[269] VALERIA.
Noch einmal trete schüchtern ich hervor –
Ich schäme mich, so ganz allein vor euch
Und ohne Vater oder Freund zu reden.
O wär ich von dem Harnisch noch umgeben,
Geschlossen das Visier, ich wäre kühner!
Die andern sagten, einem guten Mädchen
Wird wohl der Leser leichter es verzeihen
Als uns, die nicht nach jedes Menschen Wunsch,
Nur wunderliche, bunte Leute sind,
Und selbst Juanna, die von Schicklichkeit
Und dem, was Damen wohl geziemen mag,
Seit langen Jahren viele Fälle kennt,
Spricht, daß es wohl in meiner Rolle liegt,
Wenn ich, die alle heut beglückte, auch
Noch einem fernen Freunde Freude mache,
Der unter euch, ihr lieben Leser, uns
Der Liebste ist, weil er sich unsichtbar
In unsrer Abenteuer Schicksal mischte.
O! fragt mich nicht, wer dieser Ferne sei,
Denn erstens hat man mir es selbst verschwiegen
Und dann muß auch dem Herzen, das den Freund
Sich in dem Zauberspiegel gütger Phantasie
So nahe wähnt, die Frage schmerzlich sein,
Die du aus deiner Wirklichkeit, o Leser,
In seine Träume weckend rufst. Es geht
Nachtwandelnd der Verliebte auf dem Dach
So kühn nach seines Glückes Kammerfenster –
O! nenne seinen Namen nicht, du läufst Gefahr,
Daß er vom Dache fallend auf dich fällt.
So schweige dann, und laß den Freund mich grüßen,
Der, als ich und die andern dieses Spiels
Des Lebens erste Szenen kaum erlebt,
Mit unserm Vater an der Wiege stand,
Den Feen gleich, die gute Kinder wiegen.
Da er bemerkt', wie Porporino, Ponce und ich
In wunderlicher Liebe Lieb und Streit[270]
Die Arme nacheinander streckten, uns nicht faßten,
Da glaubte er, wir seien Drillinge
Und wurden zum Beschlusse ein Terzett
Vor unsrer unbekannten Mutter singen,
Zu der er uns Juanna scherzhaft vorschlug.
Doch waren wir ihm lieb, und unserm Vater,
Der wegen unsrer eignen Art und Weise
In Sorgen oft und oft in Unmut lebte,
Hielt lächelnd er die wilde Hand zurück,
Die seine Schande in uns töten wollte.
Du teurer Ferner sahst ihn lächelnd an,
Und um dies Lächeln hat er damals schon
Sein ganzes Leben freudiger gefaßt.
Dir dank auch ich, Valeria, das Leben.
Du hast nach uns am Rheine ihn gefragt,
Wo du und Sonnenschein und froher Wein,
Des Herzens harten Fels ihm tönen ließen.
Wie weislich, Güt'ger, dort für uns zu bitten!
So zürne nicht, daß du uns so, nicht besser,
Vor dich, Geliebter, kühnlich treten siehst!
Wir sind nur wild gewachsen, ohne Zucht;
Du hieltst den Vater fest, sich selbst erziehend
Für deine Liebe hat er uns versäumt –
Durch dich nur sind wir und durch uns nur so.
Auch laß mich, da du gütig zu mir blickst,
Noch unter dieses gütgen Blickes Schutz
Die freudige Nachricht, Lieber, mit dir teilen!
Denk' unsre Freude; von derselben Schwelle
Und zu derselben Zeit geht in die Fremde
Von dir ein frohes, liederreiches Kind;
So sind wir dann zur Wanderschaft Gesellen,
Und wollen uns wie unsre Väter lieben;
O liebe mich, wie ihn, der dich nur liebt!
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Ponce de Leon
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