Zweite Geschichte

[751] Ghino di Tacco nimmt den Abt von Clugny gefangen, heilt ihn von seinem Magenübel und läßt ihn dann frei. Dieser kehrt an den römischen Hof zurück, versöhnt jenen mit Papst Bonifaz und macht ihn zum Hospitaliterritter.


Nachdem die Großmut des Königs Alfons gegen den florentinischen Ritter gerühmt worden war, befahl der König, dem die Geschichte sehr gefallen hatte, der Elisa fortzufahren. Diese begann sogleich:

Zarte Mädchen, daß ein König großmütig gewesen ist und seine Großmut dem bewiesen hat, der ihm diente, kann nur ein großes und preiswürdiges Werk genannt werden. Was aber sollen wir sagen, wenn uns erzählt werden wird, wie ein Priester wunderbare Großmut gegen einen Mann geübt hat, den er, ohne darum von jemand getadelt zu werden, als seinen Feind hätte betrachten können? Nichts anderes fürwahr, als daß die Handlung des Königs tugendhaft, die des Priesters aber bewunderungswürdig war, um so mehr, als alle diese Pfaffen viel geiziger als die Weiber und aller Freigebigkeit geschworene Todfeinde sind. Und wenngleich jeder Mensch von Natur aus nach Rache für empfangene Beleidigung verlangt, so lassen sich doch die Priester, wie man sieht, obgleich sie beständig Langmut predigen und die Vergebung von Beleidigungen hoch anpreisen, von noch glühenderer Rachsucht hinreißen als andere Menschen. Dies aber, nämlich wie großmütig ein Priester sich zeigte, wird euch aus der folgenden Geschichte offenkundig werden.

Ghino di Tacco, ein Mann, den seine Grausamkeit und Rachsucht berüchtigt genug gemacht haben, war aus Siena vertrieben worden, wiegelte, als ein Feind der Grafen von Santo Fiore, Radicofani gegen den Römischen Stuhl auf, setzte sich hier fest[751] und ließ von seinem Raubgesindel jeden auffangen und berauben, der durch die umliegende Gegend reiste.

Zu der Zeit war Bonifaz der Achte Papst in Rom, und an dessen Hof begab sich der Abt von Clugny, den man für einen der reichsten Prälaten in der Welt hielt. Dort verdarb sich dieser Herr den Magen so, daß ihm von den Ärzten geraten wurde, die Bäder von Siena zu besuchen, wo er ohne Zweifel genäse. Dies erlaubte ihm der Papst, und ohne sich viel um den Ruf des Ghino zu bekümmern, machte er sich nun mit großem Pomp, mit Saumrossen, Pferden und Dienerschaft auf den Weg. Ghino di Tacco hörte von seiner Ankunft, spannte seine Netze aus und schloß, ohne ein einziges Troßbüblein entwischen zu lassen, den Abt mit seiner ganzen Begleitung und allen Sachen an einer engen Stelle des Weges ein.

Als er dies getan hatte, schickte er einen der Seinigen, und zwar den verschmitztesten, wohlbegleitet zu dem Abt, dem er gar freundlich sagen ließ, daß es ihm gefallen möge, bei ihm, dem Ghino, im Schlosse abzusteigen. Als der Abt dies vernahm, antwortete er höchst zornig, daß er dies nicht wolle, weil er mit Ghino nichts zu schaffen habe, sondern daß er Weiterreisen und den sehen möchte, der ihm dies verwehrte. Hierauf entgegnete ihm der Abgesandte mit demütigem Tone: »Herr, Ihr seid an einen Ort geraten, wo man außer Gottes Allmacht nichts auf der Welt mehr fürchtet und wo die Exkommunikationen und die Interdikte alle längst exkommuniziert sind. Darum laßt es Euch zu Eurem eigenen Besten gefallen, hierin den Wunsch des Ghino zu erfüllen.«

Während dieses Gesprächs war bereits der ganze Platz von Raubgesindel umringt worden, so daß sich der Abt mit den Seinen gefangen sah und, wiewohl heftig erzürnt, nun mit dem Abgesandten, seiner ganzen Gesellschaft und allem Reisegepäck den Weg nach dem Schlosse einschlug. Hier abgestiegen, wurde er, wie Ghino befohlen hatte, ganz allein in ein ziemlich dunkles und unbequemes Kämmerlein des Schlosses gebracht, während jeder andere nach seinem Rang in dem Schlosse ganz gemächlich eingerichtet und die Rosse und das Gerät in Sicherheit gebracht wurden, ohne daß irgend etwas berührt worden wäre.

Hierauf begab sich Ghino zum Abte und sprach: »Herr,[752] Ghino, dessen Gast Ihr seid, läßt Euch bitten, daß es Euch gefalle, ihm zu sagen, wohin Ihr Euch begeben wolltet und aus welcher Ursache.« Der Abt, der als ein kluger Mann den Hochmut schon abgelegt hatte, eröffnete ihm, wohin er ginge und zu welchem Zweck. Als Ghino dies vernommen hatte, schied er und beschloß bei sich, den Abt ohne Bäder zu heilen. Während er in der Kammer beständig ein großes Feuer unterhalten und dieses wohl bewachen ließ, kehrte er bis zum folgenden Morgen nicht wieder zu ihm zurück. Dann aber brachte er ihm auf einem schneeweißen Tuche zwei Schnitten gerösteten Brots, dazu einen blanken Becher Weins von Coriglia, der dem Abt selbst gehörte, und sprach zu diesem: »Herr, als Ghino jünger war, hat er Medizin studiert, und er behauptet, gelernt zu haben, daß gegen das Magenübel keine andere Arznei so gut sei wie die, welche er Euch bereiten wird. Die Dinge, die ich Euch hier bringe, sind der Anfang jener Arznei, darum nehmet und stärket Euch.« Der Abt, der mehr Hunger als Lust zum Wortgefecht hatte, tat dies, wiewohl mit Unwillen, aß das Brot und trank den Wein, dann sprach er vielerlei stolzes Zeug, fragte nach vielem, gab mancherlei Ratschläge und verlangte sonderlich, den Ghino zu sehen. Ghino, der all dies hörte, ging über einen Teil dieser Reden als eitles Geschwätz hinweg, antwortete höflich auf das andere und versicherte, daß Ghino ihn besuchen werde, sobald er nur könne. Nach diesen Worten jedoch schied er von ihm. Und nicht eher als am folgenden Tag kehrte er mit ebensoviel Brot und ebensoviel Wein zurück. So hielt er ihn nun mehrere Tage, bis er endlich bemerkte, daß der Abt einige trockene Bohnen, die er absichtlich und heimlich mitgebracht und zurückgelassen hatte, aufgezehrt habe, worauf er ihn dann im Namen Ghinos fragte, wie es mit seinem Magen gehe. Hierauf entgegnete der Abt: »Ich befände mich völlig wohl, wenn ich nur aus seinen Händen wäre. Nächst diesem aber habe ich keinen lebhafteren Wunsch als zu essen, so gut hat seine Kur mir geholfen.«

Ghino, der unterdessen mit des Abtes eigenen Gerätschaften und von dessen eigener Dienerschaft ein schönes Gemach hatte einrichten und ein großes Festmahl vorbereiten lassen, zu dem außer vielen Männern aus dem Schlosse auch die ganze[753] Dienerschaft des Abtes geladen war, ging am folgenden Morgen zu ihm und sagte: »Herr, da ihr Euch nun wieder wohlfühlt, ist es auch Zeit, das Krankenzimmer zu verlassen.« Dann nahm er ihn bei der Hand, führte ihn in das vorbereitete Gemach, wo er ihn den Seinigen überließ, um inzwischen zu sehen, daß das Gastmahl recht glänzend würde.

Der Abt erfreute sich eine Weile mit den Seinigen und erzählte ihnen, wie seine bisherige Lebensweise beschaffen gewesen sei, wogegen sie ihm versicherten, daß sie von Ghino auf das herrlichste bewirtet worden seien. Als jedoch die Essensstunde erschien, wurden der Abt und alle übrigen der Ordnung nach mit herrlichen Speisen und trefflichen Weinen bedient, immer noch, ohne daß Ghino sich dem Abt zu erkennen gegeben hätte.

Nachdem dieser indes noch mehrere Tage auf diese Art im Schlosse verweilt hatte, ließ Ghino in einem Saale alles Gepäck des Abtes zusammenbringen und in dem Hofe darunter seine sämtlichen Pferde bis zum elendsten Klepper aufstellen. Dann trat er zum Abt und fragte ihn, wie er sich befinde und ob er sich für stark genug halte auszureiten. Der Abt erwiderte ihm, daß er stark genug sei und seinen Magen wieder ganz hergestellt fühle, so daß er sich völlig wohl befände, wenn er nur aus Ghinos Händen wäre. Jetzt führte Ghino den Abt in den Saal, wo sein ganzes Gepäck lag und seine ganze Dienerschaft versammelt war, und indem er ihn an ein Fenster treten ließ, von wo er alle seine Rosse übersehen konnte, sprach er: »Mein Herr Abt, Ihr müßt wissen, daß Ghino di Tacco, der ich selbst bin, nur als ein armer und aus seiner Heimat verbannter Edelmann, der zahlreiche und mächtige Feinde hat, nicht aber durch innere Bösartigkeit dahin gekommen ist, ein Straßenräuber und Feind des römischen Hofes zu werden, um sein Leben und seinen Adel verteidigen zu können. Doch weil Ihr mir ein ehrenwerter Herr zu sein scheint, so denke ich, nachdem ich Euch von Eurem Magenübel geheilt habe, Euch nicht zu behandeln, wie ich einen andern behandelt hätte, dessen Sachen ich, wenn er in meine Hände gefallen wäre wie Ihr, nach Belieben genommen hätte. Statt dessen denke ich, daß Ihr, meine Lage berücksichtigend, mir den Teil Eurer Sachen[754] zubilligen werdet, den Ihr selber wollt. Sie alle, ohne Ausnahme, stehen hier vor Euren Augen, und Eure Rosse könnt Ihr von diesem Fenster aus im Hof überblicken. Nun nehmt einen Teil oder das Ganze, wie es Euch gefällt, und von Stund an steht es bei Euch, zu gehen oder zu bleiben.«

Der Abt verwunderte sich nicht wenig, von einem Straßenräuber so hochherzige Worte zu hören. Diese gefielen ihm so sehr, daß nicht nur Zorn und Unwille augenblicklich verschwanden, sondern sich in Wohlwollen verwandelten, und daß er, von Herzen Ghinos Freund geworden, ihn umarmte und ausrief: »Ich schwöre bei Gott, daß ich, um die Freundschaft eines Mannes zu gewinnen, wie du meiner Meinung nach einer bist, gern ein viel größeres Unrecht ertrüge als das, welches ich bis jetzt von dir zu erleiden glaubte. Verwünscht sei das Schicksal, das dich zu einem so verdammenswerten Gewerbe zwingt.« Hierauf ließ er von seinem vielen Gepäck nur das wenigste und notwendigste auswählen, desgleichen von seinen Rossen, übergab ihm alles andere und kehrte nach Rom zurück.

Der Papst hatte von der Gefangenschaft des Abtes bereits erfahren, und wiewohl sie ihn sehr geschmerzt hatte, fragte er ihn doch, als er ihn sah, wie ihm die Bäder bekommen wären. Lächelnd entgegnete der Abt hierauf: »Heiliger Vater, ich fand näher, als jene Bäder sind, einen trefflichen Arzt, der mich vollständig wiederhergestellt hat.« Und nun erzählte er ihm, wie das geschehen war, worüber der Papst lachte. Der Abt aber setzte das Gespräch fort und erbat sich aus seiner adeligen Gesinnung heraus vom Papst eine Gnade. Dieser glaubte, daß er etwas anderes erbitten würde, und erbot sich bereitwillig, das Verlangte zu tun. Nun sprach der Abt: »Heiliger Vater, was ich von Euch zu erbitten gedenke, ist, daß Ihr dem Ghino di Tacco, meinem Arzt, Eure Gnade wieder verleiht; denn unter den tapferen und achtbaren Männern, die ich kennengelernt habe, ist er gewiß einer der ausgezeichnetsten, und das Übel, das er tut, erachtete ich mehr für eine Schuld des Geschicks als für die seine. Ändert Ihr dies aber dadurch, daß Ihr ihm verleiht, wovon er standesgemäß leben kann, so zweifle ich keineswegs, daß Ihr binnen kurzem ebenso über ihn denken werdet wie ich.«[755]

Als der Papst, der selbst eine große Seele besaß und edelgesinnte Männer schätzte, dieses vernahm, sagte er, das wolle er gern tun, wenn Ghino dessen so würdig sei, wie der Abt es sage. Dieser möge ihn also unter sicherem Geleit nach Rom kommen lassen. Vertrauensvoll erschien Ghino nun auf Wunsch des Abtes bei Hofe, und nicht lange war er in der Nähe des Papstes, als dieser ihn für einen wackeren Ritter erkannte, sich mit ihm aussöhnte und ihm eines der Großpriorate des Hospitaliterordens, zu dessen Ritter er ihn gemacht hatte, verlieh. Und diese Würde behielt er, als ein Freund und Diener der heiligen Kirche und des Abtes von Clugny, solange er lebte.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 751-756.
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