XLIX. Von Menschen / so unter der Erde wohnen.

[791] Es ist nicht unbillig, daß es Leuten wunderlich fürkommet, wenn man ihnen saget, daß Leute unter der Erde wohnen / welche weder Sonnen-Monden- oder Sternen-Licht erblichen; gleichwohl aber kan es nicht wohl geläugnet werden, wenn man die Zeugnisse derjenigen überleget, welche aus eigener Erfahrung hiervon geschrieben haben, und gedencket derer Hermann Süden Part. I. pag. 803. in seinem gelehrten Critico, welches er aus Kircheri Mundo subterraneo lib. 8. cap. 3. gezogen, folgendes:[791] Es beschreibet Gaffarellus in seinem Buche de Cryptis toto orbe celebribus die unter-irdische Städte gar weitläufftig. Ich hätte nicht geglaubt, daß die Sache sich also verhielte, wann ich nicht dergleichen Wohnungen an drey unterschiedenen Orten mit meinen Augen gesehen hätte. Denn als ich mich Anno 1637. zu Malta aufhielte, begab es sich, daß ich mit dem damahligen Groß-Meister der Johanniter-Ritter / Johanne Lascari, an einem Tage in einem schönen Thal ging, welchen sie Bucetta nennen; als wir daselbst von der Beschaffenheit und Eigenschafft der Insul Malta unterschiedenes miteinander discurirt hatten, sagete gedachter Groß-Meister / es wäre auf dem benachbarten Hügel eine unter-irdische Wohnung /woselbst sich Leute befänden, so ihm unterthan wären, und solte ich nur mit ihm gehen, und sehen, mit was für wunderwürdigem Fleiße diese Leute solche Höhlen und Wohnungen zu machen wüsten. Weil mir nun nichts angenehmers hätte begegnen können, so begabe ich mich mit einem Führer, welcher des Weges und der Grufft kundig ware, zu solcher Wohnung, die man auf Arabisch Ghaarkebir, oder die grosse Höhle nennete.1 Als ich durch das grosse Thor gegangen war, fande ich[792] daselbst viel Leute von beyderley Geschlechte, Knaben und Mägdlein / so nach Bauer-Art gekleidet waren. Ob es nun gleich schien, als wann sie alle gantz verwirret untereinander wohneten, so hatte doch eine jede Familie ihr eigen Behältniß / es mochte solches von der Kunst oder von der Natur also verfertiget seyn. Sie hatten in solchen Fächern ihre Nahrung, jede absonderlich liegen; hier war ein Bett in den Felsen / dort ein Schranck zum Brodt und Käse, an einem andern Ort præsentirte sich ein Küh-Esels und anderer Vieh-Stall, ja man sahe auch die Hüner-Nester, ingleichen irdene Gefässe, worinnen Wasser war; an der Wand hiengen Reihen von Zwiebeln und Knobloch: sie hatten auch Back-Oefen, durch derer Löcher das Licht so artig in die Höhlen fiel, daß sie gleichwohl vom Regen und Wind nicht beschweret wurden. Die Oefen hatten auch Feuer-Mauren, damit nicht die Leut in der Grufft möchten erstickt werden. Am Tage giengen die Bauer-Männer ausserhalb der Höhle, auf ihre Arbeit, und verschaffeten aus den benachbarten Orten Nahrung; die Weiber aber spannen am Rocken, macheten Käse, und verrichteten andere weibliche Arbeit. Weil aber die Leute kein Holtz hatten, so dörreten sie Vieh-Mist[793] an der Sonne / und macheten damit Feuer an; Sonst waren diese Leute starck, lang von Person, und lebeten lange, auch hatten die Weiber ein feines Ansehen: sie liebeten ihre Höhlen so sehr, daß, wann sie ausser denselben entweder etwas zu verkauffen oder einzukauffen hatten, auf die Insul gehen musten, sie gleichsam schienen, im Exilio zu seyn, und nach verrichteten Geschäfften alsobald wieder in ihre Löcher giengen, und nicht eine einzige Nacht ausser denselben geblieben wären. Sie assen kein Fleisch /sondern verkaufften solches andern, und waren nur mit Brodt / Käse / Milch / Zwieblen / Knoblauch und Kräutern zufrieden. Damit mich nun der Groß-Meister dessen versichern möchte, ließ er einen Tisch zubereiten, und auf dessen einer Seite allerhand Fleisch und niedliche Speisen, auf dessen anderer Seite aber Käse, Zwiebeln und Knoblauch aufsetzen. Hierauf ließ er seine Küchen-Bediente, so er aus selbiger Höhle zu seinen Diensten angenommen, ruffen und zu Tische sitzen, welche dann das Fleisch und an dere gute Tractamenten nicht einmahl anrühreten, sondern gantz heiß-hungerig auf die ihnen gewohnte Speisen zufielen, und solche mit gröstem Appetit hinein assen.[794]

Nachdem Kircherus solches erzehlt, spricht er: Hieraus könne man sehen, daß Solinus, Plinius und Ælianus keine Lügen vorgebracht, wann sie geschrieben: Man habe am rothen Meer Leute / welche unter der Erden wohnen.2 Damit aber gedachter Kircherus seine Meinung besser behaupten könne, so saget er weiter: daß man auf der Insul Gozo, nicht weit von Malta, eben dergleichen unter-irdische Wohnungen anträffe; Er schreibt: Es bedienen sich die Leute daselbst der reinen Arabischen Sprache, ohne einige Vermischung mit der Italiänischen. Dannenhero werden auch die Einwohner von den Maroniten, wenn sie auf den Berg Libanum aus Italien zurück reisen, und zu Malta auf gut Wetter warten, besuchet, welche allda in Arabischer Sprache Messe lesen, und die Christliche Lehre auslegen: dann diese unter-irdische Leute sind nicht etwa Heyden, sondern Catholische Christen / welche ihr Gebet alle Tage mit sonderbarer Andacht verrichten, ihre Rosen-Kräntze fleißig durchbeten, und an die benachbarten Orte an Fest-Tagen in die Messe gehen: Sie haben auch in ihren Höhlen Crucifix und Bilder der Heiligen Jungfrauen Marien an gehörigen Orten stehen. Als gedachter Kircherus[795] Anno 1659. Hetrurien besuchete, und zu gewisser Zeit das Land bey Viterbo erforschete, gieng er über eine Wiese, auf welcher stetiger Rauch in die Höhe stieg, Kircherus verwunderte sich darüber und meinete, es müssen allda Schwefel-Gruben seyn: Deswegen fragete er seinen Gefährten, was solcher Rauch bedeutete? dieser lachete ein wenig, und sagete zu Kirchero: Dieser Rauch wäre nicht etwa eine Ausdünstung der Erden, sondern er käme aus den Feuer-Mauren der unter-irdischen Wohnungen her, und suchete auf solche Weise seinen Ausgang; Hierauf zeigete er ihm nicht weit davon eine Thüre, welche in diese Höhle führete. Sie giengen mit einander hinunter, und funden alles, gleichwie in der Insul Malta, in guter Ordnung, indem ihre Stühle, Betten und andere Dinge mehr, in den Felsen gehauen waren: dieses Dorff hieß Meonien, und gehöret dem Fürsten Camillo-Pamphilio.


Gleicher Gestalt haben die Jesuiten berichtet, daß sowohl die Brachmanen auf dem Berge der Pagoden als auch das gemeine Volck in unter-irdischen Oertern wohnen: Ingleichem hat P. Petrus Pais gemeldet, daß die Leut in Africa bey den Montibus Lunæ sich in denen Höhlen[796] der Berge, wider der Sonnen Hitze aufhielten.3 Eben dieses bezeuget Marcus P. Venerus von den Bergen am Caspischen Meer / in deren Höhlen viel Leute wohnen. Und daß die Christen unter den grossen Verfolgungen in unter-irdischen Höhlen bey der Stadt Rom sich aufgehalten haben, bezeuget Kircherus in Roma Subterranea.


Von dem Dorff Tobrinizi in Ungarn / nicht weit von Grigisch-Weissenburg / schreibt Georg Christoph Neitschitz in seiner Reise-Beschreibung: Part. 2. L. 1. cap. 4. Es ist ein Dorff unter der Erden; Oben über der Erden siehet man nichts mehr davon als etwa die Dächer von den Häusern, die Wohnungen aber sind alle unter der Erden eingeschnitten, und eingebauet, welches seltzam und wunderlich anzusehen: Es ist aber nicht dieses Dorff Tobrinizi allein auf solche Art gebauet, sondern derer noch vielmehr in dem sogenannten Raitzen-Lande / welche bloß allein in Löchern, so sie mit ihren Händen gemachet, sehr armselig wohnen, und nur oben etliche Sparten darüber gemachet, so mit Latten und Stroh gedecket, und Graben umher gegraben, daran das Regen-Wasser abrinnen, und nicht in[797] ihre Hütten lauffen kan. Es sind arme Leute / und leben unter dem Türckischen Joch sehr miserable, wovon viel allhier zu schreiben wäre, halte es aber für unnöthig, weil es sehr und vielfältig bekannt ist.


Guilielmus Neubrissensis erzehlt, in Rerum Anglicarum Revolutionibus: Lib. 1. cap. 26. pag. 91. Es sey ein Dorff im Occidentalischen Theil von Engelland, vier oder 5. Meilen vom Kloster S. Edmundi, gelegen, bey welchem man unterschiedene alte Höhlen siehet, so insgemein Wulfputes oder Wolffs-Gruben genennet werden, wovon auch gedachtes Dorff seinen Nahmen bekommen hat.4 Aus einer von solchen Höhlen, kamen einst zur Sommers-Zeit, da die Bauren ihr Getreyde abmeheten, zwey Kinder hervor / welche über den gantzen Leib grüne, und mit wunderlichen Kleidern versehen waren; da sie nun durch des neuen Himmels Anschauen gantz verblendet wurden, und in den Feldern hin und wieder taumelten, wurden sie von den Schnittern gefangen, und in besagetes Dorff gebracht, wohin eine grosse Menge Leute, dieses ungewöhnliche Ding zu sehen, gelauffen[798] kamen: Diese Kinder lebeten etliche Taliche Tage allda ohne alle Nahrung, und konten durchaus nicht bewogen werden, etwas von denen Speisen zu geniessen, welche die Leute selbigen Dorffs assen; Endlich wurden sie gar wegen anständiger Nahrung / Sterbens-kranck; es begab sich aber, daß eben zu der Zeit ein Mann mit einem Wagen voll Bohnen-Stroh vorbey fuhr, da sie dann, so bald sie selbiges ansichtig worden, mit grosser Begierde auf den Wagen zufielen, als sie aber in den Bohnen-Schalen nichts funden, gaben sie ihr Unglück mit vielem Heulen und Weinen zu verstehen. Da nun die Einwohner selbigen Ortes merckten, daß sie eine Begierde nach Bohnen hätten, setzten sie ihnen alsobald frische Bohnen auf, welche sie mit grosser Begierde und Freude, als ihre eigene Nahrung, assen, und in etlichen Monathen nichts anders, als solche Bohnen zu essen begehrten, biß sie endlich nach und nach Brodt essen lerneten. Da sie sich nun an die Speise, welche die Leut selbiges Ortes genossen, gewöhnet hatten, verwandelte sich ihre grüne Farbe in die Gestalt anderer Leute. Nach diesem wurden sie getaufft und lerneten[799] die Englische Sprache. Der Knabe, welcher jünger als das Mägdlein zu seyn schiene, starb nach empfangener Tauff, seine Schwester aber, welche in der Leibs-Gestalt andern Weibs-Personen gantz ähnlich war, lebte noch lange hernach, und soll bey Lenna geheyrathet haben. Da sie nun die Englische Sprache verstund, und gefraget wurde, wer, und woher sie wären? hat sie geantwortet: sie wären Leut aus dem Lande des Heiligen Martini / allwo dieser hoch verehret würde: Man fragete sie weiter, wo dann dasselbe Land wäre? und wie sie an diesen Ort gekommen? worauf sie geantwortet: sie wisse es nicht, so viel aber habe sie noch in frischem Gedächtniß: als sie zu gewisser Zeit ihres Vatters Vieh gehütet, hätten sie einen Klang gehöret, wie der in des Heiligen Albani Kirch ist, und da sie durch denselben wären bestürtzt gemachet worden, wären sie weiter fortgangen, und endlich an den Ort gelanget, wo sie wären gefangen worden. Da sie nun ferner gefraget wurde, ob man in gedachtem Lande den wahren lebendigen GOTT anbetete, und an JEsum Christum den einigen Heyland und Erlöser der gantzen Welt glaubte, ob ihnen auch daselbst die Sonne jemahls[800] scheinete? antwortete sie aufs erste: Das Land wäre Geistlich, und mit Kirchen versehen; auf das andere sagete sie: Die Leuth daselbst sehen die Sonne weder auf- noch untergehen, würden auch durch keine Sonnen-Strahlen beleuchtet, sondern genössen eines unbekanten Lichts, welches fast auf die Art, als wie bey uns die Dämmerung vor der Sonnen Aufgang, oder nach derselben Untergang beschaffen sey. Nicht weit davon aber wäre ein viel heller Land, so von ihnen durch einen breiten Fluß abgesondert wäre: Diese wunderliche Begebenheit hat sich 1140. unter dem Könige Stephano zugetragen.

Wie aber diese Leuthe an solche unter-irdische Oerter kommen, davon discurirt Kircherus also: Es habe dieses zur Pest- oder Krieges-Zeit geschehen können, da die meisten Leuthe, wann sie durch die Flucht ihr Leben erhalten wollen, sich in die verborgene Löcher der höchsten Berge, als in eine sichere Frey-Stadt, wider der Feinde Nachstellungen begeben, und damit sie nicht an benöthigten Sachen Mangel leyden mögen, Vieh, Kühe, Brod, Saamen, Linsen, Früchte, und was sonst zu Erhaltung des Lebens nöthig ist, mit sich zu nehmen pflegen, welches man in vorigen Zeiten zur Gnüge[801] erfahren hat; absonderlich da Deutschland in den 30. jährigen Krieg verwickelt gewesen.5 Gleicher Gestalt, saget Kircherus, hätten sich die ersten unterirdischen Leute, als sie vor ihren grausamen Verfolgern geflohen, in die Hölen verborgen, woraus sie sich nicht wieder finden können, und sey es wahrscheinlich, daß jemehr sie einen Ausgang gesuchet, je mehr hätten sie sich verirret, bis sie endlich in solch weitläufftiges Land unter der Erden gekommen, und nach Göttlicher Providentz darinnen bleiben müssen. Eben dieses sey den Jüden auf denen unwegsamen Behältnissen des Caspischen Gebürges begegnet. Ferner sey auf den Spanischen Bergen zur Zeit Königs Philippi Tertii eine neue Colonie Menschen entdeckt worden, welche sich ohne Zweiffel auf vorgedachte Art dahin begeben, und viel hundert Jahre ohne anderer Leut Gesellschafft daselbst gelebet, auch eine gantz unterschiedene Sprache gebrauchet, so biß auf selbige Zeit verborgen geblieben, biß endlich durch Jäger dieselbe Landschafft entdecket, und die Leuth, so ohn alle Zucht daselbst gelebet, von denen Jesuiten allda sind bekehret worden. Gleicher Gestalt berichtet Franzius, daß anno 900. in Siebenbürgen eine solche Art Leuthe aus den Ritzen[802] und Bergen hervor gekommen, welche das damahls noch einige Beeten-wüste Land angebauet und bewohnet hätten: Hieher kan auch wohl genommen werden, was unter dem Titul von Zwergen im 39sten Capitel von einem Prediger, Heliodoro, erzehlet worden, welcher auch eine geraume Zeit in solche unterirdische Oerter kommen ist.

Marginalien

1 Beschreibung einer solchen Höhle unter der Erden.


2 Leute / so am rothen Meer und anderswo unter der Erde wohnen.


3 Noch unterschiedliche unter der Erden wohnende Menschen.


4 Wunderbare Art Menschen / so unter der Erden wohnen.


5 Wie die Leute an solche unterirdische Oerter kommen.


Quelle:
Bräuner, Johann Jacob: Physicalisch= und Historisch= Erörterte Curiositaeten. Frankfurth am Mayn 1737, S. 791-803.
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