VI.

[19] Wer seinen Kindern übersieht

Muthwillige Lust und sie nicht zieht,

Dem selbst zuletzt viel Leid geschieht.


Zwei Kinder, die mit Würfeln und Karten gespielt haben, bedrohen sich mit Scheltworten, Messern und Schwertern; ein alter Narr, der sich, wol zu ihrem Besten, schon die Hosen ausgezogen und verkauft hat, sitzt mit verbundenen Augen ruhig daneben.


Von rechter Kinderlehre.

Der ist vor Narrheit wol ganz blind,

Wer es nicht achtet, daß sein Kind[19]

In guter Zucht man unterweist,

Und sich insonderheit befleißt,

Daß er sie irrgehn läßt ohn' Strafe,

Wie ohne Hirten gehn die Schafe;

Der ihrem Uebermuth nicht wehrt

Und sie zu strafen nicht begehrt,

Dieweil er meint, sie sei'n zu jung,

Es hafte nicht Erinnerung

In ihrem Ohr, nicht Straf' noch Lehre. –

O großer Thor, merk' auf und höre:

Der Jugend ist nichts zu geringe,

Sie merket wol auf alle Dinge.

Der neue Topf hält vom Gericht

Geschmack und Duft und läßt ihn nicht.

Ein junger Zweig sich dreht und schmiegt,

Doch wenn man einen alten biegt,

So knackt und bricht er bald entzwei. –

Gerechte Straf' bringt kein Geschrei,

Der Ruthe Zucht vertreibt ohn' Schmerzen

Die Narrheit aus des Kindes Herzen.

Ohn' Strafe selten man belehrt,

Das Uebel wächst, dem man nicht wehrt.

Eli war brav und lebte rein,

Doch straft' er nicht die Kinder sein,

Drum straft' ihn Gott, daß er mit Klage

Sammt ihnen starb an einem Tage.

Weil man der Kinder Zucht nicht will,

Drum trifft man Catilinen viel.

Es stände besser um manches Kind,

Gäb' man ihm Lehrer wohlgesinnt,

Wie Phönix, den einst aufgesucht

Peleus zu des Achilles Zucht.

Philipp durchsuchte Griechenland,

Bis er dem Sohn den Meister fand:[20]

Zum größten König in der Welt

Ward Aristoteles gesellt,

Der hörte Plato manches Jahr,

Dem Sokrates einst Lehrer war.

Jedoch die Väter unsrer Zeit,

Die gehen blind vor Geiz so weit

Und nehmen solchen Lehrer schon,

Der ihnen zum Narren macht den Sohn

Und schickt ihn wieder heim nach Haus

Halb närrischer als er kam daraus.

Drum ist zu wundern nichts daran,

Wenn närrische Kinder ein Narr gewann.

Der alte Krates sprach, wenn ihm

Es zuständ, wollt' mit lauter Stimm'

Er schreien: »Narren unbedacht!

Um Gut zu sammeln habt Ihr Acht

Und achtet nicht auf Euer Kind,

Für das Ihr doch auf Reichthum sinnt.

Aber Euch wird zuletzt der Lohn,

Wenn in den Rath soll gehn Euer Sohn

Und trachten Zucht und Ehre nach,

Dann ist zu solchem Ding' ihm jach,

Das man von Jugend ihn gelehrt;

Dann wird des Vaters Leid gemehrt,

Der sich verzehrt, weil er ohn' Nutzen

Erzogen einen Winterbutzen.«

Die einen gehn zu der Buben Rott'

Und lästern dort und schmähen Gott;

Die andern hängen an sich Säcke,

Die dritten verspielen Ross' und Röcke;

Die vierten prassen Tag und Nacht.

Das wird aus solchen Kindern gemacht,

Die man nicht in der Jugend zieht

Und mit einem Meister wohl versieht.

Denn Anfang, Mittel, Schluß der Ehre

Entspringt allein aus guter Lehre.[21]

Ein löblich Ding ist edler Sinn,

Doch ist er fremd, nicht dein Gewinn:

Er kommt von deinem Elternpaar;

Ein köstlich Ding ist Reichthum gar,

Aber er ist des Glücks Zufall,

Das auf und ab tanzt wie ein Ball;

Der Ruhm der Welt sich schön anläßt:

Doch schwankt er und ist voll Gebrest;

Ein schöner Leib steht hoch in Acht

Und währt etwa bis über Nacht;

So ist Gesundheit uns sehr lieb

Und stiehlt sich weg doch wie ein Dieb;

Der Stärke Größe, die man schätzt,

Schwindet vor Krankheit und Alter zuletzt:

Drum ist unsterblich nichts so sehr

Und unvergänglich als gute Lehr'.

Einst fragte Gorgias, ob wol Heil

Ward Persiens großem Herrn zu Theil?

Drauf Sokrates: »Ich weiß noch nicht,

Ob er gelernt der Tugend Pflicht!«

Als spräch' er, was Gewalt und Gold

Ohne Tugendlehre nützen sollt'?

Quelle:
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 19-22.
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Ausgewählte Ausgaben von
Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Mit allen 114 Holzschnitten des Drucks Basel 1494
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben (Neudrucke Deutscher Literaturwerke)
Das Narrenschiff:

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