32. Nur noch dießmal
(1755.)

[140] Im folgenden Frühling hieß es: Wohin nun mit so viel Buben? Jakob und Jörg wurden zum Pulvermachen bestimmt; ich zum Salpetersieden. Bey diesem Geschäft gab mir mein Vater Uli M. einen groben, aber geraden ehrlichen Menschen zum Gehülfen, der ehemals Soldat gewesen, und das Handwerk von seinem Vater her verstuhnd, der in seinem Beruf, aber elend genug verstorben, da er in einen siedenden Salpeterkessel fiel. Wir beyde Ulis fiengen also mit einander im Merz 1755. in der Schamatten unsern Gewerb an. Da gab's immer unter der Arbeit allerley Gespräche, die dann M. durch irgend einen Umweg – und wie ich nachwerts erfuhr, geflissen, vielleicht gar auf Anstiften meines Vaters – meist auf Heurathsmaterien zu lenken wußte, und mir endlich eine gewisse schon ziemlich ältliche Tochter zur Frau empfahl, die bald auch meinen Eltern, dem Aeti besonders, eben ihres bestandenen Alters und stillen Wandels wegen, sehr wohl gefiel. Ihnen zu gefallen, führt' ich diese Ursel (so hieß sie) ein Paarmal zum Wein. Mein Uli machte gar viel Rühmens von diesem Esaugesicht, das er nach seiner eignen Sag', schon vor zehn Jahren careßirt hätte. Daß ich eben wenig Reitzendes an ihr entdeckte, versteht sich schon. Eine Stunde bey ihr dünkte mich eine halbe Nacht, so gut' sie mir immer[140] begegnete – ja, je besser, desto schlimmer für mich. Uebrigens trug sie eine ordentliche Bauerntracht. Aber mit Aennchen vergliechen, war's halt wie Tag und Nacht. Als mich daher letztre eines Tags an der Straß auffieng, sprach sie mit bitterm Spott: »Pfui, Uli! So ein Haargesicht, so eine Iltishaut, so ein Tanzbär! Mir sollt' keiner mehr auf einen Büchsenschuß nahe kommen, der sich an einer solchen Dreckpatsche beschmiert hätte! – Uhi! wie stinkst«! Das gieng mir durch Mark und Bein. Ich fühlte, daß Aennchen Recht hatte; aber dennoch verdroß es mich. Ich verbiß indessen meinen Unmuth, schlug ein erzwungenes Gelächter auf, und sagte: »Gut, gut, Aennchen! Aber nächstens will ich dir alles erklären«! und damit giengen wir von einander. – Es währte kaum 24. Stunden, so gab ich meiner grauen Ursel förmlichen Abschied: Sie sah mir wehmütig nach und rief immer hinten drein: »Ist denn nichts mehr zu machen? – Bin ich dir zu alt, oder nicht hübsch genug? – Nur auch noch Einmal«, u. dgl. Aber ein Wort, ein Mann.

Am nächsten Huheijatag, wo Aennchen auch gegenwärtig war, sah sie, daß ich allein trank. Sie kam freundlich gegen mir, und lud mich auf den Abend ein. Voll Entzücken flog ich zu ihr hin, und merkte bald, daß ich wieder recht willkomm war, obschon mir das schlaue Mädle über meine Bekanntschaft mit Urseln aufs neue die bittersten Vorwürfe machte. Ich erzählte ihr haarklein alles, wie das Ding zugegangen. Sie schien sich zu beruhigen. Das machte mich herzhafter; ich wagte zum erstenmal, es zu versuchen, sie an meine[141] Brust zu drücken, und einen Kuß anzubringen. Aber Potz Welt! da hieß es: »So! Wer hat dich das gelehrt? G'wiß die alte Hudlerin. Geh, geh, scheer' dich, und sitz erst ins Bad, dir den Unrath abzuwaschen.« – Ich. »Ha! Ich bitt' dich, Schätzle! sey mir nicht curios. Hab' dich ja alleweil geliebt, und lieb dich je länger je stärker. Laß mich doch – nur auch eins«! Sie. »Abslut nicht! Um alles Geld und Gut nicht! Fort, fort, nimm deine Trallwatsch, die dir das Ding gewiesen«! – Ich. »Ach! Aennchen! Schätzchen! Laß mich doch! Hätt' dich schon lang schon, für mein Leben gern – Ach mein Gott«! – Sie. »Laß mich doch gehn – ich bitt' dich! – Gwiß nicht. – Einmal itzt nicht«, – Endlich sagte sie freundlich lächelnd: »Wenn du wiederkommst«! Aber dreymal, wenn ich wiederkam, fieng das verschmitzte Mädchen das nämliche Spiel an. Und so können diese schlauen Dinger die dummen Buben lehren. Endlich schlug die erwünschte Stunde: »Aennchen, Aennchen! liebstes Aennchen! Kannst's auch über's Herz bringen? Bist mir doch so herzinniglich lieb! Und ich sollt' kein einzig Mal dein holdes Mündchen küssen? Gelt, du erlaubst's mir? – Ich kann's nicht länger aushalten. Lieber will ich dich ganz und gar meiden«. Itzt drückte sie mir freundlich die Hand, sagte aber wieder: »Nun gewiß, das nächstemal, wenn du wiederkommst«! Hier fieng mir an, die Geduld auszugehn. Ich ward wild, und schnippisch. Sie hinwieder befürchtete glaublich Unrath; foppte mich zwar, wie es scheinen sollte, noch immer fort, daß es eine Lust war – aber mit Eins kam ihr ein Thränchen ins Aug', und sie[142] wurde zahm wie ein Täubchen: »Nun ja«! sagte sie: »'s ist wahr, du hast doch die Prob' ausgehalten – Du solltest mir für deine Sünd büssen. Aber die Straf' hat mich mehr gekostet, als dich, liebes, herziges Uechelin«! Dieß sagte sie mit einem so süssen Ton, der mir itzt noch, wie ein fernes Silberglöcklin ins Ohr läutet: Ha! (dacht' ich einen Augenblick) Itzt könnt' ich dich wieder strafen, loses Kind! – Aber ich bedacht' mich bald eines Bessern – riß mein Liebchen in meine Arme, gab ihr wohl tausend Schmätzchen auf ihr zartes Gesichtlin überall herum, von einem Ohr bis zum andern – und Aennchen blieb mir kein einziges schuldig; nur daß ich schwören wollte, daß die ihrigen noch feuriger als die meinigen waren. So giengs ohne Unterlaß fort mit herzen, und schäckern, und plaudern, bis zur Morgendämmerung. Itzt kehrt' ich jauchzend nach Haus, und glaubte der erste und glücklichste Mensch auf Gottes Erdboden zu seyn. Aber bey allem dem fühlt' ichs lebhaft: Noch fehle mir – und dann wußt ich doch nicht was? Meist aber kam's, glaub ich, darauf hinaus: O könnt' ich mein Aennchen – könnt' ich dieß holde Kind doch ganz ganz besitzen – völlig völlig mein heissen – und ich sein – sein Schätzgen, sein Liebchen. Wo ich darum stuhnd und gieng, waren meine Gedanken bey ihr. Alle Wochen dürft' ich eine Nacht zu ihr wandeln; die schien mir eine Minute, die Zwischenzeit sechs Jahre zu seyn. O der seligen Stunden! Da setzte es tausend und hunderterley verliebte Gespräche – da eiferten wir in die Wette, einander in Honigwörtgen zu übertreffen, und jeder neue oder alte[143] Ausdruck galt einen neuen Kuß. – Ich mag nicht schwören – und schwöre nicht – aber das waren gewiß nicht nur die seligsten, sondern – auch die schuldlosesten Nächte meines Lebens! – Und doch – ich darf's noch einmal nicht verbergen – aber Aennchens Ruf war nicht der beßte. Dieß hatte sie ohne Zweifel ihrem freyen, geschwätzigen Mäulchen zu verdanken. Ich hingegen habe stets und immer mehr das redlichste, beßte, züchtigste Mädchen an ihr gefunden. Freylich – von jenen mannigfaltigen eigentlichen Verführer-Künsten braucht' ich, und kannt' ich wirklich keine – und doch bin ich vollkommen überzeugt, daß sie auch dergleichen siegreich widerstanden wäre.

So gieng der mir unvergeßliche Sommer des Jahrs 1755. wie eine Woche vorbey; und täglich gewann ich mein Aennchen lieber. Vor alle andern Mädels eckelte mir's, obgleich ich von Zeit zu Zeit Gelegenheit hatte, mit den artlichsten Töchtern des Lands bekannt zu werden. – Inzwischen war ich ein muntrer Salpetersieder, bald allein, bald in Gesellschaft mit jenem andern Uli, der sich noch immerfort grosse Mühe gab, mir die wunderbarsten Dinger anzukuppeln. Aber – Puh! – davon war nun keine Rede mehr, nebendem daß ich jetzt noch überall an kein Heurathen denken durfte.[144]

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 140-145.
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