LXVII.

[123] Die Haut zusammt dem Haar verlor

Besiegt Marsyas einst, der Thor,

Und blies die Sackpfeif' nach wie vor.


Mit gräßlichschöner Deutlichkeit wird ein auf einer Bank befestigter Narr von zwei Henkern nach allen Regeln der Kunst geschunden. Unter der Bank liegt der Dudelsack. Männer und Frauen, welche umherstehen oder aus einem Fenster schauen, sehen wohlgefällig zu. In der Ferne zwei davoneilende Narren.


Kein Narr sein wollen.

Die Eigenschaft hat jeder Narr,

Daß er es nicht kann nehmen wahr,

Wie man sein spottet; drum verlor

Marsyas Haut und Haar, der Thor.

Denn Narrheit ist oft also blind,

Daß Narren stets der Meinung sind,

Sie seien witzig, wenn man lache

Und Possenspiel aus ihnen mache;

Stellt er sich ernstlich zu der Sache,

Man ihn so lang für witzig hält,

Bis ihm die Pfeif' aus dem Aermel fällt.

Viel Freunde hat, wer reich an Gut,

Dem hilft man, daß er Sünde thut,

Und jeder lugt, wie er ihn schinde;

Dies währt so lang, bis er wird arm,

Dann spricht er: »Ach, daß Gott erbarm!

Wie hatt' ich vordem Nachlauf viel,

Und jetzt, – kein Freund mich trösten will!

Hätt' ich das vor der Zeit betrachtet,

Ich wär' noch reich und nicht verachtet!«

Die größte Thorheit ist fürwahr,

Wenn man verschlemmt in einem Jahr,

Womit man seine Zeit soll leben;

Wenn man durch Ueppigkeit im Geben[124]

Strebt Feierabend bald zu sehn

Um dann – dem Bettel nachzugehn.

Wenn ihm dann stößt in seine Händ'

Verachtung, Armuth, Spott, Elend

Und er zerrissen läuft und bloß,

So kommt ihm wol der Reue Stoß;

Wohl dem, der Freunde sich erwirbt

Mit Gütern, die er, wann er stirbt,

Muß lassen; jene stehn ihm bei,

Wie er auch sonst verlassen sei.

Dagegen ist manch Narr auf Erden,

Der annimmt mürrische Geberden,

Und zöge man ihm ab das Fell,

Blieb doch der frühere Gesell,

Der etwa nur die Ohren schüttelt.

Er ist ein Narr mit allem Fleiß

Und doch lobt Niemand seine Weis'!

Wiewol er gleich dem Narren thut,

Scheint doch sein Scherz Niemandem gut.

Drum sprechen etliche Gesellen:

»Der Narr will sich gern närrisch stellen

Und kann nicht Weise noch Geberd'!

Er ist ein Narr und gar nichts werth!«

Das ist ein seltsam Ding auf Erden:

Mancher will sein ein witz'ger Mann,

Der sich doch nimmt der Thorheit an,

Und meint, daß man ihn rühmen soll,

Sagt man: »Der kann die Narrheit wohl!«

Dagegen sind viel Narren auch,

Die ausgebrütet hat ein Gauch;

Die wähnen, daß sie klug gesprochen,

Es sei gehauen oder gestochen;

Sie dünken sich für weis gezählt,

So man sie doch für Narren hält.

Stößt man auch einen Narren klein,

Wie man dem Pfeffer thut im Stein,

Und stößt ihn noch so lange Jahr, –[125]

Er bleibt ein Narr doch, wie er war.

Denn jedem Narren das gebrist,

Daß Wahnolf Trugolfs Bruder ist.

Es ließ sich Mancher gern halb schinden,

An allen Vieren mit Seilen binden,

Erwüchse ihm nur Geld daraus

Und hätt' er Goldes viel im Haus;

Er litt' auch, daß er läg' zu Bett,

Wenn er der Reichen Siechthum hätt';

Er ließ' sich einen Buben schelten,

Wollt' man's mit Zins und Gab' entgelten.

Mit Wenigem Niemand sich begnügt,

Wer viel hat, mehr dazu noch fügt.

Aus Reichthum Uebermuth entspringt,

Denn Reichthum selten Demuth bringt.

(Was soll ein Dreck, wenn er nicht stinkt?)

Viel sind allein und ohne Kind;

Ohn' Bruder, ohne Freund sie sind,

Die werden nicht von Arbeit matt,

Ihr Auge macht kein Reichthum satt,

Sie denken nicht: »Wem wirkst du vor;

Wem kargest du, o Gauch und Thor?«

Gott gibt gar Manchem Gut und Ehr',

Und seiner Seele fehlt nichts mehr,

Als daß ihm Gott nicht auch verleiht,

Daß er es brauch' zur rechten Zeit.

Und hab' mit Maß von dem Genuß

Was er einst Völlern lassen muß.

Das macht, weil er sich selbst nichts gönnt!

Denn Tantalus sitzt in Wassersflut

Und löscht doch nicht des Durstes Glut,

Und sieht er gleich die Aepfel an,

Hat er doch wenig Freude dran!

Quelle:
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 123-126.
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Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Mit allen 114 Holzschnitten des Drucks Basel 1494
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Das Narrenschiff: Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben (Neudrucke Deutscher Literaturwerke)
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