[106] Der Kaiser in weißem Talare, tritt aus der Pforte und bleibt, im Anblicke der Landschaft versunken, eine Weile stehen; dann geht er in sein Gärtchen und besieht sich dies und jenes Gewächs und ordnet Manches.
FAUST.
So dacht' ich ihn! Erhabne Demuth,
Die stille Größe seiner Haltung,
In seinem Blick die fromme Wehmuth
Bei allem Adel der Gestaltung;
Was er gewesen einst der Welt,
Das ist er jetzt für Gott – ein Held!
Die Sabbathstille ringsumher,
Der Sonnenschaum im Äthermeer,
Der Blüten Duft, das frische Grün,
Die Himmelsstrahlen drüber hin,[106]
Der kleinen Sänger Morgenlied,
Das ganze süße Frühlingssein,
Der Greis dort im Verklärungsschein –
Ich weiß nicht, Gott! wie mir geschieht –!
Ehrwürden, kommt, jetzt will ich hin,
Mein ganzes Herz zieht mich an ihn.
ANSELMO rückkehrend vom Kaiser, mit dem er gesprochen.
Er hat es gütig aufgenommen
Und heißet euch in Gott willkommen.
FAUST geht ehrfurchtvollen aber festen Schrittes auf den Kaiser zu, der ihn unter einem blühenden Baume empfängt, läßt sich halb auf ein Knie nieder und bleibt, vom Kaiser aufgerichtet, neben Anselmo vor ihm stehen.
KAISER.
Ihr reiset?
FAUST.
Seit Jahren.
KAISER.
Liebt ihr nicht euer Vaterland?
FAUST.
Das Vaterland des Menschen ist die Welt.
KAISER.
Die Ewigkeit. Kennt ihr ganz meine Zeit?[107]
FAUST.
Ich ward in ihr; sie ist an Thaten reich.
KAISER.
Unthaten auch.
Pause.
Ihr liebt doch Blumen?
FAUST.
Innigst;
Die Blumen sind der Erde Wangenroth,
Der Unschuld Zeichen wie der holden Scham.
KAISER.
Sanct Just gefällt euch?
FAUST.
Heil'ger Friede weht
Durch mich in seinen Mauern.
KAISER.
Bleibt noch morgen
Und – wohnet meinem Leichenfeste bei.
FAUST UND ANSELMO erstaunt und verwirrt.
Wie? Großer Gott! –
KAISER.
Ja, Gott allein ist groß,
Und Demuth ziemt dem Sterblichen.
FAUST.
Morgen? –[108]
KAISER.
Begehe ich mein eignes Leichenfest.
Er winkt, Faust und Anselmo ziehen sich zurück.
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