Zweite Scene.

[106] Der Kaiser in weißem Talare, tritt aus der Pforte und bleibt, im Anblicke der Landschaft versunken, eine Weile stehen; dann geht er in sein Gärtchen und besieht sich dies und jenes Gewächs und ordnet Manches.


FAUST.

So dacht' ich ihn! Erhabne Demuth,

Die stille Größe seiner Haltung,

In seinem Blick die fromme Wehmuth

Bei allem Adel der Gestaltung;

Was er gewesen einst der Welt,

Das ist er jetzt für Gott – ein Held!

Die Sabbathstille ringsumher,

Der Sonnenschaum im Äthermeer,

Der Blüten Duft, das frische Grün,

Die Himmelsstrahlen drüber hin,[106]

Der kleinen Sänger Morgenlied,

Das ganze süße Frühlingssein,

Der Greis dort im Verklärungsschein –

Ich weiß nicht, Gott! wie mir geschieht –!

Ehrwürden, kommt, jetzt will ich hin,

Mein ganzes Herz zieht mich an ihn.

ANSELMO rückkehrend vom Kaiser, mit dem er gesprochen.

Er hat es gütig aufgenommen

Und heißet euch in Gott willkommen.

FAUST geht ehrfurchtvollen aber festen Schrittes auf den Kaiser zu, der ihn unter einem blühenden Baume empfängt, läßt sich halb auf ein Knie nieder und bleibt, vom Kaiser aufgerichtet, neben Anselmo vor ihm stehen.

KAISER.

Ihr reiset?

FAUST.

Seit Jahren.

KAISER.

Liebt ihr nicht euer Vaterland?

FAUST.

Das Vaterland des Menschen ist die Welt.

KAISER.

Die Ewigkeit. Kennt ihr ganz meine Zeit?[107]

FAUST.

Ich ward in ihr; sie ist an Thaten reich.

KAISER.

Unthaten auch.


Pause.


Ihr liebt doch Blumen?

FAUST.

Innigst;

Die Blumen sind der Erde Wangenroth,

Der Unschuld Zeichen wie der holden Scham.

KAISER.

Sanct Just gefällt euch?

FAUST.

Heil'ger Friede weht

Durch mich in seinen Mauern.

KAISER.

Bleibt noch morgen

Und – wohnet meinem Leichenfeste bei.

FAUST UND ANSELMO erstaunt und verwirrt.

Wie? Großer Gott! –

KAISER.

Ja, Gott allein ist groß,

Und Demuth ziemt dem Sterblichen.

FAUST.

Morgen? –[108]

KAISER.

Begehe ich mein eignes Leichenfest.


Er winkt, Faust und Anselmo ziehen sich zurück.


Quelle:
Braun von Braunthal, [Karl Johann]: Faust. Eine Tragödie, Leipzig 1835, S. 106-109.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon