Zweyter Auftritt.

[163] Henley. Klerdon.


HENLEY. So eilig und bestürzt, Klerdon?

KLERDON. Retten Sie mich, Henley! retten Sie Ihren Freund! Man sinnt auf meinen Untergang; man ist noch nicht mit den Bedrängnissen vergnügt, die mich bereits niederbeugen. Ich habe Feinde, ich kenne sie nicht, – vielleicht habe ich sie nie beleidigt. – Eine dunkle und unterbrochene[163] Warnung, ein Brief von einer verborgnen Hand, lehrt mich sie fürchten, ohne sie mir zu nennen.

HENLEY. Meine Bestürzung gleicht der Ihrigen. Befriedigen Sie meine Ungeduld. Entwickeln Sie diese fürchterlichen Geheimnisse.

KLERDON. Ihr Diener begegnete mir heute. Sein bleiches und verändertes Gesicht verrieth die aufgebrachten Bewegungen seiner Seele. Schrecken und Abscheu schienen ihn ganz überwältigt zu haben. Er verlangte von mir ein vertrautes Gehör. Seine dunkeln, abgebrochnen, schüchternen Reden, ließen mich so viel errathen, daß man mich unter der Decke der Freundschaft hintergehen und unglücklich machen will. Er entfernte sich, ohne sich deutlicher auszudrücken. Die Furcht schien ihn mit Gewalt zurück zu halten.

HENLEY für sich. Ha! der Verräther! Kaum daß ich meine Wut bezähmen kann!

KLERDON. Dieses würde mich noch wenig beunruhigen. Doch itzt erhalte ich einen Brief von einem Unbekannten, der meine Besorgnis nur zu gegründet macht. Hören Sie ihn selbst; Sie werden mir beyfallen. Er liest. »Man glaubt sich um[164] Sie verdient zu machen, wenn man Sie vor einer Gefahr warnt, die eine unbegreifliche Verblendung Ihren Blicken verbirgt. Hüten Sie Sich. Eine Hand, die um so gefährlicher ist, da sie versteckt ist, droht Ihnen den tödtlichsten Streich. Sie haben einen Freund, Sie schätzen ihn über alles, Ihr ganzes Herz ist ihm offen; und er – ist ein Bösewicht, Ihr Todfeind. Durch entsetzliche und unerhörte Verbrechen, bereitet er Ihnen insgeheim den Untergang. Die Furcht, entdeckt zu werden, befiehlt seinen Namen zu verschweigen. Sie werden selbst die besten Mittel wissen, diesen frevelhaften Absichten zuvor zu kommen; dieß einzige bittet man Sie, gehn Sie mit diesem Briefe behutsam um; sein Urheber ist verloren, wo man ihn entdeckt.« – Nun? ist meine Furcht ungerecht?

HENLEY für sich. Wie nahe verrathen zu werden? ich zittre – der Bösewicht! auch dieser Brief ist von ihm.

KLERDON. Sie antworten nichts, Henley?

HENLEY für sich. Itzt komme ich auf die glücklichste List, selbst dieser Brief soll mir behülflich seyn, ihn wider Granvillen aufzubringen. Zum Klerdon.[165] Entschuldigen Sie mich, daß ich Ihnen nicht gleich antwortete. Ein innerlicher Kampf band meine Zunge. Ich fürchtete, wenn ich Ihnen das eröffnete, was dieses ganze unglückliche Geheimniß aufschließen muß, mir den Schein eines niederträchtigen Zerstörers freundschaftlicher Verbindungen zu zuziehn. Doch Ihre dringende Noth siegt über alle meine Bedenklichkeiten: Sie sollen es erfahren, – – die entsetzlichste Treulosigkeit, die jemals ausgedacht worden: Granville – Sie zittern, da Sie diesen Namen hören; bald wird er Ihnen nichts als Schauer und Abscheu erwecken: – Granville hat mir eben itzt einen Brief übersendet. Sie wissen, wie frostig er sich vorhin gegen mich bezeigte; sollten Sie wohl glauben, daß dieses alles nur Verstellung war? Sein Brief bezeuget es. Er fängt mit den heftigsten Klagen über die Beleidigungen an, die ihm und seiner Schwester von Ihnen widerfahren sind. Er hielte sie, wie er versichert, für unverzeihlich, und sich zur strengsten Rache berechtigt. Eben diese sey die Absicht seiner Reise; doch müsse er sich noch gegen Sie verstellen. Die Anwesenheit seiner Schwester, die ihn hieher begleitet, habe er Ihnen[166] mit Fleiß verhehlt; er wüßte, wie eifrig ich mich einst um ihre Gunst beworben; itzt böte er sie mir mit der Hälfte seines väterlichen Vermögens an. Unsre Verbindung sollte sogleich vollzogen werden.

KLERDON. Was höre ich? Mein ganzes Blut erstarrt.

HENLEY. Er setzte hinzu, er wüßte, Sie beteten seine Schwester an, und eben darum wollte er Sie auf der empfindlichsten Seite angreifen; dieß würde der geschickteste Weg seyn, seine verletzte Ehre zu rächen, Sie gänzlich niederzuschlagen, und öffentlich über Sie zu triumphiren, wenn er Ihnen Ihre Verlobte und mit ihr alle Mittel raubte, Ihren bedrängten Umständen jemals wieder aufzuhelfen.

KLERDON. Nein, ehe soll er sterben, der Unmensch! – Was hält meine Wuth noch zurück? – ich eile zu ihm – von meiner Hand soll er sterben, der Treulose! – Doch Sie, Henley, befreyen Sie mich von diesem quälenden Zweifel: haben auch Sie Sich wider mich verschworen?

HENLEY. Wie können Sie einen solchen Argwohn bey sich aufsteigen lassen? Widerspricht ihm nicht mein ganzes Verfahren? Würde ich nicht geschwiegen[167] haben, wäre ich nur im mindesten zweifelhaft gewesen? Es ist wahr, ich liebte Miß Granville, so lange der Vorzug, den man Ihnen gab, meine Liebe nicht strafbar machte; Eine günstige Gelegenheit bietet sie mir itzt an; ein ansehnlich Vermögen erhöht noch die schimmernde Lockung; meine Umstände – Sie wissen es selbst – rathen mir, es nicht auszuschlagen: doch verabscheut sey das Glück, das sich auf den Ruinen meines Freundes erhebt! Nein, Klerdon, ich will den Gesetzen der Freundschaft mein Glück, ja meine zärtlichste Leidenschaft aufopfern. Ich liebe Sie mehr als mich selbst. Sie sollen es erfahren, Sie sollen erkennen lernen, wer von uns beiden den Vorzug in der Freundschaft verdient, Granville oder ich.

KLERDON. Sie sind die Großmuth selbst. Mein Leben ist eine zu geringe Belohnung für diese edle Gesinnung. So viel Zärtlichkeit, Uneigennützigkeit, Hoheit der Seele – ach! verzeihen Sie, daß ich zwischen Ihnen und Granvillen jemals zweifelhaft gewesen bin. – Doch ists möglich? kann ich diese abscheuliche Niederträchtigkeit glauben? So ein schwarzes Verbrechen von Granvillen?[168]

HENLEY. Mir selbst war es anfangs unbegreiflich. Ich wagte es nicht, meinen Augen zu trauen. Doch alles bekräftigt es unwidersprechlich. Selbst der Brief, den Sie empfangen haben, erklärt ihn für schuldig. Denn, wen könnte er sonst anklagen? Vermuthlich hat Granville einem gemeinschaftlichen Freunde von ihnen beiden seine rachgierigen Absichten anvertraut, dem haben Sie diese Warnung zu danken.

KLERDON staunend. Granville kann treulos handeln!

HENLEY. Hätte Ihnen doch Ihr edelmüthiges und über alles Mißtrauen erhabnes Herz eher erlaubt, die Falten des seinigen zu durchschauen. Ich bekenne es, schon lange haben nur zu gewisse Nachrichten einen geheimen Argwohn gegen ihn bey mir unterhalten: – vielleicht wäre es meine Schuldigkeit gewesen, es Ihnen eher zu melden: – ich fürchte, seine verborgene Feindschaft hat nicht wenig beygetragen, Ihre Gläubiger mit unerbittlicher Strenge zu bewaffnen.

KLERDON. Granville kann treulos handeln![169]

HENLEY. Ich sehe es, Ihr Herz weigert sich, ihn für einen Verräther zu halten. So lesen Sie denn diesen Brief selbst; Sie kennen seine Hand. Dieser muß Sie einem vielleicht schmeichelhaften, aber gefährlichem Irrthume entreißen – – Für sich, indem Klerdon liest. Seine Blicke sind Wut – ich triumphire.

KLERDON nachdem er ihn durchgelesen. Ich habe ihn durchgelesen, und ich verfluche seinen Urheber. Dieser Augenblick ist der Tod unsrer Freundschaft. Wo Rache, Wut, Verzweiflung – – – Worte mangeln meinen Empfindungen. – Welche abscheuliche Gesinnungen entweihen dieses Blatt! Er beschwört Sie – der Treulose! – er beschwört Sie, mir alles so lange zu verhehlen, bis die Verbindung mit seiner Schwester völlig geschlossen, und Sie dann beide öffentlich über mich triumphiren könnten – triumphiren? Ja, ich will ihm die Freude dieses Triumphs verbittern. Lassen sie mich, ich eile zu ihm, meine Rache –

HENLEY der ihn zurück hält. Wo wollen Sie hin, Klerdon? Ihre Hitze macht Sie unbedachtsam. Granville kann vielleicht den Augenblick zu Ihnen[170] kommen. Allein, wo Ihnen unsre Freundschaft theuer ist, wo Sie mir einige Erkenntlichkeit für das, was ich Ihnen heute aufopfre, schuldig zu seyn glauben, so verhehlen Sie ihm unsre Unterredung. Nie kann man vorsichtig genug seyn, Freundschaften aufzurichten, und nie vorsichtig genug, schon geschloßne zu trennen. Es ist wahr, Sie haben bereits unverwerfliche Zeugnisse von Granvillens Treulosigkeit. Wird es indessen nicht besser seyn, auch den mindsten Scheine der Ungewißheit auszuweichen? Reden Sie mit dem Granville, verstellen Sie Sich, thun Sie, als hätte Sie sein Vorschlag, mit ihm ein Einsiedler zu werden, überredet. Lenken Sie das Gespräch auf seine Schwester. Finden Sie, daß uns der Brief nicht hintergangen hat, daß seine Schwester gegenwärtig ist, und er es doch vor Ihnen verborgen hat, so ist leider – – – Sie werden es selbst wissen, welche unglückliche Folgerung Sie daraus ziehen müssen. – Doch wie sehr wünschte ich, wir irrten uns, und Granville wäre unschuldig!

KLERDON. Ich fürchte, dieser Versuch wird mir Mühe kosten. Ich war stets zu stolz, die Verstellung zu Hülfe zu rufen, und da ich in ihren Künsten[171] ein Fremdling bin, versagt sie mir vielleicht itzt ihren Beystand.

HENLEY. Und dennoch müssen Sie alle Ihre Kräfte aufbieten, in diesem Versuch glücklich zu seyn. Ich wiederhole es, so theuer Ihnen unsere Freundschaft, ja Ihr eigen Wohl ist – – – doch es kommt jemand; vielleicht ists Granville. – Noch einmal, liebster Klerdon, beschwöre ich Sie – – –

KLERDON. Fürchten Sie nichts; Ihren Wunsch zu befriedigen, würde ich auch das schwerste Geschäfte nicht ausschlagen.


Henley geht ab.


Quelle:
Joachim Wilhelm von Brawe: Der Freygeist, in: Trauerspiele des_–, Berlin 1763, S. 163-172.
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