Zweiter Auftritt

[192] VALERIO. ES ist mir hier wie einem einsamen Robinson, so ein Singvögelchen wäre mir gerade recht. He! wo bist du? Lockt pfeifend.

VALERIA. Da bin ich –

VALERIO. Ei, ein Rabe!

VALERIA. Ist dein Herz von Gold, so will ichs stehlen!

VALERIO. Ei, so sei artig, daß du schwarz werdest; wo kommst du dann her?

VALERIA. Ich war bei einer Edelfrau, sie jagte mich weg, weil sie glaubte, ihr Geliebter wende sich zu mir. Nun suche ich einen andern Dienst. Ich zog in Sevilla abends durch die Straßen, und nährte mich mit Singen, aber die Ritter stellten mir nach. Da bin ich denn fortgelaufen bis hierher, und weiß nun nicht wohin.

VALERIO. Du bist freilich schwarz genug, um eine Alletagsdame zu verdunkeln und sieh, die Nachstellungen, mußt du wissen, sind Nachtstellungen; die Nacht ist keines Menschen Freund. Vielleicht kannst du hier bleiben, du mußt dich aber noch ein paar Minuten verstecken. Es wird gleich ein Sarg herausgetragen werden und ein Totengräber hinterdrein gehen; wenn der fort ist, darfst du dich sehen lassen, schöne Trauer.

VALERIA. Ist jemand gestorben?

VALERIO. Nein, es ist eigentlich vielmehr eine alte Schachtel als ein Sarg, vielmehr eine alte Tante, die abreist, und vielmehr[192] ein Grobian, ein Totärgerer, als ein Totengräber, vielmehr ein grober Hausmeister, der sie begleitet; die werden nun bald fortgehen, dann bin ich mit zwei jungen Fräulein allein, und die nehmen dich wohl an. – Sieh, ich habe das Singen nötig, denn ich habe sonst täglich meine Tochter singen hören. Du mußt aber ihre Lieder von mir lernen. Nun verstecke dich, ich höre sie schon kommen. Valeria verbirgt sich. Es ist mir, als wäre ich in der Neuen Welt, auf einer Entdeckungsreise, da habe ich nun einen schwarzen Singevogel. Was abreist, sind Naturalien, die ich gleich nach Haus ins königliche Kabinett schicken muß, weil sie sich nicht lange halten. Wahrlich, die Tante ist schon sehr unscheinbar, und der Hausmeister kann sich auch nicht halten, denn er ist immer besoffen. Doch, das ist der Weingeist um das Präparat.


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Clemens Brentano: Werke. Band 4, München [1963–1968], S. 192-193.
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