XXXVIII.

[69] Wer krank ist und liegt in der Noth

Und folgt nicht eines Arztes Gebot,

Der hab' den Schaden, der ihm droht!


Ein Kranker liegt halbentblößt im Bette und hält in den Händen mit Hilfe einer Frau eine brennende geweihte Kerze. Hinter ihm knieen und stehen mehrere Personen; vor ihm ein als Doctor gekleideter Narr, welcher den Urin beschaut.


Von unfolgsamen Kranken.

Der ist ein Narr, der nicht versteht,

Was ihm ein Arzt in Nöthen räth,

Und der nicht recht diät will leben,

Wie ihm der Arzt hat aufgegeben,

Und der für Wein nun Wasser nimmt

Und andres, was ihm sonst nicht ziemt,

Und lugt, daß er sein Lüstchen labe,

Bis man ihn hinträgt zu dem Grabe.

Wer bald der Krankheit will entgehn,

Der soll dem Anfang widerstehn,

Denn Arzenei muß wirken lang,

Wenn Krankheit schon nahm Ueberhang.

Wer gern will werden bald gesund,

Der zeig' dem Arzte recht die Wund'

Und dulde, daß man sie aufbreche

Oder mit Sonden darein steche,

Sie hefte, wasche und verbinde,

Ob man ihm auch die Haut abschinde,

Damit ihm nur das Leben bleibe

Und man die Seel' nicht von ihm treibe.

Ein guter Arzt darum nicht flieht,

Wenn auch der Kranke halb hinzieht;

Ein Siecher billig dulden soll

Auf Hoffnung, daß ihm bald werd' wohl.

Wer einem Arzt in Krankheit lügt[70]

Und in der Beicht' den Priester trügt

Und Falsches sagt dem Advocaten,

Der ihm doch soll zum Guten rathen,

Der hat sich ganz allein gelogen,

Zu seinem Schaden sich betrogen.

Ein Narr ist, wer zum Arzte geht

Und folgt nicht dessen Worten stät,

Doch alter Weiber Nath hält fest

Und in den Tod sich segnen läßt

Mit Amulet und Narrenwurz,

Deß nimmt zur Helle er den Sturz.

Des Aberglaubens ist jetzt viel,

Womit man Heilung suchen will, –

Wenn ich den all zusammensuch',

Mach' ich wol draus ein Ketzerbuch.

Der Kranke nach Gesundheit schmachtet

Und überall nach Hilfe trachtet;

Den Teufel riefe Mancher an,

Daß er der Krankheit möcht' entgahn,

Wenn er von ihm Hilf' wartend wäre

Und nicht müßt' sorgen größre Schwere.

Der wird in Narrheit ganz verrucht,

Wer wider Gott Gesundheit sucht

Und ohne Weisheit doch begehrt,

Daß er will weis sein und gelehrt,

Der ist gesund nicht, sondern blöde,

Nicht klug, vielmehr in Thorheit schnöde;

In stäter Krankheit er verharrt

Und ist in Blindheit ganz ernarrt.

Krankheit aus Sünden oft entspringt,

Denn Sünde großes Siechthum bringt.

Drum wer der Krankheit will entgehn,

Dem soll Gott wohl vor Augen stehn,

Der soll sich erst der Beichte nahn,

Eh' er will Arzenei empfahn,

Und soll zuvor die Seele heilen,[71]

Eh' er zum Leibesarzt will eilen.

Doch redet jetzo mancher Gauch:

»Was sich beleibt, beseelt sich auch!«

Doch wird es sich zuletzt so leiben,

Daß weder Leib noch Seele bleiben,

Und ewige Krankheit den ficht an,

Der hier will zeitlicher entgahn.

Viel sind verfault und längst schon todt,

Die, hätten sie gesuchet Gott,

Sich Gnad' erworben, Hilf' und Gunst,

Eh' sie gesucht Arzneienkunst

Und Leben hofften ohne Gnaden,

Hinstarben zu der Seele Schaden.

Hätt' Makkabäus recht vertraut

Auf Gott und nicht auf Rom gebaut,

Wie er zuerst gesonnen war,

Er hätt' gelebt noch lange Jahr'.

Hiskias wär' gestorben todt,

Hätt' er sich nicht gekehrt zu Gott

Und so erworben, daß Gott wollte,

Daß er noch länger leben sollte.

Hätt' sich Manasse nicht bekehrt,

Gott hätt' ihn nimmermehr erhört.

Der Herr zu dem Bettsiechen sprach,

Der lange Jahr' gewesen schwach:

»Geh hin, bleib rein und sei kein Narr,

Daß dir nicht Schlimmeres widerfahr!«

Mancher gelobt in Krankheit viel,

Wie er sein Leben bessern will,

Von dem spricht man: »Der Sieche genas

Und wurde schlimmer, als er was!«

Er meinet Gott damit zu äffen:

Bald wird ihn größre Plage treffen!

Quelle:
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 69-72.
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Ausgewählte Ausgaben von
Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Mit allen 114 Holzschnitten des Drucks Basel 1494
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben (Neudrucke Deutscher Literaturwerke)
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