Erster Auftritt.

[67] Die Königin sitzt, wenn der Vorhang aufgezogen wird, am Tische links. Doris Quinault, die aus einem Buche vorliest, neben ihr, nach der Mitte der Bühne zu. Marquise de Boufflers beiden gegenüber an der anderen Seite des Tisches. Prinz Conti und Saint-Lambert am Tische rechts am Schachbrett.


QUINAULT lesend.

»Was ich getan, ich tat's für beßre Zeiten,

Ich leb' im Elend, aber nicht vergebens,

Die Hoffnung möge ferner mich begleiten,

Als Tröstung für die Leiden meines Lebens.«


Kurze Pause.


CONTI UND LAMBERT verlassen das Schachbrett.

KÖNIGIN. Das Gedicht ist sehr wahr und schön, liebe Quinault. Ach, seinem Autor mag es wohl manchen Trost gewährt haben, ihm, der sich an den Schöpfungen seiner Einbildungskraft entschädigen konnte. – – – Es ist schon[67] spät, meine Lieben; ich besorge, wir müssen auf den Besuch verzichten, den uns Vetter Conti und Kapitän Saint-Lambert in Aussicht gestellt haben.

CONTI. Ew. Majestät, fast muß ich fürchten, wortbrüchig geworden zu sein. Ich habe zu Choiseuls Charakterfestigkeit nie Vertrauen gehabt, aber des Kapitäns Erzählung war schuld.

LAMBERT. Noch gebe ich's nicht ganz verloren, Majestät – wenigstens traue ich d'Amboise so viel Ehrenhaftigkeit zu, daß er Frankreichs Königin nicht ohne Antwort lassen wird.

KÖNIGIN. Glauben Sie das nicht, Lambert! – Nachdem man mir durch mehr denn zwanzig Jahre keinerlei Entehrung ersparte, wird man am wenigsten da Höflichkeitsrücksichten walten lassen, wo man mir den letzten tödlichen Streich versetzt. Ich habe im Leben so viel geweint, daß diese kleine Erbärmlichkeit mir keine Träne mehr entlockt. – Mein Entschluß steht fest! – Wenn das Ungeheure geschieht, und diese Generation nicht darob errötet, wenn kein Kabinett Europas das Schwert für eine schutzlose Frau in die Schale der erbärmlichen Gerechtigkeit dieses Landes zu werfen wagt – dann – Herb. dann werde ich – unterzeichnen!

CONTI erbleichend. Majestät!!

ALLE fahren erschrocken auf.

KÖNIGIN. Still, Vetter, ich will's! – Die wenigen Jahre, die mir der Gram noch übrig lassen mag, werde ich der Pflege meines königlichen Vaters, dem Andenken meiner Kinder widmen, die ich in dem undankbaren Frankreich lassen muß. – Vetter, veranlassen Sie alles Nötige zur Abreise. Habe ich die Scheidungsurkunde gezeichnet, verlasse ich dieses freudenlose Land für immer.

CONTI. So erlauben Sie mir, hohe königliche Frau, daß ich Sie begleiten darf. Meine Güter in der Provence und Anjou werde ich verkaufen, dies lügnerische Zeichen Er reißt das Malteserkreuz empört von der Brust. einer Größe und Entsagung, die ein hohler Schall für diese Welt geworden,[68] will ich von mir werfen, damit die Welt sagen kann, Maria von Frankreich habe wenigstens einen Freund gehabt!

BOUFFLERS. O nehmen Sie uns mit, Majestät!

LAMBERT. Diese letzte Gnade –

QUINAULT einfallend. Und auch Ew. Majestät arme. Dienerin –

KÖNIGIN. Nicht doch, meine Kinder, nicht also. – Sie tun unrecht, Prinz, auf die Würde zu verzichten, die Ihnen ein Land gegeben, das selbst im Falle noch groß ist. Der Ehrenschmuck, den Sie von Ihrer Brust reißen, ist das heilige Zeichen unserer Erlösung, der Erlösung zu jenem fernen Gosen des Friedens, der Liebe, ist die Oriflamme der Befreiung unserer Seele von der Kleinheit dieses armen Daseins!

CONTI entschlossen. Ew. Majestät werden mich nicht zwingen wollen, daß ich selbst gegen Ihren Befehl Ihnen folge!

BOUFFLERS. O, erlauben Sie es uns!

KÖNIGIN reicht Conti und der Marquise die Hand zum Kuß. Ich danke Euch, lieber Vetter, und Ihnen, meine treue Boufflers. Wenn Ihr's denn wollt – sei es so – aber keinesfalls werde ich zugeben, daß Saint-Lambert, am wenigsten, daß mich die arme kleine Quinault begleite.

SAINT-LAMBERT UND QUINAULT sind herangetreten, letztere sinkt ihr zu Füßen und bedeckt ihre Hand mit Küssen.

KÖNIGIN. Lieber Lambert, Sie sind mittellos, der Degen ist Ihr Gewerbe, und es ist ein edles. Dienen Sie Frankreich ferner, bewahren Sie Ihre Kraft meinem königlichen Sohne, dem Dauphin, damit es ihm gelingen möge, die Lilien aus dem Staube zu erheben. Sie legt die Hand auf Quinaults Haupt. Sie, ma mignonne, müssen Ihrem Berufe folgen. Sie sind jung, schön, voll Talent, geachtet und geliebt von jedermann; verlassen Sie den ehrenvollen Pfad des Ruhmes nicht, liebes, teures Mädchen Sie küßt sie bewegt auf die Stirn. und wenn Sie unglückliche Königinnen, gekränkte Frauen und Mütter, beklagenswerte Töchter darzustellen haben, werden Sie um – das Vorbild nicht verlegen sein. Sie preßt die Hand an die Stirn, dann steht sie auf.[69]

QUINAULT erhebt sich.

DIE ÜBRIGEN treten zurück.

KÖNIGIN. Lebt wohl für heute, Kinder! – Matt. Kommen Sie in mein Kabinett, liebe Boufflers. – Sie wendet sich zum Gehen.

CONTI, SAINT-LAMBERT UND QUINAULT verbeugen sich.

DIENER durch die Mitte, bringt auf einem silbernen Teller einen Brief.


Quelle:
Albert Emil Brachvogel: Narziß. Leipzig [o.J.], S. 67-70.
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