L. De Diebus criticis & Annis climacteribus.

[803] Dies criticus wird von den Medicis genannt der siebende Tag, nachdem jemand in eine Kranckheit gefallen, allwo sie davon halten, daß die Kranckheit entweder nachlassen werde, oder sich vermehren, und diese Regel ist auch ziemlichen gegründet.1 Denn solche Veränderung entstehet von der Bewegung des Mondens; Denn weil auf jeden siebenden Tag der Mond zu einem andern Zeichen überläuffet, so schliessen daher die Medici wahrscheinlich, daß an diesem Tage die Kranckheit werde nachlassen, wann das Zeichen der Kranckheit zuwider sey, oder sich vermehren, und mehr zunehmen, so das Zeichen mit der Kranckheit[803] Gemeinschafft haben werde. Es scheinet wohl, als ob diese Regel deßwegen Grund habe, aber es hat viel hundertmal gefehlet, daß diese Tage nicht zugetroffen haben, und stehet der Menschen Gesundheit, Leben und Tod nicht in der Gewalt des Monds noch der himmlischen Zeichen, sondern eintzig und allein in der Hand des HErrn.2 Nun weiß jeder ja wohl, daß, wann ein Patient in eine jählinge hitzige Kranckheit fället, und damit 7. Tage gestritten, daß in solcher Zeit die Natur also entkräfftet wird, solche grosse Hitze ferner auszustehen, sonderlich wenn der Leib in so viel Tagen keine natürliche Speisen geniesset, und wo alsdann solches noch länger anhalten solte, daß der Mensch unfehlbar sterben müsse; wie wir dieses zum Exempel setzen: Wann man einen gesunden Menschen 10. Tage sonder Speise lassen solte, daß derselbe gewiß in solcher Zeit verhungern und den Lebens-Geist aufgeben müsse, wie vielmehr wird dann einem Krancken geschehen, wenn dessen Magen in so viel Tagen nichts geniessen würde. Die gemeinen Leuthe nennen es auch Looß-Tage oder Loosel-Tage, es hat aber damit eine andere Bewandnüß, denn diejenige Tage werden Loosel-Tage genannt, da man aus der gemeinen Erfahrung und langem Gebrauch wahrgenommen hat, daraus die[804] Acker-Leute, Jäger, Fischer, Hirten, und die sonst mit Feld-Arbeit umgehen, wann sie trocken oder naß seyn, allerhand Muthmassungen machen.3 Dahero unsere Vor-Alten von Pauli Bekehrungs-Tage diese Verse bekannt gemachet:


Clara dies Pauli bona tempora denotat anni,

Si fuerint venti, designat prælia genti,

Si fuerint nebulæ, pereunt animalia quæque,

Si nix aut pluvia, designat tempora cara.


Das ist: wenns an Pauli Tag klar und hell ist, so bedeutet es ein gut Jahr; ists windig, Krieg und Streit; Ists nebelicht, Sterben; Schneyet oder regnets, bedeutet es Theurung.4 In Holland macheten sie deßwegen einen ströhernen Puill, setzten ihn in einen Winckel bey dem Herd, wo sie Kuchen backeten, und schmissen ihn mit Butter-Kuchen, wann der Tag helle war, wo nicht, so warffen sie ihn ins Wasser, vid. Voet. p. 3. disput. select. p. 172. und von dem Tage St. Martini saget man:


Si pluit in festo processus Martiniani,

Quinquaginta dies continuare solet.


Das ist: So es auf Martini Fest regnet, so wird es noch fünffzig Tage damit anhalten. Diese Art der Weissagung wollen wol einige zulassen,[805] aber Verständige halten wenig davon: denn haben solche Regeln zuweilen einmahl zugetroffen, so haben sie hingegen zehenmahl gefehlet.

Von den Annis climacteribus wird auch ein grosser Aberglaube gemachet, ja selbst Leute, so mit unter die Hochgelehrte zu zehlen, wollen auf solche Jahre Reflexion machen, und gewiß dafür halten, daß in dem 7. oder 9. Jahr einige Veränderung bey ihnen in der Natur vorgehen werde, man hüte sich aber, daß man aus solchen Sachen keine Abgötterey treibe, noch solches bestättigen helffe, denn sie treffen nicht ein, darum soll man auch nicht auf solche halten. Es seynd, wie gemeldet, ein annus climactericus die siebende u. neunte Jahr der Menschen, welche, so sie mit einander multipliciret werden, annum climacterium magnum, oder das drey und sechszigste Jahr ausmachen. Welches Jahr für ein ungesundes Jahr gehalten wird, weil sie dem Menschen entweder den Tod, eine grosse Kranckheit, oder eine grosse Verfolgung bedeuten sollen, wie Cœlius Rhodiginus und Levinus Lemnius lib. 2. de occult. mirac. natur. Cap. 3. schreibet. Septimum quemque annum ætati signum imprimere, und bey Gellio lib. 15. ist zu lesen, Cap. 2. daß viel fürnehme Leut,[806] viel auf dieses 63. Jahr gehalten: allein, fürnehme Leut können auch fehlen: Ich für meine Person, habe bey erreicheten Jahren allemahl nachgerechnet, was sich bey meinem Lebens-Lauff in solchen Staffel-Jahren für Veränderungen erzeigen würden, sonderlich hab ich auch das grosse Staffel-Jahr, oder das 63. wohl observirt, aber allezeit befunden, daß eine Zeit wie die andere gewesen, und hab ich in meinem 63. Jahr keine absonderliche Anmerckung gegen andere Jahre verspühren können: heisset demnach wohl: wie du glaubst, so geschiehet dir.


Es ist zwar bekannt, daß offtmahl etwas in solchen Jahren bey dem Menschen fürgefallen, welches anmerckungswürdig gewesen, so man hernach diesem Jahr zuschreiben wollen. Solches aber ist nicht um des 7. 9. oder 63. Jahres willen, sondern vielmehr zufälliger weise geschehen. Und hat hierinn auch Bodinus gantz recht, wenn er saget: Gemeiniglich wiederfähret einem aus gerechter Straffe GOttes das Unglück, welches er ihm festiglich einbildet und glaubet. Dem aber, der nicht achtet, was nicht zu achten ist, wird auch nichts wiederfahren. Daher kan genommen[807] werden, was Plutarchus in vita Crassi erzehlet, von dem Sohn Crassi, daß, als er in die Schlacht wider die Parther ausziehen wollen, er sich also an seinem Fuß verletzt, daß er zur Erden niedergefallen: dahero wurde fest geglaubet, daß er in der Schlacht umkommen würde, so ihm auch wiederfahren. Solchs ist auch an Tiberio Gracho erfolget: wie Valerius Maximus Lib. 1. cap. 4. bezeuget, und ist bekannt, wie Tibullus schreibet, lib. 1. eleg. 3.


O quoties ingressus iter, mihi tristia dixi,

Offenium in porta sigua dedisse pedem.


Darum hüte sich jedweder Christglaubiger Mensch, daß er sein Hertz ja nicht abwende von der wahren Gottseligkeit, von dem Gebet und Zuversicht zu GOtt, ohne dessen Willen ihm kein Haar von seinem Haupt fallen kan, weniger ihm ein Unglück begegnen.

Zum Beschluß dieses Capitels und auch dieses gantzen Büchleins, wollen wir noch mit wenigen der Wunder-Zeichen gedencken, durch welche wir dafür halten, daß in solchen gleichsam eine Abweichung der Natur geschehe; und ein künfftiges Glück oder Unglück angezeiget werde.5 Bey den Lateinern werden sie[808] auch darum Monstra und portenta genannt, quia monstrant & portendunt aliquid, dieweil sie etwas sonderliches anzeigen und andeuten sollen: als zum Exempel, ob es ein gewisses Zeichen sey, daß ein Mensch sterben werde, wenn die Hunde und Katzen ungewöhnlich heulen und mauen; oder ob man auf das Klopffen, Pochen und Fallen, so zuweilen gehöret wird, gewiß schliessen könne, daß, wo solches geschicht, eines im Hause oder in der Nachbarschafft sterben werde. Was das ungewöhnliche Heulen der Hunde betrifft, so haben dasselbe die Alten allezeit für ein böses Zeichen geachtet. Denn da die Messenier mit den Lacedæmonier kriegeten, haben sie zuvor die Hunde ungewöhnlich heulen hören, worauf ihr Untergang erfolget, wie Pausanias in Messen. bezeuget, und Seneca Oedip. act. 1. rechnet es auch unter die unglückseligen Zeichen. Aber dieses ist bey den Heyden und Unglaubigen geschehen. Ich aber rathe treulich, daß man lieber diese Frage mit Stillschweigen übergehe, und mit stiller Gedult GOtt dem HErrn alles anbefehle, als mit grosser Vermessenheit daraus etwas von Glück und Unglück prophezeyen wolle.

Marginalien

1 Dies criticus, was solches für ein Tag ist.


2 was davon zu halten.


3 Loosel-Tage, was solche seyen.


4 Aberglaube davon.


5 Von einigen Wunderzeichen.


Quelle:
Bräuner, Johann Jacob: Physicalisch= und Historisch= Erörterte Curiositaeten. Frankfurth am Mayn 1737, S. 803-809.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristophanes

Lysistrate. (Lysistrata)

Lysistrate. (Lysistrata)

Nach zwanzig Jahren Krieg mit Sparta treten die Athenerinnen unter Frührung Lysistrates in den sexuellen Generalstreik, um ihre kriegswütigen Männer endlich zur Räson bringen. Als Lampito die Damen von Sparta zu ebensolcher Verweigerung bringen kann, geht der Plan schließlich auf.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon