Peter und Paul

[346] PETER mit einer Zeitung in der Hand. Ha, ha, ha! Muß einer noch des Elends lachen. Was doch die Zeitungsschreiber heut zu Tag' alles aufgabeln. Als wenn's nicht Staats- und Kriegsnachrichten aus allen Theilen der Welt genug gäbe, ohne daß sie dergleichen Narrn'spossen in ihre Blätter 'nein schmierten. Ich lese keine Zeitung mehr.

PAUL. Ey, was ist's denn? Machst einen Ketzerslerm! Laß sehn.

PETER. Guck da: Lebensgeschicht' eines armen Manns im Tockenburg! 's möcht einer aus der Haut schleufen. Bald muß man sich schämen ein Tockenburger zu seyn. Unser Ländchen ist ohnedem schon verschreyt genug. Wenn's denn noch solche Narren giebt, die sich selbst in Druck stellen, und sogar in die Zeitung setzen lassen, werden wir aller Welt zum Gespött werden. Du sollst's hören und sehen, wie man zu Z.**, St.**, und H.***, drüber die Nase rümpft, und ein teuflisches Gelächter anfängt. Und denn mag mir das eine saubere Lebensgeschicht' abgeben. Man kennt die Näbis –

PAUL. Das ist, beym Sapperment! nicht brav. Man hat da dem armen Mann einen verzweifelten Streich gespielt. Ich weiß, wie's ihm durch Mark und Bein gehen wird. Freylich hat er sein Geschreib dem Herr Pfarrherr übergeben, Gebrauch davon zu machen, wenn er's irgend wohin tauglich finde; aber doch mit dem Beding, daß es hier zu Land nicht[346] allgemein bekannt werde, weil er seine hiesigen Freunde nur zu gut kennt. Nun hatte der Pfarrer einiche Auszug davon in eine Monathschrift einrücken lassen, die hier wenig gelesen wird. Da geht der F** Novellist in ** und drückt's in seiner Zeitung nach. Aber nur Geduld. Unser Pastor wird schon sorgen. Ich wette, die Fortsetzung kömmt nächste Woche nicht mehr.

PETER. Aber, was nützt dem Narrn sein Schreiben? Wenigstens wenn ich der Pfarrer wär', nähm' ich mich des Zeugs nicht an, und sagte dem Lümmel gerad heraus: Hock lieber bey deiner Arbeit, und laß die Lumpenflausen bleiben.

PAUL. Nicht so wild, nicht so wild Herr Peter! Warum itzt den Pfarrer ins Spiel ziehen, der doch auch hier nichts anders als einen neuen Beweis seiner Menschenfreundlichkeit abgelegt hat? Glaub' mir's nur, er kennt seine Leuthe, und läßt den Näbis-Uli nicht schelten; und ich auch nicht, du – –

PETER. Du magst mir gerad' auch ein Halbnarr seyn, wie der Uli. Ich kenne ihrer drey oder vier; 's ist, bey Gopp! einer wie der ander. Oder ich frag' dich noch einmal, was nützt, was trägt dergleichen Zeug wohl ein? Bringt die Nasenweisheit des hochmüthigen Witznarrn seiner Frau und Kindern Brodt ins Haus! Wo hat je einer im Tockenburg etwas mit Schreiben erworben, ausser Amts wegen; und etwa höchstens noch der Schulmeister Am Bühl. Aber dergleichen Faxen und Bockssprüng' in Druck geben, ist Narrheit über Narrheit.[347]

PAUL. Du weißt's vielleicht nicht – Der Am Bühl war eben des Ulis beßter Herzensfreund. Vom Nutzen oder Nichtnutzen aber verstehst du so viel als die Kuh von der Muskatnuß. Ich einmal will seiner Zeit die Geschicht' gern lesen, obgleich sie freylich nichts sonderbares enthalten kann.

PETER. Das denk' ich auch, und wollt' dir's grad itzt sagen, wie's Vater Unser. Bin mit dem Lappe aufgewachsen, und muß es ja wissen. Seine Eltern hieß man immer die Näbis von ihrem Wohnort her, einem elenden Nest von zwey armseligen Hütten. Man kann sich die adeliche Familie denken. Sie stellten auf zwey und zwanzig Beine 11. Kinder, zügelten hernach von einer Stelle zur andern, und konnten sich des Beteins kaum erwehren. Im Dreyschlatt mußte sein Vater gar mit seinen Gläubigern capituliren, und mit dem ganzen Fasel halb nackt davon ziehn. Uli, den ältesten, kannt' ich schon als Schulerbub', in der Zeit da er ein Biß'l elend lesen und schreiben gelernt. Er, wie die übrigen alle, wuchs halb nackend und wild auf, mit seiner schmutzigen Rotznas'. Jedermann neckt' und lachte ihn aus, weil er so tölpisch dahergieng, alle Augenblick über Stock und Stein stolperte, alle Vögel begaffte, und nie zu seinen Füssen sah. Als er nun allmälig zu einem grossen starken Bengel emporschoß, und itzt seinem Vater an die Hand gehen sollte – nahm er den Weiten, und gieng unter die Soldaten, riß aber bald wieder aus, weil er das Pulver nicht riechen konnte; bettelte sich dann wieder heim; machte in[348] seiner Montur, Frisur und Schnurrbart den Gecken, war zur Bauernarbeit zu faul, und brütete nun, ohne einen Heller in der Tasche zu haben, in seinem Kopf den Kaufherr; und wirklich glückte es ihm durch seines Vaters Fürsprache, daß er 100. Thlr. und etwas Baumwolle auf Credit bekam. Auch wußt' er sich bey dem Spinnervolk durch die seltsamsten Caressen so einzuschmeicheln, daß man ihn nur den Garnbettler hieß. Dann baute er sich ein Nestchen, und freyte ein Weib (nur Schad' um sie!) die eine gute Mannszucht mit ihm vornehmen wollte. Aber es war leider zu späth'; er folgte seinem harten Eselskopf. Nichts desto minder schien auch itzt noch die Glückssonn' ihn anzulachen, und es nahm die Leuth' Wunder, wie einem solchen Löffel alles so gut gelingen könnte. Aber er machte schlechten Gebrauch davon, verstuhnd weder Handel noch Haushalt, stolperte sorglos herum, wie's ihm jückte, hieng sein Geborgtes an alle Lumpen und Lempen; fieng an seine Nase in die Bücher zu stecken, und, weil sein Seckel ihm nicht erlaubte, dergleichen zu kaufen, bettelte er sich in die Gesellschaft ein. Nun glaubte er gar, der Tag steh' ihm am Hintern auf, floh' unser einen und unsre altväterschen Zusammenkünfte, hockte immer an seinem Pult in einem Winkel, vernachläßigte seine Geschäfte, die er ohnehin nicht verstuhnd, und gerieht in einen solchen Schuldenlast, daß er, besonders in den theuren Siebenzigerjahren ein starkes Falliment gemacht, wenn nicht seine Gläubiger gute Leuth' gewesen, und dem[349] Narrn, zwar nicht seinet- sondern Weib und Kinder wegen, geschont hätten. Ob er sich seither erholt oder nicht, ist mir unbekannt; denke aber doch, daß es noch mißlich genug um ihn stehe. Denn noch immer fährt er in seiner alten commoden Lebensart fort, macht sich gute Täg'l, besonders wo er's verstohlen thun kann, sieht andre ehrliche Leuth' über die Achsel an, legt sich auf lauter gelehrte Poßen, und hat doch keinen Hund aus dem Ofen zu locken. Kurz, er ist ein läppischer Hochmuthsnarr, der sich immer auszeichnen, und aus seiner Bettelfamilie hervorragen will, obgleich auch diese wenig genug auf ihm hält. Doch, das wär' alles noch nichts. Aber daß dieser Erzschöps' itzt gar seine eigne Geschicht' in die Welt ausgehen läßt, das ist zum Rasendwerden. Wenn doch nur gewisse Herren so gescheidt wären, als sie witzig seyn wollen, so würden sie an solchen Lauskerlen – –

PAUL. Genug ist genug, Peterle! Das ist zu arg. Wär' ich auch nie des Manns Freund gewesen, so müßt' ich doch itzt seine Parthey nehmen. Denn das ist nun so einmal meine Art: Wenn ich höre, daß einem so offenbar Gewalt und Unrecht geschieht, wallt mir das Blut in allen Adern. Also wird mir's der Herr nicht übel nehmen, wenn meine Vertheidigung des guten Uli's etwas unfreundlich ablaufen sollte. Nicht daß ich denke, ihm damit einen sonderlichen Dienst zu leisten. Ich kenn' ihn zu gut, und er kennt dich zu gut, und weißt wie boshaft du ihn überall anzuschwärzen bemühet bist, achtet's aber auch so[350] wenig, wie Fliegengesums, und würde dir mit lachendem Mund Am Bühls bekanntes Lied: Juchhe! Ich bin ein Biederman! frisch unter die Nase singen. Aber, auf meine eigene Rechnung, sag' ich dirs, Kerl! Du lügst, du lügst, wie ein andrer Schelm, im Kleinen und Grossen; und wo's noch gut geht, machst du dem armen guten Mann Dinge zum Verbrechen, die eher dein Mitleid verdienen sollten. Daß seine Eltern z.B. nicht das Talent hatten, Schätze zu sammeln, wie du, soll das ihnen oder ihm zum Vorwurf gereichen? Waren sie nicht, trotz aller ihrer klemmen Umstände, ehrliche Leuthe? Nähren sich nicht alle ihre Kinder redlich mit ihrer Hände Arbeit? Und Uli selber, dem du Faulheit vorwirfst, fällt nichts schwerer als Müßiggehn. Er soll von Hochmuth strotzen; und von allen möglichen Leidenschaften plagt ihn keine weniger als diese, und kein Mensch von allen die ich kenne, lebt lieber im Verborgnen als er? Daß er mitunter an Lesen und Schreiben ein so grosses Vergnügen findt, was geht das dich an? Läßt er dir nicht auch deine Freude, Batzen zu faucken? Wenn du also nur die Leuth ungeschoren liessest. Aber an dir, Bursch'! wird eben das Sprichwort wahr:


Kein Messer in der Welt schärfer schneidt,

Als wenn der Bettler zum Herren wirdt.


Von des armen Manns Schreibereyen wäre gewiß nichts vor deine Augen gekommen, wenn nicht jene Zeitung den verdammten Lerm veranlasset hätte;[351] liesest du doch sonst nichts als etwa diese, um darinn etwas aufzuschnappen, das du mit deinem Senf wieder auftischen kannst, oder im Calender, und in deinem Rechenbuch. So begehrt auch Uli gewiß weder hervorzuragen noch Figur zu machen, wie du und deine Helfershelfer, die ihre hohe Weisheit auf allen Kirchen- und Marktplätzen, hauptsächlich aber in allen Wirthshausgelagen ertönen lassen, und mit ihrem breiten Maul über Dinge absprechen, wovon sie keine Laus verstehen. Da muß jeder, der nicht nach eurer Pfeife tanzt, Spißruthen laufen. Da werden weder geist- noch weltliche Vorgesetzte geschont. Landsordnungen und Gebräuche, alles liegt euch nicht recht. Euer Wohlweisheiten würden das Ding viel besser machen. Und eben darum hat der arme Mann sich euern Haß aufgeladen, daß er (der doch nach euerm Sinn weit unter euch steht, und sich's wohl herrlich zur größten Ehr' hätte rechnen sollen, bey euch gelitten zu werden) euch vielmehr sorgfältig vermied, und Gespanen suchte die mehr nach seinem Geschmacke waren – oder in deren Ermanglung lieber mit einem redlichen Bauer von Holz und Feld, Heu und Stroh plauderte – oder sich zuletzt mit dem ersten beßten Handwerksbursch unterhielt – wenn er nur euch, Allerweltshofmeister! ausweichen konnte.

PETER. Du redst halt, wie ein Mann ohne Kopf. Heißt das, auf meine Frage geantwortet? Ich fragte dich, was solche Bücherfresser und Papierverderber sich oder andern für Nutzen brächten? Zeig' mir den an,[352] und dann halt's Maul, oder man wird dich's lehren. Sag' also an, deine Tagdiebe und Fantasten, sind sie besser oder reicher als andre?

PAUL. Nur nicht zu rasch, Peterle! Ob sie besser oder nicht besser sind, müssen ich und du dem einzigen Herzenskündiger überlassen. Aber so viel weiß ich wohl, daß sich viele aus ihnen ernstlich bemühen, besser zu werden; und daß jene Geistesbemühungen ihnen auch hierinn vortrefliche Dienste leisten. – Ob sie dadurch reicher werden? – Daß du verdammt werdest mit deinem Geld! Einen solchen Gesell, wie du bist, darf man eben nicht fragen: Was er vor edler halte, Seel' oder Körper? Man weißt es schon, da alle deine und deiner Zunftgenossen Dichten und Trachten nur darauf zielt, euern Madensack zu verpflegen, wenn ihr euch gleich mit all' euerm Silber und Gold nur keinen faulen Zahn wieder gut machen könnt. Mittlerweile jener ihre vornehmste Sorge darauf geht, ihr Herz zu reinigen und ihren Geist auszubilden, und, vergnügt mit der Befriedigung ihrer unentbehrlichen Bedürfnisse, unzählige edle und entzückende Freuden geniessen, die ihr mit euern schielenden Augen nicht einzusehen, mit euerm thierischen Verstand nicht zu begreifen, und euch besonders nie zu dem erhabenen Urquell derselben zu erheben vermögend seyt – so ungefehr wie die Schweine, welche freylich auch die Eicheln unter dem Baum begierig auffressen, ohne sich um den Bau der Frucht, oder um den Schöpfer des Baums zu bekümmern – Was thut indessen Ihr? Mit eurer Naterzunge[353] alle eure Nebenmenschen begeifern, ihre löblichsten Handlungen verkleinern und die unschuldigsten verleumden, ihr Pharisäer! die ihr, mit euerm Schmolk und Habermann in der Hand freylich alle Sonntag zur Kirche läuft, und keine Sylbe von der Predigt versteht oder behaltet; und denn damit wähnt alles gethan, und euch zumal das Recht erworben zu haben, die ganze noch übrige Zeit des Tags das halbe Tockenburg mit eurer falschen Elle zu messen; gegen jeden, der besser ist als ihr, mit Quackern, Duggenmäuslern, Bibelfressern, Jesuiten, Papierleckern und andern derley läppischen Schimpfnamen herumzuwerfen, und, wo ihr an jemand kein einzig offenbares Laster finden könnt, ihm dafür zehn geheime anzudichten; wie ihr's z.E. eben dem armen Manne macht, den ihr geradezu unter die gröbsten Zöllner und Sünder setzt, und ihm besonders solche Fehler andichtet, von denen er am allerweitsten entfernt ist. Doch, seyt seinetwegen nur ohne Sorgen. Seine wirklichen Mängel gestehet er selbst zu allererst ein – und die ersonnenen schiebt er auf den Nacken ihrer Erfinder zurück, lacht euch unter die Nase – oder schweigt, wenn er noch klüger ist. Ueberhaupt aber kann in unserm lieben Land Tockenburg keine noch so heilsame Neuerung, keine noch so gemeinnützige Verordnung, kein noch so löbliches Institut stattfinden, über die ihr nicht mit euern Breitmäulern daherfährt, es auf allen Gassen zu verlästern, und den Einfältigen dagegen in Aufruhr zu bringen sucht.[354] Will's denn öffentlich nicht gelingen, so schleicht sich etwa ein wohlberedtes Mitglied aus eurer saubern Zunft in die Spinnstubeten ein, sitzt mit einem Halbdutzend ebenfalls hochweiser Frauen zusammen, trägt ihnen mit gerunzelter Stirn' und verspreiteten Armen in einer häufig mit Ach! und wieder Ach! unterbrochenen schöngesetzten Sermon den landsverderblichen Casus vor, und ruht nicht, bis diese neuen Amazonen in Feuer und Flammen gerathen, und schwören, Himmel und Erde zu bewegen – und besonders ihre Männer so lang' zu plagen, bis sie sich entschliessen, das Uebel mit Stumpf und Stiel auszurotten. Dabey aber ist es immer ein Glück, theils daß Weiberzorn nie von langer Dauer, theils daß es Gott Lob! auch noch vernünftige Frauen giebt, und ihr so nicht selten anprellt, und euch selbst bey allen Klugen zum Gelächter macht. So gieng's euch z.E. bey Anlaß unsers freylich kostbaren Strassenbaues, wo ihr's auch jedem in's Ohr rauntet, der einfältig genug war, es euch zu leihen: Daß, sobald wir neue Weg' hätten, Krieg in's Land kommen würde. Aber, gelt! euch artigen Herren zu Trotz hat es unsern wohlgesinnten Vorstehern geglückt unser gutmüthiges Volk bald eines andern und bessern so zu belehren, daß sie itzt mit der freudigsten Willfährigkeit wirklich herkulische Arbeiten verrichten, und davon einst, neben dem Nutzen auch gebührendes Lob und Ruhm einerndten werden. Was die moralische und Lesegesellschaft betrift – –[355]

PETER. Ha! Da kömmst du mir eben recht. Man merkt's dir an deinen Plaudereyen an, daß du dich auch schon längst gern' hättest zu diesem Orden einkleiden lassen, der wohl saubre Geheimnisse besitzt, da seine angesehensten Mitglieder in der Beßte ihrer Jahren in's Gras beissen, die witzigsten ausser Lands ihr Brodt suchen mußten, und andre sonst ihr Glück verwahrloset haben, die übriggebliebenen aber das seltsamste Gemisch von curjosen Köpfen, alten Pastoren, dann wieder jungen Herren mit grossen Hüten und weiten Hosen, ausmachen, und itzt gar, wie ich höre, mit einander uneins geworden sind. Wahrlich, eine herrliche Verbrüderung! Gelt, gelt, ich weiß es – –

PAUL. Ja, ja! und Ich weiß es auch, daß solche Spinnen, wie du, aus den schönsten Bluhmen, wo die Biene nur Honig findet, das Gift saugen. Wo ist ein Acker, auf dem nach Verlauf vieler Jahre, nicht auch in irgend einem Winkel Unkraut wächst? Und wenn der beßte, reinste Saamen darein gesäet wird, so ruhet der böse Feind um so viel minder, bis er – und sollt' er die Nacht dazu nehmen – auch etwas von jenem drunter gestreut hat. Und war es nicht auch gerad' so einer, wie du, der den ersten Zunder zu jenem Zwist anblies, der aber, Trotz deiner Schadenfreud', von keinen erheblichen Folgen seyn wird, so daß bald wieder alles in's alte Gleis kommen soll. Indessen, noch einmal: Bey euch, Herren! ist das Vermögen immer die Hauptsach'. Wem das Geld fehlt, der ist in euern Augen schon per se ein unnützer[356] Knecht. Aus der Nähe und Ferne zergliedert ihr die Glücksumständ' eines jeden, den ihr kennt oder nicht kennt, und zählt ihm seine Batzen in der Tasche. Da heißt's bey euch bald alle Tag: Huchhey! Dort liegt auch wieder ein Kalb auf dem Schragen – A. liegt schon in den letzten Zügen – B. pfeift ebenfalls auf dem letzten Löchlin – und C. muß wenigstens capituliren. Doch habt ihr eben auch schon manchem längst zu Grabe geläutet, der, zu euerm grossen Herzenleid, heutigen Tags noch so frisch und gesund ist, als einer, und wohl auch alsdann noch aufrecht wie ein Bolz stehen wird, wenn – Ihr wenigstens ihm die Todtenglocke nicht mehr zieht. Freylich müßte vielleicht mancher noch so haushältersche Ehrenmann Hof und Heimath mit dem Rücken ansehn, wenn alle Menschen so dächten wie ihr, ihr unerbittliche Treiber – der schuldlosen wie der schuldigen Armuth! Ihr schwarzgallichte Unglückskocher – Ihr – –

PETER. Wie? – Was? – Bin ich nicht ein Narr, einer solchen Schandgosche, wie deine, so lang zuzuhören – und dich nicht lieber krumm und lahm zu schlagen, du S***! – Aber, nur Geduld! es soll dir nicht geschenkt seyn.

PAUL. Hätt'st Courage, ich weiß wohl, würdst du gewiß nichts sparen. Aber es ist eben ein Glück, daß du und fast alle deines Gelichters nur dapfer mit dem Maul sind. Ich vor mich hab' dir gerad' von der Leber weggeredt; und zwar nicht meines Vortheils wegen, sondern um die gekränkte Ehre vieler guten Menschen überhaupt, und des armen Mannes seine insbesonders,[357] gegen dich und deinesgleichen in Schutz zu nehmen. Itzt bin ich fertig; mein Herz ist geräumt, los und ledig von allem weitern Grimm und Groll; und füg' ich nur noch den einzigen wohlmeynenden Wunsch bey: Daß ihr könftig liebreicher und behutsamer von euern Nebenmenschen – –

PETER. Und Ich wünsch' dir alle Schwernoth auf den Buckel, du vertrackter Erzschurke, du! Man hört's nun, wie gut du von ehrlichen Leuthen denkst, die in ihrer Einfalt an ihrem Nächsten, ohne ihn darum zu hassen, freylich nicht nur seine Tugenden, sondern auch seine Mackel sehn.

PAUL. Das wußt' ich wohl. So wenig ein Mohr seine Haut, oder ein Pardel seine Flecken ändern kann, so wenig können die eines gutmüthigen Sinns werden, die eines böswilligen gewohnt sind. Ihr haßt keinen Menschen, sondern nur ihre Thorheiten und Laster – nicht wahr? Aber, wer ist in euern Augen tugendhaft? Gewiß keiner, der nicht euer Lied singt – brav Geld zusammenscharrt, und besonders – euch in allen Dingen den Vorzug läßt. Uebrigens seyt ihr einander selbst nicht treu, keiner traut, jeder betriegt den andern, oder schlägt ihm wenigstens ein Bein unter; und nie seyt ihr einig, als wo's drauf losgeht, den Drittmann zu übertölpeln, oder wettzueifern, wer auf seinen Mitchrist am meisten Böses – sey's nun wahr, halbwahr oder erdichtet, bringen kann. Doch, ich bin müde, länger eure schlimme Seite zu schildern. Die gute aber mögt ihr selbst zeigen. Wohlbekomm's, meine Herren! Adieu![358]

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 346-359.
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