II.

[21] Egremonts waren Sonnabend »at home«, wie ihn eine Karte belehrte, die fast zugleich mit der Einladungskarte der Herzogin, bei welcher er anstandsgemäß eine Karte abgeworfen hatte, bei ihm eintraf.

Ein Billet seiner Tante und Gönnerin belehrte ihn, wer Egremonts seien. Mr. Egremont ein vielfacher Millionär, der sich von seinem berühmten Verlagsgeschäft zurückgezogen und zur Ruhe gesetzt hatte. Die Töchter, Miß Alice und Miß Maud, seien reizend.

Xaver lächelte und »verstand« – so diplomatisch, wie der Herr Gesandte.

Es war eine »Garten-Parthie«. Ein Theil der jungen Leute spielte Lawn-Tennis, der andre saß im[21] Kreise und übte sich im »Flirting«. Man reichte nur Thee, Eis und Kuchen.

Miß Alice, welche leicht erröthete, als Lady Dorringtons Stimme hinter ihr mahnte: »Darf ich Ihnen meinen Neffen, den Grafen, vorstellen,« verzog unmerklich den Mund, als sie desselben ansichtig wurde. Sie hatte ihn sich größer und schlanker gedacht, einen gräflichen Husaren aus der Pußta.

Miß Maud hingegen rief sofort mit der ihr eigenen, nur einer englischen Jungfrau anstehenden Kordialität: »Hocherfreut. Les amis de mes amis sont mes amis. Mein Ideal, Lord Dorrington, den ich anbete, ist Ihr Freund – also!« Dabei schüttelte sie ihm kräftig die Hand.

Sie war sehr groß und schlank. Ihr Teint wachsbleich, ihre schwarzen Augenbrauen über der Stirn zusammengewachsen. Wenn sie redete, enthüllten ihre Lippen eine Reihe blendender, scharfer, aber zu großer Zähne. Sie hatte etwas stark Emancipirtes, obschon eine gewisse redliche Tüchtigkeit sich in ihren großgeformten Zügen aussprach, und war hochgebildet mit einem Strich in's »Blaue«. Wenigstens dachte Krastinik gleich an die etwaige Farbe ihrer Strümpfe.

Miß Alice war ebenfalls groß und leichtgebaut mit ziemlich platter, wenig gewölbter Brust. Ihre weiblich zarten Züge stachen merklich von denen ihrer Schwester ab und ihr rosiger Teint noch mehr, Ihr Kopf war klein und fein gemeißelt und das hinten à la Greque zusammengeknotete Haar hob die ovale runde Form des[22] zarten Schädelbaues noch mehr hervor. In ihren ziemlich kleinen Augen, tiefblau, aber matt und glanzlos, lag ein zugleich kalt-kluger und schmachtender Ausdruck, der einem Psychologen vielleicht nicht ganz behagt hätte. Etwas Mißgestimmt-Spleeniges und Blasirtes gab sich in ihrer ruhigen überlegten Art so, als ob es sich um eine edle Schwermuth handele. Wenigstens fand dies Krastinik, der von ihrem ladyliken Wesen ein wenig bezaubert wurde.

Er schien überhaupt bezaubert. Denn er radebrechte aus Leibeskräften drauf los und schnitt Complimente, die zwar dem Genius der englischen Sprache Trotz boten, aber nichtsdestoweniger oder gerade wegen ihres un-englischen Klanges von den Damen »charming« befunden wurden. Eine Freundin Miß Mauds nannte ihn »nice«, eine Freundin Miß Alice's »lovely«, nachdem er auf die Frage, was ihm in England am besten gefalle, die auf der Hand liegende Antwort gegeben: Die Ladies! Und sobald erst die Ladies Jemanden als »nice« und »lovely« gestempelt, ist er als »Löwe« anerkannt.

»Wenn Sie die Engländerinnen so sehr bewundern, sollten Sie eine heirathen,« fügte Lady Dorrington insinuirend bei. Miß Maud horchte auf und ihr Blick nahm etwas Lauerndes an.

Bald darauf erschien auch der Herr, des Hauses, welcher den Fremdling in ein emsiges Gespräch verwickelte.

»Ja, Sir, es war der Stolz meines Hauses,« sagte Mr. Egremont, ein kurzer dicker Herr in weißer Weste, indem er zwei Finger vorn zwischen zwei Knopf-Oeffnungen besagter[23] Weste steckte, und würdevoll das kahle Haupt wiegte, »– meines Hauses sage ich, Sir, daß bei mir die litterarischen Erzeugnisse der britischen Aristokratie veröffentlicht wurden. Man beehrte mich, Sir, mit allgemeinem Wohlwollen. Bei mir hat Ihre Gnaden die Herzogin Fitz-Doodle ihre ›Lyrischen Seufzer‹ ertönen lassen. Auch erschienen bei mir fast alle Keepsakes – rothseidener Einband mit Goldschnitt, sehr geschmackvoll –, in welchen sich die poetischen Seelen der britischen Aristokratie ein Rendezvous gaben. Ja, Sir, wir standen und stehen gleichsam in einer Familien-Verbindung zur ganzen Nobility und Gentry, wir sind und waren die Hoflieferanten der britischen Aristokratie für geistige Nahrung, you know. – Wir werden wohl übrigens selbst demnächst.. doch ich darf noch nichts sagen, bis Sache spruchreif.. kurz, ein Baronet-Titel wird demnächst von Ihrer Majestät der Königin verliehen werden.. hehe, hm! Ja, Mr. Count de Rasteinik, ich freue mich, Sie in diesem Lande begrüßen zu dürfen. ›Das unverletzbare Eiland der Weisen und Freien,‹ wie Sr. Lordschaft, Lord Byron, sehr treffend singen. Die britische Aristokratie, Sir, dieser Stützpfeiler unsrer gesegneten Constitution, gleicht jener Eiche der Freiheit..«

So schwatzte er ununterbrochen fort, bis Krastinik fast die Geduld riß. Auch suchte er vergeblich, das consequente Englisch-Aussprechen seines Namens zu corrigiren. »Count de Rasteinik« blieb er für den freien Briten, welcher diese Titelwörtchen ohne Unterlaß im Munde zurechtknetschte, als ob ihm das Aussprechen eines continentalen Adelsnamens eine geheime Wollust bereite.[24]

Der hat ja Größenwahn! dachte der Graf, dessen vornehmes Gefühl dies aufgeblasene Parvenuthum bedenklich beleidigte.

Mr. Egremont, dessen Eitelkeit übrigens von Lady Dorrington als anerkennenswerthes Streben nach dem Höheren und löbliche Gesinnung patronisirt wurde, trug sodann in größerem Kreise mit vieler Pomphaftigkeit die architektonischen Absichten vor, welche er bei Erbauung eines Stammsitzes für seine kommende Adelsfamilie durchführen wollte. Dies Ahnenschloß gedachte er im Tudorstil auszubauen. Natürlich gemäß dem Stil der übrigen alten Mansions der »britischen Aristokratie«. Er mißbrauchte dies Wort, als wolle er durchaus gegen das zweite Gebot freveln: Du sollst den Namen Deines Götzen nicht unnützlich führen.

»Und Sie, mein theurer Xaver?« wandte sich Lady Dorrington mit aufmunterndem Lächeln an ihren Neffen, »Sie bauen ja wohl an Ihrem Schloß? Der Neubau wird hoffentlich in großartigem Stile ausgeführt?«

»So großartig es unsre, wie Sie wissen, gnädige Tante, sehr beschränkten Verhältnisse erlauben,« erwiderte Jener, nicht ohne Verlegenheit.

»O versteht sich! Ihre Verhältnisse sind so bescheiden!« rief sie lächelnd, obschon dabei leicht errötend. »Porphyrsäulen am Portiko, wie ich hoffe. – Und Ihr Marstall verlangt ja eine beträchtliche Renovirung. Der weitere Ausbau – eine Tasse Thee, liebe Maud? Danke.« Diese, welche selbst als Wirthin ein Thee-Tablet umherreichte, sah, wie der Graf sich auf die Lippen biß und[25] die Stirne runzelte. Und der schreckliche Verdacht stieg in ihr auf, der mögliche Freier möge gar wenig Geld besitzen. Demgemäß eine Art Glücksjäger, der wohl auf Erbinnen spekulirte. Durch einige schlaue Fragen, die sie that und die er arglos beantwortete, schien ihr dieser Verdacht Gewißheit zu werden. Ihr kam er überhaupt zu unbedeutend vor; sie beschloß daher, sich selbst möglichst aus dem Spiele zu halten. Mochte Alice thun, was sie wollte.

Nachher versuchte Xaver das edle Lawn-Tennis zu lernen, wobei die unreifen jungen Kälber – die Engländer werden erst mit 30 Jahren Männer – ihn gutmüthig unterwiesen, mit großherzigem Mitleid dem Continentalen seine Unerfahrenheit zu Gute haltend.

Die Damen umringten den »distinguished foreigner« und sein Radebrechen gefiel ihnen so wohl, daß er der Hahn im Korbe schien und einen freundlichen Eindruck zurückließ.

Lady Dorrington beglückwünschte ihn ernsthaft zu seinem »Succeß«, wie sie es nannte, und ließ verschiedene Ziffern über die etwaige Mitgift der Egremonts fallen.

Xaver schwieg. Der alte Egremont mißfiel ihm sehr. Der leidet ja an Größenwahn! dachte er.

Quelle:
Karl Bleibtreu: Größenwahn. Band 1, Leipzig 1888, S. 21-26.
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