Godwi an Römer

[119] Werdo, der Vater Tiliens, ist heiterer, seitdem ich hier bin. Tilie dankt es mir, und nennt mich darum den Freund. Da ich sie zum erstenmal sprach, es war in der Gesellschaft des Alten, waltete für mich eine seltsame Zauberei über ihrer Rede. Sie sprach in weiten geisterischen Umrissen von der Welt, und ich fühlte, indem sie mit einer hohen Teilnahme und vielem Geiste die Leiden und das Übel der Gesellschaft vermutete, daß alles in der Welt recht sei, und wie es sein könne.

Unsre Wirklichkeiten wurden unter der zarten Bestimmung ihrer Phantasie zu einer fremden freundlichen Poesie, so wie ihre Wirklichkeit unsre Poesie sein könnte. Es ist mir, als sei der Genius der höchsten Kultur auch derselbe der einfachsten Natur, und habe seinem Kinde die Sitten der Kinder der Gesellschaft anvertraut, um sie durch die Darstellung jener Unzulänglichkeit für ihr eignes Leben empfänglicher zu machen.

Werdo, der mein Erstaunen über sein weissagendes Kind bemerkte, ergriff in einer seiner traulicheren Stunden meine Hand, und sprach: »Mein Freund! du bist mein Hausgenosse geworden, und freuen soll es mich, noch lange in stiller Liebe so mit dir zu teilen. Ich schwieg bis itzt, ich glaubte, daß auch dich das Mitleid ekelhaft durchdringe, und alles müßte ich vor dir und deines Herzens Vorwitz bang verhüllen. Doch freudig habe ich des Herzens stille Teilnahme gefunden, vor der ich ohne Scheu, daß du in lautes Seufzen, in Verwundern, wie kein Mensch es darf, verfielest, die lang entwohnte Offenheit ergieße. Mein Schmerz ist still, du hast ihn nie mit Klang und lauten[119] Worten angeredet, so liebt er dich und mag dich wohl in seiner Ruhe leiden. Das Leben, das ich sonst um gar nichts fragte, es wollte mir auf alles Antwort geben, und tat es rauh mit scharfen lauten Worten, so daß es mich hinausgedrängt. Itzt frag ich nichts, und nichts mehr spricht mit mir; so lebe ich in tiefer Einigkeit mit allem, was hier um und um mich lebet.


Wenn der Sturm das Meer umschlinget,

Schwarze Locken ihn umhüllen,

Beut sich kämpfend seinem Willen

Die allmächtge Braut und ringet,


Küsset ihn mit wilden Wellen,

Blitze blicken seine Augen,

Donner seine Seufzer hauchen,

Und das Schifflein muß zerschellen.


Wenn die Liebe aus den Sternen

Niederblicket auf die Erde

Und dein liebstes Lieb begehrte,

Muß dein Liebstes sich entfernen.


Denn der Tod kömmt still gegangen,

Küsset sie mit Geisterküssen,

Ihre Augen dir sich schließen,

Sind im Himmel aufgegangen.


Rufe, daß die Felsen beben,

Weine tausend bittre Zähren,

Ach, sie wird dich nie erhören,

Nimmermehr dir Antwort geben.


Frühling darf nur leise hauchen,

Stille Tränen niedertauen,

Komme, willst dein Lieb du schauen,

Blumen öffnen dir die Augen.


In des Baumes dichten Rinden,

In der Blumen Kelch versunken,

Schlummern helle Lebensfunken,

Werden bald den Wald entzünden.[120]


In uns selbst sind wir verloren,

Bange Fesseln uns beengen,

Schloß und Riegel muß zersprengen,

Nur im Tode wird geboren.


In der Nächte Finsternissen

Muß der junge Tag ertrinken,

Abend muß herniedersinken,

Soll der Morgen dich begrüßen.


Wer rufet in die stumme Nacht?

Wer kann mit Geistern sprechen?

Wer steiget in den dunkeln Schacht,

Des Lichtes Blum zu brechen?

Kein Licht scheint aus der tiefen Gruft,

Kein Ton aus stillen Nächten ruft.


An Ufers Ferne wallt ein Licht,

Du möchtest jenseits landen;

Doch fasse Mut, verzage nicht,

Du mußt erst diesseits stranden.

Schau still hinab, in Todes Schoß

Blüht jedes Ziel, fällt dir dein Los.


So breche dann, du tote Wand,

Hinab mit allen Binden;

Ein Zweig erblühe meiner Hand,

Den Frieden zu verkünden.

Ich will kein Einzelner mehr sein,

Ich bin der Welt, die Welt ist mein.


Vergangen sei vergangen,

Und Zukunft ewig fern;

In Gegenwart gefangen,

Verweilt die Liebe gern,


Und reicht nach allen Seiten

Die ewgen Arme hin,

Mein Dasein zu erweiten,

Bis ich unendlich bin.


So tausendfach gestaltet,

Erblüh ich überall,[121]

Und meine Tugend waltet

Auf Berges Höh, im Tal.


Mein Wort hallt von den Klippen,

Mein Lied vom Himmel weht;

Es flüstern tausend Lippen

Im Haine mein Gebet.


Ich habe allem Leben

Mit jedem Abendrot

Den Abschiedskuß gegeben,

Und jeder Schlaf ist Tod.


Es sinkt der Morgen nieder,

Mit Fittichen so lind,

Weckt mich die Liebe wieder,

Ein neugeboren Kind.


Und wenn ich einsam weine,

Und wenn das Herz mir bricht,

So sieh im Sonnenscheine

Mein lächelnd Angesicht.


Muß ich am Stabe wanken,

Schwebt Winter um mein Haupt,

Wird nie doch dem Gedanken

Die Glut und Eil geraubt.


Ich sinke ewig unter,

Und steige ewig auf,

Und blühe stets gesunder

Aus Liebes-Schoß herauf.


Das Leben nie verschwindet,

Mit Liebesflamm und Licht

Hat Gott sich selbst entzündet

In der Natur Gedicht.


Das Licht hat mich durchdrungen,

Und reißet mich hervor;

Mit tausend Flammenzungen

Glüh ich zur Glut empor.[122]


So kann ich nimmer sterben,

Kann nimmer mir entgehn;

Denn um mich zu verderben,

Müßt Gott selbst untergehn.«


Die Harfe lag, während er sprach, schon an seiner Brust, wie ein Teil seines Gemüts und seiner Äußerung.

Ich empfand erst in der Mitte seines Liedes, daß er sie spielte, so leise hatte er angefangen. Alles das hatte sich verschlungen und durchdrungen, ohne daß ich irgend einen Übergang sah.

Morgen schreibe ich dir weiter; ich habe den Greis verlassen, sitze hier auf meiner Kammer, weine und bete; der Abend kömmt schon, von ihm den Abschiedskuß zu fordern. O lebe wohl!

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 119-123.
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