Neunter Auftritt.

[50] Ehrenwehrt. Charlotte, und die Vorigen.


EHRENWEHRT. Hier bringe ich eine Person, welche in ihrer Sache den besten Ausspruch geben kann. Was sagen sie, schönste Charlotte! Herr Sittenreich verlanget meine Schwester. Kann ich sie ihm mit gutem Gewissen geben?

CHARLOTTE zum Sittenreich. Ungetreuer, ist es erlaubt sein Herz mehr als einmal zu verschenken?

CAROLINA. Ey, mein Herr, das hätte ich mir von einem Menschen, den mir mein Bruder so vortheilhaft beschrieben, nicht vorgestellet. Der Himmel bewahre mich für einen unbeständigen Liebsten.

CHARLOTTE. Und mich für einen solchen, der mit Schwüren und Eiden scherzet.

SITTENREICH. O Himmel! in was für Umstände bin ich gerathen?

CAROLINA. Wie glücklich bin ich, daß ich ihre Wankelmuth bey Zeiten kennen lernen. Jungfer Charlotte, ich begehre ihr nicht ihren Liebsten abspenstig zu machen.

CHARLOTTE. Ich mag keinen Liebsten, welcher in so kurzer Zeit auf andere Gedanken kann gebracht werden.

SITTENREICH. Ich bin verlohren.

EHRENWEHRT. Ich sehe wohl, ich muß der Schiedsmann seyn. Zum Sittenreich. Herr Bruder, dieser Streich kommt von mir, doch Gedult! Ich habe der Jungfer Charlotte mein Herz angetragen, erfuhr aber, daß der Herr Bruder einige Anforderung an dem ihrigen habe; und daß sie ohne Zurückziehung derselben mir solches nicht schenken könne. Da mir nun der Herr Bruder durch den Anspruch um meine Schwester selbst Gelegenheit an die Hand gab, konnte ich nicht umhin, mich solcher zu bedienen. Der Herr Bruder werde darum nicht böse. Vielleicht mache ich es wieder gut.

SITTENREICH. In Wahrheit, Herr Bruder, der Streich war ein bisgen schlimm. Was inzwischen meine[51] Absicht auf die Jungfer Charlotte betrifft: So ists wahr, daß ich sie verschiedenemal um ihre Gegengunst gebeten, aber auch allemal abschlägige Antwort erhalten, glaube also, daß meine Untreue nicht so groß seyn wird, als man mir beschuldiget.

CHARLOTTE. Mein Herr Sittenreich, sie sehen aber, daß ich gewissenhafter bin, als sie sind. Ich habe ohne ihre Einwilligung mein Herz nicht verschenken wollen.

SITTENREICH. Es ist wahr, liebste Charlotte, ich habe einen Fehler begangen. Ich erkenne solchen, und will zu meiner Entschuldigung nicht einmal sagen: daß die Hitze meines Vaters, und das Zurathen des Herrn Gutherz mich dazu verleitet haben. Nur dieses will ich bitten, daß sie auf keine weitere Rache denken; denn der Schrecken, den sie mir abgejaget, ist fürwahr Rache genug. Dem Herrn Ehrenwehrt hätte ich mein Recht an ihrem Herzen ohnedem mit oder wider Willen abtreten müssen; denn für einen solchen Nebenbuhler hätten viel geschicktere als ich, hinten an stehen müssen.

EHRENWEHRT. Der Herr Bruder schmeichelt mir gewiß, meiner Schwester wegen. Ja, ja, es ist in der That eine schöne Sache, wenn man eine hübsche Frau, eine artige Schwester oder Tochter hat. Mancher wird desfalls verehret, und bildet sich ein, es gelte ihm selber.

SITTENREICH. Dieses wird bey dem Herrn Bruder nicht nöthig seyn. Ich habe das gute Vertrauen zu ihm, daß er auch ohne Schmeicheln mein Freund seyn wird, und erwarte also zu vernehmen, was der Herr Bruder, nachdem er mich auf eine so harte Probe gesetzt hat, in meiner Liebessache vor einen Ausspruch thun wird.

EHRENWEHRT zur Carolina. Liebste Schwester, was saget ihr dazu?

CAROLINA. Ich stelle alles in euren Willen, liebster Bruder.

EHRENWEHRT führet sie dem Sittenreich zu. So empfangen sie denn von meiner Hand diejenige Person, welche[52] ich für sie aufbehalten habe, und erkennen daraus, daß ich ihr Freund bin.

SITTENREICH zur Carolina. Ist es möglich, schönste Carolina, daß sie denjenigen lieben können, an dessen Aufrichtigkeit sie vor kurzer Zeit zu zweifeln Ursache gehabt haben?

CAROLINA. Die Umstände haben mich überführet, daß ich ihnen zu nahe gethan habe. Der Zweifel hat völlig aufgehöret, und ich bereue meine Uebereilung.

SITTENREICH. So empfangen sie denn mit der Hand zugleich ein Herz, welches nicht aufhören wird, diejenige Person zu lieben, woran mir mehr als an allen Schätzen der Welt gelegen ist. Zum Ehrenwehrt. Ihnen aber, Herr Bruder, bin ich unendlich verbunden, für ein Geschenk, welches ich nicht vermögend bin zu ersetzen, wie gerne ich auch wollte.

EHRENWEHRT. Des Herrn Bruders beständige Gewogenheit ist allein vermögend, mich ihm zu verbinden.

CHARLOTTE. Nun, Herr Sittenreich, haben sie den Schrecken vergessen, den wir ihnen verursachet haben?

SITTENREICH. O ja, und zwar das darauf erfolgte Vergnügen ist um so viel angenehmer.

CHARLOTTE. So verzeihen sie mir denn auch, was ich auf Anstiften des Herrn Ehrenwehrts dazu beygetragen habe. Beschuldigen sie mich aber keiner Unbeständigkeit; sondern gedenken: daß ich nicht anders verfahren können, zumal, da ich erfuhr, daß ich eine Nebenbuhlerin hatte. Ich mußte also, wie sie, das Gewisse, dem Ungewissen vorziehen.

SITTENREICH. Ich glaube, sie wollen sich noch einmal an mir rächen. Jedoch, einem Frauenzimmer, das in kurzer Zeit einen Bräutigam bekommen, muß man nicht übel deuten, was es in der ersten Hitze spricht. Ich bin auch mit meinem Schicksal so vergnüget, daß ich nicht Zeit habe, ihnen von der Unbeständigkeit des Frauenzimmers eine Rede zu halten, welche sie vielleicht, ohne böse zu werden, nicht anhören mögen.[53]

EHRENWEHRT. Ey, ey, Herr Bruder! junge Freyer müssen nicht einmal wissen, daß es unbeständiges Frauenzimmer giebt.

SITTENREICH. Das ist wahr, denn die Liebe wird ja blind abgemahlet.


Quelle:
Hinrich Borkenstein: Der Bookesbeutel. Leipzig 1896, S. 50-54.
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