Achte Szene

[25] Siedler – Giesecke – Josepha – später Leopold – zuletzt Martin und Josepha – Charlotte hinter der Szene.


GIESECKE auf dem Balkon erscheinend. Na, det Jeschäft ist richtig! Die Mütze nehmend. Was soll ich denn mit der Mütze?

SIEDLER überrascht. Verzeihung! Da ist ja jemand!

GIESECKE. Sagen Sie mal, Sie sind wohl Jongleur, daß Sie so mit Jejenstände werfen?

SIEDLER. Aber Frau Josepha, wer ist denn da auf meinem Balkon?

GIESECKE. Erlauben Sie, das ist mein Balkon!

SIEDLER. Bitte um Verzeihung! – Aber das Zimmer habe ich gemietet!

GIESECKE. Darin irren Sie sich! Das Zimmer habe ich gemietet! Das sehen Sie ja!

JOSEPHA zu Giesecke. Aber verzeihen Sie, gnädiger Herr, wer hat Sie denn da hinauf geführt?

GIESECKE. Der Kellner! Wer denn sonst? Ich werde mir doch nicht erst einen Gebirgsführer nehmen, um hier 'rauf zu kommen!

SIEDLER. Ja, was heißt denn das, Frau Josepha?

JOSEPHA. Ich verstehe auch nicht, was der Leopold da gemacht hat!

SIEDLER rufend. Leopold!

LEOPOLD von rechts. Bitte sehr! Bitte gleich!

JOSEPHA. Haben Sie Nummer vier fortgegeben?

LEOPOLD. Ja natürlich, da der Herr Doktor doch nicht mit dem Schiff gekommen ist![25]

JOSEPHA zu Leopold. Aber der Herr Doktor ist doch da!

LEOPOLD. Ui je!

JOSEPHA. Leopold, Sie sind doch ein Mordstrottel!

GIESECKE. Sagen Sie das nicht! Der Mann weiß, was er tut! ... Leopold – Sie kriegen ein feines Trinkgeld!

LEOPOLD. Vielleicht zieht der Herr Doktor in die Dependance ... da haben wir noch ein Zimmer frei!

SIEDLER. Ich denke nicht dran.

LEOPOLD. Oder in ein anderes Hotel.

JOSEPHA. Nein, das auf keinen Fall.

LEOPOLD leise zu Josepha. Der Herr Doktor muß doch nicht immer mit Ihnen auf demselben Gang wohnen.

JOSEPHA. Leopold! Wann Sie sich unterstehen und auch noch keck werden, – ich sage Ihnen, Sie wären nicht der erste, bei dem der Rößlwirtin die Hand ausgerutscht wär'!

GIESECKE. Ach Herrjeh! Leopold kriegt Haue ...


Leopold schnell ab.


JOSEPHA zu Giesecke. Oder vielleicht ist der gnä' Herr so freundlich und nimmt das Zimmer in der Dependance?

GIESECKE. I wie komme ich denn dazu? Ich fühle mich hier ja ganz wohl. Ich werde mich doch nicht von dem Herrn an die Luft setzen lassen!

SIEDLER höflich. Es mir ja selbst sehr peinlich, daß meinetwegen ein anderer Gast Unannehmlichkeiten hat – – aber auf der Reise ist eben jeder sich selber der nächste.

GIESECKE. Sehr richtig, deshalb bleibe ich eben.

JOSEPHA. Aber ich bitt' Sie ... der Herr wohnt schon seit sieben Jahren in dem Zimmer.

GIESECKE. Na also, dann kann er ja im achten Jahre mal ein anderes kriegen.

SIEDLER etwas nervöser. Ja, lieber Herr, wollen Sie mir denn den ganzen Sommer verderben?

GIESECKE. Was geht mich denn Ihr Sommer an? Die Sache ist sehr einfach – das Zimmer gehört mir, ich hab's vom Kellner!

SIEDLER. Aber der hatte keinen Auftrag von der Wirtin.[26]

GIESECKE. Erlauben Sie mal, ich kann mir doch nicht von jedem Kellner erst eine schriftliche Vollmacht vorzeigen lassen! Nee, lieber Herr! Das Mietsrecht kenn' ich nun. Ich bin selber Hauswirt! Es ist schon dagewesen, daß ich einen Mieter exmittiert habe, aber daß ein Mieter mir exmittierte ... na, det Jeschäft wär' ja richtig!

SIEDLER. Ja, verehrter Herr, wenn Sie mir so kommen und sich auch noch auf den Rechtsstandpunkt steifen ... den kenne ich nun besser! Und ich erkläre Ihnen hiermit als Jurist, das Zimmer habe ich vor acht Tagen bestellt Ein Telegramm hervorziehend. hier ist die schriftliche Zusage der Frau Wirtin ... und damit ist ein rechtsgiltiger Mietsvertrag abgeschlossen, der mir in diesem Zimmer ein Hausrecht gibt!

GIESECKE wütend. Wenn ich so was höre!

SIEDLER erregter fortfahrend. Hoffentlich werden Sie mich nicht zwingen, von diesem Rechte Gebrauch zu machen!

GIESECKE in das Zimmer rufend. Lotte, – schließ die Türen zu! ... Nun bin ich neugierig, wer mir hier herunterbringt!

SIEDLER. Das werden wir ja sehen!

GIESECKE. Jawoll! Das werden wir sehen! Hier bin ich, hier bleib' ich, – und, wenn Sie mich reizen, dann bleib' ich bis Weihnachten.

JOSEPHA. Jetzt wird's mir aber zu viel! Der Herr Doktor hat mein Wort, und die Rößlwirtin hat ihr Wort noch immer gehalten! Alsdann bitt' schön – machen's dem Dischkurs ein End' – räumen's das Zimmer gutwillig, und machen's weiter keine Spompernadeln!

GIESECKE. Was soll ich nicht machen? Spompernadeln? Reden Sie doch gefälligst deutsch mit mir!

JOSEPHA. Ah, wenn's das wollen – deutsch kann i auch mit Ihnen reden – also auf Deutsch: Sie müssen das Zimmer räumen!

GIESECKE. Wer?

JOSEPHA. Sie!

GIESECKE. Ich?

JOSEPHA. Ja!

GIESECKE. Nicht um die Welt!

JOSEPHA. Das werden wir sehen! In die Kulisse rufend. Joseph! Martin!

GIESECKE. Was wird denn nun?


Joseph und Martin kommen von rechts.
[27]

JOSEPH UND MARTIN. Befehlen's?

JOSEPHA. Schaffen's das Gepäck von Nummer vier herunter!


Joseph und Martin gehen in das Haus.


GIESECKE die Hausknechte mißtrauisch betrachtend. Ein bißchen kräftig sehen die Brüder aus ... Aber das sage ich Ihnen, wenn ich Nummer vier nicht haben kann, dann will ich Nummer fünf auch nicht, dann ziehe ich überhaupt aus.

SIEDLER. Gut, da nehme ich eben beide Zimmer. Zu Josepha. Einen Schaden sollen Sie nicht haben.

JOSEPHA. Aber bitt' schön, Herr Doktor, darauf kann's doch net ankommen!


Man hört hinter der Szene energisch gegen die Türe im ersten Stock klopfen.


CHARLOTTE hinter der Szene. Wilhelm, die schlagen uns die Türe ein!

GIESECKE. Dann weiche ich also der Gewalt! Aber ich werde mich beim nächsten Landrat beschweren. Zur auftretenden Ottilie. Ottilie, du brauchst gar nicht erst heraufzukommen, der Herr hat dich aus deinem Zimmer vertrieben!


Quelle:
Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg: Im weißen Rössl. Berlin 16[o.J.], S. 25-28.
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