Die 20. Historie sagt, wie Ulenspiegel in dem Monschein das Mel in den Hoff bütelt.

[59] Ulenspiegel wandert in dem Land umb und kam geen Ulsen in daz Dorff. Da waz er aber ein Bäckrknecht. Als er nun bei einem Meister waz, da richt der Meister zu, daz er wolt bachen. Und solt Ulenspiegel büteln in der Nacht, daz es uff den Morgen frü fertig wär. Ulenspiegel sprach: »Meister, Ihr sollen mir ein Liecht geben, daz ich gesehe zu büteln.« Der Bäcker sprach zu ihm: »Ich gib dir kein Liecht. Ich hab meinen Knechten zu diser Zeit nie kein Liecht geben.[60] Sie müsen in dem Monschein bütelen. Also mußt du auch tun.« Ulenspiegel sprach: »Hon sie dann also hingebütlet, so wil ich es auch tun.« Der Meister gieng schlaffen und wolt ein par Stunden schlaffen. Dieweil nimpt Ulenspiegel den Bütel und reckt ihn zum Fenster uß und bütelt daz Mel in Hoff, da der Mon her schin, als dem Schein nach. Als nun der Bäcker uffstund und wolt bachen, da stund Ulenspiegel und bütlet noch. Da sähe der Bäcker, daz Ulenspiegel bütlet daz Mel in den Hoff, der waz gantz weiß von Mel. Da sprach der Meister: »Waz der Tüffel! Waz machst du hie? Hat daz Mel nit mer kostet, wann daz du dez in den Treck bütelest?« Ulenspiegel sprach: »Hon Ihr mich es nit geheissen in dem Mon bütelen sunder Liecht? Also hab ich gethon.« Der Brotbäcker sprach: »Ich hieß dich, du soltest bei dem Monschein.« Ulenspiegel sprach: »Wolan, Meister, seint nur zufriden, es ist geschehen beid, in und bei dem Monschein und da ist nit vil verloren, dan ein Handvol. Ich wil das bald wider uffrappen, das schadet dem Mel nitt ein Mite.« Der Brotbäcker sprach: »Dieweil daz du nun daz Mel uffrappest, dieweil macht man den Deick nit, so würt es den zu lang zu bachen.« Ulenspiegel sprach: »Mein Meister, ich weiß guten Rat. Wir wöllen wol so bald bachen als unser Nachbuer. Sein Deick ligt in der Mülten. Wöllen Ihr daz hon, so wil ich ihn bald holen und wil unser Mel an dieselben Stat tragen.« Der Meister ward zornig und sprach: »Du wilt den Tüffel holen! Gang an Galgen und hol Dieb harein.« Ja, sprach er und gieng an Galgen. Da lag ein Reff von einem Dieb, der waz herabgefallen. Den nam er uff den Halß und trug ihn heim und sprach: »Warzu wöllen Ihr das hon? Ich wißt nit, wazu es allerbest wär.« Der Bäcker sprach: »Bringst du sunst nüt meer?« Ulenspiegel sprach: »Es was nüt mer da.« Der Bäcker ward zornig und sprach von Zorn: »Du hast meiner[61] Herren Gericht gestolen und ihn ihren Galgen beraubt. Daz wil ich dem Burgermeister clagen, das sollest du sehen.« Unnd der Bäcke gieng uß dem Hauß uff den Marckt und Ulenspiegel gienge ihm nach. Und es was dem Bäcker so not, das er sich nit umbsach und wißt auch nit, das ihm Ulenspiegel nachgienge. Also da stund der Ammeister oder Burgermeister an dem Marckt. Da gienge der Bäcker zu ihm unnd fienge ihm also da an zu clagen. Unnd Ulenspiegel was behend, sobalde sein Meister, der Bäck, fieng an zu klagen, da stund Ulenspiegel hart neben ihn und spert seine beiden Augen weit uff. Da der Bäcker Ulenspiegel ersach, da ward er so töbig, das er vergaß, was er klagen wolt, und sprach zu Ulenspiegel bößlichen: »Was wilt du?« Ulenspiegel sprach: »Ich wil anders nicht haben, dan Ihr sprachen, ich solt sehen, das Ihr mich wolten verklagen vor dem Burgermeister. Sol ich nun das sehen, so mus ich die Ougen hart darzu thun, das ich das sehen kund.« Der Brotbäcker sprach zu ihm: »Gang mir nur uß den Ougen, du bist ein Schalck.« Ulenspiegel sprach: »So würd ich vacklen geheissen, unnd säß ich Euch in den Ougen, so müst ich Euch uß den Naßlöchern kriechen, wan Ihr die Ougen zuthäten.« Da gieng der Burgermeister von ihn unnd hort wol, das es Thorneit was, und ließ sie beid also ston. Da Ulenspiegel das sahe, da lief er hinder sich und sprach: »Meister, wann wöllen wir bachen, die Son scheint nim«, und lieff hinweg und ließ den Bäcker ston.

Quelle:
Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel. Stuttgart 1978, S. 59-62.
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