IV.

[31] Als er aber am andern Morgen seinem alten Freunde Dorrington im Oxford- und Cambridge Club, wo dieser ihn als Gast eingeführt, sein Abenteuer erzählte, brach dieser in ein herzliches Gelächter aus. »Ja, my boy, haben Sie denn keine Ahnung, was für einen ungeheuren Frevel wider englisches Decorum Sie begingen? Hier stellt man sich nie selber vor, sondern der Wirth, nachdem er den Wunsch beider Personen eingeholt, vermittelt das. Und die Dame grüßt stets zuerst – auch auf der Straße, merk' Dir das! –, um zu zeigen, wen sie überhaupt kennen will. Nun, wirst Dich schon daran gewöhnen. Gutes Ale dies, was?« Er wies auf das schäumende Gebräu, das der stattliche Clubdiener, dessen ganzes Vokabularium sich auf Yes, Sir! Please, Sir! zu beschränken schien, mit feierlicher Würde eingoß. »Wird nur hier gebraut. Ist das Haus-Ale dieses Clubs allein. Sogar der Wiener Bierkönig Dreher hat sich hier daran delektirt.«[31]

Als sie nachher, den prachtvollen Bibliothekraum durchschreitend, im Smoking-Room ihren Mokka schlürften und den Schachspielern zusahen – (die arbeiteten, ohne eine Silbe zu wechseln, nicht minder eifrig wie die professionellen Spieler in Simpsons Cigar Divan am Strand, wo Zuckertort, Steinitz und andere so oft mit Amateurs aus dem Schachclub in Arundelstreet gespielt) – schlug Dorrington dem Grafen vor, mit ihm einer Mrs. O'Donnogan eine Visite zu machen. »Irländerin. Schöne junge Wittwe. Reich, gute Parthie.«

»Meinethalben. Das kann nichts schaden,« nickte Jener. Sie machten also den »call«. Xaver war in der That erstaunt über die weltgewandte Liebenswürdigkeit der reizenden Dame, die eine Meisterin des »Flirting« schien und alle Künste der Koketterie beherrschte. Sie besaß einigen Esprit und offenbar die elegante Salonbildung, welche die Engländerinnen auszeichnet, deren nervöser Halbbildungstrieb unersättlich nach allen geistigen Anregungen hascht – bei ihren unleugbar größeren intellectuellen Fähigkeiten, im Vergleich zu ihren continentalen Schwestern, ein ganz natürlicher Vorgang.

Uebrigens schien die pikante Dame ein wenig »frei«, »französisch«. Es streifte fast an die Grenze des guten Tons, wie sie immer und immer wieder mit ihrem Hündchen und ihrer Katze anmuthig liebelte. Sie hatte die Thiere abgerichtet, sie regelrecht zu küssen, was sie mit ihren appetitlichen Schnäuzchen denn auch so artig bewerkstelligten, daß den männlichen Zuschauern dabei das Wasser im Munde zusammenlief.[32]

Uebrigens sprach Mrs. O'Donnogan ziemlich geläufig Deutsch, da sie natürlich in jedem Punkte à la mode bleiben wollte. Auch betrachtete sie den Oesterreichischen Hauptmann und Grafen mit aufmerksam neugierigen Augen, als Lord Dorrington etwas ironisch auf dessen verstohlenes Dichterthum anspielte.

»Ja, er ist ganz weg!« neckte der freundliche alte Herr, als er am Abend zum Dinner seiner Gattin ihren Neffen und dessen Abenteuer mitgebracht hatte. »Unsre Irische Freundin hat ihn captivirt. Sein kugelfestes Herz steht in Flammen.«

»Ich kann nicht leugnen,« bekannte Krastinik unbefangen lachend, »daß ich sie reizend finde. Dieses goldige Haar! Charming! O die süße englische Sprache! Sie allein drückt aus, –«

»Was Sie empfinden?« Lady Dorrington erhob sich nach englischer Sitte, um die Herrn bei der Weinkaraffe allein zu lassen und oben im Drawing Room den Thee zu bereiten. »Goldiges Haar? Man denke! Ja, bei 3000 Pfund Rente findet sich das Goldige von selbst. Eh bien, lieber George, sage unserm Freunde doch, was ich darüber denke. – Wissen Sie was, lieber Xaver? Zeigen Sie doch mal Ihre poetische Geschicklichkeit! Sie schildern so feurig die Hunde- und Katzen-Verliebtheit der schönen Frau. Machen Sie darüber einen Vers und –« flüsterte sie ihm halblaut ins Ohr, als er aufspringend ihr chevaleresk die Thüre öffnete, »schicken Sie ihr's.«

»Aber, gnädige Tante!«[33]

»Das heißt,« fügte sie schelmisch drohend hinzu »daß Sie ja nie verrathen, ich hätte das empfohlen!«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –


»Madam,

Es ist stets gefährlich, wenn man einem Reimer den leisesten Wunsch ausspricht, seine Verse sehen zu wollen. So sind wir, nous autres rimeurs! Reicht man uns den Finger, nehmen wir die ganze Hand. Der arme Herzog Clarence verlangte ein Gläschen Malvasier und wurde in ein Faß gesteckt.

Sie sahen sich genöthigt, den Wunsch aussprechen zu müssen, daß eine Probe meiner Stümperei Ihren schönen Augen unterbreitet werde. Me voilà! Da marschiren schon acht Verszeilen heran, um Ihnen zu huldigen. So bekommen Sie einen bittern Vorgeschmack der Lieder, die Ihrer vielleicht noch harren. Seien Sie mir nicht allzuböse, wenn ich Ihre Geduld auf eine so harte Probe stelle. Lady Dorrington würde mich schön auszanken, wenn sie erführe, wie ich wegelagere. Unsereins stürzt sich eben auf jeden Leser, der Herzensgüte genug besitzt, um gereimte Ungereimtheit zu ertragen.

Aber ich sehe, daß meine Weitschweifigkeit sich sogar auf diesen Brief ausdehnt. So gestatten Sie mir denn die Versicherung, daß mein schlechtes Gedicht wenigstens den einen Vorzug besitzt, ebenso aufrichtig und wahr zu sein, als die Verehrung, mit der ich bin

Ihr ergebener Diener

Graf Xaver Krastinik.«
[34]

Das beigelegte Impromptu lautete:


Circe hat ein Thier einst verwandelt

Männer, ihre Liebesglut zu kühlen.

Minder grausam zwar hast du gehandelt,

Lässest Thiere menschlich für Dich fühlen.

Doch wo Thiere selber lieben müssen,

Laß uns, Grausame, ihr Glück nicht schauen.

Daß es Thieren nur erlaubt zu küssen,

Kann kein neidisch? Mannesherz erbauen.


Es war sogar eine Uebersetzung in denkbar unbeholfenstem Englisch zugefügt:


Circe changed men, who dared speak of love,

To animals once with her magic staff.

Less cruel indeed your witcheries prove,

When your beauty's enchanting cup we quaff.


u.s.w.


»Geehrter Herr,

Ich bin morgen Mittag at home. Einige Freunde nehmen bei mir ihr Lunch. Vielleicht werden wir den Vorzug Ihrer Gegenwart haben? Sie sind freundlichst geladen.

Ihre ergebene

Ellinor O'Donnogan.

P.S. Dank für die hübschen Verse.«


Das Lunch bei der Tochter Grün-Erins gewann einen etwas abenteuerlichen Anstrich durch die stark gewürzte[35] Mischung der Gesellschafts-Pastete. Da war eine fettige süddeutsche Sängerin, die sich einen italienischen Namen zugelegt hatte.

Da war ein kleiner Franzose mit endlosem Henri-Quatre, der trotz eines halbjährigen Aufenthalts in London nur die Phrase »Fifteen years ago!« gelernt hatte und, als der Name »Bulwer« fiel, sofort von »Boulevard« zu plappern anfing.

Da war ein jugendlicher Plantagenbesitzer aus Cuba, der jedem Unglücklichen, mit dem er nur drei Worte gewechselt, die echtesten der echten Havannas meuchlings auf die Brust setzte – eine Magnaten-Großmuth, welche der davon Betroffene meist verfluchte, sobald er drei Züge des kostbaren Gewächses gekostet. Doch Don Rosetta's Etui ward niemals leer und füllte sich wie eine Cisterne aus unbekannten Tiefen.

Da war ein deutscher Maler, nicht ohne ein gewisses Sedan-Lächeln, das den Reserveoffizier verrieth, welcher nichtsdestoweniger aus seiner tiefen Verachtung gegen alles Deutsche kein Hehl machte.

Da war der unvermeidliche junge Musiker jüdisch-slavisch-deutscher Herkunft, wie er blaßwangig und schwarzlockig in den Londoner Drawing-Rooms schwarmgeistert.

»Er ist ein Bohemian,« stellte ihn die patronisirende Wirthin mit zweideutigem Wortspiel dem Grafen vor. (»Bohemian« bedeutet ja englisch sowohl »Böhme« als »Bohémien« in der Pariser Bedeutung des Wortes.) »Und Sie, Graf, Sie sind ja auch ein Böhme, nicht? Das sind wir ja drei Böhmen! Denn ich, ich bin eine[36] richtige Bohemienne, ich liebe die Freiheit, die Bohême!«

Dabei rümpfte sie das aristokratische Adlernäschen und äugelte mit unbeschreiblichem Dünkel durch ihr Lorgnon, indem sie mit den drei Gardeoffizieren tändelte, die außer einem dicken Parlamentsmitglied den Rest der Gesellschaft bildeten.

Das Lunch verlief recht lebhaft. Die Schildkrötsuppe mochte selbst einem indischen Nabob schmecken und das Salmon-Steak einem Lordmajor der guten Stadt London. Auch für die Wittwe Cliquot schien die lebenslustige Wittwe von verständnißvoller Sympathie beseelt. Der Champagner schmeckte Krastinik besser, als im »Hotel Hungaria« beim Pester Wettrennen – weiter gingen seine vergleichenden Erinnerungen ja nicht, da ihm Paris noch ein Buch mit sieben Siegeln.

Gegen ihn war die schöne Wirthin ziemlich kühl und übte sich nur kräftig in allgemeinem »Flirting«, in welcher edeln Wissenschaft sie Meisterin vom Stuhl zu sein schien. Es war, als wolle sie ihm andeuten, daß sie seine etwaigen Intentionen wohl verstehe, ihm aber keine Avancen machen wolle. Sie hübsch, vermögend, Wittwe, von guter Familie – er, ein continentaler Graf, aber vermuthlich wenig bemittelt, wenigstens nach englischen Begriffen. So leicht ging es mit der Brautschau nicht. Man mußte sich vorsehn.

Nicht sonderlich befriedigt, küßte Krastinik zum Abschied die Hand, was auf sie als nicht-englisch zwar etwas befremdlich, aber nicht unangenehm wirkte – (diese continentalen Sitten bewahren noch so etwas Romantisches!)[37] – erhielt aber die Erlaubniß, sie so oft als möglich, während er London mit seinem Aufenthalt beehre, zu besuchen. Dies mit vielsagendem Augenaufschlag.


Krastinik trieb sich Wochen lang im Londoner Vergnügungsleben umher. Er speiste viel im Criterion Restaurant, nahm seinen Abendpunsch im Café Monico, schlenderte in Canterbury Hall und Cremorne Gardens umher, besichtigte Foot-Ball Races im Windsor Park, bestand kleine Abenteuer im nächtlichen Haymarket, ließ sich im Krystallpalast von deutschem Orchester Händel'sche Oratorien vorblasen-und singen, schloß auch die vielen Museen und sonstigen Wissensanstalten und Sammlungen Londons nicht von seiner Aufmerksamkeit aus.

Zu Mrs. O'Donnogan kam er mittlerweile in ein freundschaftliches Verhältniß und schnitt ihr gewaltig die Cour. So las er ihr bald ein neues Impromptu vor, das er auf sie verfaßt.


Ach, da ist schon Numero 70!

Ach, vor ihrer Thüre bin ich!

Sie, in die mein Herz verliebt sich,

Ist so grausam und so minnig.

Nennt sich selbst Bohemienne.

Sagt, da Musiker und Grafen

Sie als echte »Böhmen« kenne,

Daß drei Böhmen hier sich trafen!


Bei Vorlesung dieser gutgemeinten Reime unterfing er sich jedoch, in aller Ehrfurcht ihr die Thatsache zu[38] unterbreiten, daß der ›Böhmer-Graf‹ in Wahrheit einem der ältesten Adelsgeschlechter Oesterreichs angehöre, welches manche feldherrliche Heerestrommel (von der man nur hört, wenn sie geschlagen wird) in den Geschichtsannalen zu den Seinen zähle. Uebrigens sei er kein Böhme, sondern ein ritterlicher Magyar.

Das wirkte denn doch erheblich auf die kleine Frau und dämpfte die beiläufige Geringschätzung, mit welcher man in England auf continentale Grafen herabzusehen pflegt.

Quelle:
Karl Bleibtreu: Größenwahn. Band 1, Leipzig 1888, S. 31-39.
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