III.

[26] Auch der Ball bei der Herzogin mußte überstanden werden. Die Gesellschaftsstunde nahte. Wappenkronengezierte Karossen, vollgepackt mit Fracks und Ballroben,[26] rollten heran. Ihre Räder wurden übertönt vom Donnern der Messingklopfer, wenn die gallonirten gepuderten Footmen vom Hinterbrett absprangen, indem sie ihre weißen Seidenstrümpfe, sammtenen Kniehosen und Schnallenschuhe vor dem plebejischen Straßenschmutze sorglich hüteten. Der Portier öffnete unablässig, und der Fremde erstaunte baß, auf den Teppichtreppen die Gäste lagern zu sehn nach guter Londoner Sitte, weil die engen Räume von der ungeheuren Zahl der Geladenen bald überfüllt. Eine hektische Röte schien auf jedem Gesicht zu fiebern, die Luft scheint fieberhaft erhitzt. London gleicht einer Schwindsüchtigen, die sich zu Tode tanzt. Die Ball-Menge, dichtineinandergedrückt verschwamm in der Entfernung zu einer einzigen schwarzflimmerigen Masse, wie eine dicke Häufung von Steinkohlen.

Nachdem Krastinik die Herzogin begrüßt, welche am Eingang des Saales hundertmal gegen jeden Eintretenden den Fächer schwenkte und ein verbindliches Lächeln austauschte, fühlte er sich in den großen Drawing Room geschoben, wo zwei tanzende Paare im denkbar schleppendsten Tempo sich drehten und beide Wände entlang eine dichte Masse von Herrn und Damen sich staute. Das Ganze machte einen völlig physiognomielosen Eindruck. Mechanisch schien man Kravatte, Lorgnon, Kopfputz und Schleppe zurechtzurücken, die Conversation stockte gänzlich und nur ein halblautes Summen schwirrte durch den Saal.

Krastinik sah sich verzweifelt in seiner Nähe um. Da ihm das Schweigen unerträglich wurde, wandte er sich an einen zunächst Stehenden und stellte sich mit[27] einer Verbeugung vor: »My name is Count Krastinik.« Der Insulaner gefror förmlich zur Salzsäule. Anfangs schien er schlechterdings nicht zu begreifen, was dieser Mensch von ihm wolle. Dann suchte er seinen steifsten Bückling aus dem Lexikon der Anstandsformeln hervor und reckte, ohne weiter ein Wort zu verschwenden, seinen Giraffenhals nach entgegengesetzter Richtung.

Krastinik stutzte etwas, faßte sich jedoch und versuchte die gleiche Selbstvorstellung bei einem nächsten. Dieser starrte ihn feierlich an, räusperte sich verlegen und murmelte: »Oh indeed! Delighted. to be sure.« Daß er nun selbst verpflichtet sei, seinen Namen zu nennen, schien ihm ganz unfaßlich.

Mit dem Mut der Verzweiflung, schoß der arglose Fremdling endlich auf einen Herrn in indischer Uniform, von dessen bronzirtem Teint sein strohgelber Schnurrbart pikant abstach, los. Der Herr hatte nach Pariser Sitte die Haare vorn in die Stirn geklebt und unter der Manchette ein silbernes Armband nach unten baumeln. Das mußte ein Mann sein, der viel umhergekommen und continentale Sitten kannte. So verbeugte sich denn Krastinik zum dritten Mal und schnarrte verbindlich: »My name is Count Krastinik,« wobei er diesmal hinzufügte: »Captain in the Austrian service.«

Der also jählings Ueberfallene schien doch ein wenig verblüfft, doch gewann er rasch seine Haltung und nickte mit gönnerhaftem Lächeln: »Höchst erfreut.« Dann deutete er leicht auf sich und nannte sich: »Sir Thomas de Mowbray, vom Bombay Stabscorps.«[28]

Das Eis war gebrochen. Ohne daher die stieren, verwunderten, ja mißbilligenden Blicke der Umstehenden zu würdigen, verlautbarte sich der arme Ausländer nach einer Pause in seinem stammelnden Englisch: »'s ist sehr heiß.« »Sehr heiß,« bekräftigte Jener trocken, als ob er eine nicht unbedeutende neue Wahrheit entdecke. Und sämmtliche Umstehende reckten die Hälse und murmelten – einige bewegten, wie automatisch, lautlos die Lippen: »Sehr heiß.«

Graf Xaver fand diese geistvolle Bemerkung doch eigentlich nicht abschließend. Er versuchte also noch etwas geistreicher zu werden. »Viele Schönheiten!« warf er hin mit der Miene eines Weltmannes, der sich ganz zu Hause fühlt.

»Very! – Well – rather« kam es zögernd aus dem Munde seines neuen Bekannten und Krastinik merkte, wie ein gradezu mißtrauischer Blick ihn streifte. »Was will der Mensch, wer ist er, wie hat er sich herverirrt?« lag in diesem Blick. Allein, eine kurze prüfende Musterung schien ihn zu beruhigen, daß der seltsame Fremde in seiner Art ein Gentleman sei, und so setzte er denn die Unterhaltung fort.

Es war lehrreich zu beobachten, mit welcher souverainen Herablassung der hehre Brite diese exotische Pflanze behandelte. Nicht etwa, als ob er eine unartige Gleichgültigkeit und Geringschätzung affektirt hätte – im Gegentheil. Aber grade seine Liebenswürdigkeit, dies verächtliche Wohlwollen, mit welchem er auf die oberflächliche Conversation des mühsam radebrechenden Grafen einging,[29] hatte etwas unsäglich Beleidigendes. Manchmal wandte er sich bei einer auffälligen Bemerkung des Fremden mit einem freundlichen und entschuldigenden Lächeln zu den neben ihm Stehenden um, als wolle er sagen: Das sind nun die sogenannten Continentalen. Da haben Sie ein Prachtexemplar des »Foreigners«! Haben Sie Nachsicht! Was kann man von Barbaren verlangen? – O diese »Ausländer«! Welche Verletzung der herkömmlichsten Sittlichkeit!

Endlich riß Krastinik die Geduld. Fortwährend sah er die Blicke der Umstehenden, Umsitzenden und Umschwitzenden mit ruhiger Würde auf sich gerichtet und er fühlte, daß sein Benehmen (er war allmählich wienerisch lebhaft geworden) mißliebig auffiel. Als er gar den steifliebenswürdigen Sir Thomas de Mowbray aufforderte, ihn doch einer Lady vorzustellen, welche diesen mit huldvollem Neigen des Fächers begrüßt hatte, runzelte dieser leicht die Stirn und erstarrte in unnahbarer Respektabilität. Das war aber auch zu stark! – Krastinik preßte seinen Chapeau Claque an sich, absolvirte einen flüchtigen Handshake mit Sir Thomas, wand sich durch die Menge, empfing von der herzoglichen Wirthin am Ausgang dasselbe krampfhaft stereotype Lächeln (sie erkannte ihn offenbar gar nicht), warf unten im Parlour einen entsagenden Blick auf das fabelhaft kostbare, aber nur auf Damen berechnete süße Buffet und warf mit erleichtertem Aufathmen seinen Ueberzieher um. Dann schritt er den Portiko hinaus, wobei er einige auf der Treppe herumlungernde Gentlemen – die zu erstaunen schienen, als er höflich[30] den Hut zum Abschied zog – hinter sich murmeln hörte: »Ein Ausländer!«

Krastiniks cholerisches Temperament gerieth in gelinde Wuth. Als er in sein Hotel zu so später Stunde hineinfiel (alle Restaurationen waren ja längst geschlossen und nach sieben Uhr giebt's nirgends etwas Ordentliches mehr) kaute er verdrießlich an einem Beefsteak und wasserbegossenen gequollenen Erbsen – wofür er nachher auf der Bill fünf Shilling berechnet fand.

Quelle:
Karl Bleibtreu: Größenwahn. Band 1, Leipzig 1888, S. 26-31.
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