Neunte Geschichte

[811] Saladin wird, als Kaufmann verkleidet, von Herrn Torello geehrt und bewirtet. Der Kreuzzug erfolgt. Herr Torello, der seiner Gattin eine Frist gesetzt hat, nach der sie sich wieder vermählen möge, wird gefangen und dadurch, daß er Falken abrichtet, dem Sultan bekannt. Dieser erkennt ihn wieder, gibt sich ihm zu erkennen und ehrt ihn hoch. Herr Torello wird hierauf krank und durch magische Kunst in einer Nacht nach Pavia versetzt. Hier wird er bei der Hochzeit, die seine Gattin eben feiert, von ihr erkannt und kehrt mit ihr in sein Haus zurück.


Filomena hatte ihre Geschichte beendet, und die großmütige Dankbarkeit des Titus war von allen gelobt worden, als der König, der den letzten Platz dem Dioneo vorbehalten wollte, also zu sprechen anfing:

Schöne Damen, ohne Zweifel hat Filomena in dem, was sie von der Freundschaft sagte, die Wahrheit gesprochen, und mit Recht hat sie am Schluß ihrer Erzählung sich beklagt, daß diese heutzutage den Sterblichen so wenig gilt. Und wären wir hier versammelt, um die Gebrechen der Welt zu bessern oder auch nur, um sie zu tadeln, so setzte ich ihre Worte noch durch eine lange Rede fort. Aber da unser Zweck ein anderer ist, so ist es mir eingefallen, euch in einer Geschichte, die vielleicht etwas lang, aber durchaus erfreulichen Inhalts ist, eine von den großmütigen Handlungen Saladins zu erzählen, damit wir, um der Begebenheit willen, die ihr darin hören werdet, auch wenn wir wegen unserer Mängel die volle Freundschaft eines andern nicht erlangen können, wenigstens deshalb Vergnügen daran finden, andern zu dienen, weil wir hoffen dürfen, daß uns einst, wann es auch sei, der Lohn dafür zuteil werden wird.[811]

Ich sage euch also, daß, wie viele versichern, zur Zeit Kaiser Friedrichs des Ersten von den christlichen Völkern ein allgemeiner Kreuzzug unternommen wurde, um das Heilige Land wiederzuerobern. Dies hatte Saladin, der ein gar tapferer Herr und zu jener Zeit Sultan von Babylon war, einige Zeit vorher vernommen, und er beschloß bei sich, die Zurüstungen der christlichen Herren zu diesem Kreuzzuge mit eigenen Augen zu sehen, um sich desto besser dagegen vorbereiten zu können. Nachdem er daher in Ägypten alle seine Angelegenheiten geordnet hatte, tat er, als ginge er auf eine Pilgerfahrt aus, und machte sich mit zweien seiner vornehmsten und klügsten Männer und nicht mehr als drei Dienern auf den Weg, indem er sich für einen Kaufmann ausgab.

Nachdem er viele christliche Länder so durchstreift hatte und, durch die Lombardei reitend, im Begriff stand, über das Gebirge zu gehen, begab es sich, daß er mit seiner Begleitung auf dem Wege von Mailand nach Pavia, da es schon Abend war, einen edlen Mann traf, dessen Name Herr Torello d'Istra von Pavia war und der mit seiner Dienerschaft, mit Hunden und Falken auf eine seiner schönen Besitzungen hinauszog, welche er am Tessin besaß, um dort zu verweilen. Als Herr Torello die Reisenden erblickte, erachtete er, daß sie edle Männer und Fremde seien, und wünschte ihnen Ehre zu erweisen. Deshalb ließ er, als Saladin einen von Torellos Dienern fragte, wie weit es noch bis Pavia sei und ob sie noch zu rechter Zeit ankommen könnten, um Einlaß zu finden, den Diener nicht antworten, sondern erwiderte selbst: »Ihr Herren, ihr werdet Pavia nicht zu einer Zeit erreichen können, wo ihr dort noch Einlaß fändet.« »So gefalle es Euch«, entgegnete Saladin, »uns, da wir Fremde sind, anzuzeigen, wo wir am besten herbergen können.« »Gern will ich das tun«, erwiderte Herr Torello. »Ich stand soeben im Begriff, einen von diesen meinen Leuten wegen einer Besorgung bis dicht vor Pavia zu schicken. Ich will ihn jetzt mit euch absenden, und er wird euch an einen Ort führen, wo ihr ganz gut aufgehoben sein werdet.« Dann näherte er sich dem verständigsten seiner Diener, befahl ihm, was er zu tun habe, und sandte ihn mit ihnen. Er selbst aber eilte, so schnell er konnte, nach seiner Besitzung, ließ ein schönes[812] Mahl herrichten und die Tische in seinem Garten aufstellen. Als dies geschehen war, trat er an die Tür und erwartete sie.

Der Diener aber ließ sich mit den edlen Männern über mancherlei Dinge in Gespräche ein, führte sie auf allerhand Wegen umher und geleitete sie endlich, ohne daß sie es gewahr wurden, zu der Besitzung seines Herrn. Als Herr Torello sie kommen sah, ging er ihnen zu Fuß entgegen und sagte lächelnd: »Ihr Herren, seid mir sehr willkommen!« Saladin, der gar scharfsinnig war, erriet bald, daß der Ritter gefürchtet hatte, sie würden seine Einladung nicht angenommen haben, wenn er sie aufgefordert hätte, als er sie traf, und daß er sie, damit sie nicht ablehnen könnten, den Abend bei ihm zu verbringen, mit List nach seinem Hause geführt hatte. Nachdem er daher seinen Gruß beantwortet hatte, sprach er: »Herr, wenn man sich über so zuvorkommende Männer beklagen könnte, so hätten wir uns über Euch zu beklagen, der Ihr, abgesehen davon, daß Ihr unsere Reise ein wenig verzögert, uns genötigt habt, eine so große Gefälligkeit wie die Eure anzunehmen, ohne daß wir Euer Wohlwohlen anders als durch einen einfachen Gruß hätten verdienen können.«

Der Ritter, ein kluger und wohlberedter Mann, erwiderte: »Ihr Herren, die Artigkeit, die ihr von uns empfanget, wird im Vergleich zu dem, was euch gebührt und was ich an eurem Äußeren erkenne, nur eine sehr geringe sein. Doch in der Tat, außerhalb von Pavia hättet ihr an keinem Orte einkehren können, der nur erträglich gewesen wäre, und deshalb sei es euch nicht leid, den Weg etwas verlängert zu haben, um dafür eine minder große Unbequemlichkeit anzutreffen.«

Während er so sprach, war seine Dienerschaft herbeigekommen und hatte, sobald jene abgestiegen waren, ihre Pferde untergebracht. Herr Torello aber führte die drei edlen Herren zu den Gemächern, welche für sie bereitet waren, wo er sie die Schuhe ablegen ließ, sie mit kühlem Wein etwas erfrischte und dann bis zur Essensstunde in gefälligen Gesprächen hinhielt. Saladin, seinen Gefährten und Dienern war das Latein geläufig, weshalb sie denn alles sehr gut verstehen und sich verständlich machen konnten, und jeder von ihnen war der Meinung, dieser[813] Ritter sei der gefälligste, gesittetste und wohlberedteste Mann, den sie noch angetroffen hätten. Herrn Torello andererseits dünkte es, daß diese Fremden gar ausgezeichnete Männer und von weit höherem Stande wären, als er anfangs geglaubt hatte, weshalb es ihm denn leid tat, sie an diesem Abend nicht durch Gesellschaft und ein feierliches Gastmahl ehren zu können, und er sich vornahm, sie am folgenden Morgen dafür schadlos zu halten. Nachdem er daher einen seiner Diener davon unterrichtet hatte, was er tun wolle, sandte er ihn zu seiner Gemahlin, welche eine sehr kluge und adelig gesinnte Frau war, nach dem ganz nahen Pavia, wo man keineswegs die Tore zu verschließen pflegte.

Hierauf führte er die edlen Herren in seinen Garten und fragte sie höflich, wer sie seien. »Wir sind«, antwortete ihm Saladin, »zyprische Kaufleute, kommen von Zypern und gehen in unseren Geschäften nach Paris.« »Wollte Gott«, entgegnete Herr Torello hierauf, »unser Land brächte solche Edelleute hervor, als Zypern, wie ich sehe, Kaufleute.« Unter solchen und anderen Gesprächen war es Essenszeit geworden. Er bat sie daher, sich zu Tische zu setzen, wo sie alsdann dafür, daß es ein unvorbereitetes Mahl war, gar wohl und ordentlich bedient wurden. Nicht lange waren die Tafeln aufgehoben, als Herr Torello, der voraussetzte, daß sie ermüdet sein möchten, sie zu schönen Betten führen ließ, um der Ruhe zu pflegen, und bald darauf legte auch er sich nieder.

Unterdessen richtete der nach Pavia gesandte Diener die Botschaft bei der Gemahlin des Herrn Torello aus, und diese ließ, nicht mit weiblichem, sondern mit wahrhaft königlichem Sinne, schnell zahlreiche Freunde und Diener ihres Gemahls herbeirufen und alles Nötige zu einem großen Gastmahl bereiten, bei Fackellicht viele der angesehensten Bürger zum Feste einladen, Tücher, Teppiche und Pelzwerk herbeibringen und alles vollkommen einrichten, was ihr von ihrem Gemahl aufgetragen war.

Als es Tag geworden war, erhoben sich die edlen Herren, Herr Torello stieg mit ihnen zu Roß, ließ seine Falken kommen und führte sie zu einer benachbarten Niederung, wo er ihnen zeigte, wie seine Falken zu fliegen verstanden. Als hierauf Saladin nach jemand fragte, der sie nach Pavia und zu[814] der besten Herberge führen könnte, sprach Herr Torello: »Ich selbst werde dies tun, weil ich doch dort zu tun habe.« Die Fremden glaubten dies, waren damit zufrieden und machten sich nun gemeinschaftlich mit ihm auf den Weg.

Schon war es um die dritte Morgenstunde, als man die Stadt erreichte, und während jene in der besten Herberge abzusteigen glaubten, gelangten sie mit Herrn Torello zu dessen Haus, in welchem wohl fünfzig der vornehmsten Bürger versammelt waren, um die edlen Herren zu empfangen, denen sie alsbald die Zügel abnahmen und die Steigbügel hielten. Als Saladin und seine Gefährten dies sahen, wurden sie nur zu wohl inne, wie dies zusammenhänge, und sie sprachen: »Herr Torello, dies ist nicht das, was wir begehrten. In der vergangenen Nacht schon hattet Ihr uns Ehre genug angetan, und weit mehr, als wir irgend wollten. Deshalb konntet Ihr uns heute sehr wohl unseren Weg fortsetzen lassen.« »Ihr Herren«, entgegnete ihnen Herr Torello hierauf, »für das, was euch gestern abend geschah, bin ich weit mehr dem Glücke Dank schuldig als euch, da jenes euch zu einer Stunde unterwegs sein ließ, wo ihr zu meinem kleinen Hause wohl mitkommen mußtet. Für das, was heute morgen geschieht, aber werde ich euch selbst verpflichtet sein und mit mir zugleich diese edlen Männer, welche euch hier umgeben. Meint ihr nun, ihnen eine Artigkeit zu erweisen, indem ihr es verschmäht, mit ihnen einen Imbiß einzunehmen, so mögt ihr es tun, wenn ihr wollt.«

Saladin und seine Gefährten ließen sich bewegen, stiegen von ihren Rossen ab, und froh bewillkommnet von den edlen Herren, wurden sie in die Gemächer geführt, welche auf das reichste für sie eingerichtet waren. Nachdem sie die Reisekleider abgelegt und sich etwas erfrischt hatten, traten sie in den Saal, wo alles auf das glänzendste hergerichtet war. Sobald das Wasser für die Hände herumgereicht war, setzte man sich zu Tisch, wo alle in wohlersonnener und genau eingehaltener Ordnung mit vielen Speisen köstlich bedient wurden, so daß, wenn der Kaiser selbst gekommen wäre, man ihm nicht mehr Ehre hätte erweisen können. Und wiewohl Saladin und seine Gefährten große Herren und gewohnt waren, glänzende Dinge zu sehen, so erstaunten sie nichtsdestoweniger doch über diese,[815] welche ihnen zu den glänzendsten zu gehören schienen, besonders wenn sie die Stellung des Ritters erwogen, von dem sie wußten, daß er nur ein Bürger und kein gebietender Herr war.

Als das Essen vorüber und die Tafeln aufgehoben waren und man noch eine Weile von andern Dingen gesprochen hatte, gingen die edlen Herren von Pavia, wie es Herrn Torello gefiel, da die Hitze groß war, alle zur Ruhe, und er blieb mit seinen drei Gästen allein. Mit diesen begab er sich in ein Gemach, wohin er, damit nichts ihm Teures von ihnen ungesehen bliebe, seine treffliche Gattin rufen ließ. Schön und groß von Gestalt und mit reichen Gewändern geschmückt, kam sie zwischen ihren beiden kleinen Söhnen, die zwei Engel schienen, und begrüßte die Fremden mit Anmut. Als diese sie erblickten, standen sie auf, empfingen sie ehrerbietig und bezeigten ihr, nachdem sie zwischen ihnen Platz genommen, große Freude an ihren beiden schönen Kindern.

Im Verlauf der anmutigen Gespräche, die sich unter ihnen entspannen, fragte die Dame, als Herr Torello sich etwas entfernt hatte, sie freundlich, woher sie wären und wohin sie gingen, worauf die edlen Herren ihr ebenso antworteten, wie sie Herrn Torello geantwortet hatten. Mit heiterer Miene begann die Dame darauf: »Nun, so sehe ich, worin meine weibliche Fürsorge euch nützlich sein kann, und bitte euch deshalb, aus besonderer Gunst für mich, das kleine Geschenk, welches ich euch werde kommen lassen, nicht zu verschmähen, noch zu verachten, sondern zu bedenken, wie die Frauen nach ihrem kleinen Herzen nur kleine Geschenke geben, und, mehr auf die gute Absicht der Schenkenden als auf die Größe des Geschenkes sehend, es anzunehmen.«

Hierauf ließ sie für jeden zwei Gewänder, das eine mit Tuch, das andere mit Pelzwerk gefüttert, keineswegs wie Bürger oder Kaufleute, sondern wie Herren sie tragen, und drei Röcke von Zindeltaffet und Hosen von feiner Leinwand bringen, indem sie sprach: »Nehmet diese an. Ich habe von den gleichen Stoffen Gewänder für meinen Gemahl besorgt wie für euch. Die andern Sachen werden euch, so geringen Wert sie auch haben, vielleicht willkommen sein, wenn ihr bedenkt, daß ihr fern von euren Frauen seid, und wenn ihr die Weite[816] des zurückgelegten Wegs und des noch zu bewältigenden anschlagt und in Betracht zieht, wie sehr Kaufherrn an Reinlichkeit und Behaglichkeit gewöhnt zu sein pflegen.« Die edlen Herren wunderten sich und erkannten nun deutlich, daß Herr Torello ihnen jede erdenkliche Aufmerksamkeit erweisen wollte, und wenn sie den Reichtum dieser keineswegs für Kaufleute bestimmten Gewänder erwogen, fürchteten sie fast, von ihm erkannt zu sein. Dennoch antwortete einer von ihnen der Dame: »Dies, Madonna, sind herrliche Sachen, die wir nicht so leicht annehmen dürften, nötigten Eure Bitten uns nicht dazu, auf die wir nicht nein sagen können.« Nachdem dies geschehen und Herr Torello inzwischen zurückgekehrt war, schied die Dame von ihnen, nachdem sie sie Gott empfohlen, und ließ nun mit ähnlichen Sachen, soweit sie sich ziemten, auch die Diener der Fremden versehen.

Durch viele Bitten erlangte Herr Torello von ihnen, daß sie diesen ganzen Tag bei ihm verweilten. Nachdem sie daher geruht und ihre Kleider angelegt hatten, ritten sie mit Herrn Torello ein wenig durch die Stadt, und als die Stunde der Mahlzeit gekommen war, speisten sie herrlich in Gesellschaft vieler ehrenwerter Herren. Zur gehörigen Zeit begaben sie sich zur Ruhe. Als sie aber mit dem anbrechenden Tag sich erhoben, fanden sie an der Stelle ihrer ermüdeten Klepper drei große und schöne Rosse und ebenso viele neue und starke Pferde für ihre Diener. Als Saladin dies sah, wandte er sich zu seinen Gefährten und sprach: »Ich schwöre bei Gott, daß nie ein vollkommenerer, höflicherer und aufmerksamerer Mann lebte als dieser; und wenn die christlichen Könige für ihr Teil sich ebenso als Könige betragen wie dieser als Ritter, so kann der Sultan von Babylon auch nicht einem derselben standhalten, geschweige denn den vielen, die wir sich rüsten sehen, um über uns herzufallen.« Doch da sie wußten, daß die Rosse nicht ausgeschlagen werden durften, bestiegen sie diese unter höflichen Danksagungen.

Herr Torello begleitete sie mit vielen Gefährten eine große Strecke Weges vor die Stadt, und wiewohl es dem Saladin schwerfiel, von Herrn Torello zu scheiden, da er ihn schon liebgewonnen hatte, so bat er ihn doch, da er's eilig mit seiner Reise[817] hatte, heimzukehren. Torello, der gleichfalls ungern von ihnen schied, sagte darauf: »Ihr Herren, ich will es tun, da es euch so beliebt. Allein noch dies will ich euch sagen: ich weiß nicht, wer ihr seid, noch begehre ich mehr davon zu wissen, als euch lieb ist. Allein, wer ihr auch sein mögt, daß ihr Kaufleute seid, bei diesem Glauben werdet ihr mich für diesmal nicht lassen, und damit empfehle ich euch Gott.« Saladin, der sich bereits von allen Begleitern des Herrn Torello verabschiedet hatte, antwortete ihm: »Herr, noch kann es geschehen, daß wir Euch etwas von unserer Ware sehen lassen, wodurch wir dann Euren Glauben befestigen werden, und jetzt geht mit Gott.«

Saladin reiste nun mit seinen Gefährten und mit dem festen Entschlusse weiter, wenn das Leben ihm bliebe und der erwartete Krieg ihn nicht vernichtete, Herrn Torello dereinst nicht geringere Ehre zu erweisen, als dieser ihm erwiesen hatte, und noch viel über ihn, seine Gattin und alles, was er getan und wie er sich benommen hatte, sprechend, lobte er jede Einzelheit nur immer mehr. Nachdem er aber nicht ohne große Mühe das ganze Abendland durchforscht hatte, begab er sich mit seinen Begleitern aufs Meer, kehrte nach Alexandrien zurück und schickte sich hier, vollkommen unterrichtet, zu seiner Verteidigung an.

Herr Torello kehrte nach Pavia zurück und sann lange darüber nach, wer diese drei gewesen sein könnten, doch nie traf oder näherte er sich auch nur der Wahrheit. Als danach die Zeit des Kreuzzuges herankam und von allen Seiten die größten Zurüstungen gemacht wurden, entschloß Herr Torello sich trotz der Bitten und Tränen seiner Gattin, ebenfalls mitzuziehen. Nachdem er alle Vorkehrungen getroffen hatte und schon im Begriff stand, zu Pferde zu steigen, sprach er zu seiner Gattin, die er über alles liebte: »Wie du siehst, Frau, begebe ich mich auf diesen Kreuzzug, sowohl um der leiblichen Ehre als um des Heils meiner Seele willen. Ich empfehle dir daher die Sorge für unsere Angelegenheiten und unsere Ehre. Doch weil ich der Abreise zwar gewiß bin, über die Heimkehr aber wegen der tausenderlei Zufälle, die mir begegnen können, keinerlei Gewißheit habe, so will ich, daß du mir eine Gunst erweisest: was mir auch geschehen möge, so sollst du, wofern[818] du keine gewisse Kunde von meinem Tode erhältst, vom heutigen Tag meiner Abreise an gerechnet ein Jahr, einen Monat und einen Tag lang auf mich warten, ohne dich wieder zu vermählen.«

Die Frau, die heftig weinte, antwortete: »Herr Torello, ich weiß nicht, wie ich den Schmerz ertragen soll, in dem Ihr mich bei Eurer Abreise zurücklaßt. Aber wenn mein Leben stärker ist als er und Euch etwas begegnen sollte, so lebt und sterbt in der Gewißheit, daß ich als Gattin des Herrn Torello und in seinem Angedenken leben und sterben werde.« »Frau«, entgegnete ihr Herr Torello, »ich bin völlig überzeugt, daß, soviel an dir liegt, alles geschehen wird, was du mir versprichst. Aber du bist ein junges Weib, bist schön und stammst aus einem angesehenen Geschlecht, der rühmlichen Eigenschaften hast du viele, und sie sind überall bekannt. Deshalb zweifle ich nicht, daß viele vornehme und adelige Männer, wenn ich verschollen bin, dich von deinen Brüdern und Verwandten zur Gattin begehren werden. Ihrem Zureden wirst du, wenn du es auch wünschst, nicht widerstehen können und notgedrungen ihren Willen erfüllen müssen. Dies ist der Grund, warum ich diese Frist und keine längere von dir begehre.«

»Von dem, was ich Euch gesagt habe«, antwortete die Frau, »will ich tun, was ich kann, und würde ich dennoch genötigt, anders zu handeln, so will ich Euch wenigstens in dem sicherlich gehorsam sein, was Ihr mir befehlt. Doch bitte ich Gott, daß er weder Euch noch mir in dieser Zeit so Schweres auferlege.« Als sie diese Worte gesprochen hatte, umarmte die Frau weinend den Herrn Torello, zog sich einen Ring vom Finger und überreichte ihm denselben mit diesen Worten: »Wenn es geschieht, daß ich eher sterbe, als Ihr heimkommt, so erinnere er Euch an mich, sooft Ihr ihn seht.« Er nahm ihn, stieg zu Pferde und begab sich, nachdem er jedermann Lebewohl gesagt, auf seinen Weg. Sobald er mit seiner Schar Genua erreicht hatte, bestieg er eine Galeere, ging in See und gelangte in kurzer Zeit nach Akkon, wo er zum übrigen christlichen Heere stieß.

Hier brach nun sofort eine Seuche und ein großes Sterben unter dem Heere aus. Während diese noch fortdauerten, gelang[819] es dem Saladin, mochte es nun seine Schlauheit oder sein Glück bewirkt haben, fast den ganzen Rest des von der Krankheit verschonten christlichen Heeres ohne Schwertstreich gefangenzunehmen, worauf er es in viele Städte verteilte und einkerkerte. Einer von diesen Gefangenen war Herr Torello, und zwar wurde er nach Alexandrien in einen Kerker geführt.

Hier war er nicht bekannt, und da er sich auch scheute, seinen Namen zu nennen, gab er sich, von der Not gezwungen, damit ab, Falken abzurichten, in welcher Kunst er ein großer Meister war, und so erhielt endlich Saladin Kunde von ihm. Dieser befreite ihn deshalb aus seinem Kerker und behielt ihn als seinen Falkonier. Herr Torello, der von Saladin nur bei seinem Taufnamen gerufen wurde – weder hatte er diesen noch dieser ihn wiedererkannt – weilte mit seiner Seele nur in Pavia, und schon mehr als einmal hatte er versucht zu entfliehen, allein nie war es ihm gelungen. Als daher einige Genueser als Abgesandte zum Loskauf einiger ihrer Mitbürger bei Saladin erschienen und nun wieder abreisen sollten, gedachte er seiner Gattin zu schreiben, wie er noch lebe und zu ihr, sobald er nur könne, zurückkehren werde, daß sie ihn daher erwarten möge. So tat er denn wirklich und bat den einen der Abgesandten inständig, daß er diesen Brief in die Hände des Abtes von San Pietro in Ciel d'Oro, der sein Oheim war, gelangen lassen möchte.

Als die Sache so stand, geschah es eines Tages, während Saladin mit Herrn Torello über seine Falken sprach, daß Herr Torello zu lächeln begann und sein Mund dabei einen Zug zeigte, den Saladin mehrfach bemerkt hatte, als er sich in seinem Hause zu Pavia befand. Durch diesen Zug erinnerte sich Saladin an Herrn Torello, fing an, ihn aufmerksam zu betrachten, und er schien es ihm wirklich zu sein. Sogleich ließ er daher das erste Gespräch fallen und sprach: »Sage mir, Christ, aus welcher Gegend des Abendlandes bist du?« »Mein Gebieter«, antwortete Herr Torello, »ich bin ein Lombarde, aus einer Stadt, die Pavia heißt, ein armer Mann und von geringer Herkunft.« Als Saladin dies hörte, sprach er, denn er war seiner Vermutung nun ziemlich gewiß, froh zu sich selber: »Gott hat mir Gelegenheit gewährt, um diesem zu beweisen,[820] wie lieb mir seine Zuvorkommenheit war.« Und ohne ein Wort weiter zu sagen, ließ er alle seine Gewänder in einem Zimmer zurechtlegen, führte jenen dorthin und sprach: »Siehe, Christ, ob unter diesen Kleidern eines ist, das du schon sonst gesehen hast.« Herr Torello fing an umherzuschauen und erblickte die Kleider, welche seine Gattin dem Saladin geschenkt hatte. Doch hielt er es nicht für möglich, daß es dieselben sein könnten, und antwortete deshalb: »Mein Gebieter, ich kenne keines darunter. Wahr ist es indes, daß diese beiden hier gewissen Gewändern sehr gleichen, mit denen ich einst zugleich mit drei Kaufleuten, die in mein Haus gelangten, bekleidet wurde.«

Nun konnte Saladin sich nicht länger halten, sondern umarmte ihn gerührt und sprach: »So seid Ihr denn Herr Torello d'Istria, und ich bin einer jener drei Kaufleute, welchen Eure Gattin diese Kleider schenkte. Jetzt aber ist die Stunde erschienen, Euern Glauben an meine Ware zu festigen, wie ich beim Abschied sagte, daß es wohl noch geschehen könne.« Als Herr Torello dieses hörte, ward er äußerst froh und fing doch auch zugleich an, sich zu schämen; froh war er, daß er einen solchen Gast bewirtet hatte, er schämte sich aber, weil es ihm schien, daß er ihn nur ärmlich empfangen habe. Doch Saladin sprach zu ihm: »Herr Torello, weil Gott mir Euch denn hierher gesandt hat, so denkt, daß nicht ich, sondern Ihr der Herr hier seid.« Und nachdem sie sich nun gegenseitig ihre große Freude bezeigt, ließ er ihn in fürstliche Gewänder kleiden, führte ihn zu seinen vornehmsten Vasallen hinaus, sprach zu diesen viel zum Lobe seiner Trefflichkeit und gebot, daß jeder, dem seine Gnade wert wäre, ihn ebenso ehren sollte wie seine eigene Person. Dies tat fortan ein jeder, mehr noch als die andern aber die beiden Herren, die Saladins Begleiter in seinem Hause gewesen waren.

Der unverhoffte große Glanz, in dem er sich nun befand, lenkte Herrn Torellos Gedanken ein wenig von der Lombardei ab, vor allem deshalb, weil er mit Sicherheit hoffte, daß seine Briefe an seinen Oheim gelangt wären. Allein im Lager oder im Heer der Christen war an dem Tag, da dieses von Saladin gefangen ward, ein provenzalischer Ritter von geringem Ansehen, dessen Name Herr Torel von Dignes war, gestorben[821] und begraben worden, und weil Herr Torello d'Istria durch seinen Adel im ganzen Herr bekannt war, so glaubte ein jeder, der sagen hörte: »Herr Torello ist tot«, der aus Pavia und nicht der aus Dignes sei gemeint. Die Gefangennahme, welche dazugekommen war, verhinderte die Aufklärung des Irrtums, weshalb denn viele Italiener mit dieser Kunde zurückkehrten, unter denen einige so zuversichtlich waren, daß sie zu behaupten wagten, sie hätten ihn tot gesehen und wären bei seinem Begräbnis zugegen gewesen.

Als diese Nachricht zu seiner Frau und zu seinen Verwandten gelangte, erweckte sie nicht nur in ihnen unsäglichen Schmerz, sondern in allen, die ihn gekannt hatten. Zu lang wäre es, vom Schmerz, der Trauer und der Klage seiner Gattin zu berichten, welche, nachdem sie einige Monate in beständiger Trauer verlebt hatte und allmählich etwas weniger laut klagte, sogleich von den vornehmsten Männern der Lombardei begehrt und bald auch von ihren Brüdern und den übrigen Verwandten aufgefordert wurde, sich wieder zu vermählen. Dies hatte sie nun zwar oft und unter häufigen Tränen abgeschlagen, endlich aber sah sie sich gezwungen, in das zu willigen, was ihre Verwandten begehrten, jedoch unter der Bedingung, daß sie, ohne sich zu vermählen, so lange warten dürfte, wie sie es Herrn Torello versprochen hatte.

Während zu Pavia die Angelegenheiten der Dame also standen und vielleicht nur noch acht Tage an der Frist fehlten, wo sie zu einem neuen Gemahl ziehen sollte, begab es sich, daß Herr Torello in Alexandrien einen Mann erblickte, den er vorher mit den genuesischen Abgesandten die Galeere hatte besteigen sehen, welche nach Genua segelte. Er ließ ihn also rufen und fragte ihn, was sie für eine Reise gehabt hätten und wann sie in Genua angekommen wären. Dieser antwortete ihm: »Herr, eine üble Reise machte die Galeere, wie ich in Kreta vernahm, wo ich zurückgeblieben bin. Denn als sie Sizilien nahe war, erhob sich ein entsetzlicher Nordsturm, der sie auf die Sandbänke der Berberei warf, so daß keine Seele mit dem Leben davonkam und unter anderm auch zwei meiner Brüder umkamen.«

Herr Torello glaubte diesen Worten, die auch wirklich zutrafen,[822] und da er sich erinnerte, daß die Frist, die er von seiner Gattin begehrt hatte, in wenigen Tagen ablaufen müsse, und vermutete, daß man von seinen Schicksalen in Pavia nichts erfahren haben werde, so hielt er es für gewiß, seine Gattin sei wieder vermählt. Hierüber verfiel er in solche Traurigkeit, daß er alle Eßlust verlor, sich krank niederlegte und zu sterben entschlossen war. Als Saladin, der ihn über alles liebte, dies erfuhr, kam er zu ihm, und nachdem er auf viele und inständige Bitten hin, die er an Herrn Torello richtete, die Ursache seines Kummers und seiner Krankheit erfahren hatte, tadelte er ihn heftig, daß er ihm dies nicht zuvor mitgeteilt, beschwor ihn dann, sich zu trösten, und beteuerte ihm, wenn er dies tue, so wolle er Sorge tragen, daß er zu der bestimmten Frist in Pavia sei, und zugleich sagte er ihm wie.

Herr Torello traute Saladins Worten, und da er häufig sagen gehört hatte, daß dergleichen möglich und schon öfter geschehen sei, fing er an sich zu trösten und bat jenen dringend, die notwendigen Schritte zu unternehmen. Saladin gebot einem seiner Nekromanten, dessen Kunst er schon erprobt hatte, Mittel zu finden, wie Herr Torello auf seinem Bett in einer Nacht nach Pavia geschafft werden könnte. Der Nekromant erwiderte ihm, daß dies geschehen solle, allein daß er ihn zu seinem eigenen Besten zuvor in Schlaf bringen müsse. Als dies nun angeordnet war, kehrte Saladin zu Herrn Torello zurück, den er völlig entschlossen fand, zur bestimmten Frist in Pavia sein zu wollen, wenn dies irgend möglich wäre, wenn es aber nicht sein könnte, zu sterben.

»Herr Torello«, sprach er zu ihm, »wenn Ihr Eure Gattin so zärtlich liebt und fürchtet, daß sie eines andern werde, so weiß es Gott, daß ich Euch auf keine Weise deshalb zu tadeln wüßte; denn von allen Frauen, die ich je sah, ist sie es, wie ich meine, deren Sitten, Wesen und ganzes Betragen mir, abgesehen von der Schönheit, die eine schnell vergängliche Blume ist, am meisten Lob und Preis zu verdienen scheinen. Freilich wäre es mir sehr lieb gewesen, wenn wir, da Euch ein günstiges Geschick hierhergeführt hatte, die Zeit, die wir beide noch zu leben haben, gemeinsam als Herren in der Regierung des Reiches, das ich besitze, zugebracht hätten. Doch da mir dies einmal[823] von Gott nicht bewilligt werden sollte und Ihr den festen Entschluß gefaßt habt, entweder zu sterben oder zur bestimmten Frist in Pavia einzutreffen, so hätte ich wenigstens sehr gewünscht, dies zur rechten Zeit erfahren zu haben, um Euch mit der Ehre, dem Anstand und der Begleitung, die Euren Verdiensten angemessen sind, nach Eurer Heimat zurückführen lassen zu können. Doch da mir auch dies nicht gewährt ist und Ihr nur begehrt, sogleich dort zu sein, so will ich Euch, so wie ich es vermag und in der Weise, wie ich es Euch gesagt habe, dorthin senden.« »Mein Gebieter«, entgegnete ihm Herr Torello hierauf, »auch ohne Eure Worte haben Taten mir Euer Wohlwollen genugsam bewiesen, das ich in diesem Übermaß nie verdient habe, und ich wäre von dem, was Ihr mir gesagt habt, im Leben und Sterben auch dann überzeugt, wenn Ihr es mir nicht versichertet. Doch da ich einmal so beschlossen habe, so bitte ich Euch, daß das, was Ihr tun wollt, schnell geschehe; denn morgen ist der letzte Tag, wo man noch meiner wartet.« Saladin versicherte, daß dies ohne Fehl besorgt sei.

Am nächsten Tag ließ Saladin, da er beschlossen hatte, ihn in der kommenden Nacht zurückzusenden, in einem großen Saale ein schönes und reiches Lager von Matratzen herrichten, die alle nach der dortigen Sitte mit Samt und Goldstoff überzogen waren, und darüber eine Decke legen, die in zierlichen Mustern mit großen Perlen und kostbaren Edelsteinen bestickt war, so daß man sie nachher bei uns für einen unermeßlichen Schatz erachtete, und darüber zwei Kopfkissen, wie sie zu einem solchen Bette paßten. Als dies geschehen war, befahl er, daß Herrn Torello, der sich schon wieder stark fühlte, ein Gewand nach Sarazenenart angelegt würde, so reich und schön, wie es noch nie jemand gesehen hatte, und um sein Haupt ließ er ihm nach dortiger Sitte einen seiner stattlichsten Turbane wickeln. Da es nun spät ward, trat Saladin mit vielen seiner Großen in das Gemach, wo Herr Torello sich befand, setzte sich an seiner Seite nieder und fing schier unter Tränen also zu reden an:

»Herr Torello, die Stunde, die mich von Euch trennen soll, naht. Da ich Euch wegen der Beschaffenheit des Weges, den Ihr zurückzulegen habt, weder selbst begleiten noch begleiten[824] lassen kann, so muß ich hier in Eurem Gemach von Euch Abschied nehmen, und um ihn zu nehmen, bin ich gekommen. So bitte ich Euch denn, bevor ich Euch Gott empfehle, bei der Liebe und Freundschaft, die unter uns besteht, daß Ihr meiner gedenkt und, wenn es Euch möglich ist, ehe unsere Tage enden, nachdem Ihr Eure Angelegenheiten in der Lombardei geordnet habt, wenigstens noch einmal mich zu besuchen kommt, damit mir dann nicht nur die Freude werde, Euch wiederzusehen, sondern daß ich auch den Fehler wiedergutmachen könne, in den ich jetzt um Eurer Eile willen verfallen muß. Bis dies aber geschieht, falle es Euch nicht lästig, mich in Briefen zu besuchen und von mir zu fordern, was Euch irgend gefallen wird; denn wahrlich, lieber als für irgendeinen andern lebenden Menschen will ich für Euch das Gewünschte tun.«

Herr Torello konnte seine Tränen nicht zurückhalten und antwortete daher, von diesen gehindert, nur mit wenigen Worten, es sei unmöglich, daß er je seine Wohltaten vergessen oder seine Trefflichkeit ihm aus dem Gedächtnis schwinden könnte und daß er unfehlbar tun werde, was jener ihm geboten, wenn anders ihm eine so lange Lebenszeit gewährt würde. Hierauf umarmte Saladin ihn zärtlich, küßte ihn und sprach mit vielen Tränen: »So geht denn mit Gott!« Dann verließ er das Gemach, und die andern Großen verabschiedeten sich von ihm und traten mit Saladin in den Saal, wo er das Bett hatte bereiten lassen.

Hierüber war es spät geworden, und da der Nekromant zur Ausführung seines Zaubers bereit war und drängte, erschien ein Arzt mit einem Trank, den er dem Herrn Torello unter dem Vorgeben, daß er ihm zur Stärkung dienen solle, reichte und von ihm austrinken ließ. Nicht lange darauf verfiel er in tiefen Schlaf. So schlummernd wurde er nach Saladins Befehl auf das schöne Bett getragen, auf das er selbst noch ein großes und schönes Diadem von hohem Wert legte, welches so bezeichnet war, daß man nachher deutlich erkennen mußte, es sei von Saladin der Gemahlin des Herrn Torello übersandt. Hierauf steckte der Sultan Herrn Torello einen Ring an den Finger, darin ein Karfunkel gefaßt war, so glänzend, daß er einer brennenden Fackel glich und man seinen Wert kaum zu schätzen[825] vermochte. Dann ließ er ihm ein Schwert umgürten, dessen Preis schwer zu bestimmen gewesen wäre, und ließ ihm eine Spange anheften, die mit Perlen, wie man sie nie gesehen hatte, und mit vielen andern kostbaren Steinen besetzt war. Endlich wurden auf seinen Befehl zu beiden Seiten des Schlafenden zwei große goldene Becken voller Doublonen hingestellt und um ihn her viele Haarnetze von Perlen, Ringe, Gürtel und andere Dinge, welche hier aufzuzählen zu lange dauerte. Nachdem dies alles besorgt war, küßte er Herrn Torello von neuem und befahl dem Nekromanten, daß er sich beeile. Sogleich erhob sich nun in Saladins Gegenwart das Bett mit Herrn Torello und verschwand, Saladin aber blieb mit seinen Vasallen unter Gesprächen über ihn zurück.

Schon war Herr Torello, wie er begehrt hatte, in der Kirche von San Pietro in Ciel d'Oro zu Pavia mit allen erwähnten Edelsteinen und Geschmeiden, immer noch schlafend, niedergesetzt worden, als nach dem Morgengeläute der Sakristan mit einem Licht in der Hand in die Kirche trat und, sowie er das reiche Bett zufällig erblickte, nicht allein darüber erstaunte, sondern vor übergroßer Furcht eilig umkehrte und floh. Als der Abt und die übrigen Mönche ihn so fliehen sahen, wunderten sie sich und fragten nach der Ursache. Der Mönch sagte sie. »Fürwahr«, rief der Abt, »du bist doch nachgerade kein Kind mehr und auch nicht so neu in dieser Kirche, daß du so leicht erschrecken solltest! So wollen wir denn gehen und nachsehen, was ihm so bange gemacht hat.«

Nachdem sie nun mehr Lichter angezündet hatten, trat der Abt mit allen seinen Mönchen in die Kirche, und sie erblickten dies so wundersame und reiche Bett und auf ihm den schlafenden Ritter. Während sie aber furchtsam und schüchtern die edlen Geschmeide betrachteten, ohne sich dem Bett im geringsten zu nähern, geschah es, daß die Kraft des Tranks sich erschöpft hatte, Herr Torello erwachte und einen tiefen Seufzer ausstieß. Als die Mönche dies sahen und der Abt mit ihnen, ergriffen sie erschreckt die Flucht und schrien: »Herr, stehe uns bei.« Herr Torello aber öffnete die Augen, schaute sich um und erkannte deutlich, daß er sich da befand, wo hingebracht zu werden er von Saladin begehrt hatte. Sehr zufrieden hierüber[826] setzte er sich auf und betrachtete einzeln, was er um sich her sah. Obwohl er die Großmut Saladins schon vorher gekannt hatte, schien ihm diese jetzt noch größer, und er erkannte sie in ihrem ganzen Ausmaß.

Da er die Mönche fliehen sah und die Ursache erriet, begann er, ohne seine Stellung zu wechseln, den Abt beim Namen zu rufen und ihn zu beschwören, daß er nichts fürchten möchte, da er Torello, sein Neffe sei. Als der Abt dies vernahm, wurde er nur noch furchtsamer, weil er meinte, Torello sei vor mehreren Monaten gestorben. Nach einiger Zeit ließ er sich jedoch durch reiflichere Erwägung einigermaßen beruhigen, machte, da jener ihn noch immer rief, das Zeichen des heiligen Kreuzes und ging zu ihm. »Oh, mein Vater«, rief Herr Torello, »was fürchtet Ihr Euch denn? Ich bin durch Gottes Gnade lebendig und von jenseits des Meeres hierher zurückgekehrt.«

Obwohl nun Herr Torello einen langen Bart trug und mit einem arabischen Gewande bekleidet war, erkannte nach einiger Zeit der Abt ihn doch wieder und nahm ihn, nachdem er sich völlig beruhigt hatte, mit den Worten bei der Hand: »Mein Sohn, sei uns herzlich willkommen.«

Dann aber fuhr er fort: »Du darfst dich über unsere Furcht nicht wundern; denn in dieser Stadt gibt es niemanden, der dich nicht zuverlässig für tot hält, so daß ich dir sagen muß, daß Madonna Adalieta, deine Gattin, von den Bitten und Drohungen ihrer Verwandten überwältigt, gegen ihren Willen wieder vermählt ist. Noch diesen Morgen soll sie zu ihrem neuen Gemahl ziehen, und die Hochzeit und alles, was zum Feste gehört, ist bereitet.«

Herr Torello erhob sich nun von seinem reichen Bett und bat den Abt und die Mönche, nachdem er sie herzlich begrüßt hatte, von seiner Wiederkehr niemand etwas zu sagen, bis er mit einer notwendigen Sache zu Ende gekommen sei. Dann ließ er die reichen Geschmeide in Sicherheit bringen und erzählte dem Abt, was ihm bis zu diesem Augenblick begegnet war. Froh über diese Glücksfälle dankte der Abt gemeinsam mit ihm Gott, worauf Herr Torello jenen fragte, wer der neue Gemahl seiner Gattin sei. Der Abt sagte es ihm, und Herr Torello erwiderte: »Ehe man von meiner Rückkehr etwas erfährt, möchte[827] ich sehen, wie meine Frau sich bei dieser Hochzeit betragen wird. Deshalb bitte ich Euch denn, wenn es auch sonst nicht üblich ist, daß Geistliche zu solchen Gastmählern gehen, es mir zuliebe so einzurichten, daß wir zusammen hingehen.«

Der Abt erwiderte, er wolle das gern tun, und schickte, sowie es Tag geworden war, zu dem Bräutigam, dem er sagen ließ, daß er mit einem Gefährten zu seiner Hochzeit zu kommen wünsche. Der Edelmann antwortete, dies sei ihm sehr angenehm. Als nun die Essensstunde kam, ging Herr Torello, gekleidet wie er war, mit dem Abt zum Hause des Bräutigams, von jedem, der ihn erblickte, mit Erstaunen angesehen, doch von niemand erkannt. Der Abt aber sagte allen, er sei ein Sarazene, welchen der Sultan als Gesandten zum König von Frankreich schicke. So wurde denn Herr Torello an einen der Tische gerade seiner Gattin gegenübergesetzt, die er mit der größten Freude betrachtete und deren Züge ihm Betrübnis über diese Hochzeit auszudrücken schienen. Auch sie blickte ihn einige Male an, jedoch keineswegs weil sie ihn wiedererkannt hätte; denn der lange Bart, das fremde Gewand und der feste Glaube, in dem sie lebte, daß er tot sei, hinderten sie daran.

Als es aber Herrn Torello an der Zeit schien, sie zu prüfen, ob sie sich seiner noch erinnere, nahm er den Ring in die Hand, den seine Frau ihm zum Abschied geschenkt hatte, ließ den Edelknaben, der ihr bei Tische aufwartete, herbeirufen und sagte zu ihm: »Bestelle der Braut von mir, in meiner Heimat sei es üblich, daß eine Braut, wie sie es ist, einem Fremden, wie ich es hier bin, der am Mahle teilnimmt, zum Zeichen, daß seine Gegenwart beim Fest ihr lieb sei, ihm den Becher, aus dem sie trinkt, voller Wein sendet. Darauf trinkt der Fremde davon, soviel ihm gefällt, deckt den Becher wieder zu, und die Braut trinkt den Rest.« Der Knabe richtete diese Bestellung bei seiner Gebieterin aus, und da sie jenen für irgendeinen großen Herrn hielt, befahl sie, um ihm zu zeigen, daß sein Kommen ihr wert sei, als eine kluge und wohlgesittete Dame, daß ein großer vergoldeter Becher, der vor ihr stand, ausgespült, mit Wein gefüllt und dem edlen Manne gebracht werde. Und so geschah es.

Indessen hatte Herr Torello den Ring, den er von ihr besaß,[828] in den Mund genommen und ließ ihn, ohne daß jemand es bemerkte, in den Becher niederfallen, während er trank. Dann aber deckte er diesen, in dem er nur ein wenig Wein gelassen hatte, wieder zu und sandte ihn der Dame zurück. Diese nahm ihn, um jene Sitte zu erfüllen, deckte ihn auf, setzte ihn an den Mund, erblickte nun den Ring und betrachtete ihn, ohne ein Wort zu sagen, eine Weile. Endlich erkannte sie ihn bestimmt als denselben, den sie Herrn Torello bei seinem Abschied geschenkt hatte, ergriff ihn und blickte den vermeintlichen Fremdling scharf an. Und als sie ihn nun erkannte, stürzte sie, wie von plötzlichem Wahnsinn gepackt, den Tisch vor sich um und rief laut: »Er ist es, es ist mein Herr; wahrhaftig, dies ist Herr Torello!« Und damit lief sie zu dem Tisch, an welchem er saß, warf sich, ohne an ihre Kleider oder an etwas von dem, was auf dem Tisch stand, zu denken, darüber hin, so weit sie konnte, schloß ihn fest in ihre Arme und war durch nichts, was die Anwesenden sagten oder taten, zu bewegen, seinen Hals wieder freizugeben, bis Herr Torello selbst ihr zuredete, sich ein wenig zu mäßigen, da ihr ja noch Zeit genug bliebe, ihn zu umarmen.

Nun erst richtete sie sich wieder auf. Herr Torello aber bat, da die Hochzeit doch einmal gestört, durch die Wiederkehr eines solchen Ritters indes auch wie der fröhlicher denn je geworden war, alle um schweigendes Gehör. Dann erzählte er ihnen, was ihm vom Tag seiner Abreise bis zu diesem Augenblick begegnet war, und schloß damit, daß es dem edlen Manne, der seine Frau zur Gattin erwählt habe, weil er ihn tot geglaubt, nicht mißfallen dürfe, wenn er, da er ja noch lebe, sie wieder zu sich nähme. Wenngleich nun die Sache für den Bräutigam etwas peinlich war, so erwiderte er doch aus freien Stücken und in Freundschaft, daß Herr Torello mit dem, was ihm gehöre, tun könne, wie es ihm gefalle. Die Braut ließ Ring und Brautkrone, die sie vom Bräutigam empfangen hatte, zurück, steckte dagegen den Ring an, den sie aus dem Becher genommen, und setzte gleichfalls das Diadem auf, das der Sultan ihr geschickt hatte. So verließen sie das Haus, in welchem sie sich befanden, und zogen mit dem ganzen Hochzeitsgefolge zu Herrn Torellos Haus.[829]

Hier erheiterten sie die trostlosen Freunde, Verwandten und alle Bürger, die ihn fast wie ein Wunder anstaunten, durch ein langes und fröhliches Festgelage. Herr Torello schenkte einen Teil seiner wertvollen Juwelen dem, der die Kosten der Hochzeit bestritten hatte, andere gab er dem Abt und vielen anderen. Dem Saladin aber verkündete er durch mehr als einen Boten seine glückliche Heimkehr, betrachtete sich stets als dessen Freund und Diener und lebte nachher noch viele Jahre mit seiner trefflichen Gemahlin, nur noch höflicher und freigebiger als zuvor.

Dies war das Ende der Abenteuer des Herrn Torello, der Leiden seiner geliebten Dame und der Lohn ihrer heiteren und bereitwilligen Gastfreundschaft. Eine solche nachzuahmen bemühen sich zwar viele; allein sie verstehen sich so schlecht darauf, daß sie sich diese, obwohl sie die Mittel dazu besitzen, erst weit über dem Preis abkaufen lassen, ehe sie sie gewähren. Wenn ihnen also kein Lohn zuteil wird, so dürfen weder sie noch andere sich darüber wundern.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 811-830.
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