47. Nun geht der Tanz an

[189] Die zweyte Woche mußt' ich mich schon alle Tage auf dem Paradeplatz stellen, wo ich unvermuthet drey meiner Landleuthe, Schärer, Bachmann und Gästli fand, die sich zumal alle mit mir unter gleichem Regimente (Itzenblitz) die beyden erstern vollends unter der nämlichen Compagnie (Lüderitz) befanden. Da sollt' ich vor allen Dingen, unter einem mürrischen Korporal mit einer schiefen Nase (Mengke mit Namen) marschieren lernen. Den Kerl nun mocht' ich vor den Tod nicht vertragen; wenn er mich gar auf die Füsse klopfte, schoß mir das Blut in den Gipfel. Unter seinen Händen hätt' ich mein Tage nichts begreifen können. Dieß bemerkte einst Hevel, der mit seinen Leuthen auf dem gleichen Platze manövrirte, tauschte mich gegen einen andern aus, und nahm mich unter sein Plouton. Das war mir eine Herzensfreude.[189] Itz capiert' ich in einer Stund' mehr als sonst in zehn Tagen. Von diesem guten Manne vernahm ich auch bald, wo Markoni wohne, aber, bat er um Gottswillen, ich soll ihn nicht verrathen. Des folgenden Tags, sobald das Exercitium vorbey war, flog ich nach dem Quartier, das mir Hevel verdeutet hatte, und murmelte immer vor mir her: Ja, ja, Markoni! wart' nur, ich will dir deinen an mir verübten Lumpenstreich, deine verfluchte Verrätherey so unter die Nase reiben, daß es dich gereuen soll! Nun weiß ich schon, daß du hier nur Lieutenant, und nirgends ihr Gnaden bist! – Bey geringer Nachfrage fand ich das mir benannte Haus. Es war eben eins von den geringsten in ganz Berlin. Ich pochte an; ein kleines, magres, fuchsrothes Bürschgen öffnete mir die Thüre, und führte mich eine Treppe hinauf in das Zimmer meines Herrn. Sobald er mich erblickte, kam er auf mich zu, drückte mir die Hand, und sprach zu mir mit einem so holden Engelsgesicht, das in einem Nu allen meinen Grimm entwafnete, und mir die Thränen in die Augen trieb: »Ollrich! mein Ollrich! mach mir keine Vorwürf'. Du warst mir lieb, bist's noch, und wirst mir's immer bleiben. Aber ich mußte nach meinen Umständen handeln. Gieb dich zufrieden. Ich und du dienen nun Einem Herrn«. – »Ja, Ihr Gnaden« – – »Nichts Gnaden«! sagte er: »Beym Regiment heißt es nur: ›Herr Lieutenant‹! Itzt klagt' ich ihm, nach aller Ausführlichkeit, meine gegenwärtige grosse Noth.« Er bezeugte mir sein ganzes Mittleid. »Aber«, fuhr er fort: »Hast ja noch allerley Sachen, die du versilbern kannst; wie z.E. die[190] Flinte von mir, die Reisemütze die dir Lieutenant Hofmann in Offenburg verehrt, u.d. gl. Bring sie nur mir, ich zahl dir dafür, so viel sie je werth sind. Dann könnt'st du dich, wie andre Rekrutten, um Gehaltserhöhung beym Major« – »Potz Wetter«! fiel ich ein: »Nein den sah' ich einmal, und nimmermehr«! Drauf erzählt' ich ihm, wie dieser Sir mir begegnet habe. »Ha«! versetzte er: »Die Lümmels meinen, man könn' auf Werbung von Luft leben, und Kerle im Strick fangen«. »Ja«! sagt' ich, »hätt' ich's gewußt, wollt' ich mir wenigstens in Rothweil auch einen Nothpfenning erspart haben«. »Alles hat seine Zeit, Ollrich«! erwiederte er: »Halt' dich nur brav! Wenn einmal die Exercitien vorbey sind, kannst du wohl was verdienen. Und wer weiß – vielleicht gehts bald ins Feld, und dann« – – Weiter sagte er nichts; ich merkte aber wohl, was er damit wollte, und gieng vergnügt, als ob ich mit meinem Vater geredet hätte, nach Haus. Nach etlichen Tagen trug ich Flinte, Ballast, und die sammtene Mütze wirklich zu ihm hin; er zahlte mir etwas weniges dafür; aber von Markoni war ich alles zufrieden. Bald darauf verkauft ich auch meinen Tressenhut, den grünen Frack, u.s.f.u.f. und ließ mir nichts mangeln, so lang ich was anzugreifen hatte. Schärer war eben so arm als ich: Allein er bekam ein Paar Groschen Zulage, und doppelte Portion Brodt; der Major hielt ein gut Stück mehr auf ihm, als auf mir. Indessen waren wir Herzensbrüder; so lang einer etwas zu brechen hatte, konnte der andere mitbeissen. Bachmann hingegen, der ebenfalls mit uns hauste, war ein filziger Kerl, und harmonierte[191] nie recht mit uns; und doch schien immer die Stunde ein Tag lang, wo wir nicht beysammen seyn konnten. G. mußten wir in den H...häusern suchen wenn wir ihn haben wollten; er kam bald hernach ins Lazareth. Ich und Schärer waren auch darinn völlig gleichgesinnt, daß uns das Berliner-Weibsvolk eckelhaft und abscheulich vorkam; und wollt' ich für ihn so gut wie für mich einen Eid schwören, daß wir keine mit einem Finger berührt. Sondern sobald das Exerziren vorbey war, flogen wir miteinander in Schottmanns Keller, tranken unsern Krug Ruhiner- oder Gottwitzer-Bier, schmauchten ein Pfeifgen, und trillerten ein Schweitzerlied. Immer horchten uns da die Brandenburger und Pommeraner mit Lust zu. Etliche Herren sogar ließen uns oft expreß in eine Garküche rufen, ihnen den Kuhreihen zu singen: Meist bestand der Spielerlohn bloß in einer schmutzigen Suppe; aber in einer solchen Lage nimmt man mit noch weniger vorlieb.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 189-192.
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