Vierte Scene.

[20] Eine Haide. Nacht und Windsturm.


FAUST rasch und wild, ein Buch unterm Arme, mit entblößtem Haupte vorne rechts herein. Ihm folgt gegen die Tiefe ein Schatten.

Ich that den Schritt, den du mir nanntest!

SCHATTEN.

Ich folgte dir, wie du mich hießest,

Weil du an deinen Fuß mich banntest,

Mich nicht in meiner Tiefe ließest;

Was willst du, Faust?

FAUST.

Enthülle dich!

SCHATTEN.

Ich bin für Menschenaugen nicht;

Der Stern, der mich erschaute, bricht;

Willst du mich anders, wandle mich.

FAUST.

Bin satt der Lebensgaukelei,

Heraus aus deinem Höllenei!

SCHATTEN.

Zeig' ich mich dir in Urgestalt,

Sind wir für uns fortan verloren;[21]

Der mich gesandt, gab mir Gewalt,

Doch nur beschränkt, für – was geboren!

FAUST.

Dann bist du, Teufel! nicht der Mann,

Wie ich ihn will, wie ich ihn brauchen kann;

Was soll die Mummerei!? Will Klarheit

Zum mindesten, gibt's keine Wahrheit!

SCHATTEN.

Doch! Eine Wahrheit gibt's!

FAUST wildlachend.

Durch dich!?

SCHATTEN.

Durch mich.

FAUST.

So sprich sie aus denn!

SCHATTEN.

Leben! –

FAUST sich verhüllend.

Ha! muß die Hölle lehren mich,

Daß ich dem Tode mich ergeben,

Als ich dem Wissen mich ergab,

Dem blumig ausgeschmückten Grab!?

SCHATTEN.

Du lebst!

FAUST auffahrend.

Ja, das ist Wahrheit, ja!

Die einz'ge Wahrheit dieser Erde:[22]

Bin da, ich bin, bin lebend da,

Und will auch leben, was draus werde!

Was soll mir sonst des Lebens Kunde,

Die todte, wenn ich selbst nicht bin?

Verflucht sei jede Lebensstunde,

Die ohne Leben floß dahin!

SCHATTEN.

So lebe!

FAUST.

O wie fromm, wie gut,

Mit welchem kindlichen Gelüsten

Sog ich nicht an der Weisheit Brüsten!

Sie schien mir Mutter; ihrer Hut

Vertraut' ich mich so ganz und gar –!

Fluch ihr, der Metze Wissenschaft,

Die aus dem Jüngling Geist und Kraft

Gezogen, daß der Thor ich war; –

So zieht den Bräut'gam nicht zur Braut

Das erste brünstigste Verlangen,

Wie ich an einem Wissenslaut,

An einem Buchstaben gehangen!

Mein ganzes Ich gehörte ihr,

Mein ganzes Dasein war ein Buch;

Gelogen hat sie Treue mir,

Drum Fluch ihr ewig, ewig Fluch!

Indessen meine Wange blich

In unerhörter Leidenschaft[23]

Und mit der Rose sank die Kraft,

Sah sie nach Andern liederlich,

Die sie, gleich mir, belog, betrog,

Wie mir die süße Kraft entsog,

Wie mir den starken Nacken bog,

Wie mich zur Lebensqual erzog!

Verflucht darum die feile Dirne;

Erkenntniß gibt's nicht, will ich nicht:

Die Tugend trägt sie an der Stirne,

Doch Lastergift im Angesicht,

Anwachsend täglich ekelhaft;

Fluch aller, aller Wissenschaft!

SCHATTEN.

Wozu des Fluches? Sag' dich los!

Nur Eines macht dich stark und groß,

FAUST.

Schweig, Ungeheuer! vor der Thräne

Der Menschensehnsucht nach dem Wahren!

SCHATTEN.

Geschaffnes Herz ist die Hyäne,

Lebt nur vom Tod, vom offenbaren.

FAUST.

Genug! besorge keine Reue:

Ich weiß allein, wie ich gestritten,

Was ich um Hoffnung, Lieb' und Treue,

Um Kunst und Wissenschaft gelitten.

Daß ich Geschöpf, nicht Schöpfer bin,[24]

Drum ewig habe nur zu klagen,

Das hast du, Wurm, mir nicht zu sagen,

Sonst tret' ich in den Staub dich hin!

Schweig, wenn ich seufze, wenn ich weine;

Daß ich nicht sein kann, was ich will;

Steh lieber mir gleich einem Steine

Zu meines Daseins Grabschrift still!

SCHATTEN.

Du frommst mir nur mit deinem Zorn;

Die Zeit entflieht, Faust, sieh dich vor!

Die eingesunkne, die verlorne,

Ruft selbst Magie nicht mehr empor.

FAUST.

Nun denn, sag' an, was kannst du geben?

SCHATTEN.

Leben!

FAUST.

Und was gewährst du meinem Streben?

SCHATTEN.

Leben!

FAUST.

Ganz jenes Leben, das ich träumte,

Als goldne Jugend mich umsäumte

Und liebvoll Himmelsblau umspann,

So reich an Sternen, o sag' an?

SCHATTEN.

Schwelgerischen Vollgenuß,[25]

Gold und Ruhm, stets grüne Freude,

Heißersehnt geschenkten Kuß,

Immer frische Herzensweide;

Kraft und Taumel ab und zu,

Ewig ungeschwächte Stärke,

Liebesstürme ohne Ruh,

Staunenswerthe Wunderwerke:

Das ist's, was ich biete dir,

Willst du das, so sag' es mir!

FAUST.

Gut! – Was hab' ich dir zu geben?

SCHATTEN.

Leben um Leben!

FAUST.

Der Zeit?

SCHATTEN.

Die Zeit steht in der Ewigkeit!

FAUST.

Enthülle dich!

Bin dein!

SCHATTEN.

Hier hast du mich:

Schlag' ein!


Er verwandelt sich und tritt als Mephistopheles hervor, in eleganter Tracht, fein und voll Haltung. Der Mond geht auf.


Des Ernstes Hülle wich von mir,

Die Nacht ist hin, der Mond geht auf;[26]

Wirf nun auch deinen Ernst von dir,

Dann lustig vorwärts dran und drauf.

FAUST.

Du also bist und bleibst für mich?

MEPHISTOPHELES.

Ich diene dir.

FAUST.

Wie nennst du dich?

MEPHISTOPHELES.

Nichts thut der Nam' zur Sach'; indeß,

Ich heiße Mephistopheles.

Des Menschenlebens kundig, wie

Kein andrer Geist, erfahrungsreich,

Bin ich erfindrisch, kühn und nie

Verlegen und mir immer gleich.

An Stärke und an Schnelligkeit

Hat mich kein Geist noch übertroffen;

Vor meinen Blicken liegen offen

Die Schätze der Vergangenheit.

Hab' Schlüssel fast zu allen Herzen,

Ich weiß den Weg zur ärmsten Kammer,

Hab' Überredung für den Jammer,

Kann Liebe weg- und Treue scherzen:

Ich mach' aus jedem Ja ein Nein,

Und stell' dem Festesten ein Bein.

FAUST.

Das Alles findet sich zur Zeit,[27]

Ich werde prüfen deine Kräfte;

Und für des Bundes Pünktlichkeit?

MEPHISTOPHELES.

Bin kein Pedant in dem Geschäfte,

Mit dem Contract hat's keine Noth;

Ruf aus nur, gegen mich gekehrt:

Dein bin ich nach dem Erdentod!

Satan ist nah, damit er's hört.

FAUST.

Dein bin ich nach dem Erdentod!


Heftiger Windstoß unterirdische Stimmen.


Bist unser, unser, wir sind dein!


Ferner Posaunenschall.


FAUST.

Nun fort und in die Welt hinein!

Mich schau verjüngt das Morgenroth,

Verjüngt erscheine mir die Erde;

Nichts welk, nichts krank, nichts schwach und alt;

Rings alles blühend, ohn' Beschwerde,

In siegend reizender Gestalt.

Ein jeder meiner Schritte sei

Sofort ein ganzes Menschenleben!

In steter Sinnenraserei

Will ich der Welt mich eigen geben,

Der Welt, so wie sie ist, der weichen

Wollüstig bunten, vollen Welt;

O wo, wo ist noch ihresgleichen!?[28]

Hinein in sie, bis Alles fällt!

Was wissen!? Können! das, ja das

Ist ein gewaltig herrlich Wort!

Was forschen!? Zeigen fort und fort,

Erschaffen – ohne Unterlaß!

Ich habe mit dem Bücherwurme

Geschwelgt in geist'ger Einsamkeit,

Dafür sei jetzt im Sinnensturme

Mein Geist durch alle Welt zerstreut!

Und schaff' ich auch für Würmer nur,

So waltet doch in mir Natur,

Ich morde mich nicht selbst, ich handle,

Indem ich tausendfach mich wandle.

O wie verlangt es mich, zu fliegen!

Zu fliegen? durch die Luft zu kriechen?

Mit immer matterm Flügelschlag?

Das trag' und dulde, wer da mag!

Und erst die Menschen, diese armen!

Wie, nur ein Gäßchen zu durchwandeln,

Sie schrittweis mit dem Boden handeln

Daß er sich ihrer mög' erbarmen;

Nein, nicht zu fliegen nur, begann

Ich dieses Werk, das wäre klein.

Da, dort und hier zugleich zu sein,

Das fodr' ich, weil ich's fassen kann!

Der Sturmschritt selbst der Leidenschaft

Sei gegen das Pygmäenkraft,[29]

Und selbst die Sonn' in ihrem Lauf

Seh' mit entzücktem Staunen drauf.

Das, Teufel ist es, was ich fod're;

Ich will nun endlich einmal seh'n,

Was Zeit und Raum sind; mag gescheh'n

Mit mir was immer, wenn ich mod're!

Spann' auf denn deines Witzes Segel

Und schiffe mich ins Meer der Zeit;

Laß mich hohnlachen aller Regel,

Der Grenzen all' der Sterblichkeit!

Streu Rosen auf empörte Wogen,

Gieß Welten in Palästen aus,

Zieh' durch die Wolken Brückenbogen,

Bring' Mummenschanz ins Leichenhaus;

Mach' lüstern stammelnde Matronen,

Erröthen Laster, Tugend geil,

Ja selbst das Kind nicht soll mir schonen

Des Witzes gift'gen Sündenpfeil!

Du sollst von einem Menschen lernen,

Höllischer Geist, was dieses Sein

Sein kann; ich schwör's bei allen Sternen.

Nun fort und in die Welt hinein!

MEPHISTOPHELES.

So recht! Das macht dir Lust, mir Spaß:

Du willst – da geht's ohn' Unterlaß.


Er faßt ihn, Beide verschwinden.


Quelle:
Braun von Braunthal, [Karl Johann]: Faust. Eine Tragödie, Leipzig 1835, S. 20-30.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Strindberg, August Johan

Inferno

Inferno

Strindbergs autobiografischer Roman beschreibt seine schwersten Jahre von 1894 bis 1896, die »Infernokrise«. Von seiner zweiten Frau, Frida Uhl, getrennt leidet der Autor in Paris unter Angstzuständen, Verfolgungswahn und hegt Selbstmordabsichten. Er unternimmt alchimistische Versuche und verfällt den mystischen Betrachtungen Emanuel Swedenborgs. Visionen und Hysterien wechseln sich ab und verwischen die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn.

146 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon