Der Bock und die Ziege

[69] Keine Fabel.


Zu einem Bock, der, weil er schwarz von Haar

Von langem Bart, und finst'rer Stirne war,

Ganz einem hochgelehrten Meister

An Ausseh'n und an Mienen glich,

Und der, durch jeden Kampf noch dreister,

In keinem Bocksgefechte wich,

Den die Natur statt dem Gehirne[69]

Mit zwei steinharten Knöpfen an der Stirne

Zum Kampf versah, der, wenn er stieß,

Sich und den Gegner stets in eine Lache schmiß,

Und, wenn die Scham den Gegenpart vertrieben,

Der Letzte auf dem Platz geblieben.

Der endlich, weil sein Herz so hart

Als seine Stirne schien – der Heerde Führer ward:

Zu diesem Bock kam eine durst'ge Ziege,

Und flehte, wie die Armuth flehen kann,

Ihn um ein bischen Klee für ihre Jungen an.

»Meinst du, daß ich mein Futter gratis kriege?«

Erwiederte der Bock, der wie

Ein Wuch'rer nur auf Pfänder lieh,

»Zu schenken hab' ich nichts; doch weil da steht geschrieben,

Man müsse seinen Nächsten lieben,

So will ich, wenn du zahlst, und Sicherheit

Mir schaffen kannst, auf eine kurze Zeit

Von meinem Futter dir, so viel du brauchest leihen.«

»Ich würde nicht das Zahlen scheuen,

Wenn du mir borgtest, sprach die Ziege; aber wer

Verbürgt für Arme sich? und ach, ein Pfand, woher?

Du hast ja noch an deinem Leib, versetzte

Der zähe Filz, ein schönes Fell,« und schätzte

Mit einem Blick den Werth; »verpfände mir

Den Balg indeß', in warmen Sommertagen

Pflegt man ja keinen Pelz zu tragen:

Laß mir zur Sicherheit ihn hier,

Ich will ihn dir bewahren vor den Schaben.


Im Winter, wenn du zahlst, magst du ihn wieder, haben.«

Was war zu thun? Die Ziege brauchte Klee.

Um sich aus ihrer Noth herauszuwinden,

Ließ sie geduldig sich von ihrem Wuch'rer schinden,

Gab ihm den Balg, und fütterte

Zu Haus die Jungen satt. Der Winter kam heran[70]

Und strenger Frost hielt sie zum Zahlen an.

Sie darbte kümmerlich vom Munde

Sich jeden Bissen ab, und lief zur Stunde

Zum Gläubiger, ihr Pfand zu lösen, hin.

Der Bock, mit Brillen auf der Nase,

Durchsah den Klee, ob sie mit Grase

Ihn nicht vermischt, verwahrte ihn,

Und gab ihr die zerfreßnen Stücke

Von einem Balg, der ganz einst war, zurücke.

»Gott! rief die Ziege mit bethräntem Blick,

Ich hab' euch frisch mein Fell vom Leibe geben müssen,

Und ihr gebt mir es nun zerrissen,

Voll Löcher und ganz kahl zurück;

Seyd nicht so hart mit einem armen Thiere:

Ihr gabt mir aus Erbarmen Klee,

Damit ich nicht verhungerte,

Gebt mir nun auch ein Fell, damit ich nicht erfriere!«

»Kauf dir beim Kirschner ein's!« erwiederte

Der Bock voll Zorn, und stieß sie vor die Thüre.

Die Ziege ging mit tiefgebeugtem Sinn

Und halb zerfreß'nem Balg zum Thron des Adlers hin,

Um ihm das schändliche Betragen

Des Bock's und ihre Noth zu klagen. –

Der weise Adler sprach: Der Bock ersetze dir

Dein Fell, und zahle, was du willst, dafür.

Allein dem Eigennutz, der stinkt, zur Strafe,

Soll immerhin zum Abscheu aller Schafe

Gestank sein Antheil sein! – Der Adler winkt,

Und sieh: der Bock ersetzt – und stinkt.

Quelle:
Aloys Blumauer: Sämmtliche Gedichte. München 1830, S. 69-71.
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