»Und mir auch!« »Mir auch!« Es ergab sich, daß dieser bedeutende Sänger an jeden Anwesenden gleichlautende Freundschaftsbriefe wohl immer zu gleicher Stunde absende. Ein Netz von Massencorrespondenz über das ganze litterarische Deutschland hin! Weniger[233] ergiebig schien freilich seine produktive Ader. Denn er leistete jeden Monat ein Gedicht und erklärte, daß der wahre Dichter nicht arbeiten dürfe. Er müsse sich langsam vorbereiten, die Welt im Kopfe tragend, und alles ruhig reifen lassen. Nur der sei ein wahrer Dichterheld, wer möglichst das Tintenfaß meide.

»Nicht so ewig drauflosschmieren, als könnte man nicht eilig genug unsterblich werden, wie dieser Leonhart!« eiferte der glatte Erich bei dieser gelegentlichen Feststellung der Heinrichs'schen Prinzipien, worauf ein allgemeines »Sehr wahr!« erscholl. Nur Krastinik runzelte leicht die Stirn und bemerkte ruhig:

»Kennen Sie Leonhart so genau? Ich glaube gar nicht, daß er des Ruhmes wegen so viel producirt, sondern bloß aus innerem Muß, um seine Naturanlage auszuleben. Ihm ist das Schaffen, wie uns Anderen das Athmen und Verdauen. Uebrigens, was den Dichter Heinrichs anbelangt, so habe ich von intimen Freunden desselben Schauderdinge gehört und soll derselbe ein ganz gemeiner Schmutzian sein, der ja auch seine Sachen gar nicht selber schreibe. Doch lassen wir das! Jedenfalls ist er ein sehr mittelmäßiges Talentchen und schon seiner Photographie nach, die ich bei Ihnen, lieber Herr Holbach, sah, ein tolpatschiger Schleicher mit seinem Cylinder und seinem Bewußtsein des schönen Mannes.« Holbach, der sich bisher passiv verhielt, vertheidigte jetzt Heinrichs in seiner bekannten Manier aus Sheridan's »Lästerschule«, wo grade beim Vertheidigen tropfenweis Bosheiten nachsickern. Feichseler brannte jedoch vor Begier, zum Schluß[234] der Anthologie zu kommen, und den schließenden Autor, last not least, durchzuhecheln.


Friedrich Leonhart.

Robespierre.

Brav, schöner Brissot, mache nur

Madam Roland den Hof.

Wohlwollend lächelt der Patriach,

Ihr Mann der Philosoph.


Wieviel poetisch Phrasengedresch,

Wieviel Genialität!

Doch heiser kichert's aus einem Eck,

Wo ein gelbes Männchen steht.


Da schrie der stramme Maultitan

Danton, wie immer benebelt:

»Du Lederfratz, ist Dir das Maul

Denn immer zugeknebelt?«


Der hat noch nie Bonmots gemacht,

Der kneift nicht in die Backen

Den Bürgerinnen, hat auch nicht

Stierhals und Löwennacken.


Er ist ein schlichtbescheidener Mann

Und mit verliebter Miene

Denkt er sich grade Danton's Kopf

Als Zierde der Guillotine.


Achill an der Leiche des Patroklus.

[235] (Byron und Trelawny verbrennen Shelley's Leiche.)


Zum öden weißen Dünenstrand

Von blauen Bergesketten

Ziehn Pinienwälder schwarz herab,

Die sich im Golfe betten.

Zwei Männer bei einer Leiche stehn

Am Mittelmeere einsam,

Einen Scheiterhaufen entzünden sie

Als Todtenwächter gemeinsam.


»Den Freunden sein sterblicher Ueberrest

Und Albion sein Gedächtniß!

Trage Du fort die Erinnerung, Meer,

Und sein Lied als letztes Vermächtniß!

Für uns letzte Feueranbeter zumal

Der Scheiterhaufen hier lodert.«

Das Feuerzeichen steigt drohend empor,

Als ob es Rache fodert.

Wie ein Riesenarm mit geballter Faust!

Doch dann sich verdünnend bleicht es.

In goldiger Säule senkrecht auf

Bis zu den Wolken reicht es.


Abscheidend vom Unsterblichen

Die sterblichen Erdenatome!

Symbol der Psyche, darüber schwebt

Ein Vogel im Aetherdome.

Wie ein Phönix aus den Flammen hier

Scheint er emporzusteigen

Und tummelt sich zwischen Himmel und Meer

In glückbeseligtem Reigen.
[236]

Durchrieselt von erhabenem Graun,

Ruft Byron, reckend die Rechte:

»Hier als Brandopfer werfe ich ab

Alles Feige und Schlechte.

Wie Harmodius als Tyrsus schwing ich mein Schwert,

Von bräutlichen Myrthen umwunden

Ich bringe der Freiheit als Rosenstrauß

Spartanische Ehrenwunden.

Wie mein Ahne ›Ralph mit dem langen Bart‹

Zieh ich an Deckbord des Drachen.

Die Harfe zerschmettert, die Streitaxt hoch!

Durch aller Donner Krachen!

Mein Ahn hieß der Schlechtwetter-Johann,

Ihm hab' ich mich verglichen,

Bin oft gescheitert auf festem Land,

Hab' nie die Flagge gestrichen.«


Auf schwarzen Mitternachtfluthen schwimmt

Ein schwarzer Orlog. Am Sterne

Beim Vordersteven ein schwarz Panier.

Ein Sarg scheint's in der Ferne.

Stumm ist die Aeolsharfe nun,

Die im Schicksalssturme erschollen,

Bis im Schlußakkord des Todes sie borst,

Der Titanenseufzer entquollen.


Er ist jetzt eins mit der Lieblichkeit

Der Natur, die er lieblicher machte,

Mit dem allbelebenden Schöpferhauch,

Der in ihm die Flamme entfachte.

Durch die dumpfen chaotischen Massen des Alls

Schwebt er dahin für immer,

Auferstanden in neuer Gestalt

In ewigem Jugendschimmer.


Mater Dolorosa von Sedan.

[237] Viel tausend Granaten rechts und links

Durchfurchen Feld und Heer.

Doch ragt, von Trümmern umschleudeet rings,

Der Altar blumenschwer.

Noch lächelt die Jungfrau dort herab,

Von steinerner Nische gedeckt.

Zu ihren Füßen wühlt sein Grab,

Wer fallend niedergestreckt.

Ave Maria! Die Stunde dies,

Wo die Glocke zur Messe ruft,

Wo wie ein Gruß zum Paradies

Aufwirbelt des Weihrauchs Duft.


Hier aber Dampf nur überall,

Die Erde bebt im Krampf,

Auffliegender Pulverkarren Knall

Und Kampf und Rossegestampf.

Am Kreuz noch immer die Erde hängt

Und ewige Wehn der Geburt

Durchzittern den Leib, den ewig umfängt

Des Todes eherner Gurt.

Dort schlendert ein bleicher Schemen durchs Feld:

Des Kaiserreichs Gespenst!

Nun zähle die Leichen, Lügenheld,

Ob Du Dein Werk erkennst?


»Es lebe der Kaiser!« – Still, Du Narr!

Der Austerlitzsonne Glanz

Geht blutig unter, doch leichenstarr

Rast weiter im Todtentanz!

Spielt auf, Trompeten, zum letzten Marsch!

Noch ein Idol bleibt ganz!

»Merde!« knirschte die alte Garde barsch

Und wir »La France, la France!«


Zufall.

[238] In einer Schenke im Tiberthal

Trafen zwo Reiter sich einmal.

Der eine Dandy, der andre Roué,

Doch Beide Patrizier vom Wirbel zur Zeh'.

Sie beplauderten überm Wein

Die letzten pikanten Klatscherein.

Den großen Clodius Pulcher-Skandal,

Der als Weib verkleidet im Frauensaal

Bei den Saturnalien Unfug versucht.

Terentias falsche Haare. Luculls

Fischbehälter und Seidenwurmzucht.

Auch wie ein gewisser Sallust den Puls

Der Zeit befühle und sich bereit

Halte, zu sammeln die »Zeichen der Zeit«.

Wie Crassus seine Volksküche und

Sein Volkstheater ihm angepriesen

Als Wichtigstes, doch der Autor mit Grund

Ihn als bestes Zeichen der Zeit verwiesen

An die Schulden des jungen Caesar, Zins

Auf Zinseszins häufend, weil er die Provinz,

Die er künftig bekommt, schon verpfändet. Und wie

Sallust schon dem künftigen Opus verlieh

Den Titel: »Catilina's Verschwörung«,

Weil er prophezeie offne Empörung.

»Beim letzten Fest hat mit Muränen

Crassus gefüttert all seine Sclaven!«

Der Aeltre meint mit lautem Gähnen:

»Dies offenbar erscheinen muß

Nur als Verwechselung. Spartakus'

Besieger? Wenn er seine braven

Muränen mit Sclaven gefüttert hätte

So sähe ihm ähnlicher Das, ich wette!«

Des besten Sportsman Quadriga sie loben

Und der Modelöwin sidonische Roben.[239]

Dann brachen sie auf von ihrem Wein

Und ritten gen Rom im Dämmerschein.

Und als sie den sieben Hügeln nahn

Und die ewige Stadt von oben sahn,

Um des Aelteren Lippen ein Lächeln schlich,

Unheimlich war's und fürchterlich.

»Leb' wohl denn! Daß wir uns wiedersehn,

Verbürge ich, es wird geschehn.

Ich bin ein Mann, von Vielen geehrt,

Von Vielen gehaßt – wie ein ehernes Schwert,

Das stets dem Freund zur Hülfe bereit,

Doch den Feind bedräut in gerechtem Streit.

Nie hab ich dem Feind meiner Sache verziehn,

Stets hab ich dem Freunde Schutz verliehn.

In meinem Herzen für immer ruht

Die Erinnerung an Bös oder Gut.

Wer Du auch seist, beherzige den Rath:

Scheue nie zurück vor verzweifelter That!

Stets finde die Unbill blutigen Sold,

Denn dem Wagenden ist die Klinge hold.

Greift verwegene Hand in das Rad Deines Lebens,

So rufe nach mir, nicht rufst Du vergebens:

Ich zerbreche die Hand! Wer verfolgt und gekränkt,

Der komme zu mir, der für ihn lenkt

Der Vergeltung Stahl und vollführt die Rache –

Denn seine ist meine eigene Sache.

Ich bin der Richter, ich bin der Rächer!«

Und grüßend er winkt mit dem Pfauenfächer,

Den Mantel um Kinn und Mund er schlang,

Seitab vom Hügel herniedersprang.


An eine Schenke am Aventin,

Als matt der Mond herniederschien,[240]

Klopfte ein Vermummter. Der Wache

Am Thore gab er ein Pergament:

»Bring' es dem Führer, damit er erkennt,

Daß ich der heimliche Freund der Sache.«

Geräumig war der Berathungssaal.

Und die Verschwörer allzumal

Saßen um den Führer geschaart

Mit schwarzem wallenden Haar und Bart

Und Leichenblässe im Angesicht

Und Augen, glühend unheimlich-licht.

Ein Becher stand auf dem Marmortisch.

Darin die rothe flüssige Glut,

Ist's Chier, Falerner hell und frisch?

Der Fremde schauderte – es war Blut.

»Die Fackeln hoch!« Und Jeder da

Erkennend dem Andern in's Auge sah.

»Wir sehen uns nicht zum ersten Mal,

Denkst Du der Schenke im Tiber-Thal?«

»Und Du bist Catilina?« »Und Du

Der junge Caesar? Nun, nur zu!«

»Zur Sache!« Sie beriethen lang. – –

Doch Caesar denkt beim Heimwärtsgang:

»Komm' jemals ich zum Regiment,

So wird zuerst vom Rumpf getrennt

Mir dieser widerspänstige Kopf.«

Und Catilina denkt daheim:

»Da ist wohl mancher tücht'ge Keim –

Im Ganzen ist der Bursch ein Tropf,

Der auch gefährlich werden mag.

Und kommt der große Rechnungstag,

Wenn ich mich freue, an allen vier Ecken

Dies feile Rom in Brand zu stecken,

Dann, Caesar, wird Dein Loos nicht besser:

Du fällst von meinem eignen Messer.«[241]

Doch wie verlief die Sache später?

Der Catilina war ein Narr.

Die Invektive machte ihn starr,

Die Cicero ihm zugebrüllt:

So rannte ins Netz er zornerfüllt

Und gilt als schnöder Hochverräther.

Doch Caesar, welcher sacht und stille

Gewartet, was des Schicksals Wille,

Der stets lavirt nach gutem Glück

Und, ging's nicht vorwärts, ging zurück?


Der Zufall nur die Dinge lenkt.

Des Werthes Prüfstein ist erschienen

Stets der Erfolg. Doch Jeder denkt,

Ihm werde dieser Prüfstein dienen.

Genie und Thatkraft? Zufall nur

Uns leitet auf die rechte Spur.


Das Autodafé.

Und ein Mandat ward aufgesetzt:

»Ihr lasset flugs Euch taufen.

Wo nicht, Hebräerhunde, verschlingt

Euch alle der Scheiterhaufen.«


Der Rabbi zerraufte sich Haar und Kleid

Und streute aufs Haupt sich Asche.

Dann salbte er sich wie zum Fest

Aus der heiligen Weihölflasche.


Und als am Holzstoß alle vereint,

Begannen sie alle zu tanzen,

Wie Mirjam, als im Rothen Meer

Ersoffen Pharaos Lanzen.
[242]

Und als sie endlich ausgetobt

Und als die geschmeidigen Weiber

Wie die Weiden an Babylons Wassern schlaff

Niedersenkten die Leiber,

Und als die brünstige Raserei,

Ermattet in starrem Krampfe –

Da breitete über die Bühne sich schon

Ein Schleier von bläulichem Dampfe.


Die Henkersknechte in rothem Wamms

Pechfackeln schwingen, vom Thurme

Die Armesünderglocke klagt

In unaufhörlichem Sturme.

Und wie Numantias Bürgerschaft

Sich wechselseitig getödtet,

Die Väter und Gatten das Schwert vom Blut

Der Weiber und Kinder geröthet –

So geht es durch erstickenden Qualm

Hinein ins Flammenbette,

Die Stimmen vereinend im Rachepsalm,

Die Arme verschlingend zur Kette.


Es endet in einer Säule Rauch

Der Feuersäulen Gewimmel,

Wie Moloch's eherne Rechte schwarz

Und glühend sich reckt zum Himmel.

Gleich dem Flammensignal, das Israel

Beim Exodus sah steigen,

Aus der Aegypter Joch den Pfad

Zum gelobten Lande zu zeigen.


Als überm Leichenknochenrest

Die letzte Garbe noch prasselt,

Da wirbeln Fähnlein durch die Luft,

Mailänder Harnisch rasselt.[243]

Der Herold tutet, der Marschall naht.

Den hat der Kaiser gesendet,

Auf daß von den Kämmerlingen des Reichs.

Er das gräßliche Unheil wendet.


Soll er die biedern Rathsherrn nun

An ihrem Wanste spießen?

Der Ritter strich verlegen den Bart,

Die Sach' thät ihm verdrießen.

Den Reisigen brummte er traulich zu,

Die Denkerstirn beschaulich

Auf seines Flambergs Knauf gestützt:

»Die Aventür wird graulich!«


Klebers Ermordung in Aegypten.

Dem Wunderkranze gleich in Ceylons Hain,

Kreuzt Schwert mit Schwert sich hoch im Dämmerschein.

Die Morgensonne lebenswarm umloht

Des Helden Schläfe, aber der ist todt.

Gleich denen, die der Zauberbann umflicht

Von Ischmonie, so starr und leblos schauen

Die Mörder, wie aus Marmor zugehauen.

Zu streuen scheint der Fackel rothes Licht

Auch Wundenmale auf ihr Angesicht.


Wer war es, der mit schnöder Hand zerriß

Dem Sieger hier von Heliopolis

Den Lebensfaden? Dieser Botschaft harrte

Schon lange in Paris Herr Bonaparte.

Das nennt sich Kampf ums Dasein! Wenn der Dolch

Den Helden traf, zum Drachen wächst der Molch.
[244]

Caesar Borgia ermordet seinen Bruder.

Des Mondes Strahl sich mischt dem ersten Morgenglimmern.

In seinem Silberlicht wie eisgepanzert flimmern

Die Felsen. Sickernd rauscht hier durch den Felsentrichter

Das Wasser, wirbelnd sich im Kreis, ein Selbstvernichter.

Doch wie gereinigt und geklärt vom Felsensieb,

In welchem Schaum und Tang unlauter hängen blieb,

Die Fluth dann klar und rein zum Tiber niederlief.

Sie zimmert sich ein Bett im Passe hohl und tief.

Hier würde jedes Boot, wo so vernichtungstoll

Der Schaum in wildem Satz zum Abgrund niederschwoll,

Wie vom Gebiß und Schlund des Nilpferds jäh zermalmt.

Dort zog im Mondenschein, vom Wasserstaub umqualmt,

Ein Reiter, schwarz vermummt, sein Haupt gesenkt, verdeckt.

Und vorn am Sattel hing ein Mantel, drin versteckt

Ein Etwas, das er schnell nun in den Strudel warf,

Auflesend Steine noch am Strand und zielend scharf

Nach jener Bürde, die noch manchmal aus dem Fluß

Auftauchte – – jetzt der Leib wohl meerwärts rollen muß.


Doch glaubet nicht, daß ich die Borgias verdamme!

In den Retorten, wo ihr Höllengift gebraut,

Hat sichtbarlich geglüht der Weltenseele Flamme.

Wer Darwins Lehre je mit festem Blick durchschaut,

Der ehrt im Geier, der herabstößt auf die Beute,

In dem unschuldigen Reh wie in der rohen Meute

Denselben Kampfinstinkt rastloser Lebenstriebe.

Gleichwerth sind durchaus dem Menschen Haß und Liebe.


Zwischen zwei Polen liegt die wahre Weltbetrachtung:

Willensverneinung und entschlossene Weltverachtung,

Leben in der Idee, – oder die ungezähmte

Willensentfesselung, die brünstig nie beschämte

Weltlustanbetung. Ach, den Durst sie nimmer stillt,

Wie nur mit wüstem Rausch Salzwassertrunk erfüllt[245]

Die dürstenden Matrosen, beim Sturm im Boot verschlagen,

Bis cannibalisch sie sich hungernd selbst benagen.


»Nein, das geht nun und nimmer an!« brach Feichseler los. »Ist denn das noch Poesie? Das ist gereimte Prosa. Wer das drucken lassen kann, ist kein Lyriker und auch kein Vollblutdichter. Das ist ein Mensch, der rastlos mit dem Verstande arbeitet!«

Unter allgemeinem Beifallsgemurmel ließ sich da wiederum Krastiniks Stimme vernehmen: »Ich bin andrer Ansicht, Herr Doktor. Mir ist diese gereimte Prosa lieber, als ganze Fuder Gelbveigelein-Lyrik. Auch glaube ich gar nicht, daß Leonhart ein Lyriker sein will. Solche historische Hieroglyphen wie diese kritzelt er so nebenbei tagebuchartig aufs Papier, wie ein Andrer seine Einnahmen und Ausgaben bucht. Er will damit gar nicht künstlerisch wirken, sondern schleudert nur so wie die Natur überflüssige Schlacken von sich ab, wie die Lawine aufs Schneefeld stürzt, um im Abgrund zu verdonnern.«

»Er blendet Sie, mein lieber Herr Graf,« trumpfte Wurmb mit sauersüßer Miene ab. Der naseweise Lämmerschreyer aber meinte gewichtig: »Ein Sänger der Freiheit und der Noth des vierten Standes wie Anno Buchsbaum steht mir viel höher.«

»Ach, dieser Brave!« lachte Krastinik auf. »Dieser undankbare Streber! Da hab' ich nun zufällig bei Leonhart allerlei Dinge Schwarz auf Weiß gesehn. Schreibt dieser Mensch ein vernichtendes Schmähgedicht auf den Ghaselendichter X. und richtet nachher an diesen einflußreichen[246] Würdegreis einen demüthigen Abbittebrief, worin er in ergreifenden Worten um Entschuldigung bat und schmerzlich beklagte, daß Herr Leonhart sich erfrecht habe, das Gedicht später bei einem Ausfall auf X. zu citiren, um seiner eigenen Gehässigkeit eine Würde dadurch zu geben!! Diese bodenlose Unverschämtheit, verbunden mit Feigheit und Perfidie, richtet sich selbst und möchte ich überhaupt meine Hände über diese jugendliche Clique in Unschuld waschen.«

»Zu welcher Clique doch Leonhart selbst gehört,« fiel Feichseler ein. »Ach, Holbach, haben Sie endlich eingesehn, was eigentlich an diesen Kerls daran ist, sammt Ihrem Freund Leonhart?«

»Leider ja! Ich überzeuge mich mehr und mehr!« gestand Holbach mit einem tiefgefühlten Seufzer.

Die Adern auf Krastiniks breiter Stirn schwollen bedenklich. »Wovon überzeugen Sie sich?« fragte er scharf. »Wenn Sie sich einen Duz- und Busenfreund Leonharts nennen und denselben, wie Sie mir schon mehrmals sagten, so oft gegen seine Feinde vertheidigen, so sollten Sie doch am besten wissen, daß Leonhart jede nähere Gemeinschaft mit dieser Rotte ablehnt.«

»Hm, Sie gehn denn doch etwas stark für meinen Freund Federigo ins Zeug. Er ist ja ein bedeutender Mensch – hm!« Er machte eine Pause in der Hoffnung, daß Jemand widerspreche, um dann eiligst gehörige Einschränkungen zuzufügen. Es meldete sich aber Niemand. »Allein, er hat doch auch viel von einem Streber.«

»Möglich. Ein Genie ohne eine gewisse Streberhaftigkeit[247] (ich erinnere an Richard Wagner) ist ebenso undenkbar, wie ein großer Mann der That ohne Opportunismus und despotische Gesinnung. Dieser Naturtrieb wird zu einer Tugend. Denn das Genie fühlt instinktiv, daß es sich ja nicht zu dem, was es werden soll, entwickeln könne ohne äußeren Erfolg. Und seine Entwickelung scheint ihm identisch mit der Entwickelung seiner Kunst oder Wissenschaft. Daher glaube ich ebensowenig, wie an ein sogenanntes ›fau les Genie‹ (Genie ist Fleiß), an ein Genie, das nicht in gewissem Sinne erfolgsüchtig ist, weit mehr als ruhmsüchtig. Denn der Ruhm im höheren Sinne des Wortes scheint ja dem Genie ohnehin erb- und eigenthümlich.«

»Sie sagen immer ›Genie, Genies‹!« warf Lämmerschreyer giftig ein. »Sie wollen doch wohl Leonhart kein Genie nennen? Sieht der wie ein Genie, wie ein Goethe aus? Dieser Knirps!«

Eine etwas unwillige Bewegung ging durch die Versammlung. Solche knabenhafte Dummdreistigkeit verwundete denn doch selbst die Anwesenden, zumal drei darunter selbst von unansehnlicher Gestalt waren. Krastinik lachte heiter auf:

»Famos, lieber Herr! Deswegen waren auch Napoleon, Cromwell, Friedrich, Byron, Luther, Richard Wagner, Michel Angelo, Mozart, Gambetta, Victor Hugo solche Hünengestalten, nicht wahr? Machen Sie sich nicht lächerlich! Jaja! ›Sieht Er, mit solcher Kanaille muß Ich mich herumschlagen!‹ Aber der brave Pandur, der auf den Helden des Jahrhunderts die Flinte anlegte, sah nur einen[248] gar kleinen Mann in schmutzigem Anzug mit Krückstock und Schnupftabaksdose. ›Kein Held ist ein Held für seinen Lakaien‹ noch für Lakaien überhaupt. Aber bei wem die Schuld, beim Helden oder beim Lakaien?«

Eine betretene Pause folgte, welche Luckner mit dem Ausruf brach: »Ei, ei, Herr Graf, Sie treiben ja mit Leonhart die reine Carlyle'sche Heroenverehrung!«

»Pardon, wenn ich etwas erregt sprach!« entschuldigte sich der Graf gemessen. »Alles begreife ich. Aber die Keckheit, womit der Gewöhnliche über den Ungewöhnlichen urtheilt und an Ausnahmenaturen denselben Maßstab legt, wie an den Dutzendmenschen, ohne je die menschlichen Schwächen der Größe psychologisch zu begreifen – diese Keckheit allerdings verstehe ich nicht. Wenn man mir bewiese, Shakespeare habe gestohlen, so würde ich mich ehrerbietig jedes Urtheils enthalten.«

Holbach zuckte die Achseln. »Sie ziehen aber so übertriebene Beispiele heran! Was heißt Genie!«

»Ja, das frage ich Sie!« erwiderte Krastinik kalt. »Wie nennt man heut Mittelmäßigkeit? Reife. Was heißt Genie? ›Sturm und Drang‹. Und was heißt heut überhaupt so Manches! Was heißt Freundschaft?« Er warf einen anzüglichen Seitenblick. »Die Fehler und Schwächen eines Menschen durch genauere Kenntniß desselben ausspähen. Was heißt Dankbarkeit? Sich durch die Erinnerung empfangener Dienste belästigt fühlen.«

»Ach, ich verstehe. Leonhart wird Ihnen da wieder allerlei vorgegaukelt haben!« Wurmb schob nervös seine[249] Brille zurecht. »Und er selbst – ich könnte Ihnen Wunderdinge –«

»Ach, lieber nicht!« wehrte Jener kühl ab. »Dergleichen kenne ich. O Gott, wenn künftige Goethe-Pfaffen mit ähnlicher Beharrlichkeit auch in modernsten Waschzetteln wühlen sollten! Der Muthigste schaudere bei diesem Gedanken! Was wird nicht alles zusammengeklatscht! Denn das auszeichnendste Merkmal des Durchschnittsmenschen bilden Klatschsucht und Verlogenheit. Alles wird gelenkt von einem großen Gesetz der Lüge. Wer dem Trieb der Selbsterhaltung gehorcht, dämmt übersprudelnden Wahrheitsdrang. Müßte man nicht ein Engel oder ein – Esel sein, um stets zu sagen, was man denkt? Leonhart ist zu nervös aufrichtig, allerdings. Jede Verstellung ist ihm fremd, jede lebenskluge Vorsicht liegt ihm fern und er selbst entfesselt meist die Verleumdung durch seine Unvorsichtigkeit. – Glauben Sie nicht,« fuhr der Graf nach einer Pause fort, »daß ich Incorrektheiten Leonharts bezweifele. Aber der eigentliche Kern seines Wesens ist hochherzig und edel. Seine Richtschnur wird ewig bleiben: Die Gerechtigkeit, und das ist die schwerste Tugend. Strebe am ersten nach ihr und alles andere wird Dir von selber zufallen! Ja, diese strenge königliche Tugend schleicht auf Erden als Aschenbrödel umher. Niemand will sie. Lobt sie, war's nie genug; tadelt sie, heißt sie gehässig. So kommt es, daß man den Gerechten am leichtesten der Widersprüche zeihen kann. Was schimpfen Sie über seine Herbheit und rücksichtslose Schärfe! Seine strenge Schroffheit ist eine natürliche Folge gerechter[250] Verbitterung. Haben seine lieben Mitmenschen nicht von der alles aufgeboten was in ihren Kräften stand, um das Aufstreben niederzuducken? Müßte er nicht mit Fug und Recht allen heimzahlen, was man an ihm verbrach, wenn nicht seine Verachtung stets seinen Haß im Keim blickte?«

»Sie überschätzen ihn, Sie überschätzen ihn kolossal!« sagte Wurmb erregt. »In vieler Beziehung tappt er umher wie ein unreifer Knabe. Man hört da kaum glaubliche Sachen von einem Verhältniß mit einem bemakelten Frauenzimmer in einer Weiberkneipe, die sich nichts aus mir macht und die er sogar heirathen wollte, um die bekannte ›Rettung‹ an ihr zu verüben. Entweder ist dies eine männliche Sinnlichkeit oder kindische Sentimentalität.« »Wenn ...« Er brach plötzlich ab und erröthete, man wußte nicht warum. Drückte ihn vielleicht gerade auf der Brust ein Briefchen mit einer Freiherrnkrone, wo eine lustrümpfelnde »Adah Freiin von Geisenheim«, geborene »Freiin von Ratzko« ihm den Laufpaß gab, weil er ihr so wärmerisch anbot, mit ihr vor seiner Frau und seinen andern nach Amerika zu entfliehn? Und sie hatte ihn doch bloß als Redacteur benutzen wollen, aus der Distance kokettirend!

»Ich gratulire Ihnen zu Ihrer Philosophie,« Krastinik daß sich auf die Lippen, um nicht hellaufzulachen. »Ich sah noch Keinen, der nicht die Leiden und Leidenschaften anderer recht mit philosophischer Geduld belächelt hätte, noch Keinen, der diese Geduld an sich selber erprobte.[251] Uebrigens, die Mutter der Weisheit ist doch nun mal die Thorheit. Nur aus Most und Wein.«

»O o! Ich bitt' Sie, wo bleibt aber da die Moral?« zeterte Feichseler. »Wozu soll das fuhren! Untergrabung aller altdeutschen Sittlichkeit, Abklatsch der Pariser Verhältnisse! Schämt sich dieser Leonhart denn nicht, falls er wirklich so genial ist, die Gesellschaft verbuhlter Hetären zu frequentiren? Warum gründet er sich nicht eine germanische Häuslichkeit mit einer gebildeten Jungfrau? Ist es nicht eine wahre Schande, daß er die Geschöpfe der Straße litteraturfähig macht? Will er etwa die sociale Frage lösen, indem er ›Arme Mädchen‹ studirt wie Herr Lindau? Pfui, pfui darüber!«

»Hm,« erwiderte der Vertheidiger trocken. »Warum er nicht heirathet, weiß ich nicht. Vermuthlich, weil er kein Geld dazu hat. Warum er ces dames studirt und in seine Bücher bringt, weiß ich. Das sind allen Ernstes nur dichterische und ästhetische Gründe: um die Leidenschaft und die Noth an der abgründigsten Wurzel bloß zulegen. Warum er persönlich an solchen Damen Gefallen findet (so etwas kommt bei uns nicht vor, nicht wahr meine Herrschaften?), weiß ich ebenfalls. Vermuthlich, weil er sie interessanter findet als die langweiligen und dabei prätentiösen Puten des Salons. Wen in aller Welt das Alles übrigens etwas angeht, weiß ich nicht Wohl aber weiß ich, wenn er wirklich irrsinnig genug war einem solchen Weibe seine Hand anzubieten, daß dies weder aus Sinnlichkeit noch aus Sentimentalität geschehen sein kann. Denn er ist mäßig sinnlich und gar nicht sentimental.[252] Obschon ich ihn vermuthlich näher kenne, als die Leute, die über ihn schwatzen, so vermesse ich mich nicht, über seine Motive zu urtheilen. Jeder Mensch hat seine inneren Geheimnisse, die kein Anderer kennt; sich da hineinzudrängen ist roh und dumm, gegenüber einem bedeutenden Menschen aber obendrein frech und infam.«

»Aber ich bitte Sie, schon allein der Skandal, wenn er das Weib wirklich heirathete! Dies schlechte Beispiel –« Feichseler brach ab und erröthete, man wußte warum. Denn die guten Freunde stießen sich bereits unterm Tische an. Behauptete doch der Stadtklatsch, Ottokar habe selbst die ideologische Narrethei begangen, eine Bemakelte zu retten und eine frühere femme entretenue zur Würde einer Frau von Feichseler zu erheben! Natürlich aus rein ätherischem Idealismus, da die junonischen Reize der schönen Frau unmöglich einen Philosophen wie Feichseler hätten verblenden können!

»Nun, Leonhart scheint immerhin ein ungewöhnlicher Mensch und eine liebenswürdige Natur. Aber er ist allzu bissig und dann – auch noch etwas grün. Das heißt –«

»Scheint mir auch,« ergänzte Gutmann bedächtig. »Ich kenne ihn ja auch. Er aß einige Mal bei uns. Noch vor einem halben Jahr machte er mir einen Gegenbesuch und aß etwas bei uns. Er erinnert mich an Aurelie von Fellmarch. Sie wissen: die so oft bei uns aß und nachher solche Bosheiten über mich, meine Frau[253] und das Kind geschrieben hat! Ja ja, der Leonhart wird noch älter werden. Wie wird er in zwölf Jahren an sich selber denken!«

»Ich kann mir nicht helfen,« warf jedoch Wurmb hin. »Ich halte Leonhart für einen unsrer gefährlichen Kujone. Ein furchtbarer Streber, der mit allen Mitteln vorwärts jagt und rücksichtslos niedertritt, was ihm den Weg versperrt.«

Krastinik erhob sich mit ironischen Lächeln. Es wird spät und ich muß mich empfehlen. Nur möchte er zum Schluß dieser Debatte eins bemerken. Hören sie z.B. einen Schmoller, der Leonhart nur zu ewigem Thun verpflichtet wäre, so wird dieser Größenwahnsinnige sich weder über seinen großen Gönner in herablassendem Tage als von einem ›guten Kerl‹ oder mit schimpfender Weise als von einem ›raffinirten despotischen Charakter‹ redete. Und grade so theilen sich überhaupt die Urtheile der dummen Jungen über dies Phänomen. Sagt Ihnen nicht die Logik, daß Beides zugleich nicht so kann und daher keins von Beidem irgendwie der Wahrheit entspricht?

»Ueberhaupt,« setzte Krastinik nach einer Pause fort »gehört doch eine unglaubliche Unwissenheit dazu, ein Dichter, der berühmt war, ehe unsere heutigen Modegötter auftauchten, und nur wegen mangelnder Streberei im Hintertreffen gedrängt wurde, zu dem jüngstdeutschen Gesindel zu rechnen! Nicht, als ob ich jenen jungen Leuten eine durchgängige Sprachvirtuosität und Formbemeisterten[254] absprechen möchte. Nein, im Gegentheil erregt ihr ehrliches technisches Verskönnen kopfschüttelndes Staunen.«

»Auch eine Gedankenfülle schmerzlichen Lebensernstes und ein selbstständiges Lebensgefühl, welches der Erde Bitterniß voll durchkostete und sich in weihevollem Schmerze läutert!« dekretirte der stets in philosophischer Schönrednerei schwelgende Dondershausen und blies die Backen auf.

»Doch auch viel tautologisches Phrasen-Gefüllsel,« fiel Luckner ein.

»Ja, mag das alles nun sein, wie es will, jedenfalls ahnen diese jungen Lyriker in glücklicher Unschuld gar wenig von dem düstern heroischen Kampf, den das eigentliche Originalgenie wie Leonhart durchzuleiden hat, ehe es endlich seine wogende Ideenwelt in die konventionellen Stereotypformen der Litteratur zwängen lernt.«

»Mein Gott,« rief Gutmann achselzuckend. »Sie thun ja gerade so, als ob zwischen Ihrem Abgott und allen andern lebenden Dichtern eine Kluft gähnte, als ob er nicht nur der Erste wäre, sondern gleichsam allein auf einer Insel säße und das übrige Völkchen weitab von ihm.«

»So ist es auch,« bekräftigte Krastinik halblaut. »Wenigstens ist etwas Wahres daran.«

»Ja, lieber Herr Graf,« Ottokar und Dondershausen schüttelten den Kopf, »man hört Sie ja ruhig an, man läßt Sie ausreden. Aber man weiß wirklich nicht.. man versteht kein Wort.. es schwindelt Einem..«

»Einer muß jedenfalls verrückt sein,« brummte Holbach.[255] »Ich begreife ja Ihre Begeisterung, allein..« Er zuckte vielsagend die Achseln.

»Ich kenne ihn ja doch auch am Ende,« hob Gutmann an und warf sich in die Brust, »und schätze ihm als einen näheren Bekannten. Noch zuletzt als ich ihm sprach (er aß etwas bei mir), sagte ich ihm: ›Leonhart Sie sind noch unerfahren‹. Sie vermöbeln zwar In-und Ausland, allein jene berühmte Kneipe, wo Sie als neuer Shakespeare mit Ihren Gebrüdern Green, Dekker und Heywood zusammensaßen, ist das Symbol jener Lächerlichkeit..«

»Ach so, das wollten Sie ihm sagen?« schnitt ihm Krastinik weitere Fanfaronaden ironisch ab. »Hören Sie auf, lieber Herr! Das würden Sie halt wagen, ihm an den Kopf zu werfen! O Jesus Maria!«

»Nun, um ad rem zurückzukommen, worin unterscheidet sich der erlauchte Dingsda denn von uns andern?« Dondershausen schnitt eine verzerrte Grimasse, wie eine Affe, der in einen sauren Apfel beißt, während Feichseler süßlich lächelte.

Holbach, dieser hanseatische Vikinger, der wie Leonhart als Federfuchser seinen Beruf verfehlte, sah mit einem starren Blick ins Leere. Sein blonder angelsächsischer Pferdekopf, der das Roßwappen Hengists und Horsas hätte schmücken können, ähnelte im Ausdruck auffallend einzelnen Zügen Leonharts. Wie dieser schob er die Unterlippe vor und preßte die Lippen fest aufeinander, während die Augenbrauen sich weit vortreten zusammenzogen.[256]

Gutmann machte ein dummes Gesicht, das jedoch einer gewissen Bosheit nicht entbehrte. Luckner fummelte allerlei unzusammenhängende Redensarten dazwischen. Leonhart verstehe nichts von dem einzig wahren Urborn der Poesie, der Germaniestik. (Er sprach dies Wort immer mit einem langen I.) Ein Mensch, der nicht Jakob Grimm studirt habe und über Scheffel, den größten deutschen Dichter nach Goethe, herablassend urtheile, er sei nur ein reizender Idylliker! Neulich noch habe Leonhart sich darüber mokirt, daß Scheffel ins Irrenhaus gewandert sei, weil ihm die dargebrachten Huldigungen der undankbaren deutschen Nation nicht genügten, und daß der biedere Dichter die 46.–49. Auflage seines »Ekkehard« mit großem Kostenaufwand selbst aufgekauft habe, um die 50. Jubiliäumsauflage zu ermöglichen. Auch sei die Fühlung des jungen Poeten zu dem Altmeister und dem »Ring der Nibelungen« nur gering. Das war für Luckner entscheidend. Nach dem Grundsatz, der heut die Welt regiert: Richard Wagner est asylum ignorantiae, versenkte sich der harmlose Knirps-Pimper (wie Leonhart, dessen Verachtung stets drollige Naturlaute fand, ihn zu nennen pflegte) in Musikkennerschaft, um sich über seine Dichterlähmung zu trösten. Für ihn schien das Welträthsel in Bayreuth gelöst. Wie der Bayreuther Meister des Größenwahns keinen Gott neben sich erkannte, so betrachtet auch die Wagner-Gemeinde jeden, der nicht auf ihre lächerliche Einseitigkeit schwört, als eine Art Heiden, und wer noch an die Möglichkeit anderer Weltpropheten glaubt, als Verbrecher. Der Richard Wagner-Humbug[257] bildet ja gleichsam die symbolische Spitze für alle Großmannssucht unserer Zeit.

Krastinik überlegte wie es schien, und sammelte vielleicht Erinnerungen an Aussprüche seines Meisters. Dann erwiderte er gemessen auf Dondershausens Frage: »Bei den Anderen, deren Schaffen trotz aller äußeren Geschlossenheit als innerlich zerstückelt wirkt, stehn wir immer in enge Kreise gebannt, mit beiden Füßen auf der Erde – das heißt auf den Brettern, welche die Welt bedeuten. Nie wird man bei ihnen die Empfindung des bloßen Theaterspielens los. Kombinirt Leonhart dramatische Gegensätze, so gehen sie stets in symbolische Tiefen hinab, während sich bei Anderen die Leute ganz handgreiflich-plump mit ihrem schrecklichen Edelmuth wie mit einer moralischen Ohrfeige drohen. Leonhart's Vorbild scheint offenbar Shakespeare, welcher auch in seinen realistischen Dramen überall Durchblicke ins Ewige eröffnet. So die Villegiatura von Belmonte im ›Kaufmann von Venedig‹. Dort zerreißt der Vorhang hinter dem Saal des Dogenpalastes, wo man über weltliches Recht und Unrecht streitet, und man erschaut das Ewige in der Mondnacht, wo Lorenzo mit Jessica träumt: ›Auch nicht der kleinste Stern, den Du da siehst, der nicht im Schwunge wie ein Engel singt.‹ Was also ist dieser ganze kleine Erdball, mahnt uns der Dichter, dieser Stern unter größeren Sternen! Ist aller irdische Streit nicht müßig?«

»Aber ich bitt' Sie! Shakespeare! Ja, wer möchte den Herkules preisen, den Niemand tadelt – sagt ein[258] lateinisches Sprüchwort. Shakespeare und Leonhart! Wo liegt da der Zusammenhang! Alle Achtung vor dessen Leistungen, aber –«

»Was er ist und kann, können wir jetzt immer noch nicht beurtheilen, so großartig er auch schon als Gesammterscheinung sich darstellt. Denn er, der eigentliche deutschnationale Dichterrealismus, ringt augenblicklich noch mit sich selber, hat sich noch nicht zur letzten Lösung durchgerungen. Er thürmt Cyklopenmauern, hinter denen ein Riese seine Waffen thürmt.« Die verbündeten Eklektiker sahen den Grafen so dämlich an, wie die Ochsen vor'm neuen Thor, so daß dieser sich jetzt eilig empfahl.

Nur Holbach nickte langsam vor sich hin, indem er mit seltsam düsterem Ausdruck wieder ins Leere starrte. Seine löwenhafte Reckennatur verseuchte sich zwar durch und durch mit füchsischer Balancir-Verlogenheit eines Weltlings; er repräsentirte gleichsam als Typus die Welt, also die Lüge. Aber das wirkliche Wohlwollen, das ehrliche breite Herz, das unter all der schwindelhaften Schauspielerei in seiner breiten Brust schlug, errieth intuitiv Manches und fühlte instinktive Verwandschaft: Beide hatten ihren wahren Beruf verfehlt.

Als Krastinik gegangen, faßte Arthur Gutmann den Gesammteindruck der illüstren Versammlung zusammen, indem er nachdenklich murmelte: »Wo mag wohl der Grund stecken, daß der Graf diesen Leonhart so eifrig vertheidigt? Sollte Jener vielleicht grade einen lobenden Essay über Krastinik schreiben wollen?«

Ist doch der Begriff einer unbeeinflußten Kritik[259] längst entschwunden. Man hat heut Kunstbutter, Kunstmilch, alles ist unecht, selbst das Genie wird man noch fälschen können.

Quelle:
Karl Bleibtreu: Größenwahn. Band 3, Leipzig 1888, S. 156-260.
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