Neunte Geschichte

[281] Gillette von Narbonne heilt den König von Frankreich von einer Fistel und verlangt dafür Bertrand von Roussillon zum Manne. Dieser heiratet sie wider Willen und geht aus Verdruß nach Florenz. Hier verliebt er sich in ein junges Mädchen, das er zu umarmen glaubt, während er Gillette beschläft. Diese gebiert ihm zwei Söhne, um derentwillen er sie liebgewinnt und als Gemahlin behandelt.


Da die Königin dem Dioneo sein Vorrecht nicht rauben wollte, kam die Reihe des Erzählens, als Laurettas Geschichte zu Ende war, an niemand anders als an sie selbst. Deshalb begann sie denn, ohne eine Aufforderung der übrigen abzuwarten, fröhlich also zu reden:[281]

Wer könnte wohl noch eine Geschichte erzählen, die Beifall fände, nachdem wir die von Lauretta gehört haben? Wahrlich, es ist gut für uns, daß sie nicht die erste war, sonst hätten uns wenige der andern gefallen. Denen, die heute noch erzählt werden sollen, wird es, wie ich fürchte, so ergehen. Wie dem aber auch sei, ich will immerhin erzählen, was mir über unseren vorgeschriebenen Gegenstand einfällt.

Im Königreiche Frankreich lebte ein Edelmann namens Isnard, Graf von Roussillon, der, weil er kränklich war, immer einen Arzt bei sich hatte, welcher Gerard von Narbonne genannt wurde. Der Graf hatte einen einzigen kleinen Sohn mit Namen Bertrand, der von großer Schönheit und sehr wohlerzogen war. Mit ihm wurden mehrere Kinder seines Alters erzogen, unter denen sich eine Tochter des Arztes befand, die Gillette hieß. Diese empfand für den jungen Bertrand eine unendliche Liebe, die viel glühender war, als es für ihr zartes Alter sich ziemte. Bertrand aber mußte, als der Graf gestorben war und ihn in seinem Testament den Händen des Königs anvertraut hatte, nach Paris ziehen, worüber das junge Mädchen ganz untröstlich war. Als nun bald darauf auch ihr Vater starb, wäre sie, wenn sie einen schicklichen Vorwand gewußt hätte, gern auch nach Paris gegangen, um Bertrand wiederzusehen. Da sie aber um des Reichtums willen, der ihr nun allein geblieben war, von vielen beachtet wurde, so fand sie keine ehrbaren Ausreden. Unterdessen hatte sie, die bereits erwachsen war und Bertrand noch immer nicht vergessen konnte, schon viele zurückgewiesen, mit denen ihre Verwandten sie hatten verheiraten wollen, nie aber einen Grund angegeben.

Nun geschah es, daß sie, mehr denn je in Liebe zu Bertrand entbrannt – der, wie ihr berichtet ward, ein schöner Jüngling geworden war –, zufällig vernahm, dem König von Frankreich sei von einem Geschwür, das er auf der Brust gehabt und das von den Ärzten schlecht geheilt worden war, eine Fistel zurückgeblieben, die ihm große Unbequemlichkeit und heftige Schmerzen verursache. Auch habe sich noch kein Arzt gefunden, so viele sich schon daran versucht hätten, der imstande gewesen wäre, ihn zu heilen, vielmehr hätten alle das Übel verschlimmert. Darum wolle denn der König, der jetzt an der Heilung[282] verzage, von niemand mehr Rat und Hilfe annehmen. Das Mädchen war hoch erfreut hierüber. Denn nun glaubte Gillette, nicht nur einen genügenden Vorwand gefunden zu haben, um nach Paris zu reisen, sondern sie hoffte auch, wenn diese Krankheit wirklich dieselbe war, die sie vermutete, es leicht dahin bringen zu können, daß sie Bertrand zum Gatten bekam. Deshalb fertigte sie, von ihrem Vater vielfach in ärztlichen Dingen belehrt, aus gewissen Kräutern, die für die Krankheit dienlich waren, welche sie bei dem König vermutete, ein Pulver an, stieg damit zu Pferde und reiste nach Paris.

Das erste, was sie dort tat, war, daß sie Bertrand zu sehen suchte, und erst als ihr dies gelungen war, trat sie vor den König und bat es sich von ihm als Gnade aus, daß er ihr sein Übel zeige. Da sie jung, schön und anmutig war, konnte es ihr der König nicht abschlagen und zeigte ihr den Schaden. Sobald sie ihn gesehen hatte, faßte sie festes Zutrauen, ihn heilen zu können, und sagte: »Gnädiger Herr, wenn es Euch beliebt, so hoffe ich zu Gott, Euch in acht Tagen ohne Schmerzen und Beschwerden von dieser Krankheit befreit zu haben.« Der König lachte im stillen über ihre Worte und sagte zu sich: »Wie sollte ein junges Mädchen zu bewirken wissen, was die größten Ärzte der Welt nicht vermocht und nicht verstanden haben?« Darum dankte er ihr für ihren guten Willen, antwortete aber, er habe bei sich beschlossen, keinen ärztlichen Rat weiter zu befolgen. Darauf erwiderte das Mädchen: »Gnädiger Herr, Ihr verschmäht meine Kunst, weil ich ein Weib und noch jung bin. Aber ich erinnere Euch daran, daß ich nicht durch meine Wissenschaft, sondern durch Gottes Beistand und die Weisheit des Meisters Gerard von Narbonne, der mein Vater und ein berühmter Arzt war, zu heilen verstehe.«

Der König dachte darauf bei sich: »Vielleicht ist dies Mädchen mir von Gott gesandt. Warum versuche ich nicht, was sie zu tun weiß, da sie mir doch verspricht, mich ohne Beschwerde in kurzer Zeit zu heilen?« Und so sprach er, entschlossen, es mit ihr zu versuchen: »Jungfrau, wenn wir unserem Entschlusse zuwiderhandelten und Ihr uns dann nicht heilt, was wollt Ihr dann, daß mit Euch geschehe?« »Gnädiger Herr«, erwiderte das Mädchen, »laßt mich bewachen, und wenn ich Euch in acht[283] Tagen nicht heile, so laßt mich verbrennen. Was soll ich aber für einen Lohn erhalten, wenn ich Euch heile?« Darauf antwortete der König: »Ihr scheint uns noch unverheiratet. Wenn Ihr das tut, so werden wir Euch einen guten und angesehenen Gatten geben.« »Gnädiger Herr«, sagte das Mädchen, »wahrlich, mir ist es lieb, wenn Ihr mich verheiraten wollt, ich begehre aber den zum Manne, den ich mir von Euch erbitten werde, wobei ich keinen Eurer Söhne und keinen aus dem königlichen Hause fordern will.« Der König versprach ihr alsbald, nach ihrem Wunsche zu tun.

Das Mädchen begann nun mit der Heilung und hatte binnen kurzem, noch vor der bestimmten Frist, den König wieder gesund gemacht. Als sich dieser nun geheilt fühlte, sagte er: »Jungfrau, Ihr habt Euch den versprochenen Mann wohl verdient.« »Gut, gnädiger Herr«, sagte das Mädchen, »so habe ich denn Bertrand von Roussillon verdient, den ich schon in meiner Kindheit zu lieben begann und seit der Zeit immer von ganzem Herzen geliebt habe.« Dem König schien es ein Großes, ihr diesen geben zu sollen; da er es aber einmal versprochen hatte und sein Wort nicht brechen wollte, ließ er ihn zu sich rufen und sprach zu ihm: »Bertrand, Ihr seid nun erwachsen und hinlänglich ausgebildet. Wir wollen, daß Ihr nun zurückkehrt, um Eure Grafschaft selbst zu regieren. Auch sollt Ihr ein Mädchen mit Euch heimführen, das wir Euch zur Frau bestimmt haben.« Bertrand antwortete: »Und wer ist das Mädchen, gnädiger Herr?« »Dieselbe«, antwortete der König, »die mit ihren Heilmitteln unsere Gesundheit wiederhergestellt hat.« Bertrand hatte sie bereits gesehen und erkannt, und obwohl auch er sie schön fand, sagte er dennoch in dem Gefühl, daß sie keinem Geschlecht entstammte, welches seinem hohen Adel ebenbürtig war, ganz zornig: »Gnädiger Herr, wollt Ihr mir eine Quacksalberin zur Frau geben? Das möge doch Gott verhüten, daß ich mir jemals solch ein Frauenzimmer nehme.« Der König antwortete: »So wollt Ihr denn, daß wir unserem Worte untreu werden, welches wir, um unsere Gesundheit wiederzuerlangen, dem Mädchen gaben, das nun als Lohn Euch zum Manne begehrt?« »Gnädiger Herr«, sagte Bertrand, »Ihr könnt mir alles nehmen, was ich besitze, und mich als Euren Vasallen wegschenken,[284] an wen es Euch beliebt. Das aber versichere ich Euch: mit dieser Heirat werde ich mich niemals zufriedengeben.« »Ihr werdet schon«, sagte der König, »denn das Mädchen ist hübsch und verständig und liebt Euch sehr. Deshalb hoffen wir, daß Ihr mit ihr viel glücklicher leben werdet, als Ihr es mit einer Dame von höherer Abkunft getan hättet.«

Bertrand schwieg, und der König ließ große Zurüstungen zum Hochzeitsfeste machen. Als nun der festgesetzte Tag herangekommen war, vermählte sich Bertrand, so ungern er es auch tat, in Gegenwart des Königs mit dem Mädchen, das ihn mehr als sich selbst liebte. Sobald dies aber geschehen war, beurlaubte er sich, wie er schon zuvor beschlossen hatte, beim König unter dem Vorwande, daß er in seine Grafschaft zurückkehren und dort erst die Ehe vollziehen wolle. Damit stieg er zu Pferde und reiste nicht in seine Grafschaft, sondern kam nach Toskana. Als er hier vernahm, daß die Florentiner mit den Sienesern im Kriege begriffen seien, entschloß er sich, zu ihren Gunsten am Streite teilzunehmen. Er ward mit großer Freude und Ehren aller Art empfangen, und als sie ihn zum Anführer einer Abteilung ihrer Kriegsleute gemacht und ihm einen bedeutenden Sold ausgesetzt hatten, blieb er eine gute Weile in ihren Diensten.

Die junge Frau war über diese Wendung der Dinge nicht sehr erfreut. Sie reiste indes in der Hoffnung, ihn durch ihr gutes Benehmen in seine Grafschaft zurückzurufen, nach Roussillon und ward dortselbst von allen als ihre Gebieterin aufgenommen. Weil nun während der langen Abwesenheit des Grafen alle Geschäfte verwahrlost waren, brachte sie diese vermöge ihres großen Geschicks mit viel Mühe und Fleiß wieder in die beste Ordnung, worüber die Untertanen sich gar sehr freuten und ihr besonders zugetan wurden, auch den Grafen, dem sie nicht recht war, lebhaft tadelten.

Als sie nun alles im Lande wieder in guten Stand versetzt hatte, gab sie dem Grafen durch zwei Edelleute Nachricht davon und bat ihn, wenn er um ihretwillen zögere, in seine Grafschaft zu kommen, so möge er sie davon unterrichten, und sie werde alsdann ihm zu Gefallen die Gegend verlassen. Der Graf antwortete den Boten äußerst hart: »Mag sie tun, wozu sie[285] Lust hat. Was mich aber betrifft, so werde ich nicht eher heimkehren, um mit ihr zu leben, als bis sie diesen Ring am Finger und ein Kind, das ich mit ihr gezeugt habe, auf dem Arm trägt.« Eben den Ring aber hielt er sehr wert und trennte sich auch wegen einer gewissen Kraft, die derselbe, wie man ihm eingeredet hatte, besitzen sollte, niemals von ihm.

Die Edelleute fühlten wohl die Härte der Bedingung, die von zwei fast unmöglichen Dingen abhängig war; da sie aber sahen, daß sie ihn durch ihre Worte nicht von seinem Vorsatz abbringen konnten, kehrten sie zu der Dame zurück und berichteten ihr des Grafen Antwort. Sie wurde darüber gar sehr betrübt, entschloß sich indes nach langer Überlegung, zu versuchen, ob sie nicht vielleicht jene Forderungen erfüllen könne. Um nun auf solche Weise in Zukunft ihren Gemahl wiederzugewinnen, versammelte sie, sobald sie mit sich einig geworden war, was sie tun solle, einige der ältesten und tüchtigsten Männer aus der Grafschaft und erzählte ihnen ganz der Ordnung nach mit kläglichen Worten, was sie alles aus Liebe zu dem Grafen getan und welchen Lohn sie dafür er halten hatte. Zuletzt eröffnete sie ihnen ihre Absicht, dem Grafen nicht durch längeres Verweilen ein ewiges Exil zu bereiten, sondern vielmehr den Rest ihres Lebens allein zu Pilgerfahrten und mitleidigen Werken zum Heil ihrer Seele zu verwenden. Deshalb bat sie jene Männer, daß sie Überwachung und Verwaltung der Grafschaft übernehmen und den Grafen in Kenntnis setzen möchten, wie sie den Besitz frei und ledig gelassen habe und in der Absicht fortgezogen sei, nie wieder nach Roussillon zu kommen. Während sie also sprach, vergossen die guten Leute viele Tränen und baten sie dringend, ihren Entschluß aufzugeben und bei ihnen zu bleiben. Alles war indes vergebens.

Die Dame empfahl sich dem göttlichen Schutze und trat in Begleitung eines ihrer Vettern und einer Dienerin in Pilgerkleidern und mit Geld und Edelsteinen wohlversehen die Reise an, ohne daß jemand gewußt hätte, wohin sie gingen, verweilte auch nicht eher, als bis sie in Florenz angekommen war. Hier kehrte sie, vom Zufall geleitet, in einem kleinen Gasthof ein, der einer guten Witwe gehörte, und gab sich, voller Verlangen, von ihrem Herrn Nachricht zu erhalten, für eine arme Pilgerin[286] aus. Nun traf es sich, daß sie schon am andern Tag Bertrand mit seinem Gefolge vor dem Gasthofe vorüberreiten sah. Obgleich sie ihn gar wohl erkannte, fragte sie doch die gute Wirtin, wer es sei. Diese erwiderte: »Er ist ein fremder Edelmann, der sich Graf Bertrand nennt, ein gefälliger, freundlicher Herr, den man in unserer Stadt ausnehmend gern sieht und der in eine meiner Nachbarinnen, ein armes Edelfräulein, über alle Maßen verliebt ist. Das ist ein gar sittsames und wackeres Mädchen, das nur um seiner Armut willen noch nicht verheiratet ist und mit seiner Mutter, einer verständigen und braven Frau, zusammenlebt. Aber wer weiß, was sie diesem Grafen nicht schon zu Gefallen getan hätte, wenn ihre Mutter nicht wäre!«

Die Gräfin nahm diese Worte sorgfältig in sich auf, erkundigte sich noch genauer nach allen Umständen und faßte ihren Entschluß, sobald sie von allem unterrichtet war. Zu diesem Ende ließ sie sich Namen und Wohnung jener Frau und ihrer Tochter, in welche der Graf verliebt war, bezeichnen und ging eines Tages, ohne jemand etwas davon zu sagen, in Pilgerkleidung zu ihnen. Sie fand Mutter und Tochter recht ärmlich aussehend, begrüßte sie und sagte der ersteren, wenn es ihr gefiele, wünschte sie mit ihr zu sprechen. Die Edelfrau stand auf und sagte, sie sei bereit, sie anzuhören, und so gingen sie in ein benachbartes Gemach, wo die Gräfin, als sie sich niedergelassen hatten, so zu sprechen anfing: »Madonna, Ihr gehört, wie mir scheint, ebenso wie ich zu den Feinden Fortunas. Wenn Ihr aber wollt, könnt Ihr Euch und mich glück lich machen.« Die Dame antwortete, sie wünsche nichts so sehr, als ihre Lage auf anständige Weise zu verbessern. Die Gräfin fuhr fort: »Ich bedarf Eurer Verschwiegenheit. Verlasse ich mich auf sie und verratet Ihr mich dennoch, so schadet Ihr Euch ebenso wie mir.« »Vertraut mir ruhig«, erwiderte die Edeldame, »was Euch immer gefällt. Gewiß werdet Ihr nie von mir betrogen werden.« Darauf erzählte ihr denn die Gräfin auf so herzbewegende Weise, wer sie sei und was sich alles zugetragen habe, seit sie sich zuerst in den Grafen verliebte, daß die Edeldame, welche diese Begebenheit zum Teil schon von andern gehört hatte, ihren Worten Glauben schenkte und sie zu bemitleiden begann.[287]

Als die Gräfin mit ihrer Erzählung zu Ende war, fuhr sie fort: »Ihr habt gehört, was für zwei Dinge ich zu meinem übrigen Unglück besitzen muß, wenn ich meinen Gatten erlangen will. Ist es nun wahr, was ich vernehme, daß der Graf Euer Tochter auf das zärtlichste liebt, so sehe ich ein, daß niemand außer Euch mir diese Dinge verschaffen kann.« Die Edeldame antwortete ihr: »Madonna, ob der Graf meine Tochter liebt, das weiß ich nicht, aber sein Benehmen ist ganz danach. Was kann ich aber deshalb tun, um Euch zu verschaffen, was Ihr wünschet?« »Madonna«, erwiderte die Gräfin, »gleich will ich es sagen. Zuvor aber sollt Ihr hören, was für ein Vorteil Euch daraus er wachsen wird, wenn Ihr mir hierin dienet. Ich sehe, Eure Tochter ist schön und alt genug zum Heiraten. Auch muß ich aus dem, was ich gehört habe und selbst zu bemerken glaube, schließen, daß Ihr sie nur aus Mangel an einer anständigen Ausstattung noch im Hause behaltet. So denke ich denn zum Dank für den Dienst, den Ihr mir leisten sollt, Eurer Tochter von meinem Gelde eine Mitgift auszusetzen, wie Ihr selbst sie für angemessen halten werdet, um sie ehrenvoll zu vermählen.« Der Dame, die in dürftigen Umständen lebte, gefiel das Anerbieten sehr. Dennoch aber antwortete sie ihrer adeligen Gesinnung zufolge: »Madonna, sagt mir, was ich für Euch tun kann. Ziemt es sich für mich, so soll es gern geschehen, und Ihr mögt nachher tun, was Euch belieben wird.«

Darauf sagte die Gräfin: »Zu meinen Absichten ist es nötig, daß Ihr durch jemanden, auf den Ihr Euch verlassen könnt, dem Grafen, meinem Gatten, sagen laßt, Eure Tochter sei gesonnen, ihm allen Willen zu tun, wenn sie nur gewiß sei, daß er sie wirklich so liebhabe, wie er vorgibt. Das könne sie aber nur glauben, wenn er ihr den Ring schicke, den er immer am Finger trage und der ihm, wie sie gehört habe, so teuer sei. Schickt er ihr den Ring, so werdet Ihr ihn mir geben und dem Grafen sagen lassen, daß Eure Tochter bereit sei, alle seine Wünsche zu erfüllen. Dann müßt Ihr ihn heimlich hierher kommen lassen und mich, ohne daß er es bemerkt, statt Eurer Tochter ihm zur Seite legen. Vielleicht gewährt mir Gott die Gnade, daß ich von ihm empfange. Dann werde ich, seinen Ring am Finger und sein Kind auf dem Arm, ihn wiedergewinnen und[288] mit ihm leben können, wie es Mann und Frau geziemt, und das werde ich dann Euch verdanken.«

Der Edeldame schien dies ein bedenkliches Ding, und sie fürchtete sehr, daß große Schande für ihre Tochter daraus entspringen könnte. Als sie aber wieder bedachte, es sei löblich, mitzuhelfen, daß die gute Frau ihren Gatten wiederbekomme, auch erwog, daß sie aus löblicher Absicht also tat, versprach sie im Vertrauen auf ihre gute und ehrbare Gesinnung nicht nur, das Gewünschte zu tun, sie erhielt auch auf dem angegebenen Wege in wenigen Tagen mit geheimer Vorsicht jenen Ring, obgleich es dem Grafen schwerfiel, sich von ihm zu trennen, und legte mit großer Geschicklichkeit die Gräfin statt ihrer Tochter dem Grafen zur Seite.

Bei den ersten, vom Grafen inbrünstig gewünschten Vereinigungen empfing nach Gottes Willen die Dame zwei männliche Kinder, wie sich zur gehörigen Zeit bei der Entbindung zeigte. Auch gewährte die Edeldame der Gräfin die Umarmungen ihres Gemahls nicht nur einmal, sondern viele Male, wobei sie so vorsichtig zu Werke ging, daß nichts von diesem Verhältnis laut wurde und der Graf fortwährend der Meinung war, nicht seine Frau, sondern die, welche er liebte, genossen zu haben. Deshalb schenkte er ihr morgens, wenn er sie verlassen mußte, schöne und kostbare Edelsteine in Mengen, welche die Gräfin sämtlich sorgsam verwahrte.

Als diese von ihrer Schwangerschaft überzeugt war, wollte sie der Edeldame nicht länger beschwerlich fallen, sondern sagte zu ihr: »Madonna, Gott und Euch sei Dank, ich habe erlangt, was ich wünschte, und so ist es Zeit, daß ich nun nach Eurem Verlangen tue, um dann wieder abzureisen.« Die Edelfrau erwiderte, es sei ihr lieb, wenn die Gräfin irgend etwas nach ihren Wünschen erreicht habe. Was sie selbst aber getan, sei nicht in der Hoffnung auf irgendeinen Lohn geschehen, sondern allein weil sie gemeint habe, sie müsse so handeln, wenn sie Gutes tun wolle. »Madonna«, erwiderte die Gräfin, »ich lobe diese Gesinnung an Euch und gedenke nicht, Euch das, was Ihr verlangen werdet, als Lohn zu schenken, sondern allein um Gutes zu tun, wie man es meiner Meinung nach tun soll.« Hierauf bat die Edeldame notgedrungen und voller Scham um[289] hundert Goldgulden zur Ausstattung ihrer Tochter. Die Gräfin bemerkte wohl ihre Scham und die Bescheidenheit ihrer Bitte und schenkte ihr deshalb fünfhundert Gulden nebst schönem und kostbarem Geschmeide, das leicht ebenso viel wert sein mochte. Die Edelfrau war darüber hoch erfreut und dankte der Gräfin, wie sie nur immer wußte und konnte. Diese aber verließ sie und kehrte in ihren Gasthof zurück.

Um für die Zukunft Bertrand jeden Anlaß zu nehmen, jemanden in ihr Haus zu schicken oder es selbst zu besuchen, zog die Edeldame bald darauf mit ihrer Tochter zu ihren Verwandten aufs Land. Bertrand kehrte indes, von den Seinigen zurückgerufen, als er erfuhr, die Gräfin sei davongegangen, selbst in seine Heimat zurück. Die Gräfin war sehr erfreut, als sie vernahm, er sei von Florenz abgereist und in seine Grafschaft heimgekehrt, und verweilte in Florenz bis zu ihrer Niederkunft, in der sie von zwei Knaben, die ihrem Vater äußerst ähnlich waren, entbunden ward. Sie ließ die Kinder mit vieler Sorgfalt stillen, machte sich, als es ihr an der Zeit schien, auf den Weg und langte, ohne von jemand erkannt zu werden, glücklich in Montpellier an. Hier ruhte sie sich einige Tage aus, zog Erkundigungen über den Grafen und seinen Aufenthalt ein und erfuhr, er werde am nächsten Allerheiligentage in Roussillon ein großes Gastmahl für Damen und Ritter geben. Zu diesem ging sie nun, immer noch in ihrer gewohnten Pilgertracht, und eilte, ohne sich umzukleiden, ihre beiden Kinder im Arm, hinauf in den Saal des gräflichen Palastes, wo, wie sie hörte, Damen und Ritter versammelt waren, um zu Tische zu gehen.

Mitten durch die Menge drängte sie sich dahin, wo sie den Grafen sah, warf sich ihm zu Füßen und sagte weinend: »Mein Gebieter, ich bin deine unglückliche Gattin, die, um dich deiner Heimat zurückzuführen und zu erhalten, lange Zeit im Elend umhergeirrt ist. Ich beschwöre dich bei Gott, daß du mir jetzt die Bedingungen hältst, die du mir durch zwei Edelleute auferlegt hast. Sieh hier in meinen Armen nicht eines, sondern zwei deiner Kinder und sieh hier deinen Ring. Nun ist es nach deinem eigenen Versprechen Zeit, daß ich als deine Frau von dir aufgenommen werde.«

Als der Graf dies hörte, erschrak er sehr; denn er erkannte[290] den Ring und die Kinder, so ähnlich waren sie ihm. Doch sagte er: »Wie sollte denn das geschehen sein?« Hierauf erzählte die Gräfin zur großen Verwunderung des Grafen und aller übrigen Anwesenden der Reihe nach alles, was und wie es geschehen war. Als der Graf sich hierdurch überzeugte, daß sie die Wahrheit sprach, und als er ihre Ausdauer und ihren Verstand betrachtete, und dann auch wieder die zwei schönen Kinder sah, legte er seinen hartnäckigen Stolz ab, nicht nur um seinem Worte treu zu bleiben, sondern auch den Seinigen, Rittern wie Damen zu Gefallen, die ihn alle baten, er möge sie nun als seine rechtschaffene Gattin aufnehmen und ehren. So hieß er denn die Gräfin aufstehen, küßte und umarmte sie, erkannte sie als seine rechtmäßige Gemahlin und die Kinder als die seinigen an. Dann ließ er sie mit Gewändern bekleiden, die ihrem Stande zukamen, und feierte zur großen Freude seiner Untertanen, der anwesenden wie der abwesenden, die es später erfuhren, mehrere Tage lang ein großes Fest. Von diesem Tage an liebte er sie mit aller seiner Gattin und Ehefrau gebührenden Achtung auf das herzlichste.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 281-291.
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