Versöhnungslied an die Schwestern

[284] 1784.


Euch, Schwestern, die ich allzulang

Geneckt, und manche Pille zwang

In Gnaden zu verschlingen,

Will ich ein Lobgedicht anheut',

So schön, als wie ihr selber seid,

Zum Söhnungsopfer bringen.


Ja, Schwestern, um euch noch weit mehr,

Als je ein Panegyriker

Es konnte, zu verbinden,

So sollt ihr selbst in dem Gedicht,

Das heut zu eu'rem Lobe spricht,

Kein Wort erdichtet finden.


Ihr Schwestern, war't vom Anbeginn

Die Blume Tausendschön, worin

Sich alle Reize gatten:

Uns aber pflanzte die Natur

In diese Welt als Bäume nur,

Um euch zu überschatten.


Ihr seid – mit Ehrfurcht sag' ich es –

Das auserwählete Gefäß

Von aller Menschen Leben:

Ihr seid es, die des Mannes Haupt,

Damit er nicht ein Thier sich glaubt,

Empor zum Himmel heben.


Ihr seid der Menschlichkeit Magnet,

Der alles, was auf Füssen geht

Und kriecht, kann attrahiren:[285]

Ihr seid der Mittelpunkt, worin

Sich Heid' und Christ und Mandarin

Und Bettler concentriren.


Der Knabe, Jüngling und der Mann

Sind euch mit Liebe zugethan:

Der Greis thut seine Triebe

Euch noch als Wärterinnen kund,

Und so seid ihr das Alpha und

Omega uns'rer Liebe.


Ihr waret schon im Paradies

So klug, durch einen Apfelbiß

Das Sterben einzuführen,

Damit's an Wechsel nicht gebricht,

Und wir am Ewigleben nicht

Zu Tod uns ennuiren.


Und hättet ihr uns nebst dem Tod

Nicht auch noch Seuchen, Hungersnoth,

Und Pestilenz gegeben,

Wie könnten jetzt die Medicer,

Die Bäcker und das ganze Heer

Von Apothekern leben?


Ja, hätten wir von eu'rer Hand

Nicht auch zu Wasser und zu Land

Oft Krieg und Donnerwetter,

Held Cäsar wär' ein Donquixot,

Und Franklin, der dem Blitz gebot,

Nichts als ein Pflasterfreter.


Und wären in der biblischen

Pandora-Büchse unbeseh'n

Die Güter all' geblieben,

Sagt selber, hätte Leibnitz je

Die göttliche Theodicee

Zu unserm Trost geschrieben?
[286]

Doch all' dies und des Guten mehr,

Wofür euch der Profanen Heer

Mit lautem Danke preiset,

Ist nicht zu achten gegen das,

Was ihr noch stets ohn' Unterlaß

Der Maurerei erweiset.


Euch danken wir es, Schwesterchen,

Daß wir die meisten Suchenden

Schon vorbereitet finden:

Ihr lehret sie Verschwiegenheit,

Geduld und Unterwürfigkeit,

Ihr lehret sie erblinden.


Bei euch gewöhnet ohne Müh'

Der junge Maurerzögling früh

Im Finsteren zu sitzen:

Ihr gebt ihm auch wohl gar den Muth,

Um einen Blick von euch sein Blut

Im Zweikampf zu verspritzen.


Ihr lehret auch den Suchenden

Als Maurer reisen, lehrt ihn geh'n

Auf Wegen, gleich dem Glase:

Ihr thut hierin noch mehr als wir;

Wir führ'n ihn an der Hand – und ihr –

Ihr führt ihn bei der Nase.


Durch euch hat uns're Bruderschaft

An Wachstum, Grösse und an Kraft

So mächtig zugenommen;

Die Künste die der Maurer liebt,

Die Tugendregeln, die er übt,

Hat er von euch bekommen.


Der Wind, den ihr mit eu'rer Pracht

Aus unserm Gold und Silber macht,

Ist Anlaß uns gewesen,[287]

Daß wir uns auch der theuern Kunst

Ergaben, unser Gold in Dunst

Hermetisch aufzulösen,


Ihr Schwestern, lehrtet uns zugleich

Die Kunst, den Teufel, der in euch

Als Weibern steckt, zu bannen,

Und überzeugt uns anbei,

Daß es vergeb'ne Mühe sei,

Ihn je zu übermannen.


Nur ihr erfüllt den Maurer früh

Mit Weisheit und Philosophie

Vom Fuß bis auf zum Scheitel.

Von euch belehrt, rief frühe schon

Der Urgroßmeister Salomon:

Wie ist doch alles eitel!


Ihr, Schwestern, wart die ersten d'ran,

Der Güter Ungleichheit, die man

Auf Erden sieht, zu heilen:

Ihr fanget bei euch selber an,

Und lehret jeden Ehemann

Sein Gut mit andern theilen.


Und, Schwestern, wäre nicht zugleich

Der Männer Menschenlieb' an euch

So sichtbar oft zu schauen,

Wie könnten wir als Maurer nun

Den armen Waisen Gutes thun,

Und Findelhäuser bauen? –


Um euch nun, liebe Schwesterchen,

Für alles, was durch euch gescheh'n,

Nach Würden zu belohnen,

So geben wir zur Dankbarkeit

Ein dreifach Feuer euch anheut'

Aus unseren Kanonen.[288]

Quelle:
Aloys Blumauer: Sämmtliche Gedichte. München 1830, S. 284-289.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon