Die 57. Histori sagt, wie Ulenspiegel den Weinzäpffer zu Lübeck betrog, als er ihm ein Kanten Wassers für ein Kanten Weins gab.

[163] Ulenspiegel sah sich cluglichen für, als er gon Lübeck kam, und hielt sich gebürlich, daz er da nieman kein Büberei dät, wann es ist zu Lübeck ein scharpfes Recht.

So waz zu der Zeit zu Lübeck ein Weinzäpffer in des Rats[164] Keller, daz was ein hochmütig stoltz Man. Und ließ sich duncken, daz niemans so weiß wär als er, und durfft daz selber auch wol sagen und sagen lassen, daz ihn wol lüstet, ein Man anzesehen, der ihn betriegen solt und ihn in seiner Clugheit bedoren. Und darumb warden vil Burger ihm gram. Als nun Ulenspiegel disen Ubermut des Weinzäpffers hort, kunt er den Schalck nit länger verbergen und gedacht, daz must du versuchen, waz er kan. Und nam zwo Kanten, die waren beid gleich gemacht, und nimpt in ein Kanten Wasser und lat die ander Kanten ler. Die trug er under dem Rock verborgen, da daz Wasser in waz, und die ledig Kanten trug er offenbar. Und gat mit der Kanten in den Weinkeller und laßt ihm messen ein Stauff Weinß. Und thut die Kanten mit dem Wein under den Rock und zücht die Wasserkant harfür und satzt sie ins Bäncklin, daz er es nit sah, und sprach: »Weinzäpffer, waz gilt der Stouff Weins?« »10 Pfening«, saget er. Ulenspiegel sagt: »Er ist zu thür, ich hab nit mer dann 6 Pfening, mag ich ihn dafür haben?« Er ward zornig und sprach: »Wilt du meinen Herren den Wein schätzen? Daz ist hie ein gesatzter Kauff, wen daz nit glust, der laß den Wein in der Herren Keller.« Ulenspiegel, der sprach: »Das wurd ich wol lernen. Ich hab die 6 Pfenig, wöllen Ihr die nit, so giessen den Wein wider uß.« Da nimpt der Weinzäpffer die Kantten von Boßheit und meint, das wär der Wein, unnd es was das Wasser, und güßt das oben zu dem Puntenloch wider in und sprach: »Was bist du für ein Dor. Lassest dir Wein messen und magst den nit bezalen.« Ulenspiegel nimpt die Kant und gieng hinweg und sprach: »Ich sih wol, das du ein Dor bist. Es ist niemans so weiß, er würt vonn den Doren betrogen, und wan er schon ein Weinzäpffer wär.« Unnd gieng damit hinweg und trug die Kanten mit dem Wein under dem Mantel und die ledig Kan, da das Wasser in was gewesen, trug er offenbar.

Quelle:
Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel. Stuttgart 1978, S. 163-165.
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