Fünfter Auftritt.

[76] Narziß. Doris Quinault. Colette.

Volle Beleuchtung.


QUINAULT. Guten Abend, lieber Narziß!

NARZIß fährt zusammen.

QUINAULT. Sie haben recht lange auf mich warten müssen. Indem sie sich wendet. O, Sie haben mir meinen Pagoden zertrümmert!

NARZIß. Ich habe aus Langerweile Vorsehung gespielt. Beruhigen Sie sich, Doris, es gibt in der Welt so viele Pagoden, daß es keine Rarität mehr ist, einen unter den Nippsachen zu haben. – Sie scheinen auch nicht sehr heiter zu sein, Sie waren bei der Königin und bringen wahrscheinlich das versprochene Resultat?

QUINAULT. Ich bringe es, Narziß. Zu Coletten, die den Leuchter auf den Tisch gestellt. Nimm die Scherben fort, Colette, und laß uns allein.

NARZIß während Colette die Scherben in die Schürze rafft. Scherben und Kehricht und der Jüngste Tag!

COLETTE geht durch die linke Mitteltür ab.

QUINAULT. Was meinen Sie damit?

NARZIß. Den Jüngsten Tag, wo alle Pagoden zusammengeleimt werden. Es wird eine defekte, aber recht ehrbare Versammlung geben.

QUINAULT. Ich verstehe Sie nicht, lieber Narziß, nur fühle ich, wie düster es in Ihrer Seele aussieht. Sich umsehend. Wir sind allein, Rameau, ich erwarte jeden Augenblick den Herzog Choiseul, er wird hierherkommen.

NARZIß. Choiseul?! Was, der Feind der Königin, der Vertraute der Pompadour?

QUINAULT. Er ist es nicht mehr. Er hat die Sache seiner unglücklichen Königin ergriffen, denn der Augenblick ist gekommen, um ihr zu ihrem Rechte zu verhelfen!

NARZIß. Du fabelst, Mädchen!

QUINAULT. Sie werden es selbst sehen, Narziß. Die Marquise de Pompadour wird vom Hofe entfernt und Maria[77] Leszczynska wieder Königin von Frankreich werden. Alles ist vorbereitet, es wird, es muß gelingen, uns fehlt nur der Beistand, die treue Hingebung, die stolze Todesverachtung eines Mannes!

NARZIß. Was Teufel, und wer ist's denn?

QUINAULT. Es ist ein Mann von großem, edlem Gemüt, von trefflichen Talenten, wert, daß man ihn mit Achtung nenne in der Welt; er ist unglücklich, verachtet, aber im Unglück bei der Verachtung der Welt groß – es ist Narziß Rameau!

NARZIß. Mädchen, bist du rasend, bist du toll?? – Treibe keinen Spott mit mir! – Ich bin nicht dumm genug, zu glauben, was du sagst, nicht Narr genug, mir einzubilden, daß ich der Königin einen solchen Dienst zu tun vermöchte!

QUINAULT. Du bist's! Du wirst es tun! Das ist die Tat, die ich dir aufgespart habe, für die ich Ehre und Leben wagen möchte, wenn du sie tust!

NARZIß. Aber mir wirbelt das Hirn! Das ist phantastisch, rein lächerlich! Ich, ich Rameau, der Winzige, Verlachte, soll dieses Riesenweib vom Platze stoßen, vor der die halbe Welt sich beugt?! – Der Plan ist erzdumm, ich tauge nicht dazu.

QUINAULT. Hören Sie mich, Narziß, und Sie werden Selbstvertrauen gewinnen. – Ehe die Marquise de Pompadour an den Hof kam, hatte sie einen Mann, den Finanzpächter d'Etiolles.

NARZIß. Ah, richtig! Ich erinnere mich, Sie fragten mich auch einmal nach ihm!

QUINAULT. Diesem Manne, den sie gewissenlos verließ, obgleich er mit heißester Liebe an ihr hing, der vor Gram über ihre Untreue gestorben, diesem Manne gleichen Sie Zoll für Zoll!

NARZIß. Das ist aber sonderbar!

QUINAULT. Als Sie an jenem Tage auf dem Boulevard du Temple waren, sah Sie die Marquise, die eben vorüberfuhr. Sie tat einen Schrei: »Narziß« und brach ohnmächtig zusammen – sie wurde todkrank nach Versailles[78] gebracht. – Begreifen Sie nun, warum die Epinay Sie fragte, warum ich Sie von Holbach entführte?

NARZIß. Recht, recht! Aber sie nannte doch meinen Namen zum Henker?!

QUINAULT. So sonderbar uns allen dies scheinen mag, so kann man doch nur annehmen, daß auch d'Etiolles Narziß geheißen habe, denn es steht fest, daß Sie ihm täuschend ähnlich sehen. Der Mann selbst ist tot, also kann Ihr Anblick sie allein erschüttert haben.

NARZIß. Das ist wahr. Kurze Pause. – Anders kann's nicht sein!

QUINAULT rasch fortfahrend. Die Marquise de Pompadour ist, wie Sie wissen, seit lange kränklich, und da sie das Ende ihres Lebens nahen fühlt, will sie es nicht beschließen, ohne das Ziel ihres Ehrgeizes erreicht zu haben. Sie wird in diesen Tagen dem König angetraut und die Königin von ihm durch einen unerhörten Akt des Zwanges geschieden werden. Doch nein, das soll nicht geschehen! Du, du wirst das entehrte königliche Weib, die entweihte Fürstin und Mutter retten, bewahren vor Wahnsinn und Verzweiflung! Du wirst dieses gewissenlose Weib, die ihren armen Mann verließ, wie Jeanette dich – du wirst sie durch deinen Anblick, deine Gegenwart zermalmen, wirst ihre bübische Vergangenheit vor dem gesamten Hofe, ein Racheengel, ihr vor die Füße werfen, und alle Tränen unserer armen Königin, unseres gesunkenen Vaterlandes werden von dir, durch eines Bettlers Hand, getrocknet sein!! – Sie breitet die Hände aus. Narziß, kein Preis ist groß genug, um dir diese Tat zu belohnen!!

NARZIß. Welche Umwandlung geht mit mir vor? – Wie zu Bergeshöh' bin ich gehoben und schau' die Welt in einer neuen Sonne, an einem neuen Tage! Hervorbrechend. Ja, diese Tat ist göttlich schön – so schön, daß ich sie mir selbst kaum gönne! – Narziß, du hast jahrelang gelebt in Elend und Schande, man hat dich gestoßen wie einen Hund von Tür zu Tür, und wenn der Wahnsinn aus dir grinste, haben sie gelacht und dich geneckt, wie den Affen hinter[79] dem Gatter. Da hast du nicht gedacht, armer verkommener Kerl, daß einst Frankreichs Los von deinem Ja und Nein abhängen werde! – Ja, ich werd' es tun, Doris! – Und hier an dieser Stelle will ich beten, beten zum erstenmal zu dem unerklärlichen großen Etwas, das die Gelten zusammenhält – denn ich erkenne: es gibt eine Gerechtigkeit über den Sternen, die auch den erbärmlichsten Wurm zu Ehren bringt! – Er kniet am offenen Fenster nieder und betet. Kurze Pause.

COLETTE kommt durch die rechte Mitteltür.


Quelle:
Albert Emil Brachvogel: Narziß. Leipzig [o.J.], S. 76-80.
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